“Es war, als könnten wir über das Wasser laufen, ohne unterzugehen” – Eine kleine Geschichte über das Wunder der Immunität

In einer kleinen Siedlung lebte vor langer Zeit eine Gruppe Menschen. Meistens waren sie unter sich, denn die nächste Siedlung lag einen halben Tagesmarsch weit entfernt. Sie ernährten sich von dem, was sie fanden, von Beeren, Nüssen, Pilzen und den Körnern wilder Getreide. Der nahe Fluss war voller Fische. Das Klima war gemäßigt, die Winter waren mild und die Sommer regenreich, aber auch sonnig.

In den Wäldern gab es so viel Wild, dass die Wölfe keinen Grund hatten, in die Siedlungen der Menschen einzudringen. Die Nattern, die sich über den Boden schlängelten und die Blicke der Menschen in ihren Bann zogen, waren nicht angriffslustig.

Um die Götter nicht zu erzürnen, gingen die Männer nur ab und an auf die Jagd. Die Felle und Häute der erlegten Tiere ließen sich zu Kleidung verarbeiten. Ihr Fleisch wurde über dem Feuer gebraten und aufgeteilt. Die besten Stücke bekamen die jungen, fruchtbaren Frauen. Die Götter wollten es so. Die alten Frauen achteten streng darauf, dass der Wille der Götter respektiert wurde.

Irgendwann jedoch begehrten die Männer auf. “Es ist ungerecht, dass ihr Frauen bevorzugt werdet”, sagte der Anführer der Männer. “Glaubt nur nicht, dass ihr was Besonderes seid, nur weil ihr die Kinder zur Welt bringt. Es mag ja sein, dass ihr diesem Kampf viel Blut verliert, es mag auch sein, dass manchmal eine Frau während der Geburt stirbt, aber ich sage euch, der Kampf gegen die wilden Tiere ist der eigentliche, der noch blutigere Kampf. Der Kampf gegen die Bestie ist ein Kampf auf Leben und Tod.”

Die Frauen konnten den Anführer der Männer nicht ganz ernst nehmen. Eine Geburt war zwar heftig und riskant, aber kein Kampf. Wenn sie in den Wald gingen, um Beeren, Nüsse und Pilze zu sammeln, sahen die Frauen hin und wieder Wölfe, aber noch nie waren sie einer Bestie begegnet. Die Frauen waren gelassen, sie nahmen sich das, was die Natur hergab, sie kannten die Lichtungen, wo die besten Beeren reiften, sie lehrten die Kinder, zwischen unreif und reif, nicht essbar und essbar und zwischen giftig und ungiftig zu unterscheiden. Und irgendwann hatten sie herausgefunden, wie man Beeren und Pilze trocknen und für den langen Winter haltbar machen konnte.

Die Männer jedoch waren unzufrieden. Um Fische zu fangen, musste man schnell sein und mit der Harpune umgehen können, doch die Fische waren so kühl wie das Wasser, in dem sie schwammen, und die Jagd auf sie forderte nicht den ganzen Mann. “Wozu”, fragten sich die Männer, “sollten uns die Götter mit dieser großen Kraft ausgestattet haben, wenn wir nicht auserkoren wären, den Kampf aufzunehmen gegen die wilden, warmblütigen Tiere ?”

Die Männer versammelten sich, um Pläne zu schmieden. “Wir brauchen mehr Hirschfelle”, sagte der Anführer der Männer. “Die Winter werden härter werden.” Die Männer nickten. “Wir müssen Schweine jagen”, sagte ein anderer Mann, “im Wald leben zu viele davon. Das bringt die Wölfe auf die Idee, sich hemmungslos zu vermehren. Und dann haben wir ein Problem.” Ein dritter Mann schaltete sich ein: “Das erste Fleisch werden in Zukunft nicht mehr die Frauen bekommen. Wir müssen sie beschützen, denn das Fleisch könnte vergiftet sein. Aber die Frauen brauchen keine Angst zu haben, denn wir Männer werden das Fleisch vor ihnen probieren. Erst wenn wir Männer die Mutprobe überlebt haben, sind die Frauen dran.” Jetzt jubelten alle.

Von nun an gingen die Männer häufiger jagen. Ihre Jagdlust wurde alleine dadurch gebremst, dass die alten Frauen, die nicht mehr gerne Fleisch aßen und deren Zähne brüchig geworden waren, weiterhin darauf achteten, dass die jungen Frauen die besten Fleischstücke bekamen.

