Elfchen im Ersten: Der Schneid’ge mit der Scher’

Der

Schneid’ge mit

der Scher’ kommt

heut’ mit der Impfspritz’

daher

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Bachem, Winter 1957/58

Das Foto, das ich mir angucke, zeigt einen nackten kleinen Jungen, der etwa ein halbes Jahr alt ist. In Ermangelung eines Eisbärenfells hat man das Kind auf ein feines Kissen gelegt. Der Junge liegt auf dem Bauch und hebt den Kopf, was ihm noch ein bisschen schwer fällt. Das Kind ist mein späterer Mann Manfred. Es gibt nicht viele Fotos von ihm, aber diese wenigen erzählen viel.

!!!Achtung, der Junge auf dem Foto unten ist nicht “Manfred”. Ich habe mir Bild und Baby nur “ausgeliehen”, d.h. aus dem Internet abfotografiert. Das Foto ist knapp 50 Jahre älter, stammt aus dem Jahr 1909 und zeigt den Vater einer Fotografin namens Monika Paar. Der wache, knuffige Junge, der meinem Mann ähnlich sieht, war damals schon im Krabbelalter und konnte -anders als der kleine Manfred- wegkrabbeln, was er im nächsten Moment wohl auch gemacht hat. https://www.fotocommunity.de/photo/schon-1909-monika-paar/2190985 Sobald ich “mein” Foto gefunden habe, werde ich es gegen dieses Bild austauschen!!!

Es war einmal: Das Glück, nackt auf dem Bauch zu liegen und nicht damit rechnen zu müssen, verletzt zu werden.

Winter 1957/58: Mein späterer Mann, ein zweitgeborener Sohn, hat seiner Mutter eine gute Geburt beschert. Sie hat ihn einige Wochen lang gestillt und findet es selbstverständlich, dass er kräftig und robust ist. Schließlich ist er ihr Sohn.

Seine Eltern sollten ihm -wie auch den anderen beiden Söhnen- nie Angst machen oder mit Strafe drohen. Eine glückliche Kindheit: So, wie man ist, angenommen werden. Geliebt werden, weil man da ist, nicht zurechtgebogen, nicht belogen, nicht für blöd verkauft werden. Manfred ist schon als Dreijähriger alleine nach draußen gegangen, um mit anderen Kindern zu spielen. Das war damals noch möglich, denn der Autoverkehr hielt sich in Grenzen und das Teilstück der A1 bei Bachem sollte erst gebaut werden, als die Familie nach Frechen-City gezogen war. Manfred wollte nicht in den Kindergarten, obwohl seine Eltern es ihm angeboten hatten. Unter den Frechener Jungs war es verpönt, in den Kindergarten zu gehen. Der Kindergarten war was für Doofe – und für Mädchen.

Allem Fortschritt zum Trotz haben die heutigen Babys die gleichen Bedürfnisse wie die Babys der Steinzeit. Sie wollen es warm haben, wollen in den Arm genommen werden, getröstet, gefüttert, unterhalten, getragen. Ein Menschen-Kind wird mit einer wunderbaren Eigenschaft geboren: Urvertrauen. Als Nesthocker weiß es noch lange nicht, was gut für es ist, es kann sich nicht wehren, wenn man es verletzt. Ein Rest “gesunder Tierverstand” (Friedrich Nietzsche) lässt die meisten Eltern das Richtige tun: Sie kümmern sich um ihr Kind und passen auf, dass niemand ihm wehtut.

In den frühen menschlichen Gesellschaften haben vermutlich fast ausschließlich Frauen die neugeborenen Kinder versorgt und beschützt. Wir müssen uns vorstellen, dass die Frauen vor der Sesshaftwerdung des Menschen innerhalb ihrer zahlenmäßig überschaubaren “Gesellschaft” machtvoll waren, jedoch nicht im heutigen, landläufigen Sinne. Sie hatten keine Macht über andere Menschen, sondern waren das Zentrum ihrer Gruppe. Ihre Macht war nicht angemaßt, sondern naturgegeben. Schließlich waren sie es, die das Kind neun Monate in sich trugen, es unter Todesgefahr zur Welt brachten und via Geburt das einzige für Neugeborene “bekömmliche” und das Überleben des Menschen sichernde Nahrungsmittel produzierten: Muttermilch.

Was die Macht der Frauen (auch für das Selbstbewusstsein der Männer) bedeutete, brachte der humorbegabte US-amerikanisch-deutsche Tübinger Forscher Nicholas Conard im Jahr 2009 auf den Punkt: „Bei mobilen Jäger und Sammlern ist das Schlimmste, was passieren kann, dass Frauen in den reproduktiven Jahren sterben oder gesundheitliche Probleme… Wenn ein paar Männer verschwinden, ist es nicht schlimm. Aber eine gesunde Frau, die Nachwuchs produzieren kann, ist für die Existenz der Gruppe in der Eiszeit sehr wichtig.“ https://www.deutschlandfunkkultur.de/vor-zehn-jahren-erstmals-praesentiert-die-venus-vom-hohle-100.html (Fett-Markierung von mir).

Doch der tiefe Respekt vor der Frau hatte mehr als nur praktische Gründe. Denn “was hat die steinzeitliche Welt so lange in der Balance gehalten? Warum hat der Gebrauch von Werkzeugen und Waffen nicht zur Selbstzerstörung geführt? … Entscheidend war die Liebe zum Leben: Das Gespür für Natur, die Ehrfurcht vor der weiblichen Gebärfähigkeit und die Einbettung des menschlichen Daseins in den göttlichen Kosmos…“ https://stellwerk60.com/2022/07/09/elfchen-im-siebten-schoepfungswonne/ Als Gebärende bekommt die Frau eine Ahnung von der allem Lebendigen innewohnenden Schöpfungskraft. Der Schlüssel zur Wahrnehmung dieses Vermögens, das das Gegenteil ist von simpler (männlicher) Muskelkraft, sind die Geburts-Wehen, ein Potential, das in jeder Frau “schlummert”, ob sie ein Kind zur Welt bringt oder nicht.

Es war den Jägern und Sammlerinnen bewusst, dass wir Menschen mit allen Kreaturen verwandt und Teil der Natur sind. Sie wussten, dass der Wechsel der Jahreszeiten die Fruchtbarkeit sicherstellt. Sie lebten in den relativ ruhigen Zeiten vor sich häufenden “Extremwetterereignissen”, vor “Lichtverschmutzung” und “Lichtsmog”. Der wolkenlose Nachthimmel war klar und der Zusammenhang zwischen Mondrhythmus und Menstruationszyklus unübersehbar.

Die besondere Nähe der Frau zur Natur war offenbar. Die frühen Menschen erfuhren Natur in ihrer Grausamkeit (Erdbeben, Hungersnöte, Mütter- und Kindersterblichkeit u.u.), aber auch in ihrer mannigfaltigen Schönheit und ihrem zyklischen Wiedererwachen. Und eines lernten die Menschen von den wilden Tieren: Um die “Natur nicht zu erzürnen” und um diese Welt in Balance zu halten, darf sich jede Kreatur nur so viel von der Natur nehmen, wie sie zum Überleben braucht.

Wenn man von einer “Ursünde” reden will, dann ist es die, dass Männer die Macht ergriffen und der Natur den Krieg erklärten. Mit des Vatergottes Segen machten sie sich die Erde untertan und versuchten, die Natur zu kontrollieren und restlos zu beherrschen. Sie kreierten den “Feind” und erfanden Waffen, die nicht mehr der Verteidigung gegen wilde Tiere dienten oder der Jagd, sondern der Tötung von Artgenossen, der Vernichtung von Mitmenschen. Was die gegenwärtige Welt mehr als notdürftig “zusammenhält”, ist das Gegenteil einer natürlichen Balance: Das Gleichgewicht des Schreckens. Die feigste, perfideste und erbärmlichste Drohgebärde ist die Drohung mit der Atombombe.

Die Natur ist nicht paradiesisch. Auch wir Menschen einer technisierten Welt werden immer wieder daran erinnert, dass wir sterblich sind. Geburt, Krankheit und Tod lassen sich -trotz aller wissenschaftlichen Bestrebungen- nicht abschaffen.

Die medizinische Wissenschaft hat viel Gutes bewirkt, schlägt aber immer mehr über die Stränge. Frauen müssen heutzutage keine Angst mehr davor haben, bei der Geburt zu sterben. Der Notkaiserschnitt ist eine große medizinische Errungenschaft. Doch die Option Kaiserschnitt hat ihren Preis, denn das ärztliche Versprechen einer “sicheren Geburt” geht einher mit einer engmaschigen Gesundheitskontrolle. Das jedoch öffnet nicht nur der Medizin, sondern auch der Gesundheitspolitik Tür und Tor.

Wir erleben eine immer weiter fortschreitende Entmündigung der Frau und eine Medizinisierung des Lebens, insbesondere da, wo es beginnt. Die Räume einer genuin weiblichen Erfahrung -wie Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt- sind längst von der Medizin in Besitz genommen worden. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge wird die Frau Objekt der Gynäkologie. Ihr Blut wird auf mögliche Anomalien hin untersucht, ihr Bauch ausgeleuchtet, ihr Fötus vermessen. Der Mutterleib ist nicht mehr dunkler, primärer Schutzraum, sondern sein Gegenteil: Durchleuchteter “öffentlicher Ort” (Barbara Duden).

Jede Geburt ist nicht nur ein Hervorbringen, sondern auch eine Trennung. Nach der Abnabelung lernen sich “Mutter” und “Kind”, die keine Einheit mehr sind, sondern zwei verschiedene Menschen, überhaupt erst kennen. Um im Anschluss an die Zweieinigkeit im Mutterleib eine Symbiose aufbauen zu können, muss die Mutter, nachdem sie ihr Kind geboren hat, es zu sich holen, sich mit ihm anfreunden. Dieses elementare Wiederfinden, die Ur-Versöhnung, die ihre Zeit braucht, aber in aller Regel gelingt -insbesondere über das Stillen-, wird zunehmend gestört. Die moderne Medizin okkupiert die Leiber und treibt -anders kann ich es leider nicht sagen- einen Keil zwischen Mutter und Kind.

Kaum ist ein Kind abgenabelt, wird es von der Gynäkologie zur Kinderheilkunde weitergereicht. https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/ Die “kostenlosen”, meines Erachtens übertriebenen und in ihrer Maßlosigkeit grenzüberschreitenden Kinderuntersuchungen 1-9, die alle in die Vorschul-Zeit fallen, enthalten nicht nur “Vorsorgeuntersuchungen”, sondern sind mit immer zahlreicher werdenden “kostenlosen” Impfungen und Auffrischimpfungen verknüpft, vor allem, aber längst nicht nur gegen Kinderkrankheiten. Und welche Eltern sagen schon NEIN, wenn eine Organisation mit dem Ehrfurcht einflößenden Namen “Ständige Impfkommission” (STIKO) eine Impfung empfiehlt? Was die Kinder bei den U-Untersuchungen erwartet (ihnen “blüht”), wird in einem “Patienten”(!)-Flyer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) anschaulich beschrieben. https://www.kbv.de/media/sp/Patientenflyer_Frueherkennungsprogramm_Kinder_final.pdf

In den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Bayern ist die Teilnahme der Kinder an allen U-Untersuchungen Pflicht. Doch auch in den anderen Bundesländern lassen sich die Kindertagesstätten, wenn Eltern ihr Kind anmelden, nicht nur einen Impfpass mit Nachweis der verpflichtenden Masernimpfung, sondern oft auch ein Heft vorlegen, das die Teilnahme des Kindes an den U-Untersuchungen dokumentiert. Im “Frei”staat Bayern ist darüber hinaus die Teilnahme an der J1 Pflicht. “Art. 14 GDVG verpflichtet Eltern, die Teilnahme ihrer Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen („U-Untersuchungen“ U1 bis U9, J1) sicherzustellen.”  https://www.stmas.bayern.de/kinderschutz/praevention/index.php

J1 meint eine Untersuchung für Jugendliche von 12 bis 14 Jahren, die im Jahr 1998 eingeführt wurde. Im Rahmen der J1 wird der “Impfstatus” überprüft und mittlerweile auch die “kostenlose” Impfung gegen HPV (Humane Papillomaviren) empfohlen. Wenn sich die Jugendlichen zur Untersuchung angemeldet haben, bekommen sie einen Frage-Bogen in die Hand gedrückt. Den Fragebogen gibt es in verschiedenen, mehr oder minder indiskreten Fassungen. Hier ein Auszug aus der Version von http://www.kinderaerzte-im-netz.de:

Hast du Sexualprobleme?” – Angesichts von so viel ärztlichem “Interesse” sehen viele Jugendliche rot. Kein Wunder, dass nicht einmal 30% aller deutschen Dreizehnjährigen zur J1 gehen. Ich finde diesen nassforsch-lässig das “Du” benutzenden Aus-Fragebogen scham- und respektlos.

(Kleine Ergänzung 16.3.2023: Gerade habe ich gelesen, dass im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung namens U Null neuerdings bereits Föten in der Kinderarztpraxis vorstellig werden können! “Die U0, eine neue Vorsorgeuntersuchung am Ende der Schwangerschaft, ist ein Angebot für werdende Mütter ab der 28. Schwangerschaftswoche bzw. Eltern, sich beim Pädiater vor der Geburt zu wichtigen Themen der Babygesundheit informieren zu lassen. Sie wird ab dem 1.1.2023 von bestimmten Krankenkassen kostenlos angeboten.” https://www.kinderaerzte-im-netz.de/mediathek/u0-vorsorge/)

Babys sind noch nicht in der Lage, ein Kreuz in einen Kringel zu malen. Das schützt sie leider nicht davor, geimpft zu werden, auch gegen eine Krankheit, die ihnen kaum etwas anhaben kann und die sie nicht einmal übertragen. Seit Ende Oktober 2022 wird die Corona-Impfung mit dem Impfstoff von BionTech von der STIKO auch für vorerkrankte Kinder ab sechs Monaten empfohlen, wobei “vorerkrankt” so weit ausgelegt werden kann, dass bis zu 10% der Kinder ab sechs Monaten darunter fallen.

Hiermit unterwirft sich die deutsche der rigiden und riskanten US-Gesundheitspolitik. “Es gibt Länder wie Schweden, Dänemark, die Schweiz, Großbritannien, die empfehlen Kindern unter zwölf gar keine Impfung, also auch keinen Babys oder Kleinkindern. Der Nutzen sei einfach nicht groß genug. Ganz anders die USA: Dort raten die CDC zur Impfung für alle Babys und Kleinkinder, die Weltgesundheitsorganisation sieht das ähnlich.” https://www.deutschlandfunk.de/wie-wichtig-sind-corona-impfungen-fuer-vorerkrankte-kleinkinder-100.html

Indirekt gibt es in Deutschland die Baby-Impfung schon länger. Seit September 2021 empfiehlt die STIKO sowohl stillenden als auch schwangeren Frauen die Corona-Impfung. Ziel der Impfung ist nicht nur der Schutz der Mutter vor einer Corona-Infektion, sondern der Schutz des neugeborenen bzw. ungeborenen Kindes. Die stillenden bzw. werdenden Mütter sollen via Muttermilch bzw. Mutterkuchen Antikörper an ihr Kind weitergeben und so den “Nestschutz” optimieren.

Diese Empfehlung ist angesichts der Tatsache, dass Babys kaum an Corona erkranken, meines Erachtens inakzeptabel. Völlig missachtet wird, dass die Mutter nicht nur Antikörper, sondern auch Chemikalien sowie mögliche Langzeit-Nebenwirkungen der Impfung an das Kind weitergibt. Die Empfehlung der STIKO ist schon deshalb fahrlässig, da das Blut von neugeborenen Kindern ohnehin schwer mit Schadstoffen belastet ist. Im Jahr 2021 wurde das Ergebnis einer Studie publik. Ein US-amerikanisches Forscherteam konnte “109 verschiedene Chemikalien im Blut der Babys und der Mütter nachweisen. 40 davon stammen aus Weichmachern, 29 aus Medikamenten, 28 aus Kosmetikprodukten und 25 aus typischen Haushaltsmitteln. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler 23 Pestizide, sieben polyfluorierte Alkylverbindungen und drei Flammschutzmittel.” https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/109-industriechemikalien-im-blut-neugeborener-babys-13374840

Alarmierende Meldungen wie diese verschwinden schnell aus den Schlagzeilen, denn sie stellen die gängige Impf-Praxis (Impfen! Impfen! Impfen!) in Frage. Außerdem -so ist zu befürchten- will man sich weder das Geschäft vermiesen noch den Spaß verderben lassen. Kinder impfen dürfte manchen Ärzten tatsächlich Spaß machen! Anders kann ich mir Karl Lauterbachs Elan nicht erklären, jene freudvolle Inbrunst, mit der er Ende 2021 Kinder impfte. vgl.:https://stellwerk60.com/2021/12/28/wie-suess-oezlem-tuereci-biontech-malt-ein-kleines-herzchen-in-das-goldene-buch-der-stadt-koeln-gedanken-zum-fest-der-unschuldigen-kinder/

In meinem Blogbeitrag zum Dreifach-Elfchen im Elfchen schrieb ich: “Ich denke, dass die fotorealistische Darstellung der Impfung eines Kindes die Phantasien pädophil gestörter Männer… anregt. Dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der Impf-Werbung diese Bilder in Umlauf bringt bzw. bringen lässt, ist meines Erachtens verwerflich.https://stellwerk60.com/2022/11/30/dopp-elfchen-im-elften-kinder-die-was-wollen/

Besonders ekelhaft finde ich die Impf-Bilder dann, wenn der Spaß-Faktor hinzukommt. So wurde im Zusammenhang mit der Baby-Impfung in einem Beitrag des SWR ein “lustiges” Foto veröffentlicht. (Foto: IMAGO, imago/pantherMedia/Norbert Schäfer) https://www.swr.de/wissen/usa-biontech-coronaimpfung-fuer-unter-fuenfjaehrige-100.html

Der Arzt als Kinderschreck…

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Das Elfchen im Ersten zum Zweiten:

Der

Schneid’ge mit

der Scher’ kommt

heut’ mit der Impfspritz’

daher

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Doch was ist an dem Foto so schrecklich? Ich denke nach…

Wahrscheinlich finde ich es deshalb so schrecklich, weil es (indirekt) die hoch umstrittene Corona-Baby-Impfung banalisiert und dabei auch noch lustig daherkommt. Vermutlich bringt der erschrockene Gesichtsausdruck des nichtsahnenden Kindes viele Leute zum Schmunzeln. Wir kennen den untergründig fiesen Humor aus einer Urschrift der “Schwarzen Pädagogik” (Begriff: Katharina Rutschky), dem “Struwwelpeter”.

Das Buch, das der Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann für seinen dreijährigen Sohn schrieb und illustrierte, fanden damals viele Menschen lustig. So hieß die Erstausgabe im Jahr 1845 noch nicht “Struwwelpeter”, sondern erschien unter dem Titel Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3–6 Jahren.” Nun, so “drollig” ist es nicht, auch wenn der Titel den Leuten sagt, dass sie lachen dürfen.

Der Erwachsene ist immer stärker als das Kind. Er hat die Macht, es physisch oder psychisch zu verletzen. Das geht leicht, Kinder sind unendlich verletzlich. Vor allem kann man Kindern mit den einfachsten Tricks Angst einjagen. Der “Struwwelpeter” arbeitet mit simplen Tricks. Wenn die Kinder nicht gehorchen, drohen die schlimmsten Strafen, bis hin zu Verstümmelung oder Tod. Und diese Strafen -das erzählt uns der “Struwwelpeter”- haben sich die Kinder auch noch selber eingebrockt.

Erwachsene lachen über den “Struwwelpeter”, denn die Geschichten provozieren ein allzu menschliches Gefühl: Schadenfreude. Gegenüber Kindern (und seien es deren literarische Pendants) Schadenfreude zu empfinden, finde ich feige und schäbig.

