“Buhoo”, “Uhju” und “Ohuuu” – Erinnerung an unseren Hütehund Freki

*3.3.2010

Silvester 2016: Freki am Strand von Bergen aan Zee

Vor etwa drei Jahren hat mich am Eingang der Siedlung einmal ein freundlicher Radfahrer angesprochen. Er stellte sich als Sozialarbeiter der Stadt Köln vor. Seine Aufgabe war es, sich vor Ort ein Bild vom sozialen Klima in der autofreien Siedlung zu machen. Konkret wollte er wissen, ob es abendliche Ruhestörungen gäbe, denn bei der Stadt gingen immer wieder Meldungen ein. Mich sprach er an, weil sich, wie er sagte, niemand so gut in einem Wohnumfeld auskenne wie die Menschen, die mit Hunden zusammenleben. Schließlich müssen Hunde zu verschiedenen Tageszeiten ausgeführt werden, auch am späten Abend.

Allzu viel konnte ich zu den Ruhestörungen nicht sagen. Am späten Abend mache ich einen Bogen um die zwei Tischtennisplatten in der Nähe der KiTa, wo manchmal fiese, angespannte Männer rumhängen, denen nichts Besseres einfällt, als Bierflaschen zu zerdeppern. Schlägereien habe ich aber nie mitgekriegt. Freki war mir da ähnlich, er ist möglichen Beißereien von vornherein aus dem Weg gegangen und wurde nur böse, wenn man ihn bedroht hat. Manchmal hat er schon von weitem Hunde angeknurrt, mit denen “etwas nicht stimmte”. Unser verspielter Hund wurde dann mit einem Mal starr und angespannt. Er hatte -wie viele Hütehunde- ein sicheres Gespür für scharf gemachte, von Menschen abgerichtete Artgenossen. Deren für mich kaum wahrnehmbare latente Beißbereitschaft muss Freki “gerochen” haben. Wenn Gefahr droht, bemerken das die sensiblen Hunde oft eher als wir.

Manchmal konnte ich mich abends kaum noch dazu aufraffen, mit Freki eine Runde zu drehen. Aber wenn ich dann einmal draußen war, war ich oft länger unterwegs, als ich mir vorgenommen hatte. Ohne Freki wüsste ich nicht, dass in der Nähe der Nippeser S-Bahn-Trasse einige Füchse leben, die spätabends auch durch die autofreie Siedlung streifen.

Die vierbeinigen Fressfeinde des Fuchses dürften kaum bis in die Siedlung vordringen, aber was ist mit denen, die fliegen können?

Nur dank Freki habe ich mitbekommen, dass im Sommer 2022 am Rand der autofreien Siedlung ein Uhu gelandet ist. Von dem außergewöhnlichen Besuch erzählte mir eines Abends ein Bekannter aus der Nachbarsiedlung Werkstattstraße, der hier allabendlich seinen Hund ausführt. Er zeigte mir die Stelle, wo er drei Tage zuvor eine “extrem große Eule” gesehen hatte. Sie saß auf einem Pfosten des Zauns hinter der KiTa “Lummerland”. (Interessanterweise waren Freki und ich an genau der Stelle einige Wochen zuvor einem grauen Jungfuchs begegnet.) Als mein Nachbar näher kam, ist der Vogel weggeflogen. Und dieses Abheben war beeindruckend, denn die Spannbreite der Flügel war enorm: “Es waren bestimmt anderthalb Meter”. “Ein Uhu?”, fragte ich. Mein Nachbar zuckte die Achseln. Dass er mitten in Köln-Nippes einem Uhu begegnet sein sollte, konnte er kaum glauben.

Als ich nach Hause kam, stellte ich gleich den Rechner an. Es gibt tatsächlich noch (oder wieder) Uhus im Kölner Raum! Vor ein paar Jahren haben der NABU Stadtverband Köln und die NABU Naturschutzstation Leverkusen Köln ein gemeinsames Projekt gestartet: „Eulen im Kölner Raum.“ Im Rahmen dieses Projekts sind wir Kölnerinnen und Kölner aufgerufen, alle Eulen, die wir bemerken, zu melden. “Wenn Sie nächtliche Rufe vernehmen oder lautlos ein Tier über sich fliegen sehen, schreiben Sie Ort, Datum, Uhrzeit und die Art der Eule bzw. die Beschreibung des Rufes auf und melden es uns …https://www.nabu-koeln.de/projekte/eulenprojekt/. Der Aufruf war erfolgreich, denn im Jahr 2020 sind neben anderen Eulen drei Uhus und im Jahr 2021 sogar vier Uhus “gesichtet” worden. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit darüber liegen.

Dass ein Uhu am Rand einer dicht gebauten Wohnsiedlung landet und eine ganze Weile auf einem vielleicht zweieinhalb Meter hohen Zaunpfosten hockt, kommt natürlich nur selten vor. Ich sehe den Besuch der großen Eule auch als warnenden Hinweis. Noch hat man die hier wild lebenden oder landenden Tiere nicht restlos vertreiben können. Doch sollte das von der Deutschen Bahn geplante Zuführungsgleis tatsächlich gebaut werden, dürfte es mit überraschenden, wundersamen Begegnungen zwischen Mensch und Tier wohl für immer vorbei sein.

Der Nippeser Uhu hat an dem Abend keinen Laut von sich gegeben, auch nicht den, nach dem er benannt ist. “Ebenso charakteristisch ist sein namensgebender Balzruf: Das dumpfe, bis zu einem Kilometer weit tragende “buhoo” des Männchens und das hellere “uhju” des Weibchens verraten seine Anwesenheit auch, wenn man ihn nicht zu Gesicht bekommt. Die Rufe werden im Acht- bis Zehnsekundentakt aneinandergereiht, dienen der Revierabgrenzung und sind ganzjährig zu vernehmen. In der Herbst- und Frühjahrsbalz hört man sie oft im Wechselgesang, nur selten dagegen während der Brutzeit.” https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/2005-uhu/02779.html.

Tiefe Laute der Liebe können auch Hunde ausstoßen. Einmal ist Freki -wenn auch nur zum Schein- Vater geworden. Soweit ich mich erinnere, war es im Frühsommer 2015. Freki war fünf Jahre alt. Hündin Mona (Name geändert), die damals noch in Stellwerk 60 lebte, war läufig und Freki nicht zu halten. Tagsüber hielt sich seine Sehnsucht in Grenzen, aber am Abend (alle, die jemals Liebeskummer hatten, kennen das) wurde Freki sehr traurig. Er winselte leise und seufzte. Eines Abends stellte sich Freki mitten in den Raum, hob die Schnauze, legte den Kopf in den Nacken und heulte mit tiefer Stimme: “Ohuuu…” Der Kopf kam kurz nach vorne, doch das Spiel begann von neuem: “Ohuuu”.

Ein paar Wochen später erzählte mir Monas Besitzer, dass die Hündin scheinträchtig war. Von wem, das traute ich mich nicht zu sagen. Mona musste Frekis Wolfsgeheul durch die zweifach verglasten Fensterscheiben hindurch gehört haben.

Das ist nicht Mona, sondern die Französin Colette (Name geändert), die im August 2021 in Perros-Guirec/Bretagne Urlaub machte. Freki und ich trafen Colette oberhalb vom Plage de Trestraou. Da Hunde in der Hauptsaison nicht an den Strand dürfen, was nicht unvernünftig ist, gingen Freki und ich -während sich unsere jungen Begleiterinnen am Strand amüsierten- spazieren. Leider konnte ich mich in keines der Cafés setzen, denn dann hätte ich geimpft, genesen oder (frisch) getestet sein müssen, was ich alles nicht war. Freki fand Colette doof und kokett, ich war entzückt. Ihre Besitzerin, die vermutlich permanent Anfragen bekommt, erlaubte mir, die fotogene Hündin zu fotografieren. Voilà!

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Anfang November ist auf unserer Terrasse an einem frühen Vormittag ein Turmfalke gelandet. Meine Tochter und ich bemerkten ihn durch die Fensterscheibe hindurch. Plötzlich schrie meine Tochter: “Der hat ja einen Vogel im Schnabel!” Sie riss die Terrassentür auf, aber der Falke ließ den piependen Vogel nicht los, sondern flog mit ihm davon. In dem Moment wussten wir, dass Freki, der schon sehr krank war, nicht mehr lange leben würde.

Maus im Bauch: Turmfalken-Weibchen Am Alten Stellwerk, Herbst 2019

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Freki musste am 7.11.2022 “eingeschläfert” werden. Dass man in der Tierheilkunde nicht davor zurückschreckt, die Prozedur “Euthanasie” zu nennen, wusste ich bis dahin nicht.

Wäre unser Garten größer, hätten wir die “sterblichen Überreste” dort begraben. So aber war die Einäscherung eine annehmbare Möglichkeit, den Körper vor der Entsorgung in der Tierbeseitigungsanlage zu bewahren. Am vergangenen Freitag wäre Freki 13 Jahre alt geworden. Meine Tochter und ich sind zum Rhein gefahren und haben in der Riehler Rheinaue, die Freki so sehr liebte, in dem Moment, als die Sonne sich kurz zeigte, einen Teil seiner Asche versenkt.

August 2018: Sennen Cove/Land’s End, Cornwall.

Biblische WONDER WOMEN: Die wundersamen Schwangerschaften der unfruchtbaren Elisabeth und der Jungfrau Maria

Die Wunder Jesu, die uns das Neue Testament erzählt, waren einmal spektakulär. Zu den bekanntesten gehören die Heilung eines Mannes, der von Geburt an blind ist, die Speisung der Viertausend mit fünf Broten und zwei Fischen und der Gang über den See Genezareth.

Doch als Menschen des 21. Jahrhunderts wissen wir, dass sich Wunder fingieren lassen. Mit der Erfindung von Comic-Superhelden wie Batman, Superman und dem weiblichen Pendant Wonder Woman sowie der Entwicklung filmischer Tricksequenzen haben die Wunder Jesu endgültig an Überzeugungskraft verloren. Selbst Theologen stellen sich die Frage, ob die Wunder Jesu tatsächlich stattgefunden haben, schon lange nicht mehr. “Dass die Wunder eins zu eins so passiert sind, wie es in der Bibel steht, schließen die meisten Theologen heute aus. Die Erzählungen sind nicht vom Einfluss anderer Geschichten zu trennen und auch nicht von dem, was die Gläubigen nach Jesu Tod als Ausschmückung dazuerzählten. Bis die Evangelien aufgeschrieben wurden, vergingen Jahrzehnte. Keiner der Evangelisten hat Jesus persönlich kennengelernt.https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/sind-die-wunder-wirklich-geschehen-20727

Da ist es umso verwunderlicher, dass die Wunder Jesu immer noch eins zu eins ernstgenommen werden, wenn auch als Vorlage für Wissenschafts-Ulk. Jack Pop (MDR Wissen) versucht in einem YouTube-Auftritt zu Ostern 2020, die “Wunder” aus Sicht der Wissenschaft zu entlarven. In welche Trickkiste, so der Tenor des Beitrags, könnte Jesus gegriffen haben? Hat er etwa bei der Verwandlung von Wasser in Wein in Wirklichkeit das Wasser nur rot eingefärbt und dafür zu Kamin gegriffen, einem Extrakt aus der Schildlaus? Pops Sprache ist aufgesetzt lässig. Um sich bei der Zielgruppe “Junge Erwachsene” beliebt zu machen, spricht er eine saloppe “Jugendsprache”. Wortwörtlich: “Was, wenn der Heiland nur ein krasses Wissenschaftsgenie war?”

Nun finde ich es höchst fragwürdig, wenn man die Wunder Jesu “wissenschaftlich” beleuchtet und auf diese Weise veralbert. Schließlich handelt es sich bei der Bibel nicht um irgendein Buch. Die Bibel ist ein voluminöses Grundlagenwerk und hat nicht nur unser Menschen-, Gottes- und Weltbild nachhaltig geformt, sondern war wegweisend und tonangebend für die moderne Menschheitsgeschichte. Die Bibel ist das meistverkaufte Buch der Welt und, das wage ich zu sagen, das wirkmächtigste Propagandawerk aller Zeiten.

Ich persönlich finde die Bibel gefährlich, weil uns die Heilige Schrift auf den einen Vater-Gott einschwört, unsere Spiritualität absorbiert, unsere Sehnsucht kanalisiert und unsere Hoffnung auf ein Paradies in enge, patriarchale Bahnen lenkt. Doch was war und ist die eigentliche Mission der Bibel?

Der Sohn Gottes, so erzählt es das Neue Testament, sei auf die Erde gekommen, um die Trennung zwischen Mensch und Gott aufzuheben und den Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies wieder an Gott zu binden. Doch die “Versöhnung” hat ihren Preis, denn eine andere Trennung wird zementiert, die zwischen Mensch und Natur. Jesus -und das ist fatal- besiegt die Natur. Mit seinen “Wundern” überwindet er die Schwerkraft, die Elemente, er besiegt unheilbare Krankheiten, und am Ende dann besiegt er, indem er wiederaufersteht, sogar den Tod. An diesen Gott sollen wir glauben. Der Lohn, der uns versprochen wird, falls wir gehorchen, ist ein Leben nach dem Tod und die Aufnahme in das Paradies Gottes.

So untermauert das Neue Testament einen autoritären Grundsatz aus dem sehr viel älteren Alten Testament. Schon im Schöpfungsbericht, noch während er dabei ist, die Erde zu erschaffen, erteilt Gott den Menschen den Auftrag, die Natur zu beherrschen: „Macht euch die Erde untertan.“ (Gen 1,28) Manch einer wird den markigen Appell in der modernen “Einheitsübersetzung”, die die Katholische Kirche benutzt, vergeblich suchen, denn hier findet sich stattdessen die Formulierung “Unterwerft sie euch”. In der Luther-Übersetzung (Aktuelle Fassung von 2017) heißt es aber nach wie vor: “Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.” https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/

Der berühmte Appell ist, seit wir wissen, dass der “Klimawandel” menschengemacht ist, in Verdacht geraten. Doch der Appell lässt sich, auch wenn er so formuliert ist, dass man ihn kaum wieder erkennt, nicht zum Verschwinden bringen, denn die Aufforderung zur Naturbeherrschung durchdringt die gesamte Bibel.

Indem Gott Adam und Eva segnet, bekommt auch die Naturbeherrschung Gottes Segen: “Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.Gen 1,28, EÜ, zitiert nach: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen2.html

Nun wirkt der Appell Macht euch die Erde untertan bis heute nach. Auch Naturwissenschaft und Politik haben ihn sich auf ihre Fahnen geschrieben. So findet sich sein sprachliches Echo im hymnischen Leitsatz einer deutsch-französischen Wissenschaftskooperative: “Make Our Planet Great Again.” Was für eine Anmaßung, die Erde “wieder großartig” machen, sie (nach den Vorgaben der Wissenschaft?) umgestalten zu wollen! Und was wäre eine “wieder großartige” Erde?

Der französische Präsident Emmanuel Macron, Kofürst von Andorra, ein Rationalist, der die Etikette hochhält, hätte, als er am 2. Juni 2017 eine “persönliche Botschaft” an die Weltöffentlichkeit vorlas, fast zu weinen begonnen, vermutlich aus Erschütterung über sich selber. Schlusswort seiner Klima-Botschaft war die Parole Make Our Planet Great Again. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/09/11/elfchen-im-neunten-make-our-planet-great-again-macht-euch-die-erde-untertan/

Adam und Eva versündigen sich, indem sie Gott und die Aufforderung, die Natur zu beherrschen, nicht ernst nehmen. Im 3. Buch der Genesis lässt sich Eva von der listigen Schlange dazu verführen, Gottes Verbot zum Trotz einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen. Anschließend verführt sie Adam dazu, es ihr gleichzutun. Jetzt erst realisieren sie, dass sie nackt sind, Mann und Frau. Sie bemerken nicht ohne Entzücken den Unterschied zwischen den Geschlechtern, ahnen, dass man Menschen weder aus Ackererde formt noch aus Rippen schnitzt. Adam und Eva empfinden nicht nur Scham, sondern bekommen eine Ahnung von etwas Schönem: Der leiblichen Liebe.

Indem sich Adam und Eva als Naturwesen erfahren, entscheiden sie sich -ohne es beabsichtigt zu haben- gegen Gott. Denn der erbarmungslose, rigorose Vater-Gott duldet nur ein Entweder-Oder. Er macht seine Drohung wahr, bestraft Adam und Eva mit dem Schicksal, sterblich zu sein, und definiert die Natur, in die er sie stößt, als Ort des Schreckens. Gott vertreibt die Menschen aus dem Paradies, das sich bei näherem Hinschauen als Unort entpuppt: Als sauberer, allzu schöner, bis in den letzten Winkel durchstrukturierter Raum, den Gott allein nach seinen Vorstellungen gestaltet und mit Lebewesen bestückt hat: Künstlich und unisex. Er pflanzt den Menschen Angst ein, Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Die moderne politische Propaganda, die mit unserer Todesangst spielt, hat hier ihre Wurzeln.