Wenn sie in den Wald gingen, nahmen die Frauen die Kinder mit. Die jüngsten wurden getragen und abgesetzt, die älteren halfen beim Sammeln. Vor allem die süßen Beeren schmeckten den Kindern. So gehörten in jedem Frühjahr die ersten Walderdbeeren ausschließlich ihnen. Alle Kinder, die schon laufen konnten, durften ohne die Erwachsenen in den Wald und Erdbeeren essen, so viele sie wollten. Sie sollten keine Erdbeeren nach Hause mitbringen, aber darauf achten, dass alle Kinder zusammenblieben. Die Erwachsenen vertrauten die kleineren Kinder den älteren an, die schon gut zählen konnten. Es waren 23 Kinder, die an einem milden, sonnigen Tag losgezogen waren, um Erdbeeren zu pflücken. Dass sie am Waldrand die Kinder aus der Nachbarsiedlung getroffen und mit ihnen gespielt und Erdbeeren gegessen hatten, erzählten sie nur den Müttern.

Ein paar Tage später waren die Kinder krank. Als die Menschen sich zur allmorgendlichen Begrüßung trafen, war die Haut der wenigen Kinder, die gekommen waren, voller Pusteln. “Kommt mir nur nicht zu nahe”, schrie ein Mann.

“Das sind die Erdbeeren”, rief ein anderer. “Die Kinder werden nie mehr alleine in den Wald gehen.”

“Ihr Frauen seid schuld, wenn sie sterben”, sagte ein dritter. “Ihr verzärtelt die Kinder und lasst sie viel zu lange eure süße Milch trinken.”

“Beruhigt euch”, sagte die alte Mimi. “Kein Kind wird sterben.”

“Geht, Männer”, rief eine jüngere Frau. “Was versteht ihr Männer schon von den Kindern? Verschwindet!”

“Wir wollten ohnehin gehen”, sagte der Anführer der Männer. “Vor uns liegt ein gefahrvoller Weg. Wir brechen auf, um den Großen Heiler zu finden und ihn um eine Medizin zu bitten, die die Kinder wieder gesund macht, eine Medizin, die ihnen hilft und die das Böse, das von ihnen Besitz ergriffen hat, endgültig besiegt. Wer von euch Männern hat keine Angst, den Gefahren, die auf dem Weg lauern, ins Auge zu sehen, wer ist dabei?!”

Die Männer jubelten, bis auf die alten Männer schlossen sich alle an. Sie bewaffneten sich mit Pfeilen, mit Äxten, mit Schleudern. Der Anführer der Männer kam noch einmal zurück und überreichte Mimi eine Steinschleuder.

“Die könnt ihr wohl nicht mehr tragen”, sagte die alte Mimi und lachte.

Die Alten, die Frauen und die Kinder machten sich eine gute Zeit. Manchmal stieg in der Ferne über dem Wald Rauch auf.

Als die Männer nach ein paar Wochen mit leeren Händen zurückkamen, waren die Felle, die sie trugen, beschädigt. Arme und Beine zerschrammt. Aufgeregt liefen ihnen die Kinder entgegen.

“Die Pusteln sind weg”, sangen die Kinder und tanzten. “Die fiesen, fiesen Pusteln sind weg.”

“Schau mich an”, sagte der Anführer der Männer zu seiner Tochter. “Was haben wir nicht alles auf uns genommen, um den Großen Heiler zu finden und an die Medizin zu kommen.”

“Freust du dich denn nicht?”, fragte das Mädchen leise. “Ich bin gesund und die anderen Kinder auch.”

“Warum hast du nicht auf mich gewartet?”, fragte der Anführer der Männer. “Jetzt bist du nicht mehr meine Tochter.”

Das Mädchen fing an zu weinen. Ihr Vater lächelte und nahm sie in den Arm. “Das war nicht so gemeint,” sagte er. “Aber wir müssen abwarten. Wahrscheinlich kommt die Krankheit zurück. Ihr habt den Großen Heiler erzürnt. Doch wenn wir erst einmal die Medizin haben, wird die Krankheit nicht einmal mehr den Versuch machen, euch anzugreifen.”

Er ging zu den Frauen, die ein bisschen abseits zusammenstanden. “Wie habt ihr das gemacht, habt ihr die Kinder mit einer eurer seltsamen Tinkturen eingerieben? Bildet euch bloß nicht ein, ihr hättet die Kinder geheilt.”