Hoffmann selber muss eine sadomasochistische Freude daran gehabt haben, sich das Zufügen der Schmerzen und das Leid der Kinder auszumalen, denn das Buch ist auf ekelhafte Weise “gelungen”. Dabei wählt er das literarische Mittel der Übertreibung. Erwachsene wissen: Kein Kind wird sterben, wenn es die Suppe, die man ihm vorsetzt, nicht isst. Keinem Kind wird ein Schneider mit der Scher‘ die Daumen abschneiden, weil es am Daumen lutscht. Kleine Kinder wissen das noch nicht. Sie glauben den Erwachsenen alles.

Die Geschichten, die ganz alltäglich daherkommen, machen den Kindern Angst, die eindringlichen bunten Bilder schleichen sich in ihr Unbewusstes und verursachen Alpträume. Und was tun die Kinder? Aus Angst, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte wie Paulinchen, Konrad oder Robert, laufen sie zu den Erwachsenen über und tun das, was Sigmund Freuds jüngstes Kind, die Psychoanalytikerin Anna Freud, in den 1930er Jahren “Identifikation mit dem Aggressor” genannt hat.

So verkneifen sich die Kinder jegliches Mitgefühl, denn das würde wehtun. Sie zeigen mit dem Finger auf den ungepflegten Struwwelpeter, mit dessen weltberühmt gewordenem Bild das Buch beginnt, und lachen ihn aus: “Sieh einmal, hier steht er, Pfui! der STRUWWELPETER!”

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In den über hundert Jahren, die zwischen den beiden Bildern (Quellen: s.o.) liegen, sind weltweit immer mehr Hemmschwellen gefallen- nicht nur im Krieg.

Biblische WONDER WOMEN: Die wundersamen Schwangerschaften der unfruchtbaren Elisabeth und der Jungfrau Maria

Die Wunder Jesu, die uns das Neue Testament erzählt, waren einmal spektakulär. Zu den bekanntesten gehören die Heilung eines Mannes, der von Geburt an blind ist, die Speisung der Viertausend mit fünf Broten und zwei Fischen und der Gang über den See Genezareth.

Doch als Menschen des 21. Jahrhunderts wissen wir, dass sich Wunder fingieren lassen. Mit der Erfindung von Comic-Superhelden wie Batman, Superman und dem weiblichen Pendant Wonder Woman sowie der Entwicklung filmischer Tricksequenzen haben die Wunder Jesu endgültig an Überzeugungskraft verloren. Selbst Theologen stellen sich die Frage, ob die Wunder Jesu tatsächlich stattgefunden haben, schon lange nicht mehr. “Dass die Wunder eins zu eins so passiert sind, wie es in der Bibel steht, schließen die meisten Theologen heute aus. Die Erzählungen sind nicht vom Einfluss anderer Geschichten zu trennen und auch nicht von dem, was die Gläubigen nach Jesu Tod als Ausschmückung dazuerzählten. Bis die Evangelien aufgeschrieben wurden, vergingen Jahrzehnte. Keiner der Evangelisten hat Jesus persönlich kennengelernt.https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/sind-die-wunder-wirklich-geschehen-20727

Da ist es umso verwunderlicher, dass die Wunder Jesu immer noch eins zu eins ernstgenommen werden, wenn auch als Vorlage für Wissenschafts-Ulk. Jack Pop (MDR Wissen) versucht in einem YouTube-Auftritt zu Ostern 2020, die “Wunder” aus Sicht der Wissenschaft zu entlarven. In welche Trickkiste, so der Tenor des Beitrags, könnte Jesus gegriffen haben? Hat er etwa bei der Verwandlung von Wasser in Wein in Wirklichkeit das Wasser nur rot eingefärbt und dafür zu Kamin gegriffen, einem Extrakt aus der Schildlaus? Pops Sprache ist aufgesetzt lässig. Um sich bei der Zielgruppe “Junge Erwachsene” beliebt zu machen, spricht er eine saloppe “Jugendsprache”. Wortwörtlich: “Was, wenn der Heiland nur ein krasses Wissenschaftsgenie war?”

Nun finde ich es höchst fragwürdig, wenn man die Wunder Jesu “wissenschaftlich” beleuchtet und auf diese Weise veralbert. Schließlich handelt es sich bei der Bibel nicht um irgendein Buch. Die Bibel ist ein voluminöses Grundlagenwerk und hat nicht nur unser Menschen-, Gottes- und Weltbild nachhaltig geformt, sondern war wegweisend und tonangebend für die moderne Menschheitsgeschichte. Die Bibel ist das meistverkaufte Buch der Welt und, das wage ich zu sagen, das wirkmächtigste Propagandawerk aller Zeiten.

Ich persönlich finde die Bibel gefährlich, weil uns die Heilige Schrift auf den einen Vater-Gott einschwört, unsere Spiritualität absorbiert, unsere Sehnsucht kanalisiert und unsere Hoffnung auf ein Paradies in enge, patriarchale Bahnen lenkt. Doch was war und ist die eigentliche Mission der Bibel?

Der Sohn Gottes, so erzählt es das Neue Testament, sei auf die Erde gekommen, um die Trennung zwischen Mensch und Gott aufzuheben und den Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies wieder an Gott zu binden. Doch die “Versöhnung” hat ihren Preis, denn eine andere Trennung wird zementiert, die zwischen Mensch und Natur. Jesus -und das ist fatal- besiegt die Natur. Mit seinen “Wundern” überwindet er die Schwerkraft, die Elemente, er besiegt unheilbare Krankheiten, und am Ende dann besiegt er, indem er wiederaufersteht, sogar den Tod. An diesen Gott sollen wir glauben. Der Lohn, der uns versprochen wird, falls wir gehorchen, ist ein Leben nach dem Tod und die Aufnahme in das Paradies Gottes.

So untermauert das Neue Testament einen autoritären Grundsatz aus dem sehr viel älteren Alten Testament. Schon im Schöpfungsbericht, noch während er dabei ist, die Erde zu erschaffen, erteilt Gott den Menschen den Auftrag, die Natur zu beherrschen: „Macht euch die Erde untertan.“ (Gen 1,28) Manch einer wird den markigen Appell in der modernen “Einheitsübersetzung”, die die Katholische Kirche benutzt, vergeblich suchen, denn hier findet sich stattdessen die Formulierung “Unterwerft sie euch”. In der Luther-Übersetzung (Aktuelle Fassung von 2017) heißt es aber nach wie vor: “Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.” https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/

Der berühmte Appell ist, seit wir wissen, dass der “Klimawandel” menschengemacht ist, in Verdacht geraten. Doch der Appell lässt sich, auch wenn er so formuliert ist, dass man ihn kaum wieder erkennt, nicht zum Verschwinden bringen, denn die Aufforderung zur Naturbeherrschung durchdringt die gesamte Bibel.

Indem Gott Adam und Eva segnet, bekommt auch die Naturbeherrschung Gottes Segen: “Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.Gen 1,28, EÜ, zitiert nach: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen2.html

Nun wirkt der Appell Macht euch die Erde untertan bis heute nach. Auch Naturwissenschaft und Politik haben ihn sich auf ihre Fahnen geschrieben. So findet sich sein sprachliches Echo im hymnischen Leitsatz einer deutsch-französischen Wissenschaftskooperative: “Make Our Planet Great Again.” Was für eine Anmaßung, die Erde “wieder großartig” machen, sie (nach den Vorgaben der Wissenschaft?) umgestalten zu wollen! Und was wäre eine “wieder großartige” Erde?

Der französische Präsident Emmanuel Macron, Kofürst von Andorra, ein Rationalist, der die Etikette hochhält, hätte, als er am 2. Juni 2017 eine “persönliche Botschaft” an die Weltöffentlichkeit vorlas, fast zu weinen begonnen, vermutlich aus Erschütterung über sich selber. Schlusswort seiner Klima-Botschaft war die Parole Make Our Planet Great Again. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/09/11/elfchen-im-neunten-make-our-planet-great-again-macht-euch-die-erde-untertan/

Adam und Eva versündigen sich, indem sie Gott und die Aufforderung, die Natur zu beherrschen, nicht ernst nehmen. Im 3. Buch der Genesis lässt sich Eva von der listigen Schlange dazu verführen, Gottes Verbot zum Trotz einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen. Anschließend verführt sie Adam dazu, es ihr gleichzutun. Jetzt erst realisieren sie, dass sie nackt sind, Mann und Frau. Sie bemerken nicht ohne Entzücken den Unterschied zwischen den Geschlechtern, ahnen, dass man Menschen weder aus Ackererde formt noch aus Rippen schnitzt. Adam und Eva empfinden nicht nur Scham, sondern bekommen eine Ahnung von etwas Schönem: Der leiblichen Liebe.

Indem sich Adam und Eva als Naturwesen erfahren, entscheiden sie sich -ohne es beabsichtigt zu haben- gegen Gott. Denn der erbarmungslose, rigorose Vater-Gott duldet nur ein Entweder-Oder. Er macht seine Drohung wahr, bestraft Adam und Eva mit dem Schicksal, sterblich zu sein, und definiert die Natur, in die er sie stößt, als Ort des Schreckens. Gott vertreibt die Menschen aus dem Paradies, das sich bei näherem Hinschauen als Unort entpuppt: Als sauberer, allzu schöner, bis in den letzten Winkel durchstrukturierter Raum, den Gott allein nach seinen Vorstellungen gestaltet und mit Lebewesen bestückt hat: Künstlich und unisex. Er pflanzt den Menschen Angst ein, Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Die moderne politische Propaganda, die mit unserer Todesangst spielt, hat hier ihre Wurzeln.

Gottes Furor richtet sich insbesondere gegen die Frau. Nicht ohne Grund, denn die Frau ist seine Konkurrentin. Sie ist diejenige, die den Menschen zur Welt bringt und mit jeder Geburt die Erschaffung des Menschen aus Ackerboden und Männer-Rippe in Frage stellt. So missachtet Gott die weibliche “Schöpfungswonne” und reduziert Schwangerschaft und Geburt auf Mühsal und Schrecken: Zur Frau sprach er: “Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder…” (Gen 3,16, LU) Gleichzeitig bestraft er Adam und Eva für die aufkeimende gegenseitige Liebe, treibt einen Keil zwischen Mann und Frau und zementiert die leibliche Liebe als Gewalt- und Herrschaftsverhältnis: “ / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen.” (Gen3,16, LU)

Mit der Erschaffung des Menschen installiert der Gott der Genesis ein Herrschaftsverhältnis. Adam und Eva bilden ein patriarchales Ur-Paar, denn von Beginn an herrscht Adam über Eva. Doch gleichzeitig -und darin zeigt sich die Genialität der wirkmächtigen Bibel- macht der Gott der Genesis Adam und Eva zu Komplizen. Ausgerechnet die Frau, deren Leiblichkeit uns in aller Ambivalenz daran erinnert, dass wir Teil der Natur ist, soll sich Seite an Seite mit dem Mann die Erde und alle irdischen Kreaturen untertan machen, die Natur beherrschen. Als seine Assistentin, versteht sich. Schließlich lautet der berühmte Appell nicht Mach dir, sondern Macht euch die Erde untertan. Die Gleichschaltung der Geschlechter, die in unserer Gegenwart mit dem “Wehrdienst” von Frauen ihren brutalen Höhepunkt erreicht hat, nimmt hier ihren Anfang.

Kann ich Christin sein, ohne dem Gott der Bibel, den ich als kalt empfinde, Glauben zu schenken?

Ein christliches Volks- und Wallfahrtslied aus dem 19. Jahrhundert erzählt von einem göttlichen Naturwunder, das nicht in der Bibel steht. Das Lied wagt einen Perspektivwechsel, denn es rückt nicht den Mann Jesus, sondern die mutterleibliche Zweieinigkeit von Jesus und Maria in den Mittelpunkt. Noch ist Jesus nicht auf der Welt. Er ist noch lange nicht der erwachsene, bewusst agierende Mann, sondern das Wesen im Mutterleib. Der ungeborene Jesus ist noch Teil von Maria und eins mit der Natur.

In einem schönen Text (auch als Podcast zu hören) erklärt uns Doris Blaich, was es mit dem Lied, das so alt nicht ist, wie es scheint, auf sich hat: “Uralt wirkt dieses Lied und die Geschichte, die es erzählt: die schwangere Maria geht durch einen Wald. Er ist völlig verdorrt: überall nur Dornengestrüpp. Doch als Maria den Wald betritt, verwandelt sich diese Wüste…” https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/maria-durch-ein-dornwald-ging-swr2-weihnachtslieder-100.html

Maria durch ein Dornwald ging

Maria durch ein Dornwald ging
Kyrie eleison
Maria durch ein Dornwald ging
Der hat in sieben Jahr’n kein Laub getragen
Jesus und Maria

Was trug Maria unter ihrem Herzen
Kyrie eleison
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen
Das trug Maria unter ihrem Herzen
Jesus und Maria

Da haben die Dornen Rosen getragen
Kyrie eleison
Als das Kindlein durch den Wald getragen
Da haben die Dornen Rosen getragen
Jesus und Maria

Das Lied ist schlicht und zart und kommt ohne Superlative aus. Es speist sich aus einem Gefühl, das in der Genesis fehlt: Liebe. Marias Gang durch den Dornwald spiegelt Schwangerschaft (und Geburt) in ihrer Ambivalenz. Maria nimmt einen beschwerlichen Weg auf sich – wie jede werdende Mutter. Es gibt keine Schwangerschaft ohne Beschwerden und keine Geburt ohne Schmerzen. Alles braucht seine Zeit. Aber Schwangerschaft und Geburt münden in eine Erlösung, die so tief ist, wie eine Erlösung nur sein kann. Hierfür stehen die Hoffnung spendenden Rosen. Jede Geburt ist ein Neuanfang.

Ich bin Christin, weil ich zwar nicht den erwachsenen Mann Jesus Christus, aber das ungeborene Kind liebe. Auch ein Kind Gottes -das erzählt die Bibel- muss geboren werden. Für mich ist Jesus Christus Teil der Natur und Teil eines Göttlichen, das größer ist als Gott Vater. Das ungeborene Kind Jesus Christus vollbringt keine Wunder. Es ist die Natur selber, die die Rosen zum Blühen bringt.

Marias Wanderung bezieht sich auf eine Begegnung, von der auch Bibel erzählt: Die Heimsuchung. Die Jungfrau Maria, seit kurzem erst schwanger, besucht ihre Kusine Elisabeth, die ebenfalls ein Kind erwartet, aber schon in drei Monaten entbinden wird. Maria wird bis kurz vor der Geburt bei Elisabeth bleiben, um sie zu unterstützen. Dass Elisabeth schwanger ist, ist verwunderlich, denn Elisabeth, Gattin des Zacharias, war in all ihren Ehe-Jahren unfruchtbar und ist jetzt längst nicht mehr im gebärfähigen Alter.

Superlative der Fruchtbarkeit kennen wir bereits aus dem Buch Genesis. Da sind es vor allem “auserwählte” Männer, Adam und seine Nachfahren, die noch im hohen Alter Kinder zeugen. Nachdem sie zunächst Väter von Söhnen werden, zeugen sie im Verlauf von mehreren hundert Jahren zahlreiche weitere Kinder. Hier ist allerdings die Phantasie mit den Autoren durchgegangen, und die protzigen Bibel-Passagen hören sich an wie Comic-Geschichten:

Adam war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie sein Abbild, und nannte ihn Set. Gen 5,3, EÜ. Nach der Geburt Sets lebte Adam noch achthundert Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,4, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Adams betrug neunhundertdreißig Jahre, dann starb er. Gen 5,5, EÜ. Set war hundertfünf Jahre alt, da zeugte er Enosch. Gen 5,6, EÜ. Nach der Geburt des Enosch lebte Set noch achthundertsieben Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,7, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Sets betrug neunhundertzwölf Jahre, dann starb er. Gen 5,8, EÜ.

Auch von einer Frau, die im hohen Alter noch ein Kind zur Welt bringt, erzählt das Alte Testament. 90 Jahre alt muss Abrahams Frau Sara der Bibel nach werden, bevor sie (mit Gottes übernatürlicher Hilfe) endlich schwanger wird. “Abraham und Sara waren schon alt; sie waren in die Jahre gekommen. Sara erging es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt.Gen 18,11, EÜ.

Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Soll ich wirklich noch Kinder bekommen, obwohl ich so alt bin? Gen 18,13, EÜ. Ist beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. Gen 18,14, EÜ.

(“Ist beim Herrn etwas unmöglich?” Mit leichtem Schrecken bemerke ich, dass sich die moderne Auto-Werbung auch bei der Bibel bedient: “Nichts ist unmöglich: TOYOTAhttps://www.youtube.com/watch?v=tkIqeI0wZ7c)

Das Neue Testament knüpft mit Elisabeths Schwangerschaft genau da an. Auch sie ist schon in einem Alter, dass man heutzutage “Rentenalter” nennt. Wieder einmal setzt die Macht Gottes die naturgegebenen weiblichen Rhythmen außer Kraft. Es ist der Erzengel Gabriel, “Marias Engel”, der Zacharias den ersehnten Sohn verheißt. Doch anders als Johannes der Täufer wird der Sohn Gottes nicht von einer unfruchtbaren alten Ehe-Frau ausgetragen, sondern von einer fruchtbaren jungen Frau, der Jungfrau Maria.

Unübersehbar ist der Bezug zur Gegenwart. Medizintechnisch ist es möglich, Frauen jenseits der Wechseljahre, die keinen Eisprung mehr haben, befruchtete Eizellen einzupflanzen. Manchmal sind werdende Mütter gleichzeitig werdende Großmütter, dann nämlich, wenn sie sich die befruchteten Eizellen ihrer Töchter einpflanzen lassen und als Leihmütter ihre Enkelkinder austragen.

Tatsächlich spielen Wissenschaftler Gott, doch nur den Einen, den Gott der Bibel. Und wie die keimzellenfreie Befruchtung in der Bibel hat die keimfreie künstliche Befruchtung Gottes Segen.

Mittlerweile dringen die reproduktionsmedizinischen Eskapaden bis in unseren Alltag vor.

Ich kenne eine jüngere verheiratete Frau, die keinen Eisprung hat und daher unfruchtbar ist. Vor ein paar Jahren hat Lena (wie ich sie nenne) ein Mädchen zur Welt gebracht. Die leiblichen Eltern sind ihr Ehemann und eine Eizell-Spenderin unbekannter Herkunft. In einer spanischen Fruchtbarkeitsklinik hat sich Lena eine mit dem Sperma ihres Mannes befruchtete Eizelle der Spenderin in ihre Gebärmutter einpflanzen lassen. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es tiefenpsychologisch so ist, als sei Lena gezwungen, die Frucht eines Seitensprunges ihres Mannes auszutragen. “Gesund” für die Seele ist das nicht. Die Zukunft wird zeigen, wie das Kind damit umgeht. Lena hatte ein blondes, blauäugiges Kind bestellt, hat aber ein dunkelhaariges mit braunen Augen bekommen. Das Kind ist “entzückend”.

Der einzige Trost, den der Wahnsinn, unser Leben an die Reproduktionsmedizin zu verkaufen, parat hält, ist die Tatsache, dass die Kinder, die der In-vitro-Fertilisation entspringen, trotz alledem ganz normale, süße, liebe Kinder sind.

Elfchen im Zwölften: Der Weihnachtsmann der DEUTSCHEN BAHN beschenkt Nippeser Pänz!

Im September hatte ich über das Bau-Vorhaben der Deutschen Bahn in Köln-Nippes berichtet. Die Pläne der BAHN sind so brutal und lebensfeindlich, dass sie uns irreal erscheinen. Wir Menschen, die in der Nähe der Nippeser S-Bahn leben, können und wollen nicht glauben, dass die Vertreter der BAHN es nicht gut mit uns meinen. Von einem Privatunternehmen erwartet man profitorientiertes Kalkül, aber die Deutsche Bahn ist kein Privatunternehmen, sondern ein bundeseigener “Mobilitäts- und Transportkonzern”, der der Bundesrepublik Deutschland gehört, also sozusagen uns allen.