Gottes Furor richtet sich insbesondere gegen die Frau. Nicht ohne Grund, denn die Frau ist seine Konkurrentin. Sie ist diejenige, die den Menschen zur Welt bringt und mit jeder Geburt die Erschaffung des Menschen aus Ackerboden und Männer-Rippe in Frage stellt. So missachtet Gott die weibliche “Schöpfungswonne” und reduziert Schwangerschaft und Geburt auf Mühsal und Schrecken: Zur Frau sprach er: “Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder…” (Gen 3,16, LU) Gleichzeitig bestraft er Adam und Eva für die aufkeimende gegenseitige Liebe, treibt einen Keil zwischen Mann und Frau und zementiert die leibliche Liebe als Gewalt- und Herrschaftsverhältnis: “ / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen.” (Gen3,16, LU)

Mit der Erschaffung des Menschen installiert der Gott der Genesis ein Herrschaftsverhältnis. Adam und Eva bilden ein patriarchales Ur-Paar, denn von Beginn an herrscht Adam über Eva. Doch gleichzeitig -und darin zeigt sich die Genialität der wirkmächtigen Bibel- macht der Gott der Genesis Adam und Eva zu Komplizen. Ausgerechnet die Frau, deren Leiblichkeit uns in aller Ambivalenz daran erinnert, dass wir Teil der Natur sind, soll sich Seite an Seite mit dem Mann die Erde und alle irdischen Kreaturen untertan machen, die Natur beherrschen. Als seine Assistentin, versteht sich. Schließlich lautet der berühmte Appell nicht Mach dir, sondern Macht euch die Erde untertan. Die Gleichschaltung der Geschlechter, die in unserer Gegenwart mit dem “Wehrdienst” von Frauen ihren brutalen Höhepunkt erreicht hat, nimmt hier ihren Anfang.

Kann ich Christin sein, ohne dem Gott der Bibel, den ich als kalt empfinde, Glauben zu schenken?

Ein christliches Volks- und Wallfahrtslied aus dem 19. Jahrhundert erzählt von einem göttlichen Naturwunder, das nicht in der Bibel steht. Das Lied wagt einen Perspektivwechsel, denn es rückt nicht den Mann Jesus, sondern die mutterleibliche Zweieinigkeit von Jesus und Maria in den Mittelpunkt. Noch ist Jesus nicht auf der Welt. Er ist noch lange nicht der erwachsene, bewusst agierende Mann, sondern das Wesen im Mutterleib. Der ungeborene Jesus ist noch Teil von Maria und eins mit der Natur.

In einem schönen Text (auch als Podcast zu hören) erklärt uns Doris Blaich, was es mit dem Lied, das so alt nicht ist, wie es scheint, auf sich hat: “Uralt wirkt dieses Lied und die Geschichte, die es erzählt: die schwangere Maria geht durch einen Wald. Er ist völlig verdorrt: überall nur Dornengestrüpp. Doch als Maria den Wald betritt, verwandelt sich diese Wüste…” https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/maria-durch-ein-dornwald-ging-swr2-weihnachtslieder-100.html

Maria durch ein Dornwald ging

Maria durch ein Dornwald ging
Kyrie eleison
Maria durch ein Dornwald ging
Der hat in sieben Jahr’n kein Laub getragen
Jesus und Maria

Was trug Maria unter ihrem Herzen
Kyrie eleison
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen
Das trug Maria unter ihrem Herzen
Jesus und Maria

Da haben die Dornen Rosen getragen
Kyrie eleison
Als das Kindlein durch den Wald getragen
Da haben die Dornen Rosen getragen
Jesus und Maria

Das Lied ist schlicht und zart und kommt ohne Superlative aus. Es speist sich aus einem Gefühl, das in der Genesis fehlt: Liebe. Marias Gang durch den Dornwald spiegelt Schwangerschaft (und Geburt) in ihrer Ambivalenz. Maria nimmt einen beschwerlichen Weg auf sich – wie jede werdende Mutter. Es gibt keine Schwangerschaft ohne Beschwerden und keine Geburt ohne Schmerzen. Alles braucht seine Zeit. Aber Schwangerschaft und Geburt münden in eine Erlösung, die so tief ist, wie eine Erlösung nur sein kann. Hierfür stehen die Hoffnung spendenden Rosen. Jede Geburt ist ein Neuanfang.

Ich bin Christin, weil ich zwar nicht den erwachsenen Mann Jesus Christus, aber das ungeborene Kind liebe. Auch ein Kind Gottes -das erzählt die Bibel- muss geboren werden. Für mich ist Jesus Christus Teil der Natur und Teil eines Göttlichen, das größer ist als Gott Vater. Das ungeborene Kind Jesus Christus vollbringt keine Wunder. Es ist die Natur selber, die die Rosen zum Blühen bringt.

Marias Wanderung bezieht sich auf eine Begegnung, von der auch Bibel erzählt: Die Heimsuchung. Die Jungfrau Maria, seit kurzem erst schwanger, besucht ihre Kusine Elisabeth, die ebenfalls ein Kind erwartet, aber schon in drei Monaten entbinden wird. Maria wird bis kurz vor der Geburt bei Elisabeth bleiben, um sie zu unterstützen. Dass Elisabeth schwanger ist, ist verwunderlich, denn Elisabeth, Gattin des Zacharias, war in all ihren Ehe-Jahren unfruchtbar und ist jetzt längst nicht mehr im gebärfähigen Alter.

Superlative der Fruchtbarkeit kennen wir bereits aus dem Buch Genesis. Da sind es vor allem “auserwählte” Männer, Adam und seine Nachfahren, die noch im hohen Alter Kinder zeugen. Nachdem sie zunächst Väter von Söhnen werden, zeugen sie im Verlauf von mehreren hundert Jahren zahlreiche weitere Kinder. Hier ist allerdings die Phantasie mit den Autoren durchgegangen, und die protzigen Bibel-Passagen hören sich an wie Comic-Geschichten:

Adam war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie sein Abbild, und nannte ihn Set. Gen 5,3, EÜ. Nach der Geburt Sets lebte Adam noch achthundert Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,4, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Adams betrug neunhundertdreißig Jahre, dann starb er. Gen 5,5, EÜ. Set war hundertfünf Jahre alt, da zeugte er Enosch. Gen 5,6, EÜ. Nach der Geburt des Enosch lebte Set noch achthundertsieben Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,7, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Sets betrug neunhundertzwölf Jahre, dann starb er. Gen 5,8, EÜ.

Auch von einer Frau, die im hohen Alter noch ein Kind zur Welt bringt, erzählt das Alte Testament. 90 Jahre alt muss Abrahams Frau Sara der Bibel nach werden, bevor sie (mit Gottes übernatürlicher Hilfe) endlich schwanger wird. “Abraham und Sara waren schon alt; sie waren in die Jahre gekommen. Sara erging es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt.Gen 18,11, EÜ.

Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Soll ich wirklich noch Kinder bekommen, obwohl ich so alt bin? Gen 18,13, EÜ. Ist beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. Gen 18,14, EÜ.

(“Ist beim Herrn etwas unmöglich?” Mit leichtem Schrecken bemerke ich, dass sich die moderne Auto-Werbung auch bei der Bibel bedient: “Nichts ist unmöglich: TOYOTAhttps://www.youtube.com/watch?v=tkIqeI0wZ7c)

Das Neue Testament knüpft mit Elisabeths Schwangerschaft genau da an. Auch sie ist schon in einem Alter, das man heutzutage “Rentenalter” nennt. Wieder einmal setzt die Macht Gottes die naturgegebenen weiblichen Rhythmen außer Kraft. Es ist der Erzengel Gabriel, “Marias Engel”, der Zacharias den ersehnten Sohn verheißt. Doch anders als Johannes der Täufer wird der Sohn Gottes nicht von einer unfruchtbaren alten Ehe-Frau ausgetragen, sondern von einer fruchtbaren jungen Frau, der Jungfrau Maria.

Unübersehbar ist der Bezug zur Gegenwart. Medizintechnisch ist es möglich, Frauen jenseits der Wechseljahre, die keinen Eisprung mehr haben, befruchtete Eizellen einzupflanzen. Manchmal sind werdende Mütter gleichzeitig werdende Großmütter, dann nämlich, wenn sie sich die befruchteten Eizellen ihrer Töchter einpflanzen lassen und als Leihmütter ihre Enkelkinder austragen.

Tatsächlich spielen Wissenschaftler Gott, doch nur den Einen, den Gott der Bibel. Und wie die keimzellenfreie Befruchtung in der Bibel hat die keimfreie künstliche Befruchtung Gottes Segen.

Mittlerweile dringen die reproduktionsmedizinischen Eskapaden bis in unseren Alltag vor.

Ich kenne eine jüngere verheiratete Frau, die keinen Eisprung hat und daher unfruchtbar ist. Vor ein paar Jahren hat Lena (wie ich sie nenne) ein Mädchen zur Welt gebracht. Die leiblichen Eltern sind ihr Ehemann und eine Eizell-Spenderin unbekannter Herkunft. In einer spanischen Fruchtbarkeitsklinik hat sich Lena eine mit dem Sperma ihres Mannes befruchtete Eizelle der Spenderin in ihre Gebärmutter einpflanzen lassen. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es tiefenpsychologisch so ist, als sei Lena gezwungen, die Frucht eines Seitensprunges ihres Mannes auszutragen. “Gesund” für die Seele ist das nicht. Die Zukunft wird zeigen, wie das Kind damit umgeht. Lena hatte ein blondes, blauäugiges Kind bestellt, hat aber ein dunkelhaariges mit braunen Augen bekommen. Das Kind ist “entzückend”.

Der einzige Trost, den der Wahnsinn, unser Leben an die Reproduktionsmedizin zu verkaufen, parat hält, ist die Tatsache, dass die Kinder, die der In-vitro-Fertilisation entspringen, trotz alledem ganz normale, süße, liebe Kinder sind.

Geschichte von den sieben jungen Geißlein und der klugen Wölfin – Die Zauberkraft der Ziegenmutterliebe

“Ich fürchte, die Tiere betrachten den Menschen als ein Wesen ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Tierverstand verloren hat…” (Friedrich Nietzsche, “Die fröhliche Wissenschaft”)

Erst kürzlich hat sich die Geschichte tatsächlich noch einmal zugetragen. Ganz in unserer Nähe, außerhalb eines alten Dorfes und doch in den Tiefen des Waldes, die es immer noch gibt. Dort lebten in Waldabgeschiedenheit eine Geiß und ihre sieben jungen Geißlein.

Die Geiß hatte ihren Kindern das Märchen einige Male erzählt, doch -so bitter es auch war- konnten die sieben jungen Geißlein nur glauben, was sie selber erlebt hatten. Daher hatten sie nichtsahnend den Wolf schon bei seinem allerersten Täuschungsversuch ins Haus gelassen.

Als die Geiß nach Hause kam, wusste sie sofort, was passiert war. Sie geriet nicht in Panik, sondern behielt einen klaren Kopf. Sie spürte, wie ihr Herz schlug, aber sie schrie nicht, sondern rief nacheinander die Namen ihrer sieben Geißlein. Keines gab ihr eine Antwort. Erst als das jüngste an der Reihe war, hörte sie aus dem Uhrkasten ein leises “Mama?”

Obwohl sie die Antwort kannte, ließ sie ihr Kind erzählen, was genau passiert war. Die Geiß weinte bitterlich, behielt aber einen klaren Kopf. Und weil sie ihr Nähzeug gut pflegte, Schere, Nadel und Faden immer für den Notfall parat lagen, schaffte sie es, ihre Kinder, die heil geblieben waren, zügig aus dem Wanst des schlafenden Wolfes zu befreien. Sie füllte seinen Bauch mit Wackersteinen, die die Kinder eilig gesammelt hatten, und nähte ihn so gut zu, dass die Steine nicht herausfallen konnten.

Doch was nun? Wenn der Wolf auch tot war, so waren seine sterblichen Überreste noch immer im Brunnen, wohin sich das durstige Tier mit letzter Kraft geschleppt hatte. Anders als ihre Kinder, die nur kurz nach dem Unglück wieder übermütig gespielt hatten und jetzt eng aneinander gekuschelt tief schliefen, tat die Geißen-Mutter in der Nacht kein Auge zu. Es war entsetzlich, einen toten Wolf im Brunnen zu wissen. Das Dorf war längst an die Kanalisation angeschlossen, aber der letzte öffentliche Brunnen stand unter Denkmalschutz und wurde so gut gepflegt, dass sein Wasser zwar nicht den Menschen, aber den Tieren bekam. Wie sollte sie jemals wieder an das köstliche Wasser kommen? Und was war mit den alten Dorfbewohnern, die sich an sonnigen Tagen beim Brunnen trafen, bevor sie sich unter der Schatten spendenden alten Linde auf die Bank setzten?

An dieser Stelle schwieg das Märchen. Über den Brunnen mit dem toten Wolf darin war nichts weiter zu erfahren. Die Geiß kam ins Grübeln: Sollten ausgerechnet sie und ihre sieben Kinder diejenigen sein, die viele Jahre später das Märchen weiter erlebten und die Geschichte zu Ende erzählten?

Wie dem auch war: Sie musste die Angelegenheit öffentlich machen, es gab keine andere Wahl. Allerdings würde sie auf diese Weise die Menschen auf sich aufmerksam machen, und vielleicht wäre es dann mit der Waldeinsamkeit für immer vorbei. So bat sie am Morgen die Spatzen, in die nächstgrößere Stadt zu den Menschen zu fliegen und es von den Dächern zu pfeifen.

Da ein Notfall vorlag, stand schon nach wenigen Stunden eine Spezialeinheit des Gesundheits- und des Veterinäramts vor der Tür. Die alte Geiß führte die Personen zum Brunnen. Vermummte Hygienekontrolleure machten sich vor Ort ein Bild und informierten die Feuerwehr, die mit schwerem Gerät anrückte und die sterblichen Überreste des Wolfes aus dem Brunnen hob.

Drei Tage später wurde der Kadaver -nachdem man ihn auf Anzeichen von Tollwut untersucht hatte- der Tierverwertung zugeführt. So konnte sich, wie es hieß, das Biest posthum nützlich machen, auch bannte man auf diese Weise jegliche Verseuchungsgefahr. Der Brunnen wurde von Spezialkräften gründlich desinfiziert und wenige Tage später unter Vorbehalt wieder freigegeben.

Da der Wolf tot war, bräuchten die sieben Geißlein, wie der Leiter der Spezialeinheit ihnen mitteilte, keine Angst mehr vor ihm zu haben. Offenbar handelte es sich um einen alten Rüden, der kein Rudel mehr hatte und deshalb böse geworden war. Um die Gefahr weiterer Wölfe ausschließen zu können und die Sicherheit der Geißlein zu gewährleisten, hatte man den Wald Meter um Meter durchforstet. Bei der Aktion hatte man keinen Wolf, aber einige junge Menschen aufgestöbert, die ausgewandert, aber nicht weit gekommen waren.

Der Wald war frei von Wölfen. Die alte Geißlein spürte ihr liebendes Herz schlagen, aber sie behielt einen klaren Kopf. Sie nahm die Kinder mit in den Wald und zeigte ihnen, wie sie Futter finden konnten. Als die sieben Geißlein für sich selber sorgen konnten, ging sie auf eine kleine Reise. Eines Morgens nahm sie letztes Mal das kleinste Zicklein an ihre Zitzen und verabschiedete sich: “Auf Wiedersehen, meine lieben Sieben. Ich gehe zu den Menschen, aber ich bin bald wieder da. Wenn Menschen kommen, lasst sie ruhig ins Haus. Aber nehmt euch in Acht, wenn sie euch zu etwas einladen oder euch etwas schenken wollen. Wir müssen Zeit gewinnen, deshalb sagt:Wir sagen NEIN. Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

“Sind denn die Menschen nicht lieb?”, fragte das jüngste Geißlein.

“Eigentlich schon”, sagte die alte Geiß und seufzte. “Die Menschen werden nicht böse geboren, aber oft machen sie mit der Zeit so schlechte Erfahrungen, dass sie böse werden.”

“Schlechte Erfahrungen mit Wölfen?”, fragte ein Geißlein. Jetzt schüttelte die Geiß den Kopf und lachte.

“Und woher sollen wir wissen, wer böse ist?”, fragte ein anderes.

“Hört auf die Vögel”, sagte die Geiß. “Seid auf der Hut, wenn die Krähe siebenmal krächzt, doch freut euch, wenn die Amsel singt.”

Die Geiß machte sich auf den Weg. Aber sie setzte sich nicht in Bus oder Bahn, sondern begab sich ins Rathaus. Sie trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein und bekam als erste Ziege überhaupt das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Präsident war nicht persönlich erschienen, wohl aber die Bürgermeisterin.

Ebenfalls mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde der Inhaber eines Geschäfts für Karnevalsbedarf, der dem Wolf den sogenannten “magischen Strumpf” geschenkt hatte. Dieser Strumpf stellte inklusive Kunststoff-Klaue den unteren Teil eines Ziegenbeins dar, ließ sich leicht überstreifen und hatte dem Wolf wie angegossen gepasst. Ohne den genialen Geschäftsmann, so betonte die Bürgermeisterin in ihrer Rede, wäre die Geschichte wohl nicht so glimpflich verlaufen. Hätte der Verkäufer nicht dem Wolf geholfen, sich als Geiß zu verkaufen, hätte sich die Bestie über die Menschen hergemacht.

