Nachbarinnen: Felsenbirne und Schein-Walderdbeere

Es gehört zu den schönsten Eigenarten der deutschen Sprache, dass es Wörter gibt, die aus zwei (oder mehr) verschiedenen Substantiven zusammengesetzt sind. Diese Wortneuschöpfungen entwickeln nicht selten eine große sinnliche Bildkraft.

Was hat der „Felsen“ mit der „Birne“ zu tun? Eigentlich wenig, aber in der „Felsenbirne“ finden beide zusammen. Auf dem Stellwerk 60- Gelände gibt es zahlreiche Felsenbirnen-Sträucher, die in der Bauphase gepflanzt wurden. Man hat sich für sie entschieden, weil die Felsenbirne anspruchslos ist und kaum gepflegt werden muss. Sie trotzt Starkregen, Sturm, dem Beschuss mit Fußbällen und den Säureattacken beinhebender Hunde. Die Felsenbirne ist so robust, dass sie sogar in einer Felsenritze Nahrung und Halt finden könnte. Bei aller Bescheidenheit ist der Strauch schön. Im Frühjahr trägt er feine, weiße Blüten und im Juni dunkelblaue, wohlschmeckende Früchte, die der Blaubeere ähneln. Wer wissen will, wie Felsenbirnenbeeren schmecken, muss sich beeilen.

IMG_6244

Die Felsenbirne (rechts im Bild) war für diese achtjährigen Mädchen lange nicht so interessant wie unser Hund Freki, ein sanfter, braunäugiger Australian Shepherd.

Mitten in der Siedlung wachsen derzeit auch Walderdbeeren*, etwa am Rand der „Magistrale“. In der Regel sind ihre Früchte aromatisch und klein. Die Regenfälle im Juni haben jedoch zu monströsen Auswüchsen geführt. Diese Walderdbeere* (Durchmesser: 3cm (!), Fundort: Gärtchen Am Alten Stellwerk) war rundum genoppt, sah aus wie ein kleiner Kunststoff-Massageball und schmeckte nach nichts.

*Warum diese „Walderdbeere“ nach nichts schmeckte, erklärte mir dankenswerterweise Leserin Gesa (s.Kommentar). Die Walderdbeere ist nämlich keine.

IMG_6234

Nicht nur Hagelkörner sind neuerdings so groß wie Tischtennis-Bälle.

Leider ist das Deutsche nicht gegen die Vereinnahmung durch Technokraten und Bürokraten immun. Ein herber Angriff auf die schöne deutsche Sprache ist das Wort „Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz“. Der autofreien Siedlung bescheinigen einige ihrer Bewohner eine „zufriedenstellende Aufenthaltsqualität“. Ich würde den Begriff „Aufenthaltsqualität“ allenfalls für eine Autobahnraststätte verwenden. Zu Stellwerk 60 passt er ganz einfach nicht. Ich bin hier gerne „auf der Straße“, denn es gibt immer was zu entdecken. Nur von einer Aufenthaltsqualität hab ich bislang wenig verspürt- Felsenbirne und Schein-Walderdbeere wohl auch nicht.

2 Gedanken zu „Nachbarinnen: Felsenbirne und Schein-Walderdbeere

    • Liebe Gesa, vielen Dank für den Hinweis!
      Ich hab an der Pflanze eine letzte winzige Erdbeere entdeckt, die auch nach nichts schmeckte. Von einer Scheinerdbeere hab ich noch nie gehört, aber es ist eine! Gewundert hatte ich mich darüber, dass weder Insekten noch Vögel an der großen, schönen Beere interessiert waren. Tiere sind offenbar nicht so leicht blendbar, und auf ihre Weise wissen Tiere (noch) viel mehr als wir…

Kommentar verfassen