Die Bahn weckt nostalgische Gefühle in uns, denn sie ist Teil unserer Kindheit: “Zuch zuch zuch zuch Eisenbahn, wer will mit nach Kölle fahr’n? Kölle ist geschlossen, Schlüssel ist gebrochen…” Dieses kleine Lied habe ich Anfang der 1960er Jahre im Kindergarten gesungen. Es weckte meine Neugier auf Kölle und ist -so bekloppt sich das anhört- nicht ganz unschuldig daran, dass ich seit 1977 hier lebe. Das Lied gibt es noch heute, allerdings in freundlicheren Versionen ohne gebrochenen Schlüssel. Meine Kinder haben es vor zwanzig Jahren so gesungen: “Tuff tuff tuff tuff Eisenbahn, wer will mit in’ Urlaub fahr’n? Alleine reisen mag ich nicht, da nehm’ ich mir die Oma mit…

Nebenbei gesagt: Kindische Männer singen das Liedchen auch noch, wenn sie erwachsen sind, dann aber eher in der albernen Blödelversion von Wigald Boning und Olli Dittrich (“Die Doofen”): “Tuff, Tuff, Tuff ( Wir fahren in den Puff )” https://www.youtube.com/watch?v=ctmlV2ZzelQ, einer Art Vorläufer-Liedchen des diesjährigen Ballermann-Tophits Layla.

Doch der aktuelle Plan der Deutschen Bahn ist, was Köln-Nippes angeht, nicht einmal mehr schön blöd, sondern gar nicht mehr schön, denn was man uns androht, ist der “Bau eines Zuführungsgleises und damit einhergehend die Zerstörung großer Teile des letzten Grüns diesseits der S-Bahn-Linie, eine jahrelange Großbaustelle in unmittelbarer Siedlungsnähe und -nach Beendigung der Bauarbeiten- ein stetiger nächtlicher S-Bahn-Verkehr („Geisterzüge“).https://stellwerk60.com/2022/09/27/elfchen-im-neunten-liebe-laermschutzriegel-bewohnende/

Mitglieder des Vereins Nachbarn 60 der autofreien Siedlung hatten -wie berichtet- Ende Juli eine Arbeitsgruppe gebildet, um eine gemeinsame Einwendung zu formulieren und Unterschriften gegen den Ausbau zu sammeln. Wir -ich war mit dabei- standen nicht nur unter leichtem Schock, sondern unter ziemlichem Zeitdruck, denn der Abgabetermin bei der Bezirksregierung war der 15.8.2022. Wir hatten erst spät realisiert, dass ein erneutes Planfeststellungsverfahren läuft, denn erst durch Mails und Aushänge der Anwohnergemeinschaft Nippes (AWG) waren wir (mitten in den NRW-Sommerferien, aber gerade noch rechtzeitig!) wachgerüttelt worden. https://www.awg-nippes.de/grossbaustelle-bahn-in-koeln-nippes-verfahren-geht-wieder-los-einwendungen-bis-15-08-2022-moeglich/

Wir machten die Erfahrung, dass es sehr schwer es ist, eine Nachricht innerhalb der ganzen Siedlung zu verbreiten, noch dazu eine höchst unangenehme. Die Mitglieder des Vereins Nachbarn60 sind zwar über einen Mail-Verteiler miteinander verbunden, aber nicht alle Bewohner sind im Nachbarschaftsverein. Viele Nachbarn konnten und wollten die Sache nicht ernst nehmen. Auch ich hätte mich gerne doof gestellt, was mir aber mit zunehmendem Alter kaum noch gelingt. Dennoch schafften wir es, unsere gemeinsame Einwendung noch rechtzeitig abzugeben und allein in der autofreien Siedlung 280 Unterschriften zu sammeln, was etwa 20% aller Bewohnerinnen und Bewohner entspricht.

Weder die Stadt Köln noch Die Bahn ist einer Informations- oder Aufklärungspflicht nachgekommen- weil es so etwas nicht gibt. Wir waren ahnungslos und sollten es bleiben. Aus “gutem” Grund sind Stadt und Bahn offenbar nicht daran interessiert, die Menschen aufzuklären, zu informieren und in die Planungen mit einzubeziehen. Obwohl (oder weil?) der Bau des Zuführungsgleises ein massiver Einschnitt wäre und obwohl (oder weil?) es menschenfreundlichere, wenn auch teurere Alternativen gibt, will man keine Einwände hören, vor allem kein klares NEIN. Man tut so, als würde uns unmittelbar Betroffene die Angelegenheit nichts angehen. Mit dem vielbeschworenen demokratischen Dialog hat das nichts mehr zu tun.

Darüberhinaus unterliegen mögliche Einwände einer bürokratisch verklausulierten Widerspruchs-Logik, die eigentlich unlogisch ist: Wer sich nicht bis zum 15.8.2022 formal korrekt ausdrücklich gegen das Zuführungsgleis ausgesprochen hat, ist rein rechtlich dafür. Mit anderen Worten: Später kann man zwar sagen, man sei gegen den Gleisbau gewesen, aber juristisch ist das belanglos. Zum Beispiel können Haus- und Wohnungsbesitzer, die sich nicht bis zum 15.8.2022 formal korrekt ausdrücklich gegen das Zuführungsgleis ausgesprochen haben, später nicht mehr die zu erwartende Wertminderung ihrer Immobilie einklagen. Doch wie soll man Widerspruch einlegen gegen ein Vorhaben, über das man nicht einmal informiert wurde? Das ist grotesk und zutiefst undemokratisch.

Nun ist das aktuelle Nippeser Planfeststellungsverfahren (in dessen Rahmen man derzeit die Einwände prüft) nicht das erste. Die Deutsche Bahn musste seit 2007 bereits mehrmals “nachbessern”, vor allem, was die Höhe der geplanten Lärmschutzwände angeht, denn der zu erwartende Bahnlärm wäre enorm. Ich habe noch einmal woanders hingeguckt, nicht auf die Höhe, sondern auf die Länge der zu erwartenden Lärmschutzwände.

Hier offenbart sich die tragikomische Seite sogenannter “Lärmschutz-Maßnahmen”. Was uns nämlich zusätzlich zum Zuführungsgleis droht, ist ein völlig unzureichendes und noch dazu potthässliches Lärmschutz-Ungetüm, eine “Neu-Nippeser Mauer” mit einer Höhe von zwei bis vier bzw. sechs Metern. Unter dem Vorwand, uns schützen zu wollen, sollen die “Lärmschutzwände” lang ausfallen, sehr lang, sehr sehr lang. Was die Länge betrifft, muss die Bahn nicht einmal mehr nachbessern. Westlich der Gleisanlagen (dem Stadtteil Bilderstöckchen zugewandt) wäre, so hat man errechnet, eine Lärmschutzwand mit rund 430 m Länge erforderlich. Östlich der Gleisanlagen (Nippes und den Eisenbahner-Siedlungen zugewandt) plant man im Bereich des Zuführungsgleises drei Lärmschutzwände. Die eine hat eine Länge von knapp 290 m, eine zweite soll 640 Meter lang sein und eine weitere rund 425 m. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, sind das insgesamt 1355 Lärmschutzmeter. Will man Lärmschutz-Rekorde brechen?

Abgesehen davon, dass die Bewohner oberer Stockwerke (insbesondere der Mehrfamilienhäuser “Am Ausbesserungswerk”) den Bahnlärm nach Fertigstellung der Gleisanlage auch bei einer Höhe von sechs Metern mit voller Wucht abkriegen würden, bedeutet eine 1355 Meter lange Lärmschutzwand einen erheblichen Eingriff in die Integrität des ohnehin schon schwer in Mitleidenschaft gezogenen Lebensraums aller hier beheimateter Lebewesen.

Um zu verdeutlichen, wie monströs die “Neu-Nippeser Mauer” wäre, veröffentliche ich hier noch einmal die Gegenüberstellung zweier Fotos aus meinem oben erwähnten Blog-Beitrag vom 27.9.2022. Wer in die Fotomontage der AWG (rechtes Bild) noch zusätzlich zur Bahn eine Lärmschutzwand hinein imaginiert, kann sich vielleicht vorstellen, wie irrwitzig die Pläne der Deutschen Bahn sind: Noch vor dem Zuführungsgleis soll in einer Länge von 425 Metern eine in diesem Bereich sechs Meter hohe “Lärmschutzwand” errichtet werden.

Kürzlich habe ich den Bereich “Am Ausbesserungswerk” noch einmal von der anderen, der Südseite aus fotografiert. In den schmalen Streifen zwischen bestehender Bahntrasse und Fußweg sollen zwei Gleise (denn hier ist das Zuführungsgleis zum Zwecke quetschender nächtlicher Wendemanöver zweigleisig geplant!) und die Lärmschutzwand nebeneinander hineingebaut werden.

Sooo deutsch ist eine bestehende Schilder-Allee: Aktuell weisen, ordentlich aufgereiht, insgesamt 15 rot umrahmte Schilder darauf hin, dass man für die Feuerwehr Platz lassen soll. Für die gäbe es allerdings -so hat man errechnet-, würde das Zuführungs-Gleis gebaut, kein ordnungsgemäßes Durchkommen mehr.

Male ich mir all das aus, fühle ich mich in keiner Weise geschützt, sondern der Willkür der Deutschen Bahn schutzlos ausgeliefert. Es ist, als seien wir Menschen kleine Spielfigürchen, vergleichbar mit denen, die jedermann beim Modellbau-Anbieter Faller bestellen kann.

Apropos Faller: Der Weihnachtsmann der Deutschen Bahn hat -so wurde mir erzählt- auch in diesem Jahr in ganz Köln Geschenke verteilt. Aber die wirklich hochwertigen Geschenke, so soll der Weihnachtsmann der Deutschen Bahn augenzwinkernd betont haben, die gab es exklusiv für die Pänz aus Köln-Nippes.

Der

Weihnachtsmann der

BAHN kam nicht

mit leeren Händen, sondern…

Faller-Lämschutzwänden!

Bildschirmfoto 2022-12-26 um 17.40.56

Eine Lärmschutzwand im Mini-Format. Bestimmte Produkte sind laut Faller für Kinder unter drei Jahren wegen verschluckbarer Kleinteile nicht geeignet. Diese Faller-Lärmschutzwand ist ungefährlich für Kinder unter drei, könnte aber Kindern über drei Jahren Lust machen auf reale Kletterpartien. Meines Wissens fehlt bei dem Produkt der Zusatz “nicht geeignet unter 14 Jahren”. Wo er nicht fehlt, das sind die Faller-Strommasten, die man ebenfalls bestellen kann und die sich wunderbar mit der Lärmschutzwand kombinieren lassen. Abenteuerlustige Kinder bekommen sehr schnell heraus, dass sich Faller-Lärmschutzwände mit Faller-Figürchen beklettern lassen. Was die echten Lärmschutzwände betrifft: Da wird weiterhin “nachgebessert”, was die Höhe betrifft. Das freut die waghalsigen Kinder, denn Lärmschutzwände probiert aus, wem es im Frechener Chimpanzodrome zu langweilig ist.

Dreifach-Elfchen im Elften: Kinder, die was wollen

Kinder,

die was

wollen: MamaBaba,

Challah, Kinder, die nicht

schlafen

wollen,

wenn sie

sollen, und was

auf die Bollen kriegen

könnten,

was

sie nicht

mehr sollen, kriegen

jetzt was in die

Bollen

***

In Artikel 20 des Grundgesetz(es) für die Bundesrepublik Deutschland heißt es:

“… (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt ...” Zitiert nach wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_20_des_Grundgesetzes_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland

Tatsächlich ist unsere Möglichkeit, mitzuentscheiden oder auch nur mitzusprechen, begrenzt. Alle Jahre wieder gehen wir ein Wahllokal und dürfen ein Kreuz in einen Kringel malen, zwischen den Wahlen dürfen wir nicht einmal das.

Immerhin können wir beim “Gang zur Wahlurne” ausdrücken, mit wem wir sympathisieren. Vor dem Kringel steht der Name einer Kandidatin, eines Kandidaten oder einer Partei. Aber können wir diesen Personen vertrauen? Zur Erinnerung: Olaf Scholz hatte im Wahlkampf 2021 das Versprechen abgegeben, dass es keine Impfpflicht geben werde -und sollte dieses Versprechen brechen, noch bevor er am 8.12. 2021 zum Kanzler gewählt wurde.

Ich habe in naiver alter Treue DIE GRÜNEN gewählt- und bin Annalena Baerbock auf den Leim gegangen. Die spätere Außenministerin warb auf großformatigen Plakaten mit dem alten GRÜNEN-Grundsatz, der auch im aktuellen Wahlprogramm stand: “Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete”. Doch der große Leit-Gedanke verkümmerte im Wahlkampf zur hohlen Werbe-Parole. Mit den Waffen- und Panzerlieferungen an die Ukraine wurde nicht nur ein Wahlkampf-Versprechen gebrochen, sondern ein politisches Credo verramscht.

Nun ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, uns, die wir nicht mitentscheiden können, über die Bundespolitik zu informieren. “Am 2. März 1977 unterstrich das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit: Sie muss die Bürgerinnen und Bürger über entscheidende Sachfragen umfassend informieren. Nur so kann jede Einzelne und jeder Einzelne die getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschläge richtig beurteilen, sie billigen oder verwerfen (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 44, 125 (164)).” https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/bundespresseamt/recht-auf-information-460940

Das klingt erst einmal gut. Allerdings sind die Informationen, die etwa das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (“Bundespresseamt”) herausgibt, mehr als nur dürftig. Damit unsere Gedanken ausgewertet und verwertet werden können, werden sie eingeebnet und in vorgefertigte Bahnen gelenkt. Unsere Meinung hat zwar keinen Wert mehr, aber einen Mehrwert im Zusammenhang mit Meinungsumfragen, an denen wir teilnehmen können, um unsere Meinung zu sagen.

Vor Menschen, die sich nicht verblöden lassen, hat die Polit-Spitze Angst. Was für autoritäre Personen gilt, gilt auch für latent labile autoritäre Systeme: Die Nerven liegen blank. Man reagiert, indem man die Kritiker ins Unrecht setzt und sich selber ins Recht – und draufhaut. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953, der blutig und brutal niedergeschlagen wurde, hat Bertolt Brecht in seinem ironischen, hochaktuellen Gedicht dem arrogant-totalitären Regime der DDR eine “Lösung” vorgeschlagen, wie sie sich das Volk vom Hals halten kann: “… Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”

Das klingt verlockend, auch in den Ohren autoritär strukturierter Ampel-Politiker, doch die Sache hat einen Haken. Die Bundesregierung braucht uns. Schließlich sind wir -das Volk- diejenigen, die das Wohlleben der Polit- und Medienprominenz finanzieren, die Steuern zahlen, Rundfunk- und Energiegebühren etc., und das in einer Höhe, die wiederum von der Politik festgelegt wird. “Die Prominenten leben in ihrer wohltemperierten Blase und haben Angst, dass die Blase, die immer dicker wird, platzt”, sagte einmal meine Nachbarin, die Frau Keuner. “Irgendwann wird sie das. Die Demokratie, das sind wir.https://stellwerk60.com/2021/04/20/fur-den-franz-josef-straus-waren-die-kritischen-menschen-weder-wutburger-noch-verschworungstheoretiker-sondern-ratten-und-schmeisfliegen-weiter-gehts-mit-der-frau-keuner/

Weil sie genau das fürchtet und ahnt, greift die Bundesregierung immer tiefer in die Trickkiste primitiver und zunehmend aggressiver Werbung. Wir -das Volk- werden für doof verkauft und müssen das noch teuer bezahlen. Mit sachlicher Information bzw. Aufklärung hat die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung spätestens seit der “Pandemie” nichts mehr zu tun.

Schon Ende 2020 wies die FAZ darauf hin, dass die Bundesregierung ihre Werbeausgaben im Jahr 2020 deutlich erhöht hat. “Den größten Anstieg verzeichnete demnach das Gesundheitsministerium. Die Bruttowerbeausgaben des Spahn-Ministeriums sind von etwa 3 Millionen im Vorjahr auf 60 bis 70 Millionen Euro angewachsen. Größter Kostenpunkt ist mit 35 Millionen Euro die Kampagne „Zusammen gegen Corona“.” https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/regierung-gibt-viel-mehr-fuer-werbung-aus-17058924.html Die Werbeausgaben des Bundesgesundheitsministeriums haben sich demnach innerhalb eines Jahres mehr als verzwanzigfacht! Und dabei waren im Jahr 2020 die Impf-Werbekampagnen gerade erst angelaufen.

Im Jahr 2021 haben sich die Werbeausgaben des Gesundheitsministeriums im Vergleich zu 2019 sogar verfünfzigfacht. Auf kress.de schrieb Marvin Oppong im März 2022: “Die Bundesregierung hat seit Beginn der Pandemie ihre Werbeausgaben drastisch gesteigert, um die Ausbreitung von Covid-19 zu bremsen und die Menschen zum Impfen zu animieren. Allein das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gab im vergangenen Jahr 144,6 Millionen Euro im Zusammenhang mit dem Coronavirus aus, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht.” https://kress.de/news/detail/beitrag/149100-ueberraschender-geldsegen-fuer-die-medien-so-viele-millionen-gaben-spahn-und-lauterbach-fuer-ihre-corona-kampagnen-aus.html

Es ist kein gutes Zeichen für den Gesundheits-Zustand einer Demokratie, wenn die Volksvertretung nicht mehr auf Dialog und Aufklärung setzt, sondern auf Manipulation. In Deutschland war nicht Auflösung des Volkes die Lösung, sondern dessen Entmündigung und Verblödung. Schließlich waren die staatlichen Corona-Maßnahmen von Beginn an mehr als fragwürdig und stellten einen massiven Eingriff in unsere Grundrechte dar.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verlor mit der “Pandemie” vollends seine Glaubwürdigkeit. Hier hatte die Bundesregierung ihre zentrale Plattform für die Gesundheitsaufklärung. Ihre volle Wirkung konnte die Werbung aber nur deshalb entfalten, weil die TV- Und Radiospots, die für Maßnahmen und Impfung warben, von vermeintlich objektiven Beiträgen flankiert wurden. Doch gerade dort, wo -wie wir alle glauben sollen- sachlich und gewissenhaft aufgeklärt wird, in den Wissenschaftssendungen, mutierte die Moderation zur Hofberichterstattung.

Nicht nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach verdankt der “Pandemie” einen Karrieresprung, sondern auch viele Expertinnen und Experten, etwa die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die bereits Anfang 2019 im Vorfeld von Corona und im Auftrag des WDR einen tapferen Selbstversuch unternahm. Nur ein Jahr vor Beginn der Corona-“Pandemie” streifte Mai Thi Nguyen-Kim für “Quarks” das Jäckchen ab und ließ sich vor laufender Kamera eine Spritze in den Arm stechen bzw. gegen die Grippe impfen, und zwar, um die Glaubwürdigkeit der Angelegenheit zu unterstreichen, von einem wissenschaftlich anerkannten Impfexperten, dem Leiter des Leber- und Infektionszentrums Düsseldorf an der Universitätsklinik, Professor Dieter Häussinger. Den Selbstversuch unternahm Mai Thi Nguyen-Kim, wie es im Begleittext des WDR heißt, “… Um den Geheimnissen des Impfens auf die Spur zu kommen…” https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-mai-thi-laesst-sich-gegen-grippe-impfen-100.html Zwar ist das, was Mai Thi erfährt und uns erklärt, allgemein bekannt und wenig geheimnisvoll, aber niedlicher und verharmlosender kann ein Werbefilm für die Grippeimpfung kaum daherkommen. “Das hat jetzt wirklich nur kurz gepiekst”, sagt Mai Thi nach der Impfung. Süß.

Knapp drei Jahre später plädiert Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem Youtube-Kanal maiLab für eine Corona-Impflicht und richtet in einem flapsig-jugendlichen Ton einen flammenden Appell an die Bundesregierung, die sich doch endlich für eine Impfpflicht stark machen möge. Der Vortrag wirkt gekünstelt, die beliebte Wissenschaftsjournalistin hochnervös und marionettenhaft.