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Die großen Märchen erzählen nicht nur die eine, sondern viele Geschichten. Die Illustratorin Tatjana Hauptmann versteht es, mit Liebe zum Detail das scheinbar Nebensächliche in den Vordergrund zu holen. Warum warnen Krämer, Müller und Bäcker die Geißlein nicht, wo sie doch wissen, dass der Wolf was im Schilde führt und Geißlein seine Leibspeise sind? “Ja, so sind die Menschen”, heißt es im Märchen. Eine genauere Antwort gibt diese Illustration. Abfotografiert aus: Christian Streich (Hrsg.): “Das große Märchenbuch. Die schönsten Märchen aus ganz Europa”, mit Illustrationen von Tatjana Hauptmann. 

Die Verleihung dauerte bis zum Abend. Beim festlichen vegetarischen Dinner wurden mit Rücksicht auf die Geiß keinerlei tierische Produkte gereicht – inklusive der sonst üblichen Käseplatte mit Crottin de Chavignol, einer berühmten französischen Ziegenkäse-Spezialität mit echtem Ziegenaroma. Die Geiß wurde anschließend in ein Wellness-Hotel gebracht, wo man im zweiten Stock ein Zimmer artgerecht für sie hergerichtet, das Bett beiseite geschafft und die Schlafstelle mit Stroh ausgelegt hatte.

Das Zimmer war geräumig, was umso erstaunlicher war, da gemäß den EU-Rechtsvorschriften selbst im ökologischen Landbau eine Stallfläche von nur 1,5 Quadratmetern je Ziege das vorgeschriebene Minimum war. Den Wellness-Bereich durfte die Geiß aus Rücksicht auf andere Gäste nicht betreten, aber sie hatte eine große Badewanne für sich alleine. Sie würde sich ein paar Tage ausspannen. Und sie spürte, dass es sehr erholsam sein würde, einmal nicht für die Kinder sorgen zu müssen.

Bevor sie sich schlafen legte, kontrollierte sie noch kurz Tür und Fenster. Die Zimmertür war von außen verriegelt, aber die beiden großen Fenster ließen sich öffnen. Als sie jung war und noch keine Kinder hatte, hatte die Geiß, wenn Vollmond war, eine unendliche Sehnsucht verspürt. In sternklaren Nächten war sie schlafend durchs Haus gelaufen und hatte die Fenster, die so klein waren, dass kein Geißbock hätte hindurchklettern können, so weit aufgerissen, wie es nur möglich war.

Die alte Geiß spürte ihr liebendes Herz schlagen, aber sie behielt einen klaren Kopf. Anders als der Wolf würden die Menschen ihre Gier zügeln können. Sie zogen die Ziegenmilch dem Ziegenfleisch vor und gehorchten nicht nur der schieren Gier, sondern Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen. Die Menschen hatten ihr als erster Ziege überhaupt das Bundesverdienstkreuz verliehen, also würden sie ihr und den sieben Geißlein gegenüber gewisse Spielregeln einhalten müssen.

Am nächsten Morgen, während sie so tief schlief wie schon lange nicht mehr, war im Waldhaus bereits der Bär los bzw. die Ziege. Die sieben Geißlein hatten sich aus Tisch, Stühlen und Kochtöpfen einen Kletterhügel gebaut. “Kinder!”, schrie jemand vor der Tür, “könnt ihr mal leise sein?” Die Geißlein erschraken, und es wurde so still, dass sie durch die geöffneten Fenster hindurch eine Krähe krächzen hörten, die über das Haus hinweg flog. Die Ziegenkinder zählten mit: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben… Jemand klopfte energisch an die Tür. Als das älteste Geißlein aufmachte, traten zwei Menschen-Frauen ein, die eine dunkelhaarig, die andere blond.

“Ihr seht ja gar nicht böse aus”, sagte das jüngste Geißlein.

“Wir sind ja auch lieb”, sagte die eine der Frauen. “Und wir bieten euch unsere Hilfe an.”

“Wir kommen vom Jugendamt”, sagte die andere. “Ihr habt weder Hausnummer noch Klingel noch Strom noch fließend Wasser noch Telefon. Kopf hoch, das kriegen wir schon hin.”

Die Blonde lächelte: “Die Mama muss sich noch eine Weile ausruhen. Sie war ja völlig überfordert. Aber sagt, wer passt auf euch auf, wenn die Mama nicht da ist, wer sagt euch Bescheid, wenn ihr schlafen gehen sollt?”

“Wir sind doch nicht doof.”

Die Blonde lächelte noch breiter: “Ja, aber bis dahin muss jemand das Sorgerecht übernehmen. Aber sagt, wo ist der Papa?”

“Der baut leider immer wieder Bockmist”, sagte das älteste Geißlein.

“Also hat eure Mutter das alleinige Sorgerecht.”

“Sowas hat die Mama nicht.”

“Das werden die Experten klären”, sagte die Blonde und holte ein Blatt Papier aus der Tasche. “Könnt ihr bitte dieses Formular unterschreiben? Hiermit erklärt ihr, dass ihr Hilfe braucht. Klauenabdruck reicht.” Durchs Fenster hindurch hörten die sieben Geißlein das siebenmalige Krächzen der Krähe, die über das Haus hinweg flog.

Sechs Geißlein fingen an zu weinen, nur das älteste nicht. “Das unterschreiben wir nicht”, sagte es.

“Ihr braucht aber dringend professionelle Hilfe”, sagten die beiden Frauen.

“Brauchen wir nicht”, sagte das älteste Geißlein. “So ein Quatsch.”

Die Geißlein hörten auf zu weinen. “So ein Quatsch”, wiederholte das jüngste und lachte.

“So ein Quatsch”, wiederholten die anderen Geißlein.

Wir sagen NEIN”, sagte das älteste Geißlein. Und alle Geißlein fielen ein: “Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

Als die Frauen gegangen waren, waren die Geißlein wie erlöst. Sie riefen: “Die Menschen sind weg! Die Menschen sind weg!” Sie liefen aus dem Haus, rannten auf die Wiese und tanzten vor Freude um den Brunnen herum.

Wenige Tage später hörten die Geißlein, während sie frühstückten und sich dabei mit Brombeeren bewarfen, durch die geöffneten Fenster hindurch wieder die Krähe krächzen, die über das Haus hinweg flog: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben…. Das jüngste Geißlein öffnete die Tür, aber da war niemand.

“Wir sollten jetzt lieber aufräumen”, sagte das älteste Geißlein. Und das taten sie auch.

Als die Krähe eine Stunde später noch einmal siebenmal krächzend über das Haus flog, standen zwei Menschen vor der Tür. Die Geißlein ließen die Menschen ins Haus, einen Mann und eine Frau. Die beiden Menschen waren weiß gekleidet, trugen lange Hosen und geknöpfte Jacken: “Guten Tag, liebe Kinder.”

“Guten Tag auch”, sagten die Geißlein, “aber warum habt ihr weiße Klamotten an?”

“Aus Gründen der Hygiene”, war die Antwort. Die Frau rümpfte schnuppernd die Nase.

“Ich weiß, warum ihr weiße Sachen anhabt”, sagte das jüngste Geißlein und lachte. “Damit man fiese Flecken besser sehen kann.”

“Welche fiesen Flecken?”, fragte die Frau. “Was unterstellst du uns da?”

Jetzt lachten alle sieben: “Aber ihr habt da was.”

“Was?!” schrie der Mann.

“Krähenschiet”, sagte ein Geißlein. “Nehmt das nicht persönlich, ist uns auch schon passiert.”

“Lecker roter Brombeerschiet”, lachte das jüngste Geißlein. “Amsel-Kaka.”

“Iiieh!”, schrie die Frau und suchte sich und den Kollegen nach Flecken ab. “Da ist nichts. Wollt ihr uns an der Nase herumführen?”

Jetzt lachten alle sieben Geißlein und sangen: “Kirschenschiet, Walderdbeerschiet, Brombeerschiet, igittigitt, Amsel-Kaka, Krähenschiet, Vogelschiet, igittigitt, Kirschenschiet, Walderdbeerschiet, Brombeerschiet, igittigitt, Kirschenschiet…”

“Pst”, unterbrach die Frau. “Schafft ihr es, kurz ruhig zu sein? Wir möchten euch etwas mitteilen.”

“Meinetwegen”, sagte das älteste. “Aber mach’s kurz.”

“Liebe Kinder, hört uns zu. Wir brauchen von euch eine Ziegenmuttermilch-Verzichtserklärung. Die Milch eurer großartigen, klugen und couragierten Mutter dürfte eine besondere sein. Wir wollen sie erforschen und entschlüsseln.”

“Mamas Milch gehört mir”, sagte das jüngste Geißlein. “Ihr kriegt keine Verzitzicherung.”

“Verzichtserklärung”, sagte die Frau. “Du weißt ja nicht einmal, wovon du redest, mein Kind. Du denkst nur an dich. Dabei müssen wir doch zusammenhalten.” Die Frau schob die Unterlippe vor. “In den Laboren ist schon alles vorbereitet, die Forschungsprojekte sind finanziert. Wir haben namhafte Sponsoren gewinnen können. Jetzt fehlt nur noch…” Sie schaute ihren Kollegen aufmunternd an.

“Die Ziegenmuttermilch-Verzichtserklärung”, ergänzte der Mann. “Seht ihr, was ihr angerichtet habt? Liebe Kinder, wir müssen doch kooperieren. Wir werden jeden Tag bei euch vorbeikommen und eurer Mutter etwas Milch abnehmen. Aber wir fassen eure Mutter nur mit antiseptischen Samthandschuhen an.” Er zwinkerte mit dem Auge. “Aus Kunststoff natürlich. Mit Hilfe der wunderbaren Milch eurer wunderbaren Mutter werden wir die Formel finden und den Welthunger besiegen können. Wollt ihr das nicht?”

Die Geisslein zuckten zusammen. “Ich will zu meiner Mama”, sagte das jüngste.

Jetzt schrie der Mann: “Ihr wollt wohl nicht teilen. Wollt ihr alles für euch behalten, wollt ihr für den Hunger von Millionen Menschen-Kindern verantwortlich sein?”

“Das wollen wir nicht”, sagte das älteste Geißlein. “Aber das sind wir auch nicht. Was Sie sagen, ist leider wissenschaftlich nicht haltbar. Wir sagen NEIN. Wieder fielen alle Geißlein ein: “Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

Als die beiden Menschen gegangen waren, waren die Geißlein wieder wie erlöst. Sie riefen: “Die Menschen sind weg! Die Menschen sind weg!” Sie liefen aus dem Haus, rannten auf die Wiese und tanzten vor Freude um den Brunnen herum.

Am Sonntag war die Luft rein. Die Geißlein hatten lange geschlafen, denn am Wochenende würden die Mitarbeiter der Ämter kaum vorbeikommen. Sie sehnten sich nach ihrer Mutter, die so lustig sein konnte, lecker kochte und jetzt schon eine Woche weg war. Jemand klopfte an die Tür, die nur angelehnt war. Die Amsel mit dem goldenen Schnabel sang der Singvögel Hochzeitslied, so schön. Eine dunkle Pfote wurde sichtbar. “Darf ich reinkommen? Mein Name ist Metis. Ich bin eine Wölfin.”

“Kannst reinkommen”, sagte das jüngste Geißlein und schluckte, denn die Wölfin, die sich ins Haus schleppte, war groß, ihr Fell dunkel.

“Ich habe Durst”, sagte die Wölfin mit heiserer Stimme. “Habt ihr Wasser für mich? Alle Bäche sind ausgetrocknet.”

Die Geißlein füllten einen großen Topf mit Brunnenwasser. Die Menschen tranken Leitungswasser und gossen nur noch ihre Pflanzen damit, aber für Ziegen und Wölfe war das Brunnenwasser durchaus bekömmlich. Die Wölfin trank den Topf leer und sagte höflich: “Danke.”

“Warum hast du so große Zähne?”, fragte ein Geißlein.

“Damit ich besser beißen kann. Kein Bange. Ich habe euch zum Fressen gerne, aber ich fresse euch nicht.” Die Wölfin lächelte und zeigte ihre großen Zähne. “Außerdem bin ich satt. Ich habe vorhin ein verletztes Kaninchen… Tut mir leid.”

“Das muss dir nicht leid tun”, sagte ein Geißlein. “Selbst die Singvögel fressen Tiere. Sie füttern ihre Jungen mit Würmern, weil die Würmer lecker weich sind. Vögel haben leider keine Milch. Außerdem kann ja nicht jedes Tier so vernünftig sein wie wir Ziegen.”

“Der Wolf, der euch verschlungen hat, war kein gewöhnlicher Wolf”, sagte die Wölfin. “So irre ist kein Tier, das man nicht verrückt gemacht hat. Die Menschen müssen ihn zum Selbstmordattentäter abgerichtet haben. Ein gewöhnlicher Wolf würde niemals sieben Geißlein auf einmal verschlingen. Er würde sich… ” Die Wölfin schluckte und sprach leise weiter: “Ein gewöhnlicher Wolf würde sich ein einzelnes Geißlein vornehmen und es zwischen den Zähnen…”

“Bist du wohl ruhig!”, schrieen die Geißlein und hielten sich die Ohren zu.

“Ich wollte euch nicht zu nahe treten”, sagte die Wölfin. “Aber ich glaube, ihr habt einen verdammt guten Schutzengel. Sonst hättet ihr die Gier des Wolfes wohl kaum überlebt.”

“Hä?” Das jüngste Geißlein lachte: “Bei dir piept’s wohl.”

“Ich weiß, dass euch himmlische Energien geholfen haben”, sagte die Wölfin.

Jetzt kugelten sich die Geißlein vor Lachen, sechs von den sieben rannten aus dem Haus und auf die Wiese. Endlich spielen! Das Wetter war schön und diese Wölfin wirklich ein bisschen bescheuert. Aber so waren die Erwachsenen eben.

“Was ist los mit den Menschen?”, fragte das älteste Geißlein, das bei der Wölfin geblieben war.

“Die Menschen-Männer sind nicht satt zu kriegen”, sagte die Wölfin. “Das macht sie gefährlich. Vor lauter Geld sind sie blind für den Reichtum der Welt, und in ihrer Liebe zur Technik nehmen sie die Schönheit der Natur nicht mehr wahr. Doch weil sie ihre Männer trotz alledem lieben, ziehen die Frauen mit in den Krieg gegen die Menschen und die Tiere. Sie vergessen, dass sie Frauen sind. Dabei verraten sie ein Gefühl, das alle Frauen haben, ob sie Mutter sind oder nicht: Die Mutterliebe.”

“Darüber muss ich noch nachdenken”, sagte das Geißlein.

Die Wölfin zeigte lächelnd die Zähne. “Aber jetzt hol deine Geschwister. Wir wollen doch die Mama aus der Geiselhaft befreien.”

Das älteste Geißlein erschrak. “Die Mama ist doch nicht in Geißenhaft”, sagte es.

“Was glaubst du denn, wo sie ist?”, fragte die Wölfin. Das Geißlein lief schnell nach draußen und holte seine Geschwister. Sehr ernst setzten sich die sieben Geißlein zu Metis in den Kreis, hielten sich an den Klauen und schlossen die Augen…



Wenig später war zu lesen, dass die Geiß, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, aus der Wellness-Oase verschwunden sei, spurlos. Die Verantwortlichen machten sich große Sorgen, denn die Fenster waren weit geöffnet gewesen. Vermutlich war die Geiß aus dem Fenster gefallen, woraufhin ein streunender Aasfresser, vermutlich ein Wolf, ihr Fleisch in sein Versteck geschleift hatte.

Verschwörungstheoretikern fiel auf, dass unter dem Fenster keine Spuren zu finden waren. Sie sprachen von einem fliegenden Teppich, auf dem die Geiß geflohen sein könnte. Viele verrückte Ideen wurden geäußert. Und das fliegende Rettungsboot aus lauter Vögeln, aus Krähen, Amseln und Spatzen, aus Lachmöwen und Halsbandsittichen, das ein alter Mann gesehen haben wollte, gab es nur im Märchen.

Noch etwas war nicht mehr zu finden: Das Waldhaus. Die Navigationssysteme zeigten Standort und Weg an, aber ein Polizeiwagen war im Morast steckengeblieben, was angesichts der anhaltenden Trockenheit erstaunlich war. Ausgeschickte Drohnen verschwanden spurlos.

Man hatte die Geiß und die sieben Geißlein nie wieder gesehen. In der Nähe des Brunnens jedoch entdeckte man immer wieder frische Ziegenhuf-Spuren.

Elfchen im Siebten: Gartenschnecken-Hochzeit

* 9.7.1957

Am Strand von Spiekeroog: Kinder bauen bei Ebbe eine Sandburg. Als die Sandburg fertig ist, wird sie mit Muscheln verziert, denn Steine findet man am Strand vom Spiekeroog kaum. Die Kinder wissen, dass die Flut kommt, und gehen. Morgen werden sie eine neue Sandburg bauen, die schönen Schalen der Herzmuscheln gibt es wie Sand am Meer. Man merkt der Sandburg an, welche Freude die Kinder hatten, als sie sie gebaut haben. Zwei Jungs, die vorbeikommen, spüren das auch. Sie können die Schönheit der Sandburg nicht ertragen und zögern nicht lange. Was die Flut kann, können wir auch, nur viel schneller.