Doch warum wirkt ihr mädchenhaft-neckischer Charme mit einemmal unecht und aufgesetzt?

Der Beitrag ist vom 14. November 2021. Längst war durchgesickert, dass sich in Südafrika eine harmlosere Corona-Variante entwickelt hatte, die man später Omikron nannte. Es war eine Frau, die Anfang November 2021 als erste Medizinerin auf die neue Variante und die mit der neuen Variante einhergehenden deutlich leichteren, die Lunge verschonenden Krankheitsverläufe aufmerksam gemacht hatte: Die Allgemeinmedizinerin und Vorsitzende der South African Medical Association (SAMA), Angelique Coetzee.

Anfang 2022 erzählt Angelique Coetzee in einem Interview, dass man ihr verboten habe, die Wahrheit zu sagen. “Angesicht des milderen Verlaufs hätten Regierungen „definitiv überreagiert“, meint Coetzee im Interview mit WELT. Doch zunächst sollte die Nachricht der leichteren Krankheit gar nicht in den Umlauf gelangen. „Mir wurde gesagt, ich solle öffentlich nicht erklären, dass es eine milde Erkrankung sei. Ich wurde gebeten, von derartigen Äußerungen Abstand zu nehmen und zu sagen, es sei eine ernste Erkrankung. Das habe ich abgelehnt.“ https://www.merkur.de/welt/omikron-entdeckerin-corona-variante-afrika-milder-leichterer-verlauf-zr-91341362.html

Um die Verläufe beobachten zu können, so Angelique Coetzee weiter, “müssten Wissenschaftler auch immer die Basis, die Erfahrungen der Ärzte zu einer Variante, miteinbeziehen. „Bei den Hausärzten, die täglich Erkrankte behandeln, muss nachgefragt werden, was sie erleben, wie sich das Krankheitsbild darstellt“, so die Medizinerin. „Das ist hier nicht passiert.“ ” (s.o.)

Vermutlich haben weltweit Wissenschaftler (nebst -innen) bewusst weggehört, denn Omikron stellte nicht nur die Autorität der tonangebenden Wissenschaft in Frage, sondern auch die Weiterführung rigoroser Corona-Maßnahmen sowie die Massenimpf- Politik. Ich vermute, dass die Hardlinerin Mai Thi Nguyen-Kim, als das Video erschien, längst im Bilde war und sich mit dem Gesundheitsministerium abgesprochen hatte. Doch wie reagieren Mächtige, die sich verrannt haben und mit dem Rücken zur Wand stehen? Nicht besonnen, sondern mit doppelter Härte.

So erfüllte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende November 2021 der beliebten Mai Thi ihren großen Wunsch, vergaß sein Wahlversprechen, dass es keine Impfpflicht geben werde, und kreierte stattdessen eine Drohung, die er -psychologisch clever- auch noch als Geschenk verpackte, als ein neues “Versprechen”, ein sogenanntes “Impfpflichtversprechen”. “… Scholz hatte Ende November im ZDF gesagt, eine allgemeine Impfpflicht solle „ab Anfang Februar, Anfang März“ für alle in Deutschland gelten. – um endgültig die Pandemie zu überwinden...” https://www.tagesspiegel.de/politik/scholz-kann-impfpflicht-versprechen-nicht-halten-4776553.html

Es empfiehlt sich, sich den Beitrag mit dem banalisierenden Titel “Impfpflicht ist OK” ein Jahr später noch einmal anzugucken. Mir ist es ein Genuss. Jetzt, wo die Impfpflicht-Drohung längst passé ist und endlich auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht zum Jahresende “ausläuft”, empfinde ich eine gewisse Genugtuung.

Doch im Allgemeinen sind es nicht einmal Lügen, die man uns auftischt. Manipuliert werden wir insbesondere durch die gezielte Verbreitung von Halbwahrheiten, und das mit dem Segen der “Wissenschaft”. Erwachsene schaffen es immer noch, Fernseher oder Radio auszuschalten. Kinder können das schlecht, sie bleiben dran, vor allem dann, wenn DIE MAUS kommt. https://stellwerk60.com/2021/09/27/wie-man-kindern-halbwahrheiten-einimpft-die-fragwuerdigen-werbeauftritte-der-oeffentlich-rechtlichen-maus/

August 2021: Ich bin mit einigen alten Schulfreundinnen verabredet. Seit über 40 Jahren treffen wir uns alle paar Jahre, diesmal bei Pia in Mönchengladbach. Wir versuchen, das Thema “Corona” auszuklammern, was nicht ganz einfach ist. Betty, Kinderärztin mit eigener Praxis, befürwortet die Corona-Impfung, die nur wenige Tage später von der STIKO für alle 12-17jährigen empfohlen werden sollte. Ich schweige.

Doch Betty ist nicht nur eine Kinderärztin, die -wie ich finde- allzu gerne impft, sondern ein nachdenklicher, moralischer Mensch. Kürzlich, so erzählt sie, habe eine Mutter filmen wollen, wie ihr Baby geimpft wird. Betty war entsetzt. “Ich muss Ihrem Kind jetzt wehtun”, hat sie zu der Mutter gesagt. “Das können Sie doch nicht filmen.”

Das Anliegen der Mutter überrascht mich nicht. Sie hat sich nichts dabei gedacht zu filmen, wir ihr Kind geimpft wird. Schließlich hat man im Rahmen der Schwangerenvorsorge ihr Kind schon fotografiert oder sogar gefilmt, als es noch gar nicht geboren war. Außerdem bekam die Frau -wie wir alle- überall per Werbefoto oder Film “abwechslungsreich” vorgeführt, wie Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und unterschiedlicher Hautfarbe geimpft wurden.

Doch was macht eigentlich eine Impfung per Spritze so heikel?

Mit einer Hohlnadel durchsticht Medizinerin oder Mediziner die Haut, dringt in den Muskel ein und spritzt eine Flüssigkeit in den Muskel. Das muss nicht unbedingt schmerzhaft sein, ist aber eine Grenzüberschreitung. Aus juristischer Sicht sind Injektionen gemäß § 223 StGB grundsätzlich eine Körperverletzung. Zudem ist die Injektionsspritze -mehr noch als das Stethoskop- Symbol ärztlicher Macht. Darüber hinaus hat das Verabreichen einer Spritze aggressiv-sexuelle Momente. Medizinisch sind Injektionen vielfach unumgänglich, sie gehören zum ärztlichen Alltag. Ärzte realisieren jedoch viel zu selten, dass das, was für sie Alltag ist, für den Patienten eine unangenehme Ausnahme bedeutet. Insbesondere bei der Behandlung von Kindern ist äußerste Vorsicht geboten. Vgl: https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/

Am 17. September 2021 schrieb ich in meinem Blog-Beitrag zu “Karlimpf in allen Gassen”: “Medizinische Maßnahmen als Mittel zur Unterwerfung einzusetzen, ist verwerflich. Seinen entsetzlichen Höhepunkt hatte dieser Wahnsinn in den 1950er und 60er Jahren, als Heimkinder, die keine schützenden Eltern hatten, vielerorts in Deutschland systematisch gequält, ruhig gestellt, misshandelt und (auch für pharmazeutische Studien und Experimente) missbraucht wurden. Zum Einsatz kam hierbei medizinisches Gerät, insbesondere die handliche Injektions-Spritze. „In einer Art Verteidigungsschrift an den Essener Caritas-Direktor bestritt Strehl zwar die Anwendung solcher „Kotzspritzen“, doch zeigen die Quellen ein anderes Bild. Neben den zeitgenössischen Unterlagen berichteten auch verschiedene Heimbewohner über die Verabreichungspraxis solcher Spritzen, die Strehl bei Stationsvisiten offenbar immer bei sich trug, um renitente Kinder bei Bedarf direkt sedieren zu können.” https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMI17-20.pdf

Dringend verboten werden müsste die öffentliche Zurschaustellung des Impfakts – insbesondere zu Werbezwecken. Die Vorführung stellt nicht nur den Menschen in seiner Verletzlichkeit bloß, sondern verhöhnt das ärztliche Ethos.

Wie in einer Wiederholungsschleife werden und wurden wir -insbesondere auf dem Höhepunkt der Corona-Impfeuphorie- selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Darstellungen von Impfungen konfrontiert. Auf diese Weise wird eine unserer primitivsten Gefühlsregungen genährt, der Voyeurismus. Mit Aufklärung hat das nichts mehr zu tun.

Anders als Kinderärztin Betty dürften es manche ihrer Kollegen in Ordnung finden, beim Impfen gefilmt zu werden. Irgendwoher müssen die Filme und Bilder, die wir angesichts der Corona-Impfung zu sehen kriegen und die immer häufiger die Kinderimpfung zeigen, ja stammen.

Auf der Internetseite des Bundeskriminalamts (BKA) heißt es: „Kinderpornografie ist die fotorealistische Darstellung des sexuellen Missbrauchs einer Person unter 14 Jahren (Kind).” Ich denke, dass die fotorealistische Darstellung der Impfung eines Kindes die Phantasien pädophil gestörter Männer ebenfalls anregt. Dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der Impf-Werbung diese Bilder in Umlauf bringt bzw. bringen lässt, ist meines Erachtens verwerflich.

Zu (verdeckt) kinder-pornografischer Werbung im öffentlichen Raum siehe auch: https://stellwerk60.com/2021/07/25/unser-bester-schutz-die-aktuelle-hansaplast-werbung-durfte-gestorte-manner-zum-konsum-von-kinderpornos-ermuntern/

Unannehmbar finde ich, dass im Zusammenhang mit der in Deutschland gerade angelaufenen Kleinkind-Impfung Bilder von Baby-Impfungen gezeigt werden. Unten stehendes Bild erschien am 17.11.2021 auf web.de. Dass das Baby eine Windel trägt, dass es festgehalten wird und die impfende Person den Muskel zusammendrückt, erhöht vermutlich den yoyeuristischen Kitzel.

P1080903

Mich hat das mehr als fragwürdige Werbebild zu meinem (diesmal Dreifach-) Elfchen des Monats inspiriert, das ich an den Anfang meines Beitrags gestellt hatte, aber hier noch einmal wiederhole:

Kinder,

die was

wollen: Mama, Baba,

Challah, Kinder, die nicht

schlafen

wollen,

wenn sie

sollen, und was

auf die Bollen kriegen

könnten,

was

sie nicht

mehr sollen, kriegen

jetzt was in die

Bollen

***

Gerade das Internet ist voller verdeckt pornografischer Einsprengsel und “Botschaften”. Daher möchte ich meinen unten abgebildeten “Schnappschuss” vom 2.11.2021 ein zweites Mal veröffentlichen. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/11/30/elfchen-im-elften-the-great-health-dictator/

Schnappschuss vom 2.11.2021. Ich halte meine Kamera auf die Internetseite boerse.de. Was ich fotografiere, ist nicht eine einzelne Werbeanzeige, sondern sind zwei verschiedene Anzeigen, die für kurze Zeit (wie zufällig) nebeneinander auf dem Bildschirm erscheinen. Die moderne Internetwerbung ist weitaus wirkungsvoller als die klassische Werbung in den Printmedien, denn sie arbeitet gezielt mit Zusammenschnitten und beweglichen Bildern – und spielt dabei mit den mehr oder weniger bewussten Phantasien der User.  Hier sehen wie eine Altherren-Phantasie im 21. Jahrhundert: Ein kleines kokettes Mädchen mit einem Sparschweinchen unterm Arm. Rührend, nicht wahr? Das Mädchen trägt ein Flügelhemd, dessen Ärmel man, wenn es geimpft wird, ganz leicht hochheben kann. Als wir kleine Mädchen waren, wurde uns gesagt, dass wir von fremden Männern nichts annehmen dürften. Doch Bill Gates ist kein fremder Mann, und die Millionen kleiner Mädchen impft er nur in Gedanken… Aber warum finde ich das kleine Mädchen kokett? Ich gucke mir das Bild noch einmal genauer an. Was ich unbewusst aufgenommen hatte, nehme ich jetzt bewusst wahr: Das Mädchen spitzt nicht nur den Mund, sondern drückt ihr Kinn so zusammen, dass es aussieht, als berühre sie ihre Schamlippen. Ich fürchte, der Fotograf hat ihr genau gesagt, wie sie sich anzufassen hat. Diese Werbeanzeige, die seit Wochen auf der Internet-Seite boerse.de für den “Boerse.de-Weltfonds” wirbt, oberste Zielgruppe: Wohlhabende Rentner, ist meines Erachtens ein Fall von Kinderpornografie. Der Zusammenschnitt beider Werbeanzeigen jedoch (Foto: boerse.de, 2.11.2021) ist nicht nur pornografisch, sondern der Gipfel der Schamlosigkeit.

Villa Woelki im Beichtstuhl-Outfit: Eine neue Lachnummer der Katholischen Kirche im Erzbistum Köln

Im Sommer 2016 hatte der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki einen bemerkenswerten Auftritt. Nachdem immer mehr Details über Gewalt in den (überwiegend) katholischen Kinderheimen der Nachkriegsjahrzehnte publik geworden waren und der öffentliche Druck immer größer wurde, hatte die Katholische Kirche keine andere Wahl, als öffentlich um Verzeihung zu bitten. Bei der “Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit” sagte Woelki am 23.6.2016 in Berlin: „Als Vorsitzender der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz sage ich ausdrücklich, dass ich die damals in den katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie ausgeübte physische, psychische und sexuelle Gewalt zutiefst bedauere und die Betroffenen dafür um Entschuldigung bitte. Kirchliche Organisationen und Verantwortliche haben in diesen Fällen dem christlichen Auftrag, Menschen mit Behinderung und psychiatrisch Erkrankte in ihrer Entwicklung zu fördern und ihre Würde zu schützen, nicht entsprochen.https://www.erzbistum-koeln.de/news/Gewaltx_Missbrauch_und_Leid_an_Behinderten_zwischen_1949_und_1975/

Mit seinem Vortrag nahm Woelki Bezug auf eine Studie, die die Katholische Kirche bzw. der Deutsche Caritasverband mit seinem Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) in Auftrag gegeben hatte: „Heimkinderzeit”. In der Studie kommen überlebende Betroffene zu Wort- und erzählen unabhängig voneinander Entsetzliches. Die Studie bringt ans Licht, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung in der Zeit zwischen 1945 -1975 in den überwiegend katholischen westdeutschen Heimen massiven Gewalterfahrungen ausgesetzt waren und Missbrauch sowie psychisches und physisches Leid erfahren mussten. Für Projektleiterin Prof. Dr. Annerose Siebert war der Alltag der Heimkinder “durchzogen von Unterordnung, Isolation und Gewalt” (zitiert nach spiegel.de). Brutalität war nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wenn es in den Einrichtungen auch immer wieder einzelne Erwachsene gab, die die Kinder in Schutz genommen und ihnen geholfen haben.

Nach dem Schuldeingeständnis von Seiten der Katholischen Kirche musste gehandelt werden. Die überlebenden Betroffenen wurden als Gewaltopfer anerkannt und konnten ihre Ansprüche auf eine (beschämend geringe) finanzielle Entschädigung von 9.000€ geltend machen, die von der “Stiftung Anerkennung und Hilfe” (Bund, Länder, Katholische und Evangelische Kirche) getragen wurde. “Heimkinderzeit” war nicht nur eine zentrale und bedeutende Aufklärungsleistung, sondern gab den Anstoß für weitere Studien und Forschungsarbeiten. Und doch erzählt “Heimkinderzeit” nicht die ganze Wahrheit.

Denn an anderer Stelle war längst weiter geforscht worden. Dem Mut, der Klugheit und Beharrlichkeit der Pharmazeutin Sylvia Wagner haben wir zu verdanken, dass noch eine weitere entsetzliche Variante der Misshandlung ans Licht kam: Der körperliche und seelische Missbrauch mit den Mitteln der Medizin. Im Rahmen ihrer Dissertation im Jahr 2016 entdeckte Sylvia Wagner zahlreiche Hinweise auf medizinisch-pharmazeutische Experimente an Heimkindern. Noch vor Fertigstellung ihrer Doktorarbeit gab Sylvia Wagner Ergebnisse an die Öffentlichkeit weiter, so dass kritische Medien berichten konnten.

Einen Einblick in die Abgründe gibt ein Interview mit Sylvia Wagner (Interviewerin: Valerie Höhne), das am 2.11.2016 auf taz.de erschien. https://taz.de/Pharmazeutin-ueber-Arzneitests-im-Heim/!5350110/ Ich habe mir erlaubt, zentrale Passagen vom Bildschirm abzufotografieren:

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Wer war für diese Tests verantwortlich?
Die Behörden, die Pharmaunternehmen, die Heime und die Ärzte. Diese Experimente geschahen bundesweit, zum Beispiel für Berlin, München, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen…taz.de s.o.) Wir müssen davon ausgehen, dass Verantwortliche der Kirche diese entsetzlichen Versuche damals “abgesegnet” haben.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Rahmen einer Pressemitteilung Kardinal Woelkis Rede vom 23.6.2016 als pdf ins Internet gestellt, so dass man sie genau studieren kann. https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2016/2016-113a-Vortrag-Kard.Woelki.pdf

In der Anrede erfahren wir, wer bei dem Vortrag zugegen war, nicht nur Projektleiterin, Kirchenvertreter und Betroffene, sondern auch hochrangige Politikerinnen und Politiker: “Meine sehr verehrten Damen und Herren aus allen Ebenen des Deutschen
Caritasverbandes, sehr geehrte Frau Prof. Siebert, sehr geehrte Vertreterinnen
und Vertreter der Bundesregierung, der Ministerien und dem Parlament, sehr
verehrte, liebe Damen und Herren, um die es heute geht…”

Vertreter der Pharmaindustrie waren aus gutem Grund nicht eingeladen worden. In Woelkis Vortrag sind die medizinisch-pharmazeutischen Experimente überhaupt kein Thema. Dabei gab es schon Anfang (!) 2016 eindeutige Hinweise, denen die entsprechenden kirchlichen Aufklärungs-Gremien unbedingt hätten nachgehen müssen. Unter anderem hatte spiegel online am 2.2.2016 einen erhellenden Artikel veröffentlicht.

In diesem Beitrag (Autorin: Daniela Schmidt-Langels) ist bereits von den pharmazeutisch-medizinischen Misshandlungen die Rede. Unter der Anordnung des NS-Arztes Hans Heinze, der während der NS-Zeit als Gutachter des Euthanasie-Mordprogramms T4 agierte, “mussten Anfang der Sechzigerjahre Heimkinder über längere Zeit die Arznei Encephabol mit dem Wirkstoff Pyritinol schlucken. Der Versuch fand in Kooperation mit der herstellenden Pharmafirma Merck statt. Der Darmstädter Konzern brachte das Medikament 1963 auf den deutschen Markt, es wird heute als Antidemenzmittel verkauft. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte Heinze in einer medizinischen Fachzeitschrift – einer der wenigen bisher bekannten Belege für Medikamententests mit Heimkindern.” https://www.spiegel.de/gesundheit/iagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html

Daniela Schmidt-Langels ist übrigens auch Autorin eines Films, der am 3.2.2020 in der ARD erstausgestrahlt wurde: “Versuchskanichen Heimkind”. In diesem Film, der mich tief berührt und wütend gemacht hat, kommen Betroffene zu Wort. https://www.fernsehserien.de/filme/versuchskaninchen-heimkind

An einer Aufklärung im Sinne einer umfassenden, schonungslosen Wahrheitsfindung kann die Katholische Kirche nicht interessiert sein, denn die Aufdeckungen rütteln am Firmament der großen Kirchen, die trotz alledem immer noch als moralische Instanz gelten. Einen Bezug zur Gegenwart stellt Woelki ebenfalls nicht her, auch nicht den naheliegenden zum sexuellen Missbrauch (insbesondere) in der Katholischen Kirche.