Aufgrund von Ausgrabungen mithilfe präziser moderner Techniken müssen die Ursprünge der Menschheit immer wieder neu datiert werden. “Sowohl genetische Daten heute lebender Menschen als auch Fossilien weisen auf einen afrikanischen Ursprung unserer Art hin. Die ältesten bisher bekannten Homo sapiens-Fossilien stammen aus Äthiopien: Die Fundstelle Omo Kibish ist 195.000 Jahre alt, Herto wird auf 160.000 Jahre datiert.https://www.mpg.de/11322546/homo-sapiens-ist-aelter-als-gedacht

Geschichtsschreibung als bewusste sprachliche Aufzeichnung und Deutung historischer Ereignisse sowie deren Festschreibung als “Geschichte” gibt es erst seit der Antike. Die frühen “Historiker” waren ausschließlich Männer. Mit dem Ende der Steinzeit und der Sesshaftwerdung der Menschen vor gerade einmal 10.000 Jahren hatten die Männer die Herrschaft übernommen. Das Patriarchat setzte sich mit aller Macht und Härte durch. Männliche “Stärken” wie Muskelkraft, Kampfbereitschaft und Kriegslüsternheit spielten eine immer größer Rolle, denn das Eigentum war entstanden und “musste” verteidigt werden. Fortan war die Geschichte mitsamt all ihren Institutionen, Erfindungen und kulturellen Errungenschaften immer auch eine Geschichte brutaler Kriege, der primitiven und brachialen Waffengewalt. Kaputtmachen ist einfach, Kaputtmachen ist feige, Kaputtmachen sichert Macht. Nichts ist einfacher, als mit roher Gewalt Tatsachen zu schaffen, Geschichte zu schreiben.

Doch warum hat die zwar gefahr-, aber dennoch friedvolle vorpatriarchale Epoche nicht eher geendet, “was hat die steinzeitliche Welt so lange in der Balance gehalten? Warum hat der Gebrauch von Werkzeugen und Waffen nicht zur Selbstzerstörung geführt? … Entscheidend war die Liebe zum Leben: Das Gespür für Natur, die Ehrfurcht vor der weiblichen Gebärfähigkeit und die Einbettung des menschlichen Daseins in den göttlichen Kosmos…” Weiterlesen: https://stellwerk60.com/2016/12/06/die-menschheitsgeschichte-begann-in-afrika/

Doch eben diesen friedenssichernden göttlichen Kosmos, jene spirituelle Balance meint der männliche Größenwahn zertrümmern zu müssen. Die männliche Hybris konkurriert dabei nicht nur mit der göttlichen Schaffenskraft, sondern auch mit der Schöpfungsgeschichte. Männer wollen auch deshalb Macht und Einfluss haben, um selber Schöpfer zu sein, (Welt-) Geschichte zu schreiben.

Dieser Gestaltungs-Ehrgeiz zeigt sich auch im Verhalten vieler unserer Zeitgenossen, die, sobald sie Einfluss haben, ohne es zu merken permanent Sandburgen zertrümmern. Buchautor und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will uns nicht nur alle impfen, sondern uns alle aufklären: “Bevor es zu spät ist” (Rowohlt 2022). Wissenschaftsjournalist, Atheist und Buchautor Ranga Yogeshwar, den ich in mancherlei Hinsicht sehr schätze, impft uns mit Halbwissen. Sein Video “Warum Impfen schlauer ist” (6.8.2021) ist zwar spätestens seit Omikron in allen Punkten widerlegt, steht aber weiterhin unverändert im Netz. https://www.youtube.com/watch?v=gT9z-l77ZYk

Schon anlässlich der Schweinegrippe im Jahr 2009 mutierte Yogeshwar zum öffentlich-rechtlichen Impf-Missionar. In einer Quarks&Co-Sendung zum Thema Schweinegrippe am 1.9.2009 beantworteten Ranga Yogeshwar und der Virologe Alexander Kekulé, der sich wenig später mit dem schon damals umstrittenen Impfstoff Pandemrix impfen ließ, Zuschauerfragen. Ende 2020 dann benutzte Yogeshwar im Interview mit morgenpost.de in Bezug auf die Corona-Impfung eine zum Fremdschämen kitschige, hymnisch-sentimentale Floskel, die mich aufhorchen ließ: “Ich bin stolz, jetzt Teil der Menschheit zu sein.” https://www.morgenpost.de/berlin/article231048684/Ranga-Yogeshwar-Corona-Impfen-Schnelltests.html (leider €)

***

Doch wer die Natur nicht sentimental verklärt oder nach Brauchbarkeit abklopft, nach Nutzen für Technik und Wissenschaft, wer noch zu schauen oder zu lauschen vermag, dem (oder der) erzählt sie wundersame Geschichten:

Krochen

in den

Nabel der Spirale

und fanden sich da…

Schöpfungswonne*

Sommer 2021: Diese weibliche Figur habe ich vor drei oder vier Jahren in einem Kringloopwinkel (Kringloop = Kreislauf) in Alkmaar gefunden. Das Holz war glänzend lackiert, aber der Regen hat den Lack mit der Zeit abgewaschen.                                                                                                                           Strudel bewegen sich spiralförmig. Diese langsam fließende Spirale vermittelt nur eine leise Ahnung von der Sogkraft des Strudels. Und doch schienen die beiden Gartenschnecken durch eine geheimnisvolle Kraft in den Nabel der Figur, in den Mittelpunkt der Spirale gezogen worden zu sein. Dabei ist diese Spirale ein Spiel mit der Spirale, die sich, als ich sie genauer betrachtete, noch als etwas anderes entpuppte: Zwei ineinander verschlungene Schlangen.                                          Nachdem ich sie vom Sofa aus beim Blick durch die Terrassentür entdeckt hatte,  blieben die Schnecken dort -zwischen den regenfeuchten Blättern von Minze und Efeu- noch eine Stunde oder länger. Dann ließen sie einander los und krochen in verschiedene Richtungen davon.

***

Ergänzung 16.7.22: Was aber ist der Unterschied zwischen dem Gartenschnecken-Paar und dem Ehepaar Lindner/Lehfeldt? Wir erinnern uns: Bundesfinanzminister Christian Lindner hat am vergangenen Wochenende auf Sylt eine Journalistin namens Franca Lehfeldt geheiratet. Anders als die bundesdeutsche Politprominenz waren wir, das Volk, nicht eingeladen, durften aber der Traumhochzeit zwischen Lindner und Lehfeldt bzw. Politik und Journaille vom Fernsehsessel aus zuschauen.

In der EMMA brachte Alice Schwarzer “den kleinbürgerlichen Kitsch” der Veranstaltung auf den Punkt: “… Das ganze medial effektiv beschirmt von einer Hundertschaft Polizei, bezahlt vom Steuerzahler. Hochzeitsgast Friedrich Merz braust im Privatjet aus dem Sauerland an, markig am Steuerknüppel. Ein echter Mann eben. Ex-Kandidat Laschet kommt aus Aachen im Kleinbus. Passt. Die Braut steckt in einem cremefarbenen „Jumpsuit“, rückenfrei, der Bräutigam in einem sehr blauen Anzug. Er steigt, knapp vor dem Kirchenportal, aus einem schwarzen BMW. Sie folgt in einem schwarzen Porsche Targa.” https://www.emma.de/artikel/lindner-hochzeit-es-ist-zum-kotzen-339645

Am liebsten hätte ich weggeguckt, aber Abschalten ging nicht. Schließlich wurden wir auf allen Kanälen mit der Story beballert. Und das, wie Alice Schwarzer schreibt, in “Zeiten, in denen die Inflation galoppiert, die Menschen arbeitslos werden, Alten und Armen das Gas abgedreht wird; in Zeiten, in denen Krieg nebenan ist und in Afrika deswegen noch mehr Menschen verhungern.” (emma.de, s.o.)

Wir sind das Volk.” Es gibt uns noch, aber wir sind zum Zuschauen verdammt. Wir müssen das Hochzeitsfest mitfinanzieren, müssen Eintritt bezahlen, aber die Party findet ohne uns statt. Nun zeichnet sich die aktuelle deutsche Bundespolitik durch Abschottung von den Menschen, durch eine kaum noch erträgliche Egomanie der Agierenden, durch Selbstgerechtigkeit, Eitelkeit und Gleichgültigkeit aus. Dolce Vita in Germany: Dass Autonarr und Bundesfinanzminister Lindner, während weltweit Großbrände wüten, seine Hochzeit dazu benutzt, für die deutsche Autoindustrie zu werben, für Porsche und BMW, ist nicht nur scham- und geschmacklos, sondern -wie Alice Schwarzer sagt- zum Kotzen.

Doch was ist jetzt der Unterschied zwischen dem Gartenschnecken-Paar und dem Ehepaar Lindner/Lehfeldt?

Anders als Lindner/Lehfeldt sind den Gartenschnecken Geld, Selbstdarstellung und Haartransplantationen (Lindner) fremd. Und abgesehen davon, dass sie gar nicht stehen können, stehen Gartenschnecken nicht gerne im Mittelpunkt. Beifall ist ihnen suspekt. Aus gutem Grund verstecken sie sich lieber. Doch wenn Schnecken Hochzeit feiern, sind sie der Mittelpunkt der Welt – was alle nachempfinden können, die glücklich verliebt sind oder es einmal waren.

Gartenschnecken sind verletzlich, sie paaren sich nur dort, wo sie sich geschützt fühlen- stundenlang. Dass sie sich vor meinen Augen in den Mittelpunkt der Spirale gesetzt haben, berührte und erfreute mich. Ich war zu ihrer Hochzeit eingeladen. Diese beiden Schnecken schienen genau zu wissen, dass ich sie erschütternd schön finde. Niemand kann mir erzählen, dass Schnecken nicht dankbar sind.

*Auf den Begriff „Schöpfungswonne” bin ich bei der Theologin Hanna Strack gestoßen, die ihn wiederum in einer Schrift des Religionswissenschaftlers Walter Schubart entdeckt hat (“Religion und Eros”, 1941). In ihren Büchern schließt sich Hanna Strack der Weltsicht der Philosophin Hannah Arendt an, für die das menschliche Leben von der Geburtlichkeit geprägt ist und nicht-wie es die klassische Philosophie postuliert- von der Sterblichkeit. Das geht einher mit einem radikalen Perspektivwechsel, denn die Entwürfe der mittlerweile 85jährigen Christin Hanna Strack haben naturreligiöse Elemente.

Anders als die Theoretikerin Hannah Arendt versinnlicht Hanna Strack die “Geburtlichkeit”. Für sie sind Menschen nicht nur Geborene, sondern Gebärende, wobei das Vermögen, ein Kind zur Welt zu bringen, ein rein weibliches ist. Hanna Strack, die drei Kinder zur Welt gebracht hat, entwickelt eine „Theologie des Blühens“ und richtet den Blick auf “das Leben in Fülle”. Sie unterwirft sich nicht der christlichen “Unter Schmerzen sollst du gebären” – Doktrin, die den Geburtsschmerz als Strafe versteht, sondern entwickelt eine gewagte feministische These: Indem sie mithilfe der Wehen ein Kind/den Menschen zur Welt bringt, ist die Frau “Mitschöpferin”.

MEIN ENGEL – Das Wunderkind Wiktoria

An ganz alltäglichen Orten begegne ich in den letzten Jahren Menschen, die real sind (“aus Fleisch und Blut”) und die doch aus einer Anderwelt zu stammen scheinen. Einer dieser Menschen, die mich an Märchenfiguren erinnern, ist das Mädchen Wiktoria.

Begegnet bin ich ihr im Frühherbst 2019 im Kölner Handwerkerinnenhaus bei einem Handwerkerinnenmarkt. Vertraut ist mir das Haus, weil es im Rahmen des “Lebendigen Adventskalenders” der autofreien Siedlung Stellwerk 60 einmal im Jahr seine Pforten öffnet. Ein bisschen geht es dabei zu wie an einem Tag der Offenen Tür.

Zur Erinnerung: In den Zeiten vor Corona öffneten an bestimmten Tagen Ateliers und Werkstätten ihre Türen auch für Besucher, die dort normalerweise keinen Zutritt haben. Jeder war willkommen, es gab weder Test- noch Impfausweis- noch irgendwelche Einlasskontrollen. Die offene Tür war ein über die Stadt oder das Land verstreutes kulturelles Ereignis abseits der Groß-Events. Wie großartig, gastfreundlich und großzügig das war, weiß ich erst heute. Denn auch wenn die Veranstaltungen nach wie vor so heißen und der Eintritt nichts kostet: Den “Tag der offenen Tür” gibt es nicht mehr.

Im Handwerkerinnenhaus hatte man an dem Tag einen kleinen, aber sehr feinen Markt aufgebaut. An einer Handvoll Ständen wurden Töpfer-Arbeiten verkauft und andere schöne, originelle, von Hand gefertigte Dinge, die man “Kunsthandwerk” nennt.

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Die Grenzen zwischen Kunsthandwerk und Kunst sind fließend. Im nordholländischen Dorf Groet vermietet die Familie Bakker ein Ferienhaus. Dieses Haus ist ein inspirierender, eigensinnig ausgestatteter Ort. “Hausherr” Jaap Bakker gehört zu den bildenden Künstlern, die sich ihre Kinderphantasie bewahrt haben.  Welches Kind träumt nicht davon, einmal einen Schatz zu finden? Doch das ist gar nicht so einfach. So beträgt etwa die Wahrscheinlichkeit, in einer Auster eine Perle zu finden, 1:35.000. https://www.fewo-in-holland.de/blog/austernperle-finden Der Mangel an Perlen in Nordsee-Austern brachte Jaap Bakker auf die tierfreundliche Idee, Austernschalen zu einer Nordseerose zusammenzufügen, sie miteinander zu verleimen und zu guter Letzt drei Perlen in die Mitte der Blüte zu setzen. Da Jaap Bakker die Blume in kleiner Stückzahl gefertigt und für ein paar Euro an seine Feriengäste verkauft hat, bin ich stolze Besitzerin einer echten Groeter Nordseerose.


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“Höhlenkunst”

Auf dem Handwerkerinnenmarkt 2019 präsentierte das Handwerkerinnenhaus auch Arbeiten, die Schülerinnen und Schüler einer Förderschule in Jülich hergestellt hatten. Das hing mit dem Hauptanliegen des Hauses zusammen, der Förderung junger Mädchen. Das Kölner Handwerkerinnenhaus hat eine eigene Werkstatt und “ist ein Lern- und Bildungsort, an dem Mädchen und Frauen neue Fähigkeiten und Stärken an sich entdecken und ihre Berufschancen und -perspektiven erweitern.” https://www.handwerkerinnenhaus.org/

Im Kunstunterricht hatten die Jülicher Jugendlichen kleine, zerbrechliche Drahtgebilde gebastelt und in Einmachgläser gesteckt. Die Einmachgläser wurden dann bei hoher Temperatur eingeschmolzen und die Drahtgebilde auf diese Weise “eingerahmt” und “haltbar” gemacht. Wiktoria, die die Jülicher Schule besucht, war mit ihrer Lehrerin da. Die Lehrerin bemerkte mein Interesse und erzählte mir, wie Wiktoria arbeitet.

Wiktoria nimmt ein Stück Draht in die Hand. Sie hat keinen Plan und überlegt nicht lange, sondern fängt an. Der Draht hat Anfang und Ende. Zwischen ihren Fingern kommt er in Bewegung, entsteht eine Figur. Manchmal ist es eine Tierfigur, aber am liebsten formt Wiktoria Engel, mal heitere, mal nachdenkliche Engel. Das Stück Draht ist nie zu kurz und nie zu lang, es reicht immer genau aus. Wenn der Draht aufgebraucht ist, ist die Figur fertig. Irgendwann fing Wiktoria an, Engel zu formen, sie tut es einfach, denn sie kann nicht anders.

Mich erinnern ihre Engel an die von Paul Klee. Der Maler Paul Klee (1879-1940) hat sein Leben lang Engel gezeichnet, die meisten davon im Jahr 1939. Im Jahr, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, begann Klees letztes Lebensjahr. Indem er die Zwischenwesen zeichnend sichtbar machte, konnte Paul Klee der Hölle für Momente entrinnen. “Seine Engel hat er in der Zwischenwelt ‚geschaut‘, sagt Paul Klee. Für ihn liegt zwischen irdischer Welt und höchsten geistigen Welten eine Zwischenwelt. Und Klee ist überzeugt, da Einblick zu haben.” https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/morgenandacht/paul-klee-und-seine-engel-10795

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Für acht Euro kaufe ich ein “Mängelexemplar”. Der Aufhänger ist abgerissen, aber MEIN ENGEL ist luftig und heiter. Die Flügel sind ausgebreitet wie Arme: Lass dich umarmen. MEIN ENGEL ist weiblich, ein Mädchen. MEIN ENGEL hält den Kopf gerade, so dass der Heiligenschein nicht herunterfallen kann. MEIN ENGEL streut rostige Brösel. Die sind nicht hübsch, aber auch für was da: Wer genau hinschaut, entdeckt ein flauschiges Küken.

Auch Wiktorias Engel scheinen aus einer Zwischenwelt zu stammen. Die Lehrerin, die sehr aufgeregt ist, zeigt mir einen Ordner mit Fotos der Arbeiten Wiktorias. Ihre Engel sind ausdrucksstark und berührend. Wenn ich sage, dass ich “erschüttert” war, ist das nicht übertrieben. “Ich wage es kaum zu sagen”, sage ich zur Lehrerin. “Aber es ist so, als hätte Wiktoria eine göttliche Eingebung.” Die Antwort: Ein Nicken.

In diesen traurigen Zeiten ist es kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen -vor allem Frauen- Schutzengel ins Fenster stellen. Es gibt getöpferte, genähte, gemalte, es gibt geschmackvolle, austauschbare, kitschige, es gibt pausbäckige und magere Engel. Sie alle stehen für die Hoffnung und für die Sehnsucht nach einer friedlichen, besseren Welt.

In ihren Sternstunden vermag die Dichtkunst, Engelsenergien spürbar zu machen. So verleiht der Lyriker Joseph von Eichendorff (1788-1857) im Gedicht “Mondnacht” seiner Seele (Engels)-Flügel:

“… Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
..” (Dritte Strophe)

Wiktorias Lehrerin zeigt mir das Foto eines Engels, der den Kopf gesenkt hält. Sie bittet Wiktoria, mir zu erklären, warum der Engel traurig ist. Wiktoria redet leise. “Der Engel klagt Gott an”, sagt sie. “Es ist so viel Unrecht in der Welt. Warum guckt Gott zu, warum lässt er den Krieg geschehen, warum greift Gott nicht ein, wenn Menschen gemobbt werden?”

Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich glaube, Gott* greift schon ein, aber anders, als wir denken, selten im “Direktgang”. So stattet Gott Menschen mit der Gabe aus, Menschen den Spiegel vorzuhalten. Menschen mit dieser Begabung werden oft ausgegrenzt. Vermutlich wird auch Wiktoria ausgegrenzt und gemobbt, denn sie hat eine “Lese- und Rechtschreibschwäche” und geht (oder ging) auf eine Förderschule.

Woran erkennt man einen Engel? Das Merkmal der Engel, das sind die Flügel. Doch wer nur auf die Flügel achtet, wird den Engel übersehen. Meine Begegnung mit Wiktoria hat meinen Glauben an die kosmischen Engelsenergien genährt – und meine Hoffnung auf eine bessere, friedliche Welt.

*Wie schon einmal geschrieben, meine ich mit “Gott” nicht den monotheistischen Vatergott. Diesen begreife ich zwar nicht als „falsch“ oder erfunden, aber als Einengung und Vereinseitigung eines weitaus umfassenderen Göttlichen.

Der liebe Gott am alten Stellwerk – Was ist eigentlich SYNCHRONIZITÄT?

Seit ein paar Jahren erlebe ich immer wieder Erstaunliches, das sich rational nicht erklären lässt. Meine Töchter, die beide Psychologie studieren, haben mir erklärt, dass es sich um Ereignisse handelt, die der Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung (1875-1961), “Synchronizität” genannt hat. Es ist gut zu wissen, dass es für meine Erfahrungen einen Begriff und eine Erklärung gibt, und vor allem: Dass andere Menschen Ähnliches erleben.

Leider sind die Definitionen, die ich im Netz finde, so abstrakt, dass sie kaum jemand verstehen kann. Die konkreteste ist noch folgende Erklärung im Wikipedia-Eintrag:

Es handelt sich bei der Synchronizität um ein inneres Ereignis (eine lebhafte, aufrührende Idee, einen Traum, eine Vision oder Emotion) und ein äußeres, physisches Ereignis, welches eine (körperlich) manifestierte Spiegelung des inneren (seelischen) Zustandes bzw. dessen Entsprechung darstellt”. https://de.wikipedia.org/wiki/Synchronizität

Diese Definition (in dem ansonsten sehr erhellenden Beitrag zu Synchronizität) sagt allerdings nur den Menschen etwas, die bereits Synchronizitäts-Erfahrungen gemacht haben. Und sie fasst auch nicht das Rätselhafte und Wundersame. Daher möchte ich das Phänomen einfach erklären. Am besten geht das, wenn ich es mit dem Träumen vergleiche: Man stelle sich vor, die Absonderlichkeiten, die wir träumen, passieren wirklich!

Träume können schön sein oder bedrohlich, schlicht oder hochkomplex, banal oder existentiell. Oft halten sie uns den Spiegel vor. Manchmal ertappen sie uns. Träume führen uns mit Personen zusammen, die wir nie treffen wollten. Wir finden uns in liebender Umarmung mit einem Menschen wieder, den wir “in echt” nicht mögen. Was bedeutet das? Sehnen wir uns insgeheim nach diesem Menschen?

Erstaunlich finde ich immer wieder, dass uns ein Traum keine zusammenhanglosen Bilder serviert, sondern eine sinnvolle und oft klar strukturierte Geschichte erzählt, die ziemlich verrückt sein kann und oft auch überraschende Wendungen enthält. Doch wer oder was erzählt da eine Geschichte? Etwas scheint in uns zu sein, das mehr über uns weiß als wir selber. Keine künstliche Intelligenz, sondern eine wirkliche, eine geheimnisvolle. Wenn wir wieder wach sind, ist der Traum zu Ende. Meistens jedenfalls.

Synchronizitätserlebnisse ähneln Träumen, doch ist das, was in unseren Träumen “nur geträumt” ist, real. Seltsamkeiten, wie sich sich sonst nur im Traum ereignen, passieren tatsächlich. Gleichzeitig spiegeln die realen Ereignisse unsere Vorstellungen oder unsere unausgesprochenen Gedanken. Manchmal ist es, als könnten die Ereignisse Gedanken lesen. Berühmt geworden ist eine Geschichte, die C.G. Jung in seiner analytischen Praxis selber erlebt hat.

Eine junge Patientin hatte in einem entscheidenden Moment ihrer Behandlung einen Traum, in welchem sie einen goldenen Skarabäus zum Geschenk erhielt. Ich saß, während sie mir den Traum erzählte, mit dem Rücken gegen das geschlossene Fenster. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch, wie wenn etwas leise an das Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah, dass ein fliegendes Insekt von außen gegen das Fenster stieß. Ich öffnete das Fenster und fing das Tier im Fluge. Es war die nächste Analogie zu einem goldenen Skarabäus, welche unsere Breiten aufzubringen vermochten, nämlich ein Scarabaeide (Blatthornkäfer), Cetonia aurata, der gemeine Rosenkäfer, der sich offenbar veranlasst gefühlt hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in ein dunkles Zimmer gerade in diesem Moment einzudringen.“ (zitiert nach wikipedia, s.o.)

Ich persönlich mag Streitgespräche, doch meistens geht es da nur um den Schlagabtausch, während sich die Fronten verhärten. Jeder will gewinnen, ich, wenn ich dabei bin, übrigens auch. (Nebenbei gesagt: In der geschlossenen Gesellschaft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist seit Corona das Denken tabu. Sorgfältig ausgewählte Talkshowgäste führen Scheingefechte, bei denen alle gewinnen, denn die einzelnen Positionen unterscheiden sich nicht wirklich voneinander. Man bestätigt sich gegenseitig und geht gut gestimmt aus der Veranstaltung heraus. Dieser Triumph ist jedoch nur durch die Ausgrenzung Andersdenkender erkauft.)

Erkenntnis jedoch kann nur gewonnen werden, wenn die Gesprächspartner nicht miteinander konkurrieren. Ist die Gesprächs-Situation offen und entspannt, kann gelingen, was der Schriftsteller Heinrich von Kleist (1777-1811) in einem Aufsatz “Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden” genannt hat.

So wie in C.G. Jungs Behandlungsraum: Die Patientin erinnert sich an den Traum und bewahrt ihn auf diese Weise davor, dass sie ihn wieder vergisst. Dann nämlich würden seine Bilder und Botschaften wieder ins Unbewusste abgleiten. Während die Patientin ungestört ihren Traum nacherzählt, ins Bewusstsein holt und noch einmal zum Leben erweckt, ist der Therapeut entspannt und gespannt zugleich, er ist ganz Ohr. Das ist nicht ungefährlich, da er an eben dieser Stelle ungeschützt ist. Doch C.G. Jung vertraut seiner Erfahrung und hört auf das Ohr, denn er weiß: Als unser ältestes, erstes, schon in einer frühen Phase unserer pränatalen Existenz hochentwickeltes Wahrnehmungsorgan ist das Ohr das Kontaktorgan und die Pforte zu unserer Innenwelt und dem Unbewussten.

Und es ist wiederum das offene Ohr, das die Klopfgeräusche eines kleinen Käfers vernimmt, dessen ferner Verwandter, der Skarabäus, als Glücksbringer gilt, weil er über telepathische Fähigkeiten verfügt. “Die Bedeutung als Glücksbringer und Schutzsymbol resultiert aus der früheren Annahme, dass Skarabäen das Nilhochwasser angeblich frühzeitig spüren. Die Tiere wanderten weg vom Wasser, tauchten in den Häusern auf und kündigten so den Ägyptern das ersehnte Nilhochwasser an.” https://de.wikipedia.org/wiki/Skarab%C3%A4us

Nur gut, dass C.G. Jung den Käfer (im Fluge!) gefangen hat, denn vielleicht wollte der kleine, neugierige Käfer nicht nur in das Zimmer hinein fliegen, sondern in das Ohr des großen Wirklichkeitsdeuters krabbeln. Der außergewöhnlich phantasiebegabte C.G.Jung sagte einmal einen wunderbaren (aus heutiger Perspektive “globalisierungskritischen”) Satz, der oft zitiert werden sollte: “Das einzig lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein.” (C.G. Jung: Der Mensch und seine Symbole.) Dieses abenteuerliche menschliche Innen interessiert natürlich auch einen Käfer. Wie dem auch sei: Was sich da zwischen Therapeut, Patientin und Käfer ereignet, spiegelt nicht nur den Traum der Patientin, sondern hört sich an wie ein Traum. Nur ist es keiner.

Manche Menschen berichten davon, dass sich während eines intensiven Gesprächs mit einem seelenverwandten Menschen plötzlich in der Außenwelt etwas ereignet, das das Gespräch bebildert. Ich kenne das von Telefongesprächen mit meiner jüngeren Tochter, die die Gewohnheit hat, mich anzurufen, wenn sie zu Fuß unterwegs ist.

Ende Mai 2021: Meine Tochter gehört Brexit-bedingt zu den vermutlich letzten Erasmus-Studentinnen in England und wird noch bis Ende Juni 2021 an der “Durham University” eingeschrieben sein. Während die Lehrveranstaltungen fast alle online stattfinden, werden im Frühjahr 2021 endlich wieder (kostenlose) Uni-Sportkurse angeboten. Das Angebot ist groß- auch für die Erasmus-Studenten, die ja nicht einmal Studiengebühren zahlen. Meine bewegungsfreudige Tochter würde am liebsten alle Kurse belegen, was natürlich nicht geht. So entscheidet sie sich für Fußball, Tennis, Kanu auf dem Fluss Wear, Volleyball, Badminton und Netball, laut meiner Tochter “eine Art Soft- Basketball für Frauen”.

Jetzt ist sie auf dem Weg zum Badminton-Training, das in einer hochmodernen Halle im “Maiden Castle Sports Park” stattfindet. Da sie das Corona-Test-Ergebnis abwarten muss, hat sie noch Zeit und ruft mich an. Ich sitze gerade am Computer und studiere den Wetterbericht für Durham. “Du hast heute Nebel”, sage ich. “Wann kriegst du dein Testergebnis?”

“Gleich”, sagt meine Tochter. “Aber hier ist es nicht nebelig.”

“Merkwürdig”, sage ich. Wir reden vom Rasenmähen, um das meine Tochter nicht herum kommt, weil es in ihrem WG-Zimmer-Mietvertrag ausdrücklich als Pflicht vermerkt ist, dann von den Krähen, die in Durham anders aussehen als in Köln oder Heidelberg. Währenddessen gucke ich kurz ins Internet und stelle fest, dass das Symbol, das ich im Wetterbericht gesehen habe, tatsächlich “Nebel” anzeigt. Jetzt wird mir Brillenwerbung eingeblendet. Dafür hat sich laut Wetterbericht der englische Nebel verflüchtigt. Ich klicke den Wetterbericht weg, aber wieder kommt Brillenwerbung.

“Mir werden ständig Brillen eingeblendet”, sage ich zu meiner Tochter. “Was soll ich denn damit? Aber der Nebel hat sich aufgelöst.”

“Sag ich doch”, lacht die. “Aber das ist ja lustig.”

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Im Gras findet meine Tochter eine Brille, die sie im Sport-Center abgibt. Ich beschließe, nicht mehr so oft in den Wetterbericht zu gucken, der neuerdings eh kaum noch stimmt.  Der Schatten belegt, dass es in Durham nicht nebelig ist. (Foto: Selfie) Meine Tochter hatte zu dieser Zeit, wie man sieht, gestutzte Fingernägel. Das war den Netball- “Benimmregeln” geschuldet. Wenn zwei College-Mannschaften aufeinander treffen, kontrolliert die Schiedsrichterin vor dem Spiel die Fingernägel der Spielerinnen. Damit sich die Spielerinnen nicht kratzen können, müssen die Nägel kurz geschnitten sein und dürfen nicht über die Fingerkuppe ragen.

Eine telepathisch-telekommunikative Nabelschnur…

November 2021: Meine Tochter, die Corona-bedingt überwiegend online studiert, ist wieder aus England zurück, zur Zeit aber in Frankreich. Sie ist auf dem Weg zum Bahnhof von Saint-Germain-En-Laye und nutzt die Gelegenheit, mich anzurufen. Wir reden über dies und das, und dann erzählt sie mir etwas, das sie beunruhigt: Sie hat schon mehrere junge Französinnen kennengelernt, die mit dem Militär liebäugeln und von einer Karriere bei der Armee träumen. Meine Tochter, die als Fußballerin den spielerischen Zweikampf nicht scheut, ist eine glühende Pazifistin.

Ich necke meine Tochter und erinnere sie daran, dass sie -nachdem sie sich bei einer Werbeveranstaltung in ihrer Schule spaßeshalber in eine Liste eingetragen hatte- eine Zeitlang immer wieder Post von der Bundeswehr bekam.

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Köln-Nippes, Herbst 2020. Eine perfekte Tarnung: S-Bahn im Military-Look. Werbe-Slogan: “MACH, WAS WIRKLICH ZÄHLT. Nach der Schule liegt dir die Welt zu Füßen.  MACH SIE SICHERER.” Diese offensive Zurschaustellung der Bundeswehr wäre zu Zeiten einer allgemeinen Wehrpflicht  undenkbar gewesen. Doch der Bundeswehr fehlen die Rekruten. Wer geht nach der Befreiung von der Wehrpflicht noch freiwillig zur Bundeswehr? Also muss Werbung her.                       Frühsport und Drill im Dreck konnten die wehrpflichtigen Männer meiner Generation noch abschrecken, werden aber heutzutage den jungen Leuten als Fitness-bzw. Survival- Training  verkauft. So banalisiert man den Krieg. Military Fitness lockt leider auch Frauen an. Die Schlacht -so wird suggeriert- ist eine schweißtreibende Angelegenheit, und zwischen Fitness-Studio und Front besteht kaum noch ein Unterschied.                                                                                                    Mit großem medialen Aufwand startete  die Bundeswehr im Jahr 2015 eine erste bundesweite Werbekampagne. Die junge blonde Frau, die uns in einem kleinen Video vorgestellt wird, wollte eigentlich Lehrerin werden. In der Eingangssequenz wandert sie mit einem Rucksack auf dem Rücken durch eine Alpen-Landschaft. Aber sie ist keine Backpackerin, sondern angehende militärische Führungskraft. Gerade absolviert sie einen freiwilligen Wehrdienst bei den Gebirgsjägern, was sie auf die Idee bringt, sich zur Offizierin ausbilden zu lassen. https://www.welt.de/kultur/video149501137/Mach-was-wirklich-zaehlt.html

Der Krieg lässt uns nicht los. Da man am Telefon schlecht schweigen kann, reden wir und reden, auch über den Vater meiner Töchter, der ein leidenschaftlicher Kriegsdienstverweigerer und überzeugter Zivildienstleistender war. Mit Zivis, die er später unterrichtet hat, hat er Klaus Theweleits “Männerphantasien ” gelesen. Wir reden und reden und landen bei Trump: Eigentlich sind militärische “Übungsflüge” über Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern verboten. Am Tag nach Trumps Wahl zum Präsidenten der USA sind jedoch “just for fun” Kampfjets über Köln und auch über die autofreie Siedlung hinweg geflogen. Weil ich zufällig draußen war, habe ich es überhaupt nur mitgekriegt. Scheinbar hat es niemanden interessiert. Gruselig!

“Das darf doch nicht wahr sein”, sagt meine Tochter und lacht. “Da kommen Panzer angefahren.”