Vor diesem Hintergrund empfinde ich Woelkis vermeintlich anteilnehmende Sätze vom 23.6.2016 als heuchlerisch und sentimental: “…Wir haben heute gehört, welches Leid schutzbefohlene junge Menschen in katholischen Einrichtungen (der Behindertenhilfe und Psychiatrie) erfahren haben. Als Bischof schmerzt mich jede einzelne dieser Erzählungen sehr. Und dabei ahne ich all die unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen – gebe Gott, dass diese Erfahrungen nicht dem Vergessen preisgegeben sind...” War Woelki damals wirklich nur umwölkt von “Ahnungen”?

“Behindertenhilfe und Psychiatrie” habe ich bewusst in Klammern gesetzt, denn Misshandlungen von Schutzbefohlenen fanden und finden auch in anderen Räumen der Kirche statt. Und wenn einer mehr als nur eine Ahnung hat von den “unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen”, dann ist es Erzbischof Kardinal Woelki.

Selbst wenn Woelki zurücktritt, was längst überfällig ist, wird das die Katholische Kirche kaum retten. Denn der Muff sitzt nicht nur in den Talaren, sondern steckt in den völlig verhärteten Strukturen. Sogar die vorsichtigen, aber unbedingt notwendigen Reformen des Synodalen Wegs sind kaum umsetzbar. Doch wie soll es weitergehen? In ihrer jetzigen Form schadet die Kirche nicht nur sich selber, sondern uns allen.

Die großen deutschen Kirchen besitzen riesige Vermögen. Wir wissen, dass die Kirchen zwar Steuern einziehen, aber als als gemeinnützige, wohltätige beziehungsweise kirchliche Organisationen keine zahlen. Weniger bekannt ist, dass die Kirchen große staatliche Geldsummen erhalten – noch über die Zahlungen für Arbeit im sozialen Sektor hinaus. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ Welche politischen Befugnisse die Kirche hat , erläutert der erfrischend unsentimentale Politologe Christian Frerk 2015 in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Die Vertreter der Kirchen, so Freyk, “haben einen Sonderstatus im deutschen Bundestag. Sie können ein und ausgehen, wie es ihnen beliebt. Die Kirchen sagen selbst, dass sie in allen Stadien wichtiger Gesetzesprozesse involviert sind. Selbst in der gerade erst gegründeten Atomkommission, die eine Lösung für die Finanzierung des Atomausstiegs finden soll, finden sich zwei Bischöfe. Hier findet christliche Einflussnahme statt, ohne dass es hierfür eine gesellschaftsrechtliche Grundlage gibt.https://www.wiwo.de/politik/deutschland/carsten-frerk-ueber-die-privilegien-der-kirchen-der-staat-macht-sich-zum-devoten-deppen/12559868-all.html

Macht und Geld interessieren ein “Engelchen” nicht.
1964: Eine Hochzeit in der Bottroper St. Elisabeth- Kirche. Meine Zwillingsschwester und ich sind als “Engelchen” engagiert.
Nach der Hochzeit (rechtes Bild): Während meine Schwester (rechts) diszipliniert die Hände faltet, kann ich kaum noch ruhig stehen, weil ich nur noch an die Bälle denke, die wir zur Belohnung gekriegt haben. Die Taschen unserer Kleidchen sind verdächtig ausgebeult, denn bei der Kaffeetafel (s. Tischkärtchen) gab’s nicht nur Kuchen, sondern auch Süßigkeiten.
Die großen katholischen Feste hatten zur Freude der Christen immer auch lebensfrohe heidnische Momente. Dass “Engelchen” (oder auch “Blumen-Mädchen”) Blüten streuen, über die die Eheleute dann laufen “müssen”, geht auf einen heidnischen Fruchtbarkeits-Brauch zurück. Die gestreuten Blüten bescheren den Brautleuten einen reichen Kindersegen. Es heißt, dass der Duft der Blüten die Fruchtbarkeitsgöttinnen anlockt.
Der Auftritt sollte nicht unser einziger bleiben. Man lud uns gerne zu Hochzeiten ein, denn als Zwillinge standen wir mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen in enger Verbindung.
Mittlerweile hat sich einiges verändert: Im Jahr 2019 wurde die Bottroper St. Elisabeth-Kirche, wo wir später auch zur Kommunion gegangen sind, entweiht – wie viele andere Kirchen.
Die Geburt von Zwillingen haben wir heutzutage nicht mehr nur dem Zufall oder der guten Laune heiterer Fruchtbarkeitsgöttinnen zu verdanken, sondern immer häufiger dem kalten Instrumentarium der Reproduktionsmedizin.

Wie eng verfilzt Staat und Kirche sind, brachte die “Pandemie” zu Tage. Wr erlebten groteske Auswüchse, wie etwa digitale Gottesdienste inklusive digitalem Klingelbeutel (!) oder Heilige Messen im Autokino. Dabei kamen die Corona-Abstandsregeln der klerikalen Berührungsscheu verkrampfter Geistlicher durchaus entgegen. Ich möchte noch einmal an Woelkis öffentlichen Brief an die „Schwestern und Brüder“ vom 19. März 2020 erinnern. Darin schrieb er: „Selbst in Kriegszeiten sind die Gottesdienste nicht ausgefallen, doch nun haben wir uns nach sehr ernsthaften Diskussionen dazu entschlossen, die körperlichen Versammlungen von Christen auszusetzen… ” Vgl.: https://stellwerk60.com/2020/04/09/fake-news-erzbischof-kardinal-woelki-wird-heute-den-menschen-die-fuesse-waschen/

Dass im Kölner Dom an Heiligabend geimpft wird, wird uns dieses Jahr hoffentlich erspart bleiben.

Derweil gilt es, den Schönen Schein zu wahren. Das “Haus der Kirche” in Köln-Nippes wird nicht nur das Pfarrbüro von St. Marien beherbergen, sondern auch das Caritas-Zentrum sowie Wohnungen und eine Arztpraxis. Es ist während der “Pandemie” gebaut worden, also während Woelki -was allgemein bekannt war- den Bericht zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln weiter vor sich herschob. Ich denke, etwas mehr Bescheidenheit in der Namensgebung wäre da durchaus angemessen gewesen.

Beim Bau des Hauses ist zu meiner Genugtuung ein Fauxpas passiert. In diesem Fall sitzt der Teufel im Detail, hämisch lachend hockt er in der Außen-Fassade.

Das in die bronzenen Metall-Abdeckungen eingestanzte Muster (kleine Kreuze bzw. Blüten) kam mir bekannt vor. Genau dieses Muster haben manchmal die Gitter in den Beichtstühlen katholischer Kirchen. Doch warum haben Beichtstühle überhaupt Gitter? Wikipedia gibt Aufschluss: “Eingeleitet durch die Synode von Fritzlar (1244) entwickelte sich das (doppelte) Gitterfenster als Trennwand zwischen Priester und Beichtendem. Die Gitter sollten Berührungen in beide Richtungen verhindern und somit auch eventuellem sexuellem Missbrauch vorbeugen.[4] Dennoch kam es häufig zu verbalen Übergriffen seitens des Beichtvaters, die sich außerhalb des Beichtstuhls fortsetzen konnten, wie zum Beispiel bei der Beichtstuhl-Affäre der Jahre 1871/72 in Linz. Die zuvor übliche Absolution durch Handauflegen wurde seitdem abgelöst durch das segnende Kreuzzeichen.” https://de.wikipedia.org/wiki/Beichtstuhl

Sexuellen Missbrauch von Seiten Geistlicher gibt es also sehr viel länger, als man meinen sollte. Jetzt lacht der Teufel noch lauter – und empfiehlt mir ein erhellendes Interview mit dem Kirchenhistoriker Claus Arnold von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz: https://www.sueddeutsche.de/kultur/missbrauch-katholische-kirche-vatikan-sexuelle-gewalt-1.4342244

“Meine” drei Männer (mein Vater, mein Bruder, mein Mann) waren in ihrer frühen Jugend Messdiener. Sie sind zu sanften, verantwortungsbewussten Männern herangewachsen: Freundlich, nur ein bisschen zu sehr, vom Schlag derer, die, wenn man sie ohrfeigt, dem Angreifer noch die zweite Wange hinhalten.

Aber ich glaube und wünsche mir, dass alle drei zu der Gruppe mutiger, kluger Ministranten (und -innen) gehört hätten, die während einer Messe am 3.10.2022 im Rahmen ihrer Wallfahrt nach Rom von ihren Plätzen aufgestanden sind und Erzbischof Kardinal Woelki, der die Messe hielt, den Rücken zugedreht haben.

Ich danke euch.

Elfchen im Zehnten: DEINE APOTHEKE IMPFT

Damit

niemand mit

dir schimpft: DEINE

APOTHEKE IMPFT. Komm nur

herein…

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Schaukasten vor der alteingesessenen Adler-Apotheke in Köln-Nippes.

Um mit den Internet-Apotheken konkurrieren zu können, setzen die Apotheken vor Ort zunehmend auf den direkten, persönlichen Kontakt zu den Menschen. Hierbei bekommen sie Rückendeckung von der Bundesregierung. Bereits im Sommer 2019 wurde das “Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken” auf den Weg gebracht. In der Pressemitteilung des BMG wird der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zitiert: „Die Apotheke vor Ort ist für viele Menschen ein Stück Heimat – und eine wichtige Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten. Darum erhalten Apothekerinnen und Apotheker künftig mehr Geld für neue Dienstleistungen. Wir sorgen für einen fairen Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken. Künftig gilt der gleiche Preis für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei der Abgabe an gesetzlich Versicherte. So sichern wir die Arzneimittelversorgung in der Stadt und auf dem Land.“ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2019/3-quartal/staerkung-der-vor-ort-apotheken.html

Um die neuen Privilegien und die guten Beziehungen nicht zu gefährden, haben sich die Apotheken von Beginn an hinter die staatlichen Corona-Maßnahmen gestellt. Im Frühjahr 2020 startete die apothekeneigene Unternehmensgruppe NOVENTI die „Initiative gegen Corona“, die das Ziel verfolgt, “zur Aufklärung der breiten Bevölkerung mit aufmerksamkeitsstarken Motiven beizutragen.” Plakate wurden entworfen und an alle Apotheken verschickt. Eine erste Plakat-Botschaft von NOVENTI und Medienpartner BILD: “Bring Corona nicht zur Oma”. Diese Aufforderung, die mit “Aufklärung” allerdings herzlich wenig zu tun hat, richtete sich an Angehörige, die einen großen Bogen um ältere Familienmitglieder machen sollten.

Mit Corona, so schrieb ich vor zwei Jahren an dieser Stelle, hat die die Gesundheitswerbung, was alte Menschen betrifft, eine vermeintliche Kehrtwende gemacht. “Nachdem in den letzten Jahren wissenschaftliche Studien herausfanden, was der gesunde Menschenverstand ohnehin wusste, dass nämlich Berührungen der Gesundheit zuträglich sind, wurde im Jahr 2019 von der Krankenkasse DAK körperliche Nähe zu alten Menschen propagiert. Im Befehlston hieß es da: „Geht Omas drücken!“ Ab März war (und ist!), gerade was ältere Menschen betrifft, überall Distanz angesagt. Schnoddrig-lässig heißt es unrein gereimt von oben herab: „Bring Corona nicht zur Oma.“… Von älteren oder alten Frauen generell als von „Omas“ zu reden, ist respektlos. Die Anrede „Oma“ diffamiert, wenn es nicht die eigene ist. Wenn wir Skat oder Doppelkopf spielen und so gute Karten bekommen, dass wir gar nicht anders können als zu gewinnen, haben wir ein „Oma-Blatt“ auf der Hand. „Oma“ ist lieb, aber ein bisschen beschränkt, dümmer als „Opa“, falls es den noch gibt.” https://stellwerk60.com/2020/10/19/elfchen-im-zehnten-was-ist-mit-unserer-gesellschaft-geschehen-wenn/

Im Frühjahr 2020 war noch keine Impfung auf dem Markt, auch nicht für die bedrohte Oma, aber es wurde bereits fieberhaft daran gearbeitet. Auch am guten Verhältnis der Apotheke zu Oma, denn Oma ist Stammkundin, misstraut den neuen Medien und würde ihre Rezepte niemals im Internet einreichen.

Eine ausgesprochen gute Kundin ist Oma schon deshalb, weil sie in der Regel an verschiedenen chronischen Krankheiten bzw. Beschwerden leidet und die entsprechenden ihr verschriebenen, aber auch frei verkäufliche Medikamente einnimmt. “Bei rund 42 % der über 65-jährigen gesetzlich Versicherten liegt nach dem Versorgungs-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) Polypharmazie (fünf oder mehr Wirkstoffe) vor.” Polypharmazie, d.h. die gleichzeitige und andauernde Einnahme verschiedener Medikamente, verbessert Omas Befinden allerdings nicht unbedingt, im Gegenteil: https://www.aerzteblatt.de/archiv/182151/Polypharmazie-Tendenz-steigend-Folgen-schwer-kalkulierbar

Herbst 2022: Der Schaukasten der Nippeser Adler-Apotheke ist neu bestückt. Die Metallplatte unter dem Kasten ist frisch poliert, das Graffiti entfernt. Man gibt sich seriös, denn “DEINE APOTHEKE IMPFT”. Ein weiteres, transportables Schild im Eingang der Apotheke verrät, dass “wir” nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Grippe impfen. Das ist möglich, weil der deutsche Bundestag im Mai 2022 das Pflegebonusgesetz verabschiedet hat. Im Zusammenhang mit dem Gesetz hat man auch den Weg frei gemacht “für die Grippeimpfung in der Apotheke – sie wird nun Teil der Regelversorgung und damit unabhängig von Modellprojekten bundesweit möglich.” https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/05/19/bundestag-gibt-gruenes-licht-fuer-regelhafte-grippeimpfungen-in-den-apotheken

 

Oma darf längst wieder auf die Straße gehen, auch in die Apotheke, wo sie ihre Medikamente bekommt. In der Apotheke fragt man Oma nach ihrem Impfstatus. Oma ist es unangenehm, sagen zu müssen, dass sie sich noch nie gegen Grippe hat impfen lassen. Um die Apothekerin für sich einzunehmen, sagt sie: “Bitte nicht schimpfen.” Doch die freundliche Apothekerin schimpft nicht, sondern lächelt. Aber sie macht Oma darauf aufmerksam, dass die Ständige Impfkommission den über 60jährigen beide Impfungen empfiehlt, die gegen Grippe und die gegen Corona. Selbstverständlich seien beide Impfungen auch in der Apotheke kostenlos. Aber Oma solle sich Zeit lassen, es gäbe ja noch Termine im November und im Dezember. Dann will die Apothekerin noch wissen, ob Oma als gesetzlich versicherte Person über 60 Jahre Post vom Gesundheitsminister erhalten habe. Der Brief von Karl Lauterbach enthalte leider einen Fehler, denn es werde nicht erwähnt, dass man sich auch in der Apotheke impfen lassen könne.

“Der Brief enthält nicht nur Fehler, sondern ist ein Fehler”, sagt Oma und lacht. “Diesen Jammerlappen kann ich leider nicht mehr ernst nehmen. Das Schreiben ist eine als persönlicher Brief getarnte Werbepost. Da sind mir die Wurfsendungen von Kaufland oder REWE lieber, da wird der Preis, den ich zahlen muss, offen genannt.”

“Aber die Impfung ist kostenlos.”

“Ja eben,” sagt Oma. “Man muss immer skeptisch sein, wenn ein Geschäftsmann einem was schenkt. Vor allem als alter Mensch.”

“Aber unser Bundesgesundheitsminister ist doch kein Geschäftsmann”, sagt die Apothekerin.

“So wenig, wie Sie eine Geschäftsfrau sind”, entgegnet Oma. “Außerdem enthält der Brief Halb-Wahrheiten. Für den neuen BA.5- Impfstoff gibt keine klinischen Studien, seine Wirkung wurde nur in Tierversuchen belegt, und in Europa ist der Impfstoff nur deshalb zugelassen, weil angeblich immer noch ein Notfall vorliegt. Und dabei liegt der Schutz vor einer Ansteckung vermutlich bei nicht einmal zehn Prozent.”

“Ich würde Ihnen die Impfung übrigens dringend empfehlen”, sagt die Apothekerin. “Dringend.”

“Sie wissen doch, wie viele Medikamente ich einnehme”, sagt Oma. “Da muss ich nicht noch geimpft werden. Ich habe gerade noch einen Artikel über Medikamentenmissbrauch bei alten Menschen gelesen.”

“Sie sind aber eine ganz Schlaue”, piepst die Apothekerin. “Und woher meinen Sie die Informationen über die Impfung zu haben?”

“Aus einem Interview mit Alexander Kekulé”, antwortet Oma. “Auf t-online.de. Ein kluger Mann. Da kommt der Lauterbach nicht mit. Der Lauterbach denkt viel zu gradlinig, um unsere aus den Fugen geratene Welt noch zu begreifen. Und er macht ständig doofe Fehler. Der hat tatsächlich vergessen, den Brief persönlich zu unterschreiben. Dadurch wirkt das Schreiben stocksteif, was im Fall von Lauterbach natürlich auch wieder authentisch ist. Ich meine, eine Kopie der Unterschrift hätte ja auch gereicht. Der einzige Farbtupfer ist der schwarz-rot-gelbe Streifen im Briefkopf. Aber was überhaupt nicht geht, ist, dass das Datum fehlt. Wahrscheinlich will Lauterbach den Brief im nächsten Jahr wiederverwenden. Aber ich muss jetzt.”

“Auf Wiedersehen”, sagt die Apothekerin.

“Auf Wiedersehen”, sagt Oma. “Und Frohes Neues Jahr.” Tänzelnden Schrittes verlässt sie die Apotheke.

Elfchen im Neunten: Liebe Lärmschutzriegel-Bewohnende

Vor gut 20 Jahren hat man damit begonnen, das innenstadtnahe Gelände der ehemaligen Köln-Nippeser Eisenbahn-Ausbesserungsanlage mit Wohnhäusern zu bebauen, mit Mehrfamilien-, aber auch mit Einfamilienreihenhäusern. Nach Abschluss der Bauarbeiten leben hier insgesamt über 5000 Menschen, etwa 1500 davon in der autofreien Siedlung Stellwerk 60.

Die autofreie Siedlung liegt genau in der Mitte des bebauten Areals. Was die Siedlung auszeichnet, ist, dass sie wirklich eine ist. Unser großer gemeinsamer Nenner ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Auto. Dass die nachbarschaftliche Kooperation über den Gartenplausch hinaus gelingt, ist vor allem dem Nachbarschaftsverein Nachbarn 60 zu verdanken, dessen aktive Mitglieder seit mittlerweile 15 Jahren unermüdlich organisieren, koordinieren, anleiern, Ideen entwickeln und überhaupt viel Arbeit in das Projekt stecken. Der Gemeinschaftsgarten muss gepflegt werden, die Kettcars, Tandems, Einräder, Biertische und Transportkarren, die alle Vereinsmitglieder in der Mobilitätsstation (“Mobi”) kostenlos ausleihen können, müssen regelmäßig gewartet werden, junge Bäume gegossen, Flohmarkt, Sommerfest und Lebendiger Adventskalender organisiert werden u.u.u….

Das Besondere an Stellwerk 60 ist die Familien- und Kinderfreundlichkeit. Die Kinder stören sich nicht daran, dass die Siedlung dicht bebaut ist. Auch die geringe Breite der Reihenhäuser (oft weniger als fünf Meter), die vielen Erwachsenen die Luft zum Atmen nimmt, vor allem dann, wenn man den Nachbarn nicht riechen kann, ist ganz nach dem Geschmack von Kindern. Wo in der Siedlung sie auch wohnen: Die Kinder gehen raus und treffen Kinder. Ihr Draußen wird nicht durch parkende Autos verstopft. Die asphaltierten “Hauptstraßen”, die nur von Müllabfuhr und Notarztwagen befahren werden dürfen, laden ein zum Rollschuhlaufen, Einradfahren, Skateboarden, der autofreie Raum zum Spielen, Raufen und Austoben. Wo Kinder sind, gibt es kein Abstandhalten.