Was gerade noch Gesprächsthema ist, kann schnell Realität werden. Straßenkreuzung in Saint-Germain-En-Laye, Panzer-Transport:

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Ich muss gestehen, dass diese und andere Erlebnisse -kleine Synchronizitäten- mir zunächst nicht ganz geheuer waren. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, denn sie passieren oft und sind zwar rätselhaft, aber (in der Regel!) alltäglich. Meine “Allltagswunder” sind weder gut noch schlecht, sondern erstaunlich. Um Synchronizität zu erleben, muss man offen sein und darf keine Angst davor haben, verrückt zu werden.

Es ist überlebensnotwendig, dass wir uns und insbesondere unsere Kinder vor den Schreckens- und Horrorbildern schützen, mit denen wir tagtäglich beballert werden, nicht nur im Internet, sondern zunehmend auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn diese Bilder machen Angst. Sie besetzen und zerstören nicht nur die Phantasie, sondern verfolgen uns bis in unsere Träume. Ich denke dabei nicht nur an offen brutale Szenen. Erschreckend finde ich den Krimi-Schauplatz Gerichtsmedizin. Auch in den Krimis, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausstrahlt, werden “gespielte” Leichen schamlos zur Schau gestellt. Insbesondere im Münsteraner “Tatort”, der zur besten Sendezeit familienfreundlich daher kommt, werden Krankheit, Mord, Tod und Sterben veralbert und banalisiert.

“Alltagswunder” können wir nur dann erleben, wenn wir es schaffen, uns die offen oder versteckt brutalen Bilder vom Leibe zu halten. Im Fernsehen meiner Kindheit gab es “Kinderstunde”, “Sendeschluss” und mediale Verschnaufpausen. Wir Kinder der 1960er Jahre, so behaupte ich, haben noch anders geträumt. Meine Kinder-Alpträume waren so harmlos, dass ich eine Technik entwickeln konnte, mich daraus zu retten und in Sicherheit zu bringen. Praktischerweise hatte ich immer den gleichen Alptraum: In dem kleinen Wäldchen, wo wir Kinder gerne spielen, werde ich von einem Krokodil verfolgt. Dann sage ich mir, dass es in Bottrop keine Krokodile gibt, ziehe mich mit aller Kraft aus dem Traum heraus und wache auf. Der Trick klappt immer noch, auch wenn das Krokodil mittlerweile der Mensch ist. Den gibt es zwar in Bottrop, aber den kenne ich.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich geneckt werde. Da ertappt mich jemand, ein Schelm, ein Trickster. Der Witzbold hält mir den Spiegel vor und kennt meine Ticks und Marotten. Und er weiß um mein Faible für Zahlen.

Im Sommer habe ich mir zum ersten Mal im Leben ein Auto gekauft. Als ich ein gutes Angebot bekam, schlug ich direkt zu. Es ging nicht anders: In der verkehrten Welt der autoritären Corona-Maßnahmen ist ausgerechnet das Auto (m)ein Freiheits-Gefährt.

Juni 2021: Ich habe das Glück, kurzfristig einen Vormittags-Termin in der KFZ-Zulassungsstelle zu bekommen. Ich habe ein Wunsch-Kennzeichen im Kopf, ein Buchstabenpaar und die zweistellige Hausnummer meines Elternhauses. Ich bin optimistisch, schließlich will ich nicht das beliebte Autokennzeichen K FC plus einer Zahl zwischen 1 und 9999. Diese Kennzeichen sind längst alle vergeben.

Zufällig werde ich an genau den Schalter geschickt, dessen Nummer mit meiner Elternhaus- Nummer bzw. Autokennzeichen-Wunschzahl identisch ist. Das passt, denke ich. Doch leider ist mein Wunsch-Kennzeichen schon vergeben. Übrig sind nur noch drei- und vierstellige Zahlen. Ich habe ein paar tausend Zahlen zur Auswahl. Die Frau hinter dem Schalter ist geduldig. Nach einigem Überlegen entscheide ich mich für eine dreistellige Zahl. Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher, ob diese Zahl die richtige ist. Das sollte sich ändern.

Nachmittags gehe im REWE einkaufen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich kaufe, ein paar kleine Teile, aber an den Geldbetrag erinnere mich genau: Die krumme Summe entspricht genau den Zahlen auf meinem Autokennzeichen!

November 2021: Ich schreibe an meinem Blogbeitrag “The Great Health Dictator”, der auch eine Hommage an Charlie Chaplin ist. Auf dem Weg zum Siedlungsladen denke ich darüber nach, dass ich alle Informationen aus dem Internet habe und dass es eigentlich schade ist, kein Buch über Chaplin zu besitzen. Gleichzeitig bin ich froh darüber, denn wir haben zu viele Bücher, außerdem leben in unserem Haus bücherliebende Silberfischchen. Kurz vor dem Geschäft bemerke ich eine “Zu Verschenken”- Kiste. Darin sind zwei gut erhaltene Bücher: Ein Kochbuch und…

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Dass es sich bei meinem Fundstück laut Verlags-Werbung um einen “Sensationsfund” handelt, finde ich lustig. Ich habe das Buch mit nach Hause genommen, denn Geschenke darf man nicht ausschlagen. 

Wir sagen euch an: Im Kölner Dom wird an Heiligabend geimpft – Wie mich eine persönliche Gotteserfahrung (“Nahtod”) gegen die Staatskirche immunisiert hat

Im deutschen Fernsehen haben zwei Wissenschaftsjournalisten das Sagen, die ich einmal geschätzt habe, auch weil sie schon seit Jahren unermüdlich auf die Gefahren des durch den Menschen verursachten “Klimawandels” hinweisen. Beiden, Harald Lesch und Ranga Yogeshwar, kann ich jedoch nicht mehr vertrauen, da sie die öffentlich-rechtliche, von uns allen üppig finanzierte Fernseh-Bühne dazu benutzen, vehement Werbung für die umstrittene und meines Erachtens gesundheitsgefährdende Corona-Impfung zu machen.

Beide Wissenschaftsjournalisten sind Astro-Physiker. Astronomen traut man zu, etwas über Gott und die Welt sagen zu können. Ranga Yogeshwar bezeichnet sich selber als “Atheist”. In einem Interview mit dem NDR sagte er im Jahr 2017: “Ich beneide Menschen, die glauben. Ich kann es nicht. Aber es gibt gute Alternativen dazu – und das meine ich sehr nett und nicht dogmatisch.” https://web.archive.org/web/20170716162125/https://www.ndr.de/themenwoche/Ranga-Yogeshwar-spricht-ueber-Glauben,interviewyogeshwar100.html

Was Yogeshwar sagt, finde ich nicht unsympathisch, denn es klingt ehrlich. Die Vorstellung der eigenen Vergänglichkeit lässt sich ja für uns alle schwer aushalten, “diese Absurdität, dass man irgendwann einfach nicht mehr da ist.” https://www.ksta.de/kultur/interview-ranga-yogeshwar-die-gesellschaft-wird-dumm-gehalten-2496200?cb=1640161639759& Aber gleichzeitig scheint “diese Absurdität” eine gewisse Faszination auszuüben. Warum sonst richten die Astronomen den durch Technik geschärften Blick wieder und wieder ins kalte All? So wie andere Männer eine Modell-Eisenbahn besitzen, hat der technikfaszinierte Ranga Yogeshwar bei sich im Garten eine eigene Sternwarte. Seltsam, wie ich finde.

Ob der Protestant Harald Lesch eine Sternwarte besitzt, wissen wir nicht. Aber eines wissen wir: Lesch glaubt an den patriarchal-autoritären Vatergott. Daraus macht er kein Geheimnis: “Unser christliches Gottesbild ist ja ein sehr personales, dem ich persönlich auch anhänge, weil ich glaube, dass wir Menschen uns nichts anderes vorstellen können als einen personalen Gott. Wir könnten uns keine rumwabernde kosmische Energie vorstellen, die zwar den Kosmos geschaffen hat, aber mit meinem Schicksal gar nichts zu tun hat.” https://www.pro-medienmagazin.de/ich-bin-vom-scheitel-bis-zur-sohle-protestant-harald-lesch-im-interview/

Doch schließen sich der biblische Schöpfungsbericht und die Evolutionstheorie nicht eigentlich aus? Feierabend-Protestant Harald Lesch meint, beides zusammenbringen zu können, indem er den Physiker feinsäuberlich vom Privatmann trennt: “Wissen Sie, die Art und Weise, wie ich Physik betreibe, hat nichts mit meinem Bekenntnis als Christ zu tun. Aber die Art und Weise, wie ich mit mir, mit meinen Nächsten und der Welt umgehe, sehr wohl.https://www.domradio.de/themen/glaube/2021-01-24/mein-verhaeltnis-zur-welt-entscheidet-mein-christsein-physiker-harald-lesch-ueber-leben-corona-und

Doch bei dem Versuch, der Schöpfung auf die Spur zu kommen, stößt die Naturwissenschaft an ihre Grenzen. Aus dem Nichts kann eigentlich nichts entstehen. Also dürfte vor dem Urknall schon etwas gewesen sein. Nur was? Der Gott der Bibel doch wohl kaum. Die Frage nach dem Davor lässt auch Welterklärer Lesch straucheln. Immerhin stellte er auf Terra X vor zwei Jahren die Frage: Was war vor dem Urknall? https://www.youtube.com/watch?v=ffLW-FS8rxk

“…Wir könnten uns keine rumwabernde kosmische Energie vorstellen, die zwar den Kosmos geschaffen hat, aber mit meinem Schicksal gar nichts zu tun hat…” (Lesch, s o.)

Ohne sie mir vorstellen zu können bzw. zu wollen, glaube ich persönlich daran, dass es eine (weder “rumwabernde” noch rumlabernde) kosmische Energie gibt, die nicht nur an der Erschaffung des Kosmos beteiligt war, sondern -wie und warum auch immer- mit dem menschlichen Schicksal etwas zu tun hat.

Doch wie sollen wir an ein Göttliches glauben, wenn es sich nicht zu erkennen gibt? Vermutlich lässt sich Gott nicht beweisen, schon gar nicht mit den Methoden der Wissenschaft. Doch statt Beweisen gibt es Hinweise auf Gott (wobei ich den monotheistischen Vatergott nicht als “falsch” oder erfunden, sondern als Einengung und Vereinseitigung eines weitaus umfassenderen Göttlichen begreife).

Die wohl deutlichsten Gotteshinweise sind die sogenannten “Nahtoderlebnisse”. Solche Begegnungen mit dem Göttlichen lassen sich nicht bewusst herbeiführen. Jenseits jeglicher Versuchsanordnung passieren sie einfach. Sie kommen sozusagen aus heiterem Himmel.

Ich möchte jedem empfehlen, einen Beitrag anzuschauen, der vor knapp zwei Jahren auf mk-online gesendet wurde, der “multimedialen Internetseite des katholischen Medienhauses Sankt Michaelsbund.” Skeptikern möge gesagt sein, dass hier auch ein Schulmediziner zu Wort kommt, Prof. Dr. Dr. Wilfried Kuhn, Chefarzt der Neurologischen Klinik des Leopoldina-Krankenhauses der Stadt Schweinfurt.

Wilfried Kuhn unterscheidet die Bilder, die sich Menschen während einer Nahtoderfahrung machen, von den Halluzinationen, die psychisch Kranke haben können. “Die pathologischen Halluzinationen, wie sie bei Krankheiten vorkommen, sind meistens negativ besetzt, angstbesetzt. Es werden Dinge gesehen, kleine Tierchen, oder Stimmen gehört. Bei der Nahtoderfahrung ist es eben anders, diese Dinge… die sind in einer relativ klaren Struktur… Diese Halluzinationen, die bei den Nahtoderfahrungen vorkommen, die sind lebensverändernd, die führen in den meisten Fällen zu einer Transformation, zu einer religiösen oder spirituellen Transformation, die das ganze Leben verändert, und das unterscheidet sie auch, diese sogenannte Halluzinationen, von denen, die in der Psychiatrie vorkommen.”

Wenn ich nicht selber vor knapp sieben Jahren Ähnliches erlebt hätte, würde ich Nahtoderlebnisse für “Hirngespinste” halten. Ich muss gestehen, dass ich bis dahin Berichte über Anderwelt-Erfahrungen immer belächelt hatte. Über Esoterik und Homöopathie hatte ich mich lustig gemacht. Dann aber…

Zum dritten Mal veröffentliche ich daher einen kurzen Bericht über meine “Nahtod”-Erfahrung. Ausgelöst wurde das Erlebnis nicht durch eine lebensbedrohliche Situation, sondern (zeitversetzt) durch das unvoreingenommene Betrachten der Bilder eines zeitgenössischen Künstlers, dessen Namen ich bewusst nicht nenne. Diese Bilder haben eine außergewöhnliche halluzinogene Kraft und erinnern daran, dass alle Kunst vermutlich einen spirituellen Ursprung hat.

Romantisch oder ausschließlich beglückend war diese Erfahrung nicht, überhaupt nicht. Sie war schmerzhaft und schön zugleich, so ambivalent wie das Kinderkriegen. Frappierend war die einfache, aber klare Dramaturgie: Nach einer Phase nie gekannter Angst löste sich meine Panik allmählich auf, bis ich nichts empfand als Glückseligkeit.

„… Es geschah kürzlich, mitten in der Nacht. Ich war aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen. Nachdem ich eine Weile wach gelegen hatte, hörte ich ein Geräusch, das ich an diesem Ort noch nie gehört hatte, den einzelnen Schlag einer Glocke: Gonnnnnnggg. Ihr Klang kam von draußen, aus nächster Nähe. Nach einer Weile wiederholte sich der Klang: Gonnnnnnggg. Ich stand auf und guckte aus dem Fenster. Ich bemerkte nichts, was das Geräusch verursacht haben könnte. Ich legte mich hin und hörte wiederum die Glocke: Gonnnnnnggg.
Etwas nahm mich bei den Füßen und zog mich mit sich, es war, als würde ich auseinandergerissen werden, in tausend Stücke zerspringen, wahnsinnig werden, allen Erdboden verlieren.
Halt mich fest, sagte ich zu meinem Mann, der neben mir schlief. Ich hab Angst.
Pst, sagte eine Stimme, er schläft wie ein Kind. Weck ihn nicht auf, denn ich komme zu dir.
Ich fühlte mit einem Mal eine unendlich beglückende Energie, ich war durchflutet von Liebe. Ich war aufgehoben in der Welt und in mir und spürte mit jeder Faser meines Leibes das Leben. Alle je empfundene Liebe verdichtete sich in diesem einen Moment. Wie nie zuvor liebte ich den Mann, der neben mir lag…“

Ich habe seit diesem Erlebnis keine Todesangst mehr. Ich weiß, dass es das Nichts nicht gibt. Aber ich sorge mich auch mehr. Ich habe ein gesteigertes Empfinden für die von Menschen verursachten Gefahren, die das Leben auf der Erde bedrohen. Und ich empfinde in der Tiefe, was Greta Thunberg wieder und wieder gesagt hat und sagt: Das Haus brennt.

***

Harald Lesch sagt noch etwas, das mich aufhorchen lässt: “Gott hat ein Lebewesen erschaffen, das einen freien Willen hat. Wir können uns in Freiheit für oder gegen ihn entscheiden.(pro-medienmagazin, s.o.) Ich persönlich glaube nicht an einen Gott, den wir “in Freiheit” wählen oder abwählen können wie eine Politikerin oder einen Politiker. Das Göttliche ist alles andere als eine Option.

Die Freiheit des Menschen ist relativ. Der Spielraum, den die Politik sich nimmt, ist viel zu groß geworden. Zur Zeit erleben wir, wie Freiheit in Willkür umschlägt. Die größte Freiheit, die uns Menschen gegeben ist, ist die Freiheit, sich göttlich zu verhalten, und genau diese Freiheit wird derzeit verspielt. Ich sehe in der Impfung der Massen mit mRNA- Impfstoffen nichts Geringeres als den historischen Versuch, die Schöpfung zu manipulieren: Gott impfen.

Denn die Corona-Impfung verletzt unsere körperliche Integrität. Schon am 25.6.2021 twitterte Karl Lauterbach: “Spannende Studie aus Niederlanden, wie BionTech Impfung unser Immunsystem verändert. Einige Effekte könnten erklären, weshalb tödliche Verläufe nach Impfung extrem rar sind. Trotzdem muss das tiefer erforscht werden, nicht alle Änderungen müssen gut sein…

In ihrem Eroberungs-Furor würden manche Wissenschaftler am liebsten den Lauf der Sterne beeinflussen. Zum Glück ist das unmöglich. Doch anders als die kosmischen Rhythmen sind die natürlichen menschlichen Rhythmen (insbesondere der weibliche Zyklus) manipulierbar.

Dass heute Mittag im Kölner Dom geimpft wurde und die Menschen nicht eine Hostie, den “Leib Christi”, sondern das Vakzin von BioNTech “erhalten” haben, finde ich nicht nur armselig, sondern sehe ich als Hinweis darauf, dass die Staatskirche Gott endgültig vertrieben hat.

Und im Kölner Dom wird an Heiligabend nicht nur gebetet, sondern auch geimpft: Interessierte können am 24. Dezember zwischen 10 Uhr und 14 Uhr im Dreikönigensaal ohne Anmeldung eine Impfung erhalten, wie das Metropolitankapitel ankündigte. Möglich sind Erst-, Zweit- und Boosterimpfungen, verimpft wird das Vakzin von BioNTech.” https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/weihnachtsgottesdienst-corona-101.html

“Hömma, Lisa, deine Tochter hat DELTA, und du lädst mich nicht zur Viren-Party ein: Kniesbüggel!” – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. “Kann ich deine Tochter wohl mal sprechen?”