Manchmal bin ich ziemlich genervt, wenn ich einem großen Kettcar ausweichen muss, auf dem fünf kreischende Kinder sitzen. Aber dann erinnere ich mich an die “Pandemie” mit ihren volkserzieherischen “Sicherheits”-Maßnahmen, ich erinnere mich daran, wie gespenstisch still es selbst in der autofreien Siedlung war, als die Kinder, denen das Virus nie viel anhaben konnte, zu einer Art soldatischem Gehorsam gezwungen wurden, als sie sich nicht einmal zu Hause mit mehreren Freunden treffen konnten, nicht einmal die Kettcars ausleihen und kaum Spaß haben durften. Und wenn ich mir klarmache, wie autoritär, wie lust- und lebensfeindlich die “Gesundheitsschutz”- Maßnahmen waren (und zum Teil noch sind!), dann bin ich erleichtert, dass die Kinder nicht verstummt sind – und kann ihr Gekreische ertragen. Ach was, ich freue mich daran!

Ein Archivfoto aus dem Jahr 2016:

Besuch des Koreanischen Fernsehens in der autofreien Siedlung Stellwerk 60. Die beiden, die hier -gesittet und ohne zu kreischen- auf dem Kettcar sitzen, sind Filmemacherin Chi-Suk Kim und Siedlungs-“Bürgermeister” Hans-Georg Kleinmann; Foto: Nachbarn60.  https://stellwerk60.com/2016/07/17/der-film-ist-da-stellwerk-60-im-koreanischen-tv/

Es ist abwechslungsreich und angenehm, in der autofreien Siedlung zu leben – wenn nur die Bahn nicht so nah wäre. Natürlich ist es grundsätzlich vorteilhaft, in der Nähe zweier S-Bahnhöfe zu wohnen. Auch hält sich die Lärmbelastung innerhalb der autofreien Siedlung in Grenzen. Doch was den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht nur von Stellwerk 60, sondern aller Nippeser Siedlungen zwischen den S-Bahnhöfen Nippes und Geldernstraße droht, ist nicht mehr angenehm, sondern so alptraumhaft, dass man es kaum glauben kann. Wie viele andere hatte auch ich versucht zu verdrängen, was uns seit Jahren “nur” droht, jetzt aber real werden könnte: Der Bau eines Zuführungsgleises und damit einhergehend die Zerstörung großer Teile des letzten Grüns diesseits der S-Bahn-Linie, eine jahrelange Großbaustelle in unmittelbarer Siedlungsnähe und -nach Beendigung der Bauarbeiten- ein stetiger nächtlicher S-Bahn-Verkehr (“Geisterzüge”).

Die Pläne der DB für das Zuführungsgleis sind nicht neu, und die entsprechenden “Planfeststellungsverfahren” laufen schon seit 2007. Wegen zahlreicher Einwendungen und erheblicher Bedenken, vor allem wegen des zu erwartenden Lärms, musste die Bahn ihre Pläne bereits mehrere Mal aktualisieren. Dass die Deutsche Bahn ihr Vorhaben noch nicht hat durchsetzen können und weiterhin “nachbessern” muss, ist insbesondere der Anwohnergemeinschaft Nippes (AWG) zu verdanken, deren Mitglieder über die Jahre hinweg das Vorhaben nicht verdrängt, sondern sich der Bedrohung gestellt haben. Bei allen “Planfeststellungsverfahren” erhob die AWG (nicht zu verwechseln mit dem Verein Nachbarn 60) immer wieder Einspruch und holte vor Jahren bereits ein Gutachten ein, das belegt, dass das Zuführungsgleis nicht nötig ist und es eine menschenfreundliche, wenn auch teurere Alternative gibt. Laut Gutachten könnten S-Bahnen auch auf einem anderen Weg in die mittlerweile in Betrieb genommenen Abstellanlage einfahren.

Was genau droht, erzählt plastisch dieser Aushang der AWG, der Ende Juli im Grünstreifen diesseits der S-Bahn aufgehängt wurde und sich vor allem auf das erste Teilstück hinter dem S-Bahnhof Nippes bezieht:

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Mich persönlich hatte bereits Anfang des Jahres eine Nacht-und-Nebel-Aktion in Alarmbereitschaft versetzt. In einer Mensch und Tier überrumpelnden Blitz-Maßnahme wurden im Frühjahr 2022 Tatsachen geschaffen, bereits “Vorbereitungen” getroffen für die von der Deutschen Bahn geplante Bebauung. Entlang der Bahntrasse wurde gerodet, kleinere Bäume wurden gefällt, Sträucher komplett zurückgeschnitten. Das Gelände wurde -wie es aussieht- für einen Eingriff präpariert, der in keinerlei Hinsicht gebilligt ist. Wer den Kahlschlag in Auftrag gegeben und wer ihn durchgeführt hat, ist nicht bekannt.

Besonders augenfällig ist der Kahlschlag dort, wo er städtischen Grund berührt. Während ein wenige Meter breiter Geländestreifen neben der S-Bahntrasse der Deutschen Bahn gehört, ist ein kleines Wäldchen, das nach dem Willen der DB komplett plattgemacht werden soll, Eigentum der Stadt Köln. Noch scheitert das Bauvorhaben u.a. an diesem kleinen städtischen Wäldchen – und am Widerstand der Stadt Köln, die jedoch im Falle einer Bau-Bewilligung enteignet werden kann.

Ich habe das schwer beschädigte Wäldchen jetzt im September von verschiedenen Seiten fotografiert. Das Wäldchen wurde bei der Aktion unbegehbar gemacht. Abgesägte Äste wurden auf die Wege gekippt und der zentrale Zugang durch einen Baumstamm versperrt.

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Drei sanfte letzte Kurven und ein Hauch von Central Park. “Wo jetzt in dieser Mini-Oase die Blätter rauschen und ein kühles Lüftchen im Sommer angenehm kühlt, sollen S-Bahnen aus ganz NRW nachts zu einem “Parkplatz” mit 18 Gleisen hin und zurück rollen.” (AWG)

Da die klugen Köpfe der AWG in ständiger Alarmbereitschaft sind, hatten sie mitbekommen, dass die Deutsche Bahn erneut ein “Planfeststellungsverfahren” angestrengt hat. Anfang Juli informierte die AWG uns Nippeser Nachbarinnen und Nachbarn sowie den Nachbarschaftsverein der autofreien Siedlung und lud zu einer Info-Veranstaltung mit Begehung des betroffenen Gebietes ein. http://www.awg-nippes.de

Vielleicht muss man vor Ort gewesen sein und sich mit den Betroffenen unterhalten haben, um sich das Ausmaß der geplanten Bau-Maßnahme vorstellen zu können. So war bei der gut besuchten Info-Veranstaltung am 6.8.2022 glücklicherweise Journalist Bernd Schöneck vom Kölner Stadtanzeiger anwesend. In seinem “Kommentar zum Gleisvorhaben in Köln-Nippes” vom 10.8.2022 mit dem Titel “Es bliebe fast nichts, wie es ist” stellt Schöneck fest, dass das “Vorhaben wie ein Damoklesschwert über der Nippeser Eisenbahnsiedlung” schwebt. Weiter schreibt Schöneck, dass man sich des Verdachts nicht erwehren könne, “dass das Vorhaben bereits beim Siedlungsbau geplant war – und das wäre ein Skandal. Denn die Bewohner des Veedels wären bezüglich der Nutzung des Areals im Dunkeln gelassen worden. Zugleich zeigt sich leider erneut, dass das Wohl der Anlieger, vorsichtig gesagt, bei der Bahn nicht an allererster Stelle steht.” https://www.ksta.de/koeln/kommentar-zum-gleisvorhaben-in-koeln-nippes-es-bliebe-fast-nichts–wie-es-ist-39868530 Aufschlussreich auch: https://www.ksta.de/koeln/nippes/umstrittene-bahn-plaene-fuer-koeln-nippes–das-waere-eine-gefahr-fuer-leib-und-leben–39866080 (Beide Artikel konnte ich auch ohne Abo nach Anmeldung kostenlos lesen.)

Ich bin Bernd Schöneck dankbar für seinen engagierten Kommentar und auch dafür, dass endlich jemand den “Skandal” zur Sprache bringt. Was die autofreie Siedlung betrifft, spricht einiges dafür, dass der Bauträger Kontrola im Bilde gewesen sein dürfte. Als wir im Jahr 2007 unser Reihenhaus kauften, wurden wir während des ausführlichen Verkaufsgesprächs nicht über die Pläne der Bahn informiert. Wachgerüttelt wurden wir erst im Sommer 2008, als die Mitglieder der AWG anlässlich der ersten Offenlegung zum Protest aufriefen.

Hätte der Stellwerk 60– Bauträger und Projektentwickler Kontrola im Wissen um die Pläne mit offenen Karten gespielt, wäre es schwierig gewesen, die Häuser und Eigentumswohnungen zu verkaufen, zumal -während die Siedlung noch in der Bauphase war- mit der Finanzkrise 2008 der Verkauf ins Stocken geriet. Ohnehin war der Verkauf eine kaufmännische Herausforderung, denn vor 15 Jahren war es keineswegs sicher, ob sich Häuser ohne Stellplatz gut verkaufen lassen.

So aber wurde neben den Häusern in den anderen Bereichen der Eisenbahner-Siedlung ausgerechnet das Vorzeigeobjekt “autofreie Siedlung” auf ein Verschweigen gebaut. Dabei hatte Kontrola im Jahr 2007 gleich zwei Auszeichnungen entgegengenommen. Stellwerk 60 war nicht nur „Ort im Land der Ideen“, sondern wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der „Qualitätsoffensive für Familien in Städten und Gemeinden“ ausgezeichnet. 

Leider schützen solche Preise die Bewohnerinnen und Bewohner nicht und schon gar nicht vor Willkür-Maßnahmen, sondern dienen lediglich den Bauunternehmen zu Werbezwecken. Nachfolge-Bauträger BPD wirbt heute noch mit dem Kontrola– Projekt “Stellwerk 60” und wurde vor wenigen Jahren mit dem Bau einer „Klimaschutzsiedlung“ in Köln-Lind betraut. (Allerdings liegen in Großstädten wie Köln die Flächen, auf denen noch ganze Siedlungen gebaut werden können, oft in heikler Nähe zur Autobahn, so auch hier. Diese Siedlung erfüllt zwar die Vorgaben des Leitfadens “100 Klimaschutzsiedlungen Nordrhein-Westfalens”, entsteht aber wenige Kilometer weit weg vom Flughafen Köln-Bonn in unmittelbarer Nähe des Lärmschutzwalls vor der Autobahn A59. Ich weiß nicht, ob es schon Straßennamen gibt. Mein Vorschlag: Am Linder Lärmschutzwall)

Immerhin ist der Linder Lärmschutzwall unübersehbar, während das Nippeser Zuführungsgleis mitsamt seinen landschaftszerschneidenden Lärmschutzwänden lediglich auf dem Papier exisitiert. Und das, was droht, ist so unglaublich, dass es die meisten verdrängen. In der autofreien Siedlung wurden in den letzten Jahren bereits einige Häuser von ahnungslosen Besitzern an ahnungslose Käufer überteuert verkauft. Auf diese Weise jedoch wird der Bauträger-Skandal, wird das Verschweigen weiter getragen. Der “Marktwert” ist reine Fiktion. Die permanente Drohung eines Zuführungsgleises senkt nicht nur den ideellen, sondern den tatsächlichen Wert der Immobilien meines Erachtens erheblich – auch den unseres Hauses.

Nachdem wir uns informiert hatten, bildeten fünf Mitglieder des Vereins Nachbarn 60 eine Arbeitsgruppe, um – angeregt von der AWG – eine Einwendung zu formulieren und Unterschriften gegen den Ausbau zu sammeln. Das war nicht einfach, da die Zeit drängte und man den “Abgabetermin” bei der Bezirksregierung auf den 15.8. gelegt hatte. Viele Nachbarinnen und Nachbarn waren in Urlaub, andere gerade zurück gekommen. Doch da die Sommerferien in diesem Jahr schon am 9.8. endeten, waren die meisten gerade noch rechtzeitig wieder vor Ort. Meistens halte ich mich bei Siedlungsaktivitäten zurück, aber diesmal gab es für mich kein Halten.

Gaby hatte der Arbeitsgruppe die wichtigsten Punkte der Planungsunterlagen vorgestellt, und Beate, die nicht nur ein außergewöhnliches politisches Gespür, sondern die Gabe hat, auch in äußerst angespannten Situationen besonnen zu bleiben, hatte die Einwendung verfasst. Sie opferte mehrere Urlaubs-Tage, um den kaum lesbaren Text durchzuarbeiten, ein Konvolut, das bis zum 15.7. im Internet öffentlich auslag und so umfangreich ist, dass es sich nicht per Mail-Anhang verschicken lässt.

So saßen wir fünf einander abwechselnd in der Mobilitätsstation, wo wir zwischen dem 8.8. und dem 13.8. an fünf Abenden Unterschriften sammelten. Von insgesamt knapp 1000 Unterschriften im gesamten betroffenen Bereich sammelten wir 280 von Bewohnerinnen und Bewohner der autofreien Siedlung, was etwa 20% entspricht. Der gemeinsame Tenor: Wir unterstützen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, aber so bitte nicht!

Interessant war es, auf diese Weise mit den Nachbarn der Nachbarsiedlungen ins Gespräch zu kommen, darunter auch Menschen aus den ganz nahe an die bestehende Bahntrasse herangebauten Mehrfamilienhäusern “Am Ausbesserungswerk”. Ein Bewohner erzählte, dass sich der Estrich in seiner Wohnung durch die permanenten Boden-Erschütterungen so weit gesenkt hat, dass man -sehr zur Freude seiner beiden kleinen Söhne- Matchbox-Autos unter den Zimmertüren hin- und herflitzen lassen kann. Ein anderer erzählte, dass Menschen, die dort eine Wohnung neu beziehen, jetzt schon per Unterschrift zusichern müssen, dass sie, falls das Zuführungsgleis gebaut wird, die Miete nicht mindern.

Und ist das Gleis einmal fertig”, so schreibt Bernd Schöneck, “würden die Züge nur einige Meter entfernt von den Wohn- und Schlafzimmern der Häuserzeile am Ausbesserungswerk entlang rollen – dem „bewohnten Lärmschutzwall“, wie es recht zynisch hinter vorgehaltener Hand heißt.” (ksta.de, s.o.) Leider muss ich ergänzen, dass der “bewohnte Lärmschutzwall” nicht nur hinter vorgehaltener Hand so genannt wird, sondern bereits als ein solcher konzipiert worden ist. Im Stadtteilführer des “Archiv(s) für Stadtteilgeschichte Köln-Nippes e.V.” heißt es: “Aufsehen erregte vor allem ein direkt an der Bahnlinie liegender Gebäuderiegel, der als Lärmschutz für die rückwärtigen Gebiete an die Stelle der alten Wagenhalle treten sollte. Befürchtungen wegen Lärmbelastungen und einer geplanten Eisenbahntrasse unmittelbar vor den Häusern wurden mit dem Hinweis verworfen, die Bewohner würden vom Lärm nicht gequält, weil auf der Seite zur Bahntrasse nur Treppenhäuser und Küchen vorgesehen seien.” (“Loss mer jet durch Nippes jon”, 3. Auflage 2010, S.36)

Die AWG hat im Jahr 2017 eine Fotomontage kreiert, die leider schaurig realistisch ist. Ich habe mir erlaubt, sie von dem Flyer, wo sie abgedruckt ist, abzufotografieren. Hier wird simuliert, wie es “Am Ausbesserungswerk” aussähe, wenn…

Nun will die Deutsche Bahn -im wahrsten Sinne des Wortes- noch eins draufsetzen. An der Stelle, die ich, um den Kontrast zum Flyer zu zeigen, im Jetzt-Zustand fotografiert habe, soll nach den Plänen der Bahn zwecks Wendemöglichkeit das Zuführungsgleis sogar zweigleisig verlaufen. Und genau dort will man direkt vor den zwei Gleisen eine sechs (!) Meter hohe Lärmschutzwand errichten! Doch dieses Lärmabwehr-Ungetüm würde den Menschen im Erdgeschoss die Sicht und das Licht rauben und im vierten Stock nicht einmal den Lärm abhalten.

Mein Elfchen des Monats ist diesmal von der schamlosen FÜR EUCH- Werbekampagne der BILD – Zeitung inspiriert. Im Sommer 2019 startete BILD “… eine neue Werbekampagne, in deren Zentrum die Leser stehen. Die Kampagne „FÜR EUCH. BILD.“ stellt Menschen vor, die jeden Tag für andere im Einsatz sind, die Verantwortung übernehmen und die mehr Wertschätzung verdienen. Statt Situationen mit Schauspielern oder Models nachzustellen, zeigt die Kampagne BILD-Leser wie Krankenschwester Manuela, LKW-Fahrer Reinhold, Polizistin Mehtap oder Oma Lore in ihren Alltagssituationen.” https://www.axelspringer.com/de/ax-press-release/bild-startet-neue-werbekampagne-fuer-euch-bild

Wie schafft man es, Menschen, die eine knallharte Arbeit leisten, eine Arbeit, für die sich die meisten “zu schade sind”, Menschen, die permanent ihre physische und psychische Gesundheit FÜR UNS aufs Spiel setzen und die viel zu wenig verdienen, bei Laune zu halten? Indem man sie lobt, sich bei ihnen bedankt und sie prominent ins Bild setzt. In der Sprache der BILD nennt man das “Wertschätzung”.

Im darauffolgenden Jahr 2020 passte diese Kampagne wie von Jens Spahn bestellt zur bundesdeutschen Gesundheitspolitik. Jetzt machte die Kampagne nicht nur Werbung für die BILD-Zeitung, sondern für die staatlichen Corona-Maßnahmen – und die Corona-Maßnahmen waren wiederum eine Top-Werbung für die BILD. Während der “Pandemie” mussten die Plakatmotive nur entsprechend aktualisiert und um zusätzliche Motive ergänzt werden. Wir erlebten eine höchst erstaunliche Kooperation zwischen Boulevard-Zeitung und Bundesregierung.

***

Wie aber hält man Menschen bei Laune, die einen Lärmschutzriegel bewohnen und dafür auch noch (Miete) bezahlen müssen?

Liebe

Lärmschutzriegel-Bewohnende, schenkt

der Deutschen Bahn

ein Lächeln. FÜR EUCH.

BALD.

***

Das gönnerhafte Lob sozial Benachteiligter, die Stärkung der Arbeitsmoral und die Überredung zu eigentlich unzumutbarer Arbeit via Werbung sind nicht neu. Um Arbeitskräfte anzuheuern, wurde schon im 20. Jahrhundert eine ausgeklügelte Plakatwerbung eingesetzt, die mit psychologischen Tricks arbeitete. Die Zielsetzung: Den Menschen einen beschämend schlecht bezahlten und dazu noch gesundheitsgefährdenden Job schmackhaft machen.

Dieses Werbe-Plakat aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg richtet sich an junge Schulabsolventen, die nicht das Privileg haben, eine höhere Schule zu besuchen, sondern -im Gegenteil- schon früh zum Familieneinkommen beitragen müssen. Das Plakat appelliert an das Verantwortungsgefühl und packt die Jungen bei ihrem gerade erwachenden männlichen Stolz. Der Beruf des Bergmanns, so die Botschaft des Plakats, ist nichts für Weichlinge, die nicht zupacken können, sondern “Ein Beruf für ganze Kerle”. (Der Ausdruck “ganzer Kerl” ist heutzutage kaum noch gebräuchlich. Ein “ganzer Kerl” sein meint soviel wie “körperlich und mental topfit sowie moralisch integer”.)
Die Abbildung des Plakats habe ich von der Internet-Seite “deisterbergbau.de” abfotografiert und den “Absender” mithilfe vom Lesebrille und Lupe hoffentlich korrekt entziffert: “Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge der sowjetischen Besatzungszonen in Deutschland- Ausbildung und Umschulung – Berlin”                                                                                                    Schon mein Urgroßvater Leopold, geboren 1861 in Loslau/Oberschlesien, wurde gegen 1890 durch die Werbung der westdeutschen Bergbauunternehmen ins Ruhrgebiet gelockt. Für meinen Urgroßvater, der damals gerade geheiratet hatte, war die Arbeit unter Tage die vielleicht einzige Chance, eine große Familie -seine Frau Carolina sollte 12 Kinder zur Welt bringen- dauerhaft zu ernähren. Vermutlich hat es schon damals Werbeplakate in Form von Aushängen gegeben, auf denen bereits das noch Jahrzehnte später gegebene Versprechen (s.o.) stand: “Arbeit und Brot auf Lebenszeit”.                                                                                                                                                                   Im Nachhinein mutet diese Parole zynisch an,  denn die “Lebenszeit” der meisten, zu Beginn ihrer Arbeit noch gesunden Bergleute war begrenzt. Dass sie schwere und schwerste Schädigungen der Lunge davontrugen, gepflegt werden mussten und früh starben, dürfte insbesondere den Verantwortlichen in der SBZ längst bewusst gewesen sein. Erstaunlich ist auch, dass man ausgerechnet in der sowjetischen Besatzungszone mit der Plakat-Werbung im großen Maßstab ein zentrales Kommunikations- und Machtmittel des Kapitalismus einsetzte.                                                                          Mein Urgroßvater “erkrankte” schwer an der Staublunge und starb 1916 im Alter von 55 Jahren als Berginvalide. Sein Sohn Karl, mein Großvater, geboren 1898 in Bottrop, starb am 14.Juni 1946, dem Geburtstag des selbsternannten “Bergarbeiterfreundes” Donald Trump, im Alter vom 57 Jahren an Lungentuberkulose als Folgeerkrankung der Staublunge. Aber was bedeutet eigentlich “Staublunge”? Unbedingt lesen: https://news.rub.de/wissenschaft/2018-08-28-bergbau-diagnose-staublunge

Elfchen im Achten: Lob des Pömpels

*30.8.1922

Kürzlich war unser Spülbecken verstopft. Immerhin lief das Wasser ab, wenn auch sehr langsam, anders als vor einem Jahr, am 14.Juli 2021, als sich während eines mehrstündigen(!) Wolkenbruchs das Wasser in den Abwasserrohren unseres Hauses bedrohlich staute und ich trotz eines komfortablen Abstands zur Flutkatastrophe an der Ahr, der Erft und anderswo eine Ahnung davon bekam, wie zerstörerisch Wasser sein kann.

Wenn man in die Suchmaschine “Abfluss verstopft” eingibt, werden einem zahlreiche Hausmittel empfohlen: Essig, Salz, Backpulver etc.. Man solle nicht gleich zur chemischen Keule greifen, so der allgemeine Tenor. Dankbar für den Vorschlag, die Verstopfung mit einem relativ sanften Gemisch zu lösen, rührte ich einen Brei an aus Wasser, Essigessenz und Salz.

Ich gab die Masse in den Abfluss, wartete, füllte kochendes Wasser nach, wartete wieder, doch das Spülbecken leerte sich nicht schneller als vorher. So schraubte ich den Siphon auseinander und entfernte ein paar lange Töchterhaare. Doch der Pfropfen schien tiefer zu sitzen. Darüberhinaus hatte ich ein neues Problem: Ich hatte es trotz Lesebrille nicht geschafft, die auseinander genommenen Einzelteile passgenau wieder zusammenzusetzen. Jetzt musste ich eine Schüssel unter den tropfenden Siphon stellen, die sich langsam mit Wasser füllte. Ich fühlte mich wie ein HB-Männchen, das seine Zigaretten verlegt hat.

So kam ich auf die Idee zu entrümpeln. Es würde mir gut tun, auf welche Weise auch immer für irgendeine Entschlackung zu sorgen. Ich schnappte mir einen Abfallsack und ging in den Keller. Das war gescheit, denn…

Beim

Ent-ri-rö-rümpeln fand

ich einen Pömpel.

Gurgelnd entflutschte brackige Schlacke…

Pöööölöpölöpöpp

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Pömpel. Die Scheu vieler Frauen, das Teil zu benutzen, hängt damit zusammen, dass der Pömpel der Saugglocke ähnelt, die bei etwa 6% aller Krankenhaus-Geburten zum Einsatz kommt. Dann nämlich, wenn das Kind auf seinem Weg in die Welt im geburtstechnisch so genannten “Geburtskanal” steckenbleibt und sich nicht weiter bewegt.           Bei der Saugglocken-Entbindung handelt es sich um einen vaginal-operativen Notfall-Eingriff, der für Mutter und Kind traumatisch sein kann. Doch in der witzelnden Sprache der Spaßgesellschaft wird die katastrophale Erfahrung zuweilen banalisiert und veralbert. Auf eltern.de heißt es in einem Beitrag mit dem Titel “Saugglocke bei der Entbindung: Wann und wie sie eingesetzt wird” locker-flockig: “Eine Saugglocke, auch Vakuumextraktor genannt, musst du dir vom Aussehen her wie einen Toiletten-Pümpel vorstellen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Sanitär-Artikel, sondern um ein medizinisches Instrument, dass eine Schale aus Silikon oder Metall hat und einen Stab, an dem gezogen wird. Mit einem mechanischen Unterdrucksystem wird die Saugglocke unter der Geburt am Köpfchen des Kindes befestigt.”  https://www.eltern.de/schwangerschaft (Den Rechtschreibfehler “…Instrument, dass…” habe ich, um das Zitat nicht zu verfälschen, bewusst nicht korrigiert.)

Zurück in den banalen Alltag: Im Nachhinein sage ich mir, dass ich mit Hilfe von Essig und Salz den Pfropfen vorbehandelt und auf diese Weise überhaupt erst pömpelbar gemacht hatte. Aber warum machen wir das, warum kippen wir eine aggressive Masse in den Abfluss und greifen nicht direkt zum Pömpel?

Der Pfropfen ist in unserer Vorstellung so ekelhaft, dass wir meinen, ihn kleinkriegen zu müssen. Beim Pömpeln hingegen zerstören wir den Pfropfen nicht, sondern vertreiben ihn. Dabei können sich schlierige, braungraue Fetzen lösen und an die Oberfläche kommen. Auch mir ist das passiert. Es war so fies, dass ich fast gekotzt hätte.

In einer Wissens-Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde uns im Jahr 2018 erklärt, welche Funktion der Ekel hat, warum wir uns überhaupt ekeln. Auf der Internet-Seite von “Planet Wissen”, einem Gemeinschaftsprojekt des Westdeutschen Rundfunks (WDR), des Südwestrundfunks (SWR) und von ARD-alpha, heißt es in der Text-Version zur Sendung: “Eine Ekelreaktion soll das Infektionsrisiko senken und im Extremfall durch den Brechreflex dafür sorgen, möglicherweise oder tatsächlich verdorbenes oder giftiges Essen schnell aus dem Körper zu befördern.https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/emotionen_wegweiser_durchs_leben/pwieekelwennabneigungextremwird100.html

Der Beitrag beschreibt die Funktion des Ekels, die Zweckmäßigkeit der Ekelreaktion für die Aufrechterhaltung der Gesundheit. Das mag medizinisch korrekt sein, ist aber zu kurz gegriffen und darüberhinaus ethisch bedenklich. Zwar zeigt der interessante Text unterschiedliche Facetten und beleuchtet das Ekelempfinden im historisch-sozialen Kontext, doch wie so oft fehlt auch hier einem naturwissenschaftlichen Beitrag die gedankliche Tiefe, das geistige Korrektiv.

Im selben Text benennt ein Satz, wovor wir uns angeblich ekeln: “Ein nahezu weltweit gemeinsamer Nenner sind jedoch Kot, Urin und Eiter sowie Leichen.” Die Gleichsetzung von Kot, Urin und Eiter mit Leichen ist meines Erachtens moralisch verwerflich. Ich behaupte -und ich drücke mich bewusst vulgär aus-, dass wir Menschen beim Anblick einer Leiche etwas anderes empfinden als beim Anblick eines Scheißhaufens.

Im Sendungs-Video mit dem betont sachlichen Titel “Ekel – Ein universelles Gefühl”, das man sich noch bis zum 26.2.2023 angucken kann (s.o, planet-wissen.de), holt man sich wissenschaftlichen Rat bei einem gepflegt auftretenden Ekel-Experten von der Universität Gießen, der sich angenehm sachlich ausdrückt. Gleichzeitig jedoch treibt der Film die Banalisierung der Vergänglichkeit reißerisch (mit Nah-Bildern!) auf die Spitze. Leichen gehören demnach zu den “Top 5” der Ekel- “Favoriten”. Eine entwürdigende, nach der Quote schielende populärwissenschaftliche Gruselshow!

Ich habe zweimal im Leben eine Leiche gesehen, die “sterblichen Überreste” zweier mir sehr naher Menschen. In dem Moment war ich befremdet, erschrocken und sprachlos. Ich war betäubt und empfand einen tiefen Schmerz, aber keinerlei Ekel.

„Schafe sind so sympathische Tiere” – Wie man das Vertrauen der Tiere in uns Menschen für Werbezwecke missbraucht

Ploumanach, 26.8.2022: Ich beobachte, wie eine Hornisse eine Wespe “umarmt”. Die Wespe hat unseren Frühstückstisch angesteuert, den Käse ignoriert und sich auf der Leberpastete, die nur ich esse, niedergelassen. Die Wespe ist so sehr in “meine” Pastete vertieft, dass sie die von hinten sich nähernde Hornisse nicht bemerkt. Die Hornisse packt die Wespe, hält sie umklammert und trägt sie mit sich fort. Was aussieht wie ein romantisches Liebesspiel, ist keines. Hornissen fressen Wespen und zerrupfen sie angeblich sogar in der Luft. Vgl.: https://www.stern.de/gesundheit/gesundheitsnews/hornissen-sind-die-perfekte-waffe-gegen-wespen—und-viel-harmloser-als-ihr-ruf-8230068.html

Doch die Hornisse stillt nicht nur den eigenen Hunger: “Die Arbeiterinnen erlegen auch oft Insekten, sogar Wespen! Die verarbeiten sie zu Futterbrei, den sie in ihrem Kropf transportieren. Zurück im Nest würgen sie das Futter heraus und füttern damit die Larven und andere Arbeiterinnen.” https://www.kindernetz.de/wissen/tierlexikon/steckbrief-hornisse-100.html

Das klingt brutal, ist aber für die Hornisse überlebensnotwendig. Anders als die menschliche Aggressivität ist die Angriffslust der Tiere -solange man ihnen ihren Lebensraum lässt- in naturgegebener Balance. Anders als (gestörte) Menschen töten Tiere nie nur um des Tötens willen. Tiere führen keinen Krieg.

Mich erstaunt es immer wieder, wie freundlich sich die Tiere uns Menschen gegenüber verhalten. Sie wissen nichts von Massentierhaltung, Schlachthöfen und Tierversuchen. Es übersteigt ihr Vorstellungsvermögen, dass liebesfähige Lebewesen so kalt und grausam sein können. Tiere greifen uns nur dann an, wenn sie sich bedroht fühlen. Weil sie nicht hinterhältig sind, haben sie uns gegenüber auch keine bösen Hintergedanken.

Tiere sind nicht feige, anders als (gestörte) Menschen, die die Tiere in ihre Macht-Spiele einspannen und sich daran ergötzen, dass die Tiere keine andere Chance haben, als mitzuspielen und nach des Menschen Pfeife zu tanzen, etwa im Flohzirkus. https://stellwerk60.com/2022/03/31/elfchen-im-dritten-olaf-muss-niesen/

Ich finde es unerträglich, wenn Menschen Tiere zu etwas nötigen und dann noch behaupten, die Tiere würden kooperieren. Anfang 2022 setzten Impffreunde aus Niedersachsen eine fragwürdige PR-Idee um. Diese Aktion wurde von den Medien positiv aufgenommen, kritische Stellungnahmen habe ich nicht gefunden. So heißt es z.B. auf aerztezeitung.de: „Noch immer ist etwa jeder fünfte Impfberechtigte in Deutschland noch nicht gegen COVID-19 geimpftHunderte Schafe und Ziegen haben jetzt ein Zeichen gesetzt.https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Riesige-Spritze-Schafe-und-Ziegen-werben-fuer-Corona-Impfung-425778.html

Nun haben hier nicht Schafe und Ziegen “ein Zeichen gesetzt”, sondern Menschen, die die „sympathischen“ Tiere für ihre (Werbe-) Zwecke benutzt und dabei -wie ich finde- verhöhnt und lächerlich gemacht haben. Die dpa-Nachricht zur PR-Aktion am 3.1.2022 wurde von zahlreichen Medien unkritisch übernommen und nur leicht variiert, etwa auf ndr.de:

Mit rund 700 Schafen und Ziegen haben Schäfer in Schneverdingen im Heidekreis eine rund 100 Meter große Spritze dargestellt, um für Impfungen gegen das Coronavirus zu werben. Das Ganze richte sich an die noch Unentschlossenen, so Organisator Hanspeter Etzold. “Schafe sind so sympathische Tiere, vielleicht können die die Botschaft so besser überbringen”, sagte er. Schäferin Wiebke Schmidt-Kochan hatte die Aktion vorbereitet und mit ihren Tieren mehrere Tage dafür geübt. Der Trick dabei: Sie verteilte vorher Brotstücke in Form der Spritze auf dem Boden. Als die Tiere dann auf die Wiese gelassen wurden, stürzten sie sich auf das Fressen und standen somit perfekt für das Motiv.https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Volle-Ampulle-700-Schafe-posieren-fuer-Corona-Impfung,aktuelllueneburg6684.html

Diese Impf-Euphorie war zu dem Zeitpunkt erstaunlich, denn Anfang 2022 zeichnete sich längst ab, dass die sich rasch ausbreitende Corona-Variante Omikron leichtere Krankheitsverläufe mit sich bringen würde. Dadurch war allerdings -schon Monate vor der entwürdigenden Entscheidung über eine Impfpflicht im Deutschen Bundestag- Nutzen und Sinn der weiteren Corona-Massenimpfung grundsätzlich in Frage gestellt. Nur wollte das keiner wissen, schon gar nicht der unbremsbare Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Karlimpf in allen Gassen, der noch nach Auftreten der Omikron-Variante medienwirksam Schul-Kinder impfte und bereits im Wahlkampf als Impfarzt hatte agieren dürfen. https://stellwerk60.com/2021/09/17/groko-stoppen-teil-2-der-titel-schuetzt-vor-torheit-nicht-impfarzt-prof-auflauerbach/

Wir können dankbar sein, dass sich in Südafrika, einem Land mit relativ geringer Impfquote, Ende 2021 die deutlich harmlosere Variante herausbilden konnte, denn nicht die Massenimpfung, sondern Omikron brachte die Wende.

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Offenbar gilt auch für Schafe und Ziegen: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Am 3.1.2022 sind 700 ausgehungerte Schafe und Ziegen dem Corona-Impfaktivismus auf den Leim gegangen. Die ohnehin schon karge Winter-Wiese hatte man zuvor so kahl geschoren, dass kein Grashalm mehr die Tiere ablenken konnte.  Drohnen-Aufnahme, abfotografiert von: https://www.welt.de/vermischtes/article236005760/Corona-Impfungen-700-Schafe-und-Ziegen-werben-als-riesige-Spritze.html
Quelle: dpa/Philipp Schulze

Wie leicht man Tiere in die Falle locken kann, wussten die Vogelfänger: https://www.geo.de/geolino/redewendungen/8566-rtkl-redewendung-auf-den-leim-gehen&nbsp

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Der klebrig-fiesen Fliegenfalle ähnelt diese Ziegenfalle.                                                                      Drohnen-Aufnahme, abfotografiert von welt.de   Quelle: dpa/Philipp Schulze

Geschichte von den sieben jungen Geißlein und der klugen Wölfin – Die Zauberkraft der Ziegenmutterliebe

“Ich fürchte, die Tiere betrachten den Menschen als ein Wesen ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Tierverstand verloren hat…” (Friedrich Nietzsche, “Die fröhliche Wissenschaft”)

Erst kürzlich hat sich die Geschichte tatsächlich noch einmal zugetragen. Ganz in unserer Nähe, außerhalb eines alten Dorfes und doch in den Tiefen des Waldes, die es immer noch gibt. Dort lebten in Waldabgeschiedenheit eine Geiß und ihre sieben jungen Geißlein.

Die Geiß hatte ihren Kindern das Märchen einige Male erzählt, doch -so bitter es auch war- konnten die sieben jungen Geißlein nur glauben, was sie selber erlebt hatten. Daher hatten sie nichtsahnend den Wolf schon bei seinem allerersten Täuschungsversuch ins Haus gelassen.

Als die Geiß nach Hause kam, wusste sie sofort, was passiert war. Sie geriet nicht in Panik, sondern behielt einen klaren Kopf. Sie spürte, wie ihr Herz schlug, aber sie schrie nicht, sondern rief nacheinander die Namen ihrer sieben Geißlein. Keines gab ihr eine Antwort. Erst als das jüngste an der Reihe war, hörte sie aus dem Uhrkasten ein leises “Mama?”

Obwohl sie die Antwort kannte, ließ sie ihr Kind erzählen, was genau passiert war. Die Geiß weinte bitterlich, behielt aber einen klaren Kopf. Und weil sie ihr Nähzeug gut pflegte, Schere, Nadel und Faden immer für den Notfall parat lagen, schaffte sie es, ihre Kinder, die heil geblieben waren, zügig aus dem Wanst des schlafenden Wolfes zu befreien. Sie füllte seinen Bauch mit Wackersteinen, die die Kinder eilig gesammelt hatten, und nähte ihn so gut zu, dass die Steine nicht herausfallen konnten.

Doch was nun? Wenn der Wolf auch tot war, so waren seine sterblichen Überreste noch immer im Brunnen, wohin sich das durstige Tier mit letzter Kraft geschleppt hatte. Anders als ihre Kinder, die nur kurz nach dem Unglück wieder übermütig gespielt hatten und jetzt eng aneinander gekuschelt tief schliefen, tat die Geißen-Mutter in der Nacht kein Auge zu. Es war entsetzlich, einen toten Wolf im Brunnen zu wissen. Das Dorf war längst an die Kanalisation angeschlossen, aber der letzte öffentliche Brunnen stand unter Denkmalschutz und wurde so gut gepflegt, dass sein Wasser zwar nicht den Menschen, aber den Tieren bekam. Wie sollte sie jemals wieder an das köstliche Wasser kommen? Und was war mit den alten Dorfbewohnern, die sich an sonnigen Tagen beim Brunnen trafen, bevor sie sich unter der Schatten spendenden alten Linde auf die Bank setzten?

An dieser Stelle schwieg das Märchen. Über den Brunnen mit dem toten Wolf darin war nichts weiter zu erfahren. Die Geiß kam ins Grübeln: Sollten ausgerechnet sie und ihre sieben Kinder diejenigen sein, die viele Jahre später das Märchen weiter erlebten und die Geschichte zu Ende erzählten?

Wie dem auch war: Sie musste die Angelegenheit öffentlich machen, es gab keine andere Wahl. Allerdings würde sie auf diese Weise die Menschen auf sich aufmerksam machen, und vielleicht wäre es dann mit der Waldeinsamkeit für immer vorbei. So bat sie am Morgen die Spatzen, in die nächstgrößere Stadt zu den Menschen zu fliegen und es von den Dächern zu pfeifen.

Da ein Notfall vorlag, stand schon nach wenigen Stunden eine Spezialeinheit des Gesundheits- und des Veterinäramts vor der Tür. Die alte Geiß führte die Personen zum Brunnen. Vermummte Hygienekontrolleure machten sich vor Ort ein Bild und informierten die Feuerwehr, die mit schwerem Gerät anrückte und die sterblichen Überreste des Wolfes aus dem Brunnen hob.