“Hä?” Ich war nur kurz vor der Tür, zwei Fahrräder aus dem Schuppen holen, hab die Haustür aufgelassen, da war die Frau Keuner auch schon da, als wenn sie drauf gewartet hätte. Die hat den Gehwagen die Stufe hochgebockt und is rein ins Haus. Jetzt sitzt die Frau Keuner am Tisch, und wenn die erst mal sitzt, dann sitzt die.

Ich räuspere mich: “Frau Keuner, das geht jetzt nicht, ich muss Sie leider bitten, das Haus zu verlassen.” Die Frau Keuner verschränkt die Arme.

“Meine Tochter ist vor zwölf Tagen positiv getestet worden”, sage ich und räuspere mich wieder. “Gestern stand das Gesundheitsamt hier noch einmal auf der Matte und hat den Abstrich für den abschließenden PCR-Test durchgeführt. Meine Tochter ist zwar wieder negativ, aber bis einschließlich 23.59 Uhr ist die in Quarantäne. Die darf noch nicht raus und die darf vor allem keinen Besuch haben. Die hat gehustet, geschnieft und geschwitzt. Sie wissen doch, wie hoch ansteckend die Delta-Variante ist. In den letzten Wochen habe ich mich kaum getraut, die Fenster zu öffnen, damit das Virus nicht entfleucht und halb Nippes verseucht. Es ist gut möglich, dass das Delta-Virus hier…”

“… Immer noch sein Unwesen treibt”, ergänzt die Frau Keuner und lacht. Sie schließt die Augen und holt tief Luft. “Bissken abgestanden, die Luft, aber lecker Aerosole. Wo du mir schon sonst nichts anbietest, will ich wenigstens echte Kölner Corona-Luft einatmen.” Die Frau Keuner legt den Kopf in den Nacken, atmet tief durch die Nase ein und tief durch den Mund aus.

“Frau Keuner, bitte verlassen Sie das Haus. Meine jüngere Tochter und ich stehen als ungeimpfte Kontaktpersonen einer Infizierten immer noch unter Corona-Verdacht. Und nur weil wir uns kooperativ verhalten, sieht das Gesundheitsamt von unangekündigten Hausbesuchen ab.”

“Und der angekündigte Besuch war lustig, wa?”, foppt mich die Frau Keuner. “Dat sind die neuen Vertreter, aber die kommen nicht mehr von Vorwerk, sondern vom Gesundheitsamt.”

“Es war gruselig”, antworte ich. “Da kam eine vermummte blonde junge Frau. Hellblauer Schutz-Anzug, hellblaue Maske, blaue Augen. Ich war so schlau, ganz langsam vor dem langen Stäbchen zurückzuweichen, aber meine Tochter dachte, dass es nicht weh tut, wenn sie nur den Kopf ruhig hält.”

“Ach wat”, sagt die Frau Keuner und grinst. “Wenn du nicht protestierst, dringen die umso tiefer in dich ein. Das geschulte, erfahrene Personal führt das lange, lange Teststäbchen mit ruhiger Hand durch die Nase tief und immer tiefer ein bis hinten an die Rachenwand, ja, mit ruhiger Hand platziert die medizinische Fachkraft das lange, lange Teststäbchen hinter dem Gaumenzäpfchen. Und? Hat das Personal dir Impfmuffel auch schön Angst gemacht? Hat man dir auch einen Pulsoximeter an den Finger geklemmt?”

“Ich, ich”, stammele ich. “Ich wusste gar nicht, dass es das gibt. Das…”

“Dat gibbet bei Saturn und überall”, lacht die Frau Keuner. “Der Pulsoximeter gehört heutzutage in jede Hausapotheke.”

“Das ging schneller, als ich reagieren konnte”, sage ich. “Ohne Vorankündigung und alles im Hauseingang. Und die Frau hat nur auf Nachfrage gesagt, dass sie meinen Pulsschlag und den Sauerstoffgehalt meines Blutes testet. Dabei stand ich gesund und munter auf beiden Beinen vor ihr. Ich meine, die ist vom Fach, die muss doch ein Gespür dafür haben, dass es mir gut geht. Und wollen Sie wissen, was die Person gesagt hat?”

“Was hat die denn gesagt?!… Jetzt sach schon!”

Ich lasse die Frau Keuner eine Weile zappeln und rede dann weiter: “Wortwörtlich hat die zu mir gesagt: Es kann sein, dass Sie in Kürze beatmet werden müssen. Sie wissen nichts davon, denn noch fühlen Sie sich wohl, aber Ihr Zustand kann sich binnen kürzester Zeit dramatisch verschlechtern. Sie hätten die Untersuchung auch ablehnen können, aber seien Sie froh, dass Sie kooperiert haben, denn Ihre Werte sind in Ordnung.”

 

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Ein leider unscharfes Selfie meiner physisch und psychisch verletzten jüngeren Tochter, die ebenso wie ich vermutlich gegen Delta immun ist: Am Morgen nach dem äußerst unangenehmen Abstrich für den PCR-Test war ihr rechtes Auge (der Stab wurde ins rechte Nasenloch eingeführt) gerötet. Außerdem verspürte  die “Kontaktperson” tagelang einen stechenden Schmerz im Hals.                                                              Abstriche für PCR-Tests sind immer unsanft und sollten in der Corona-Diagnostik nicht routinemäßig durchgeführt werden. Wie brutal sie sein können, musste eine meiner Schwippschwägerinnen erfahren. Bei ihr wurde ein Nerv getroffen. Nachdem sie sich vor ein paar Jahren die Nase gebrochen hat, sieht der Innenraum ihrer Nase anders aus als die Norm-Naseninnenräume auf den Abbildungen in den Fachbüchern. Das medizinische Personal müsste für den Fall, dass man solche Eingriffe überhaupt vornimmt, dringend angehalten werden, nach Vor-Verletzungen zu fragen!

Zum Vergleich hatte meine Tochter auch das andere Auge fotografiert:

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“Am Anfang dachte ich, es ist nur ein Gerücht”, sagt die Frau Keuner. “Aber dann stimmt es also, dass deine Tochter Corona hatte? Delta auch noch.” Ich nicke und setze mich zu ihr an den Tisch.

“Es ist schon vernünftig, dass du mir kein Käffken anbietest”, sagt die Frau Keuner. “Boah ey, Lisa, du hast Corona geküsst!”

“Hä?”

“Man hat dich beobachtet. Du hast am 21. Juli gegen 16h von irgendwoher ein Auto geholt und unerlaubterweise im Wendehammer geparkt. Dann hast du deine Tochter zu Hause abgeholt und zum Auto gebracht. Eng umschlungen. Bei welchem Arzt wart ihr denn, wart ihr auch in der Praxis Dr. Knoop? Stimmt es, dass die ein riesengroßes Wartezimmer mit einem riesigen, stets weit geöffneten Fenster haben und ein Extra-Stühlchen für die Personen, die unter Corona-Verdacht stehen? Und haben die euch eine halbe Stunde warten lassen, obwohl dat Mädchen Fieber hatte und gehustet und geschnieft hat?” Ich nicke.

“Hömma, Lisa, du hast deine Tochter auf offener Straße ohne alle Hemmungen abgeknutscht.”

“Weil sie mir so leid tat.”

“Angeblich hast du laut und deutlich Willkommen, Corona! gesagt”, lacht die Frau Keuner. “Und als am nächsten Tag klar war, dass die Delta hat, hast du wahrscheinlich einen Luftsprung gemacht. Und du hast alles dafür getan, dich bei ihr anzustecken. Du hast mit ihr in einem Bettchen geschlafen, du hast aus ihrem Becherlein getrunken und von ihrem Tellerchen gegessen.”

“Ja, ja, ja!”

“Ihr habt euch schön amüsiert. Und mir hast du nicht Bescheid gesagt, dass ihr eine Corona-Party feiert.”

“Eine Quarantäne ist alles andere als eine Party”, entgegne ich. “Das ist eine Freiheitsberaubung. Ja, ich wollte mich anstecken, weil ich keine Angst vor Corona habe und weiß, dass Corona mir nicht viel anhaben kann, obwohl ich knapp 63 bin. Hat offensichtlich nicht geklappt. Der Selbstversuch ist schiefgegangen. Und warum? Weil ich Corona längst gehabt haben muss. Aber ich hätte mich strafbar gemacht, wenn ich Sie eingeladen hätte. Frau Keuner, wir haben einen Termin. Ich kann nicht mehr, ich will raus!”

Die Frau Keuner lacht: “Lenk nicht ab. Ihr habt gefeiert. Letzte Woche standen hier zig Papiertüten vom REWE-Lieferdienst vor der Tür. Und jetzt machst du mitten in der Quarantäne ne kleine Radtour.”

“Nein”, wende ich ein. “Wir verhalten uns völlig korrekt. Meine kleine Tochter und ich fahren jetzt zum Test-Zentrum, um uns freitesten zu lassen. Ich kann nicht mehr. Ich will raus. Man hat uns eingesperrt, obwohl wir immun sind. Nur wenn wir weiterhin negativ sind, dürfen wir raus aus der Quarantäne. Sonst…”

“Sonst ist es wie beim Fußball”, lacht die Frau Keuner. “Dann geltet ihr zwar sechs Monate als genesen, aber die quälende Quarantäne geht noch ein paar Tage in die Verlängerung. Und beim Elfmeterschießen gibt es nur ein Tor. Deins.”

Die Frau Keuner richtet sich auf und bewegt sich langsam Richtung Haustür. “Und wat seh ich da? Satteltaschen für den Großeinkauf. Da wolltest du auf dem Weg zum Test-Zentrum an der Liebigstraße noch mal kurz beim ALDI vorbei.”

“Das sieht nur so aus”, sage ich schnell.

Die Frau Keuner lacht, wird aber wie so oft plötzlich sehr ernst. “Freu dich, dass dir Delta nichts anhaben kann. Und sei froh, dass du nicht geimpft bist, denn wenn du es wärest, hättest du zwar nicht in Quarantäne gemusst, aber man würde behaupten, dass dich nur die Impfung vor einer Ansteckung geschützt hat. Vermutlich hattest du die Alpha-Variante, die dich aber auch vor Delta schützt. Das ist allerhand für eine Olle wie dich. Solltest du dich jetzt noch impfen lassen, zerstörst du im Nachhinein die natürlich erworbene Immunität.”

Ich hebe den Arm zum Corona-Ellenbogen-Abschied. Die Frau Keuner berührt meinen Ellenbogen mit ihrem und fängt an zu heulen, und ich spüre, wie auch mir die Tränen kommen. Ich mache ihr die Tür auf, damit sie das nicht mitkriegt. Doch als sie draußen ist, bleibt sie stehen, dreht sich zu mir um, atmet tief durch und reibt sich mit dem Handrücken über die Augen.

“Noch nie hatte ein einzelnes NEIN eine solch große Bedeutung”, sagt die Frau Keuner. “Du musst jetzt stark bleiben. Wir werden niemals erfahren, wie viele Menschen bereits immun waren, als sie geimpft wurden. Wir Menschen verfügen über große Selbstheilungskräfte, aber die Impfung vertuscht die Wahrheit. Deshalb musste alles so schnell gehen, deshalb die Panikmache. Die Corona-Impfung ist der größte medizinische Skandal in der Menschheitsgeschichte.”

“Das kann man doch so nicht sagen”, sage ich.

“So kann man das auch nicht sagen”, sagt die Frau Keuner. “Skandal ist untertrieben. Die Corona-Massenimpfung ist eine Katastrophe. Und dabei dürften die meisten Schulkinder längst immun sein. Es ist verwerflich, die Kinder zu impfen.”

“Ich will das große G“, jammere ich. “Für mich und meine kleine Tochter.”

“Stark bleiben, NEIN sagen”, verabschiedet sich die Frau Keuner. “Im Namen des Lebens.”

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Meine Tochter gilt als “genesen”. Doch leider freut sich die Gesundheitspolitik nicht über eine selbsterworbene Immunität. Im Gegenteil: Nach sechs Monaten ist von Amts wegen Schluss mit “genesen”. Offiziell ist die Impfspritze schon gezückt. Impfjuristisch ist der “Genesenen”-Status der Erstimpfung gleichgestellt. 

Elfchen im Achten: Warum haben Rosen Dornen?

Am 14. Juli 2021, dem französischen Nationalfeiertag, blieb es in Paris trocken. So fiel die Selbstfeier der Grande Nation nicht ins Wasser. An genau diesem Tag jedoch ereignete sich in knapp 400 Kilometern Entfernung im Nachbarland Deutschland eine Hochwasser- Katastrophe mit verheerenden Folgen. Insbesondere Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen waren (und sind) betroffen.

Während Orte im Kölner Umland zum Teil schwer überflutet wurden (Erfstadt-Blessem), ist das Gebiet der Stadt Köln weitgehend verschont geblieben. (Kleine Ergänzung 19.8.: “Weitgehend verschont” ist relativ. Gestern war ein Installateur hier, der den Wasseranschluss im Garten repariert hat. Im Keller seines Einfamilienhauses in Köln-Pesch stand das Wasser (u.a. Toiletten-Abwasser!) 85 cm hoch. Jetzt wird er sich eine Fäkalien-Rückstauklappe einbauen. Kein Einzelfall, wie er mir erzählte.)

Auch ich bekam am 14.7. eine Ahnung davon, was es heißt, von Wassermassen eingeschlossen zu werden und nicht weglaufen zu können. Hier in Nippes hat es so stark und so andauernd geregnet, wie ich es noch nie erlebt habe. Normalerweise sind Wolkenbrüche zwar heftig, aber kurz. Doch dieser Wolkenbruch hielt stundenlang an.

In unserem Keller tropfte für kurze Zeit ein Wasserrohr, und mein Versuch, ein paar Kochtöpfe zu spülen, misslang, weil das Wasser im Spülbecken stand und nicht abfließen konnte. Um mich zu entspannen, machte ich mir lächerliche Gedanken wie: Wann kann ich die Spülmaschine wieder anstellen? In manchen Momenten schäme ich mich dafür, Glück gehabt zu haben.

https://www1.wdr.de/nachrichten/unwetter-nrw-starkregen102.html

In Paris war längst durchgesickert, dass sich im Nachbarland Deutschland eine Unwetter-Katastrophe ereignet hatte. Das hielt die Veranstalter nicht davon ab, die Nation und die militärische Präsenz und Potenz der Atommacht Frankreich aufwändig zu feiern, insbesondere mit der in Paris üblichen Militärparade. Und als am Abend das Ausmaß der Hochwasser-Katastrophe sichtbar wurde, fand im nur wenige hundert Kilometer von der Ahr entfernten Paris das große traditionelle Feuerwerk statt.

Ich stelle mir vor, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hätte eine seiner Fernseh-Ansprachen gehalten und gesagt: Der Sturm auf die Bastille gehört zu unserer Geschichte, aber für heute ist er Geschichte, denn wir müssen versuchen, die Welt zu retten. Das Wohlleben der Bürgerinnen und Bürger, aber insbesondere mein persönliches Wohlleben hat unverantwortliche Dimensionen angenommen. Die Katastrophe hat mir die Augen geöffnet. Ja, Ich schäme mich. Es sieht so aus, als hätten viele Menschen ihr Leben verloren. In Solidarität mit den Menschen im Nachbarland Deutschland, die alles verloren haben, habe ich beschlossen, Ressourcen und Kräfte zu schonen. Daher sage ich das Feuerwerk ab.

Leider ist die große solidarische Geste ausgeblieben. Vermutlich hat Macron in der Nacht gut geschlafen, weil alles reibungslos geklappt hat -exakt bemessene vier Stunden, wie schon Napoleon empfahl: “Trump kommt nach eigenen Angaben mit vier Stunden Schlaf aus. Auch sein Amtskollege, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, benötigt lediglich vier Stunden Schlaf. Von Napoleon Bonaparte stammt das Bonmot: «Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot.» https://www.tagblatt.ch/leben/die-schlaflose-elite-ld.1042629

***

Das Frühjahr 2021 war hier ziemlich verregnet, und bereits im Juni hat es im Kölner Umland Starkregen gegeben. Ich erinnere mich an den Abend des 4.Juni, als in Pulheim Straßen überflutet wurden und zahlreiche Keller vollliefen. Die Ironie der Katastrophe: Dem Boden hat der viele Regen gut getan. Die Amseln finden Würmer – und brüten noch einmal.

15. Juli: Das Wasser ist abgeflossen. Luft und Wiesen sind feucht (und sollten es noch wochenlang bleiben). Beim morgendlichen Spaziergang mit Hund Freki hole ich mir nasse Füße. Nachmittags entdecke ich in unserem kleinen Garten eine Libelle, die auf einem alten Ast der Rose einen Platz gefunden hat. Sie bleibt dort stundenlang sitzen. Erst als ich Fotos mache, fällt mir auf, dass sie sich mit den Vorderbeinen an einer Dorne festhält, nicht krampfhaft, sondern libellenleicht.

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Libellenleicht: Sogar die größten Libellen wiegen kaum mehr als ein Gramm.