Drei Tage später wurde der Kadaver -nachdem man ihn auf Anzeichen von Tollwut untersucht hatte- der Tierverwertung zugeführt. So konnte sich, wie es hieß, das Biest posthum nützlich machen, auch bannte man auf diese Weise jegliche Verseuchungsgefahr. Der Brunnen wurde von Spezialkräften gründlich desinfiziert und wenige Tage später unter Vorbehalt wieder freigegeben.

Da der Wolf tot war, bräuchten die sieben Geißlein, wie der Leiter der Spezialeinheit ihnen mitteilte, keine Angst mehr vor ihm zu haben. Offenbar handelte es sich um einen alten Rüden, der kein Rudel mehr hatte und deshalb böse geworden war. Um die Gefahr weiterer Wölfe ausschließen zu können und die Sicherheit der Geißlein zu gewährleisten, hatte man den Wald Meter um Meter durchforstet. Bei der Aktion hatte man keinen Wolf, aber einige junge Menschen aufgestöbert, die ausgewandert, aber nicht weit gekommen waren.

Der Wald war frei von Wölfen. Die alte Geißlein spürte ihr liebendes Herz schlagen, aber sie behielt einen klaren Kopf. Sie nahm die Kinder mit in den Wald und zeigte ihnen, wie sie Futter finden konnten. Als die sieben Geißlein für sich selber sorgen konnten, ging sie auf eine kleine Reise. Eines Morgens nahm sie letztes Mal das kleinste Zicklein an ihre Zitzen und verabschiedete sich: “Auf Wiedersehen, meine lieben Sieben. Ich gehe zu den Menschen, aber ich bin bald wieder da. Wenn Menschen kommen, lasst sie ruhig ins Haus. Aber nehmt euch in Acht, wenn sie euch zu etwas einladen oder euch etwas schenken wollen. Wir müssen Zeit gewinnen, deshalb sagt:Wir sagen NEIN. Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

“Sind denn die Menschen nicht lieb?”, fragte das jüngste Geißlein.

“Eigentlich schon”, sagte die alte Geiß und seufzte. “Die Menschen werden nicht böse geboren, aber oft machen sie mit der Zeit so schlechte Erfahrungen, dass sie böse werden.”

“Schlechte Erfahrungen mit Wölfen?”, fragte ein Geißlein. Jetzt schüttelte die Geiß den Kopf und lachte.

“Und woher sollen wir wissen, wer böse ist?”, fragte ein anderes.

“Hört auf die Vögel”, sagte die Geiß. “Seid auf der Hut, wenn die Krähe siebenmal krächzt, doch freut euch, wenn die Amsel singt.”

Die Geiß machte sich auf den Weg. Aber sie setzte sich nicht in Bus oder Bahn, sondern begab sich ins Rathaus. Sie trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein und bekam als erste Ziege überhaupt das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Präsident war nicht persönlich erschienen, wohl aber die Bürgermeisterin.

Ebenfalls mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde der Inhaber eines Geschäfts für Karnevalsbedarf, der dem Wolf den sogenannten “magischen Strumpf” geschenkt hatte. Dieser Strumpf stellte inklusive Kunststoff-Klaue den unteren Teil eines Ziegenbeins dar, ließ sich leicht überstreifen und hatte dem Wolf wie angegossen gepasst. Ohne den genialen Geschäftsmann, so betonte die Bürgermeisterin in ihrer Rede, wäre die Geschichte wohl nicht so glimpflich verlaufen. Hätte der Verkäufer nicht dem Wolf geholfen, sich als Geiß zu verkaufen, hätte sich die Bestie über die Menschen hergemacht.

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Die großen Märchen erzählen nicht nur die eine, sondern viele Geschichten. Die Illustratorin Tatjana Hauptmann versteht es, mit Liebe zum Detail das scheinbar Nebensächliche in den Vordergrund zu holen. Warum warnen Krämer, Müller und Bäcker die Geißlein nicht, wo sie doch wissen, dass der Wolf was im Schilde führt und Geißlein seine Leibspeise sind? “Ja, so sind die Menschen”, heißt es im Märchen. Eine genauere Antwort gibt diese Illustration. Abfotografiert aus: Christian Streich (Hrsg.): “Das große Märchenbuch. Die schönsten Märchen aus ganz Europa”, mit Illustrationen von Tatjana Hauptmann. 

Die Verleihung dauerte bis zum Abend. Beim festlichen vegetarischen Dinner wurden mit Rücksicht auf die Geiß keinerlei tierische Produkte gereicht – inklusive der sonst üblichen Käseplatte mit Crottin de Chavignol, einer berühmten französischen Ziegenkäse-Spezialität mit echtem Ziegenaroma. Die Geiß wurde anschließend in ein Wellness-Hotel gebracht, wo man im zweiten Stock ein Zimmer artgerecht für sie hergerichtet, das Bett beiseite geschafft und die Schlafstelle mit Stroh ausgelegt hatte.

Das Zimmer war geräumig, was umso erstaunlicher war, da gemäß den EU-Rechtsvorschriften selbst im ökologischen Landbau eine Stallfläche von nur 1,5 Quadratmetern je Ziege das vorgeschriebene Minimum war. Den Wellness-Bereich durfte die Geiß aus Rücksicht auf andere Gäste nicht betreten, aber sie hatte eine große Badewanne für sich alleine. Sie würde sich ein paar Tage ausspannen. Und sie spürte, dass es sehr erholsam sein würde, einmal nicht für die Kinder sorgen zu müssen.

Bevor sie sich schlafen legte, kontrollierte sie noch kurz Tür und Fenster. Die Zimmertür war von außen verriegelt, aber die beiden großen Fenster ließen sich öffnen. Als sie jung war und noch keine Kinder hatte, hatte die Geiß, wenn Vollmond war, eine unendliche Sehnsucht verspürt. In sternklaren Nächten war sie schlafend durchs Haus gelaufen und hatte die Fenster, die so klein waren, dass kein Geißbock hätte hindurchklettern können, so weit aufgerissen, wie es nur möglich war.

Die alte Geiß spürte ihr liebendes Herz schlagen, aber sie behielt einen klaren Kopf. Anders als der Wolf würden die Menschen ihre Gier zügeln können. Sie zogen die Ziegenmilch dem Ziegenfleisch vor und gehorchten nicht nur der schieren Gier, sondern Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen. Die Menschen hatten ihr als erster Ziege überhaupt das Bundesverdienstkreuz verliehen, also würden sie ihr und den sieben Geißlein gegenüber gewisse Spielregeln einhalten müssen.

Am nächsten Morgen, während sie so tief schlief wie schon lange nicht mehr, war im Waldhaus bereits der Bär los bzw. die Ziege. Die sieben Geißlein hatten sich aus Tisch, Stühlen und Kochtöpfen einen Kletterhügel gebaut. “Kinder!”, schrie jemand vor der Tür, “könnt ihr mal leise sein?” Die Geißlein erschraken, und es wurde so still, dass sie durch die geöffneten Fenster hindurch eine Krähe krächzen hörten, die über das Haus hinweg flog. Die Ziegenkinder zählten mit: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben… Jemand klopfte energisch an die Tür. Als das älteste Geißlein aufmachte, traten zwei Menschen-Frauen ein, die eine dunkelhaarig, die andere blond.

“Ihr seht ja gar nicht böse aus”, sagte das jüngste Geißlein.

“Wir sind ja auch lieb”, sagte die eine der Frauen. “Und wir bieten euch unsere Hilfe an.”

“Wir kommen vom Jugendamt”, sagte die andere. “Ihr habt weder Hausnummer noch Klingel noch Strom noch fließend Wasser noch Telefon. Kopf hoch, das kriegen wir schon hin.”

Die Blonde lächelte: “Die Mama muss sich noch eine Weile ausruhen. Sie war ja völlig überfordert. Aber sagt, wer passt auf euch auf, wenn die Mama nicht da ist, wer sagt euch Bescheid, wenn ihr schlafen gehen sollt?”

“Wir sind doch nicht doof.”

Die Blonde lächelte noch breiter: “Ja, aber bis dahin muss jemand das Sorgerecht übernehmen. Aber sagt, wo ist der Papa?”

“Der baut leider immer wieder Bockmist”, sagte das älteste Geißlein.

“Also hat eure Mutter das alleinige Sorgerecht.”

“Sowas hat die Mama nicht.”

“Das werden die Experten klären”, sagte die Blonde und holte ein Blatt Papier aus der Tasche. “Könnt ihr bitte dieses Formular unterschreiben? Hiermit erklärt ihr, dass ihr Hilfe braucht. Klauenabdruck reicht.” Durchs Fenster hindurch hörten die sieben Geißlein das siebenmalige Krächzen der Krähe, die über das Haus hinweg flog.

Sechs Geißlein fingen an zu weinen, nur das älteste nicht. “Das unterschreiben wir nicht”, sagte es.

“Ihr braucht aber dringend professionelle Hilfe”, sagten die beiden Frauen.

“Brauchen wir nicht”, sagte das älteste Geißlein. “So ein Quatsch.”

Die Geißlein hörten auf zu weinen. “So ein Quatsch”, wiederholte das jüngste und lachte.

“So ein Quatsch”, wiederholten die anderen Geißlein.

Wir sagen NEIN”, sagte das älteste Geißlein. Und alle Geißlein fielen ein: “Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

Als die Frauen gegangen waren, waren die Geißlein wie erlöst. Sie riefen: “Die Menschen sind weg! Die Menschen sind weg!” Sie liefen aus dem Haus, rannten auf die Wiese und tanzten vor Freude um den Brunnen herum.

Wenige Tage später hörten die Geißlein, während sie frühstückten und sich dabei mit Brombeeren bewarfen, durch die geöffneten Fenster hindurch wieder die Krähe krächzen, die über das Haus hinweg flog: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben…. Das jüngste Geißlein öffnete die Tür, aber da war niemand.

“Wir sollten jetzt lieber aufräumen”, sagte das älteste Geißlein. Und das taten sie auch.

Als die Krähe eine Stunde später noch einmal siebenmal krächzend über das Haus flog, standen zwei Menschen vor der Tür. Die Geißlein ließen die Menschen ins Haus, einen Mann und eine Frau. Die beiden Menschen waren weiß gekleidet, trugen lange Hosen und geknöpfte Jacken: “Guten Tag, liebe Kinder.”

“Guten Tag auch”, sagten die Geißlein, “aber warum habt ihr weiße Klamotten an?”

“Aus Gründen der Hygiene”, war die Antwort. Die Frau rümpfte schnuppernd die Nase.

“Ich weiß, warum ihr weiße Sachen anhabt”, sagte das jüngste Geißlein und lachte. “Damit man fiese Flecken besser sehen kann.”

“Welche fiesen Flecken?”, fragte die Frau. “Was unterstellst du uns da?”

Jetzt lachten alle sieben: “Aber ihr habt da was.”

“Was?!” schrie der Mann.

“Krähenschiet”, sagte ein Geißlein. “Nehmt das nicht persönlich, ist uns auch schon passiert.”

“Lecker roter Brombeerschiet”, lachte das jüngste Geißlein. “Amsel-Kaka.”

“Iiieh!”, schrie die Frau und suchte sich und den Kollegen nach Flecken ab. “Da ist nichts. Wollt ihr uns an der Nase herumführen?”

Jetzt lachten alle sieben Geißlein und sangen: “Kirschenschiet, Walderdbeerschiet, Brombeerschiet, igittigitt, Amsel-Kaka, Krähenschiet, Vogelschiet, igittigitt, Kirschenschiet, Walderdbeerschiet, Brombeerschiet, igittigitt, Kirschenschiet…”

“Pst”, unterbrach die Frau. “Schafft ihr es, kurz ruhig zu sein? Wir möchten euch etwas mitteilen.”

“Meinetwegen”, sagte das älteste. “Aber mach’s kurz.”

“Liebe Kinder, hört uns zu. Wir brauchen von euch eine Ziegenmuttermilch-Verzichtserklärung. Die Milch eurer großartigen, klugen und couragierten Mutter dürfte eine besondere sein. Wir wollen sie erforschen und entschlüsseln.”

“Mamas Milch gehört mir”, sagte das jüngste Geißlein. “Ihr kriegt keine Verzitzicherung.”

“Verzichtserklärung”, sagte die Frau. “Du weißt ja nicht einmal, wovon du redest, mein Kind. Du denkst nur an dich. Dabei müssen wir doch zusammenhalten.” Die Frau schob die Unterlippe vor. “In den Laboren ist schon alles vorbereitet, die Forschungsprojekte sind finanziert. Wir haben namhafte Sponsoren gewinnen können. Jetzt fehlt nur noch…” Sie schaute ihren Kollegen aufmunternd an.

“Die Ziegenmuttermilch-Verzichtserklärung”, ergänzte der Mann. “Seht ihr, was ihr angerichtet habt? Liebe Kinder, wir müssen doch kooperieren. Wir werden jeden Tag bei euch vorbeikommen und eurer Mutter etwas Milch abnehmen. Aber wir fassen eure Mutter nur mit antiseptischen Samthandschuhen an.” Er zwinkerte mit dem Auge. “Aus Kunststoff natürlich. Mit Hilfe der wunderbaren Milch eurer wunderbaren Mutter werden wir die Formel finden und den Welthunger besiegen können. Wollt ihr das nicht?”

Die Geisslein zuckten zusammen. “Ich will zu meiner Mama”, sagte das jüngste.

Jetzt schrie der Mann: “Ihr wollt wohl nicht teilen. Wollt ihr alles für euch behalten, wollt ihr für den Hunger von Millionen Menschen-Kindern verantwortlich sein?”

“Das wollen wir nicht”, sagte das älteste Geißlein. “Aber das sind wir auch nicht. Was Sie sagen, ist leider wissenschaftlich nicht haltbar. Wir sagen NEIN. Wieder fielen alle Geißlein ein: “Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

Als die beiden Menschen gegangen waren, waren die Geißlein wieder wie erlöst. Sie riefen: “Die Menschen sind weg! Die Menschen sind weg!” Sie liefen aus dem Haus, rannten auf die Wiese und tanzten vor Freude um den Brunnen herum.

Am Sonntag war die Luft rein. Die Geißlein hatten lange geschlafen, denn am Wochenende würden die Mitarbeiter der Ämter kaum vorbeikommen. Sie sehnten sich nach ihrer Mutter, die so lustig sein konnte, lecker kochte und jetzt schon eine Woche weg war. Jemand klopfte an die Tür, die nur angelehnt war. Die Amsel mit dem goldenen Schnabel sang der Singvögel Hochzeitslied, so schön. Eine dunkle Pfote wurde sichtbar. “Darf ich reinkommen? Mein Name ist Metis. Ich bin eine Wölfin.”

“Kannst reinkommen”, sagte das jüngste Geißlein und schluckte, denn die Wölfin, die sich ins Haus schleppte, war groß, ihr Fell dunkel.

“Ich habe Durst”, sagte die Wölfin mit heiserer Stimme. “Habt ihr Wasser für mich? Alle Bäche sind ausgetrocknet.”

Die Geißlein füllten einen großen Topf mit Brunnenwasser. Die Menschen tranken Leitungswasser und gossen nur noch ihre Pflanzen damit, aber für Ziegen und Wölfe war das Brunnenwasser durchaus bekömmlich. Die Wölfin trank den Topf leer und sagte höflich: “Danke.”

“Warum hast du so große Zähne?”, fragte ein Geißlein.

“Damit ich besser beißen kann. Kein Bange. Ich habe euch zum Fressen gerne, aber ich fresse euch nicht.” Die Wölfin lächelte und zeigte ihre großen Zähne. “Außerdem bin ich satt. Ich habe vorhin ein verletztes Kaninchen… Tut mir leid.”

“Das muss dir nicht leid tun”, sagte ein Geißlein. “Selbst die Singvögel fressen Tiere. Sie füttern ihre Jungen mit Würmern, weil die Würmer lecker weich sind. Vögel haben leider keine Milch. Außerdem kann ja nicht jedes Tier so vernünftig sein wie wir Ziegen.”

“Der Wolf, der euch verschlungen hat, war kein gewöhnlicher Wolf”, sagte die Wölfin. “So irre ist kein Tier, das man nicht verrückt gemacht hat. Die Menschen müssen ihn zum Selbstmordattentäter abgerichtet haben. Ein gewöhnlicher Wolf würde niemals sieben Geißlein auf einmal verschlingen. Er würde sich… ” Die Wölfin schluckte und sprach leise weiter: “Ein gewöhnlicher Wolf würde sich ein einzelnes Geißlein vornehmen und es zwischen den Zähnen…”

“Bist du wohl ruhig!”, schrieen die Geißlein und hielten sich die Ohren zu.

“Ich wollte euch nicht zu nahe treten”, sagte die Wölfin. “Aber ich glaube, ihr habt einen verdammt guten Schutzengel. Sonst hättet ihr die Gier des Wolfes wohl kaum überlebt.”

“Hä?” Das jüngste Geißlein lachte: “Bei dir piept’s wohl.”

“Ich weiß, dass euch himmlische Energien geholfen haben”, sagte die Wölfin.

Jetzt kugelten sich die Geißlein vor Lachen, sechs von den sieben rannten aus dem Haus und auf die Wiese. Endlich spielen! Das Wetter war schön und diese Wölfin wirklich ein bisschen bescheuert. Aber so waren die Erwachsenen eben.

“Was ist los mit den Menschen?”, fragte das älteste Geißlein, das bei der Wölfin geblieben war.

“Die Menschen-Männer sind nicht satt zu kriegen”, sagte die Wölfin. “Das macht sie gefährlich. Vor lauter Geld sind sie blind für den Reichtum der Welt, und in ihrer Liebe zur Technik nehmen sie die Schönheit der Natur nicht mehr wahr. Doch weil sie ihre Männer trotz alledem lieben, ziehen die Frauen mit in den Krieg gegen die Menschen und die Tiere. Sie vergessen, dass sie Frauen sind. Dabei verraten sie ein Gefühl, das alle Frauen haben, ob sie Mutter sind oder nicht: Die Mutterliebe.”

“Darüber muss ich noch nachdenken”, sagte das Geißlein.

Die Wölfin zeigte lächelnd die Zähne. “Aber jetzt hol deine Geschwister. Wir wollen doch die Mama aus der Geiselhaft befreien.”

Das älteste Geißlein erschrak. “Die Mama ist doch nicht in Geißenhaft”, sagte es.

“Was glaubst du denn, wo sie ist?”, fragte die Wölfin. Das Geißlein lief schnell nach draußen und holte seine Geschwister. Sehr ernst setzten sich die sieben Geißlein zu Metis in den Kreis, hielten sich an den Klauen und schlossen die Augen…



Wenig später war zu lesen, dass die Geiß, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, aus der Wellness-Oase verschwunden sei, spurlos. Die Verantwortlichen machten sich große Sorgen, denn die Fenster waren weit geöffnet gewesen. Vermutlich war die Geiß aus dem Fenster gefallen, woraufhin ein streunender Aasfresser, vermutlich ein Wolf, ihr Fleisch in sein Versteck geschleift hatte.

Verschwörungstheoretikern fiel auf, dass unter dem Fenster keine Spuren zu finden waren. Sie sprachen von einem fliegenden Teppich, auf dem die Geiß geflohen sein könnte. Viele verrückte Ideen wurden geäußert. Und das fliegende Rettungsboot aus lauter Vögeln, aus Krähen, Amseln und Spatzen, aus Lachmöwen und Halsbandsittichen, das ein alter Mann gesehen haben wollte, gab es nur im Märchen.

Noch etwas war nicht mehr zu finden: Das Waldhaus. Die Navigationssysteme zeigten Standort und Weg an, aber ein Polizeiwagen war im Morast steckengeblieben, was angesichts der anhaltenden Trockenheit erstaunlich war. Ausgeschickte Drohnen verschwanden spurlos.

Man hatte die Geiß und die sieben Geißlein nie wieder gesehen. In der Nähe des Brunnens jedoch entdeckte man immer wieder frische Ziegenhuf-Spuren.