Die Libelle beantwortet mir eine Frage, die ich ihr gar nicht gestellt habe:

Warum haben Rosen Dornen?

Eine

leise Antwort

der Libelle: Nur

für dieses eine Mal…

Augenblicksglück

Mir kommt das Wort Augenblicksglück einfach so, es fliegt mir sozusagen zu. Ich habe es noch nie gehört und will wissen, wer es in die Welt gesetzt hat.

Als ich das Wort Augenblicksglück in die Suchmaschine eingebe, entdecke ich einen klugen, ganz wunderbaren Text der Schweizer Theologin und Publizistin Doris Strahm. https://www.doris-strahm.ch/Strahm_015.pdf Augenblicksglück ist, so erfahre ich, ein Begriff der jüdischen Dichterin Rose(!) Ausländer (1901-1988) In ihrem Gedicht “Glanz” lässt sie ein lyrisches Du “baden” in einer Welle Glanz, die herangeschwemmt wird mit einer Muschel: “Augenblicksglück dieser Uferminute aus feinen Farben”

Wenn ich sage, dass ich “erschüttert” war, als ich die Zeile las, die nicht nur die Welle, sondern “meine” Libelle meint, ist das nicht übertrieben.

Doch was meint Augenblicksglück? “Philosophisch”, so Doris Strahm, “könnte man eine solche Erfahrung auch als Selbsttranszendenz des Lebens beschreiben: Für einen Augenblick bricht eine Dimension in die Alltagswirklichkeit ein, die für einen Moment die Begrenztheit der Endlichkeit durchbricht, ein Aufleuchten des Unendlichen im Endlichen. Im Augenblicksglück begegnet uns ein Überschuss an Wirklichkeit, ein Mehrwert des Lebens, fühlen wir uns geborgen in einem grösseren Ganzen.”

Übrigens hat die Rose, wie die Botanik sagt, keine Dornen, sondern Stacheln. Das weiß auch die beliebte WDR-Werbe-Maus, die die Kinder wissenschaftlich “aufklärt”.

” … Die Maus sagt:

Rosen haben gar keine Dornen. Und ein Kaktus keine Stacheln. In der Botanik ist das nämlich so: Dornen wachsen auf dem Körper der Pflanze. Das ist so etwas wie ein Organ. Ein Dorn lässt sich schwer entfernen. Ein Kaktus hat Dornen, das ist ein umgewandeltes Blatt. Und Stacheln sind keine Organe, sondern wie Warzen. Sie lassen sich leicht entfernen. Wie bei einer Rose…” https://www1.wdr.de/radio/wdr2/themen/frag-doch-mal-die-maus/warum-haben-rosen-dornen-102.html (Bis zum 26.8.2021 mit Film)

Nun ist das zwar naturwissenschaftlich korrekt, aber geisteswissenschaftlich beschränkt. In Sagen, Legenden, Gedichten, Geschichten und Märchen haben die Dornen der Rose eine große, auch symbolische Bedeutung. Und wer sich ein bisschen mit Rosen auskennt, weiß, dass sich ihre zarten, abstreifbaren Stacheln mit der Zeit in kräftige Dornen verwandeln, denn die Stacheln alter Äste, die keine Blätter mehr tragen, verwachsen mit der Pflanze und lassen sich nicht mehr entfernen.

Blühende Rosen sind alt und jung zugleich. Die Blüte der Rose kann nur deshalb ihre besondere Schönheit entfalten, weil die Pflanze nicht nur zarte Blätter, sondern auch kräftige alte Dornen hat. Das interessiert die WDR-Maus nicht, aber das wissen die Dichter. Sie wissen auch, wie nah Jugend und Alter, Licht und Schatten und Schönheit und Schmerz beieinander liegen. Im 35. Sonett von William Shakespeare haben wir eine flüchtige Begegnung mit der Dorne der Rose.

Roses have thorns, and silver fountains mud.” Da ich die (zweite) Zeile aus dem Sonett herausreiße, erlaube ich mir, sie sehr frei und überdeutlich zu übersetzen: Selbst Rosen haben Dornen, und die Freudenfeuerwerksfontänen hinterlassen schnöde Schlacke. (s. Paris, Nationalfeiertag 14.Juli)

Im Märchen “Dornröschen” muss der Prinz, um zu Dornröschen zu gelangen, eine (hundert Jahre) alte Dornenhecke überwinden. Viele Kandidaten verfangen sich in den Dornen und sterben, doch es gibt den Einen, der unverletzlich (immun!) ist. Als der Prinz kommt, der für Dornröschen bestimmt ist, öffnet sich nicht nur die Dornenhecke.

Von alten Dornen, die neues Leben hervorbringen, erzählt -naturwissenschaftlich nicht korrekt- ein deutsches Advents-Volkslied aus dem 19. Jahrhundert: Maria durch ein Dornwald ging

Ein Bild der Hoffnung: Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben die Dornen Rosen getragen.

Staatlich kontrolliertes Bestatten: Eine Selbsterfahrung

Ich machte während der Beerdigung meines Mannes auf dem Kölner Melaten-Friedhof eine neue Erfahrung. Nie zuvor hatte ich das Gefühl, dass der Leichnam im Sarg nicht viel mehr ist als eine sterbliche Hülle und die Seele des geliebten Menschen woanders, dass sie sich hat befreien und die “sterblichen Überreste” wie eine Schlangenhaut hat abstreifen können. Ohne diese deutliche Empfindung hätte ich die Beerdigung meines Mannes kaum ausgehalten. Der kleine Raum unter der Erde, das exakt vermessene Grab, gemietet bei der Stadt Köln gemäß Friedhofsgebührensatzung, hat nichts zu tun mit der grenzenlosen, unendlichen Anderwelt, an deren Existenz ich seit einigen Jahren glaube, ohne eine konkrete Vorstellung zu haben.

Wie so vieles in diesen verdrehten Coronoia-Zeiten, wo uns die Erde als “ein umgestürzter Hafen” (Georg Büchner, Woyzeck) erscheint, war auch die Bestattungs-Zeremonie seltsam irreal.

Mittlerweile sind Trauerfeiern in geschlossenen Räumen wieder zugelassen, aber es wird erwartet, dass die Menschen Masken tragen und Abstand halten. Soweit ich es mitbekommen habe, musste sich immerhin niemand mehr namentlich in eine Kondolenz-Liste eintragen. Die Bestuhlung in der Trauerhalle ist variabel. Aktuell ist in jeder Stuhlreihe jeder zweite Stuhl entfernt, so dass 30 statt normalerweise 60 Personen einen Sitzplatz haben. Wie wir alle wissen, ist es tröstlich, während einer Trauerfeier nah beieinander sitzen und einander spüren zu können. Mit den Lücken zwischen den Stühlen ist das unmöglich. Besonders leid tat es mir für Jürgen und Michael, die beiden Brüder meines Mannes, die in den letzten Monaten in Gedanken stets bei uns waren. Meine lieben Schwäger mussten den vorgegebenen Sicherheits-Abstand zu ihren Frauen Ingrid und Daniela einhalten.

Es waren überraschend viele Menschen gekommen, zahlreiche mussten stehen. Das war tröstlich und spiegelte in keiner Weise die Isolation wieder, in der sich mein Mann und ich in den letzten Monaten nicht nur coronabedingt befunden hatten.

Ich selber setzte mich nicht, sondern hielt die Trauer-Rede: Manfred mein Manfred. Aber  ich redete nicht nur vom Ende des Lebens, sondern auch vom Beginn. Meine beiden Töchter, die neben mir standen, lasen die zärtlichen kleinen Gedichte vor, die ihr Vater anlässlich ihrer Geburt vor 21 bzw. 24 Jahren geschrieben hatte – damals auf Wunsch meiner Mutter, die eine Geburtsanzeige verschicken und auch ein bisschen mit ihrem dichtenden Schwiegersohn angeben wollte.

Manfred und ich haben nicht gedacht, dass Manfred sterben würde, sondern gesund werden. Daher haben wir nie über eine Bestattung geredet. (Wir hatten -nebenbei gesagt- auch keine Patientenverfügung). Melaten ist gewiss in seinem Sinn, denn seine Mutter und viele seiner Vorfahren mütterlicherseits (die Springobs) sind hier bestattet. Manfred, der anders als ich gerne auf Friedhöfe ging, hat vor vielen Jahren einmal einen Essay veröffentlicht mit dem Titel “Illusionsraum Melaten”. Sein eigenes Grab jedoch liegt da, wo Melaten kein Illusionsraum ist: Direkt an der Friedhofsmauer und ganz in der Nähe der vielbefahrenen Weinsbergstraße. Man hat in der Stadt Köln zwar die freie Friedhofswahl, bekommt aber den Platz zugewiesen – in diesem Fall kein lauschiges Plätzchen.

Die Beerdigung fand erst nach drei Wochen statt. Als Manfred gestorben war, habe ich vier Stunden neben dem Leichnam gesessen und erst dann den Notarzt benachrichtigt. Nach und nach waren das Leben und die Wärme aus dem toten Körper entwichen, und der Leichnam, dem ich den Ehering vom Finger abstreifte, war nicht mehr mein geliebter Mann, mit dem ich über dreißig Jahre zusammengelebt hatte. Meine Liebe galt nicht mehr seinem Leib, sondern hatte sich mit etwas verbunden, das ich Seele nennen möchte.

In Nordrhein-Westfalen darf man, wenn ein Mensch zu Hause verstirbt, den Leichnam 36 Stunden bei sich behalten, ohne den “Abtransport” zu veranlassen. Nach vier Stunden wollte ich diesen “Abtransport” – unbedingt. Ich fremdelte. Da die Hausärztin in Bonn und nicht in Köln praktiziert, musste ich den Notarzt anrufen.

Maskierte Notärzte kamen, maskierte Kriminalpolizisten, unisex in Uniform, Männer und Frauen, später dann kamen zwei unmaskierte Personen von der Gerichtsmedizin, beide auffällig leger gekleidet, ein Mann und eine Frau. Man machte Fotos, inspizierte den Leichnam und befestigte Elektroden. Man teilte mir das Resultat mit: “Ihr Mann ist verstorben”.

Ich bin so froh, dass meine beiden Töchter an dem Tag nicht in Köln waren, sondern bei ihren Liebsten. Ich selber bin 61 Jahre alt und abgebrüht, doch meine Töchter (21 und 24) sind das noch nicht.

Da mein Mann zu Hause gestorben war, brachte man den Leichnam in die Gerichtsmedizin. In wenigen Tagen, so sagte man mir, werde man mir Bescheid geben. Man werde mich anrufen – unter meiner Festnetz-Nummer.

Jedes Mal zuckten wir (meine Töchter waren gekommen) zusammen, wenn das Telefon klingelte, aber über Kondolenzanrufe hinaus kamen nur Werbeanrufe. Ich hatte Medienbilder vor Augen, ich sah vermummte Pathologen, wie sie mit gieriger, panischer Akribie die Leichen der an Corona verstorbenen Menschen durchforsten, um weitere, vermeintlich durch das Virus verursachte Schäden zu entdecken.

Je länger wir warten mussten, desto schlimmer wurden die Bilder. Dass so viele Tage vergingen, sagte mir, dass man gründlich gearbeitet hatte – auf der Suche nach Metastasen eines Tumors, den mein Mann vermutlich nie gehabt hat.

Erst nach fünfzehn Tagen, am 17. Juli, kam am Freitagmorgen der Anruf der Kriminalpolizei. Der Leichnam sei bereits am 6. Juli freigegeben gewesen, denn man habe ihn nicht sezieren müssen. Mein Mann sei eines natürlichen Todes gestorben. “Ich habe ein Schreiben der Kriminalpolizei, auf dem steht, dass ein Leichnam nur so lange aufbewahrt wird, bis er abholbereit ist”, antwortete ich. Darauf sagte der Kriminalpolizist: “Sie müssen einen Bestatter informieren, der mit uns Kontakt aufnimmt.” Darauf sagte ich: “Soweit ich informiert bin, muss ich das nicht. Und wie soll ich den Bestatter informieren, wenn ich nicht einmal weiß, dass der Leichnam abholbereit ist?” Dann kam eine Behauptung, die nicht der Wahrheit entspricht, was sich im Zweifelsfall nachverfolgen ließe: “Wir haben Sie angerufen.”

Dass ich von “Zweifelsfall” schreibe, hat einen Grund. Wird ein Leichnam in die Gerichtsmedizin gebracht, müssen die Angehörigen für die Aufbewahrungskosten (“Kühlung”) aufkommen. Zwei Menschen erzählten mir (unabhängig voneinander!) folgendes: Da die öffentlichen Kassen leer sind, bewahrt man die Leichname zur Zeit lange dort auf. Die Kosten sind gestaffelt: In der ersten Woche kostet die “Kühlung” 40 Euro am Tag, in der zweiten 100 am Tag, in der dritten 200…

Die Stadt Köln hat mir noch keine Rechnung geschickt. Auch wenn man die Todesursache (vermutlich eine akute Aspirin/Ibuprofenvergiftung) nicht hat ermitteln können, war und bin ich doch überglücklich, dass man den Leichnam meines Mannes nicht seziert hat. So konnte ich ihn unversehrt in einem Sarg bestatten lassen.

Zur Beerdigung kamen einige Menschen nicht, die ich gerne umarmt hätte, aber es waren viele da, mit denen ich niemals gerechnet hatte. Und einer kam, den ich seit langem aus der Ferne bewundere und den ich im Rahmen der Highlights der Physik 2019 in Bonn bei einem Abendessen persönlich kennengelernt habe: Der Dortmunder Physikprofessor und Wissenschaftskabarettist Metin Tolan.

Metin Tolan (Star Trek-Gesichtsmaske!) und Axel Carl, ebenfalls habilitierter Physiker, waren mit der Bahn angereist. Im Anschluss an die Beerdigung kamen sie noch (auf ein Käffken) mit in unseren Garten, wo wir Biertische aufgebaut und zu einem Brunch (bei dem sieben Flaschen Sekt geleert werden sollten) eingeladen hatten. Zum Glück war das Wetter schön, denn im Haus wäre niemals genug Platz gewesen für die vielen Gäste. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei unseren lieben Nachbarn “zur Linken” bedanken, deren Garten wir mitbenutzen konnten.

Vor allem aber möchte ich mich bei den Freundinnen und Freunden von der Agentur für Wissenskommunikation iserundschmidt bedanken, wo mein Mann Geschäftsführer war. Ich war noch so weit weg von der Welt, dass ich niemals in der Lage gewesen wäre, eine Traueranzeige zu gestalten. Genau das müssen die iserundschmidts geahnt haben, denn sie gestalteten (unabgesprochen) eine Anzeige, die geschäftlich und privat zugleich war. Ich hatte die Anzeige erst am Tag vor der Bestattung in Händen, deshalb konnte ich sie nicht mehr verschicken, sondern nur einzelne Exemplare persönlich verteilen. Damit alle, denen ich sie gerne geschickt hätte, sie dennoch sehen können, habe ich die Anzeige abfotografiert.

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Deckblatt der Anzeige: Sonne, Himmel, Erde, Kringel, Blase, Seifenblase, Fruchtblase u.u.u.            Grafik: Marleen-Christin Schwalm

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Und  noch etwas Großartiges haben die Kollegen gemacht, ohne dass es abgesprochen werden musste: Sie haben die Agentur seit Oktober 2019 am Laufen gehalten.

Mein Mann hat während dieser Zeit über die Agentur sein volles Gehalt bezogen. Er war zwar Selbstständiger, aber gesetzlich krankenversichert. Mein Mann hatte eine Zusatzversicherung für den Krankenfall. Wird der Versicherte schwer krank, zahlt die Krankenkasse nach sechs Wochen 80% des Nettogehalts, allerdings nur dann, wenn sich der oder die Kranke im Krankenhaus behandeln lässt.

Der kranke Mensch muss sich, will er weiterhin Geld bekommen, der ärztlich verordneten Therapie unterziehen, und ist die vorgeschlagene Therapie auch noch so inhuman und brutal (wie bei meinem Mann). Mein Mann hätte niemals zur Krankenkasse gehen und sagen können: Ich gehe den Weg der Selbstheilung, ich faste, ich probiere eine spezielle Diät, verzichte auf Zucker, Weißmehl und Schweinefleisch. Das alles hat mein Mann probiert, und der ursprüngliche, von außen gut tastbare Tumor hatte sich ja tatsächlich zurückgebildet. Mein Mann, so denke ich, hätte vollkommen gesund werden können, hätte er die Schmerztabletten abgesetzt. Wie gefährlich die frei verkäuflichen Schmerzmittel Aspirin und Ibuprofen bei dauerhafter Einnahme sind, habe auch ich leider zu spät begriffen. Die Augen geöffnet hat mir ein Artikel, den ich erst im April im Internet entdeckt hatte: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/schmerztherapeut-ueber-die-gefahr-von-ibuprofen-15202284.html

Mein ganz besonderer Dank gilt Dr. Dr. Lutz Peschke, dem zukünftigen Geschäftsführer der Agentur iserundschmidt.

Lieber Lutz, ich hatte so sehr gehofft, dass mein Bruder zur Beerdigung kommt und mich in den Arm nimmt. Stattdessen hast du das getan. Ich danke dir.