“Wir haben die Kinder nicht geheilt”, sagte die Frau des Anführers der Männer. “Wir haben nur darauf geachtet, dass sie es warm haben und genug trinken. Sie sind aus eigener Kraft gesund geworden. Es war schön, wir Frauen sind gesund geblieben. Vielleicht sind wir gesund geblieben, weil wir die Krankheit schon hatten, damals, als wir Kinder waren. Du übrigens auch.”

“Was unterstellst du mir, ich soll diese scheußlichen Pusteln gehabt haben?!”

“Frag Mimi”, sagte die Frau. “Doch was wir jetzt erlebt haben, war wie ein Wunder. Die Krankheit konnte uns Frauen nichts anhaben. Lach mich bitte nicht aus, aber es war, als könnten wir über das Wasser laufen, ohne unterzugehen.”

“Du redest wirr”, sagte der Anführer der Männer. “Nur der Große Heiler kann über das Wasser laufen, ohne unterzugehen.”

Jetzt musste die Frau des Anführers der Männer lachen, und weil Lachen nun mal ansteckend ist, fielen alle ein, die Frauen, die Kinder, aber auch einzelne Männer.

Das gutgestimmte Windpocken-Kind.
Karneval im Jahr 2000. Eine Wieverfastelovend-Feier in der städtischen KiTa Ottostraße in Köln-Neuehrenfeld wird zum “Super-Spreader-Event”. Fast alle Kinder bekommen die Windpocken, später auch die Geschwisterkinder, die noch nicht in die KiTa gehen. Schön sieht die kleine Schwester mit ihren Windpocken nicht aus, aber neun Monate alte Babys gucken zum Glück noch nicht in den Spiegel.
Ich weiß, wie unangenehm die Gürtelrose ist, eine Krankheit, die man bekommen kann, wenn man als Kind die Windpocken hatte – Zwei nahe Verwandte waren (fast zu gleichen Zeit, aber räumlich getrennt) daran erkrankt. Und doch bin ich froh, dass meine beiden Töchter neben dem Drei-Tage-Fieber die Windpocken hatten. Die Windpocken sind nach wie vor der beste Schutz gegen die von der STIKO empfohlene Windpockenimpfung.

Am Abend, der ungewöhnlich mild war, wurde in der Siedlung ein Fest gefeiert. Die Kinder waren irgendwann schlafen gegangen, aber die Erwachsenen saßen noch um das Feuer herum. Die Männer jammerten ein bisschen, doch die Frauen waren heiter gestimmt, versorgten die Wunden der Männer und sangen die Lieder, die sie sonst nur den Kindern vorsangen. Hier und da wurden erste zarte Küsse ausgetauscht. Es würde eine lange Nacht werden.

Auch die alten Menschen sollten noch lange wach bleiben “Ich mache mir große Sorgen”, sagte der alte Dado. “Warum lassen sich die Frauen immer wieder von den Männern bezirzen?”

“Ihr Männer seid beschränkt, aber wir lieben euch”, sagte die alte Mimi.

“Irgendwann”, sagte Dado, “werden die Männer eine Steinschleuder bauen, deren Steine so groß sind wie Berge, so gigantisch, dass sie alle Tiere des Waldes auf einen Schlag töten können.”

“Ach was.” Mimi lachte. “Steine, die so groß sind wie Berge, lassen sich doch gar nicht bewegen. Und wer alle Tiere auf einen Schlag tötet, zerstört alles.”

“Das ist ihnen egal”, antwortete Dado. “Die Männer werden die große Schleuder vielleicht nicht einmal benutzen, aber immer damit drohen, dass sie es tun. Und sie werden die Boote mit Flügeln ausstatten und versuchen, zu den Gestirnen zu fliegen und den Mond vom Himmel zu holen.”

“Ach was”, sagte Mimi und und legte den Arm um Dado. “Die Männer sind wie kleine Jungs. Sie wollen nur spielen.”

“Sie sind aber keine kleinen Jungs”, sagte Dado. “Manchmal sehe ich die Männer in den Kampf gegen die Menschen anderer Siedlungen ziehen. Und irgendwann werden die Frauen Seite an Seite mit ihnen marschieren.”

“Warum sollten die Frauen das tun? Das ist doch gegen unsere Natur.”

“Aus Liebe”, sagte Dado.

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Hinzufügung 23. Juli:

Am vergangenen Mittwoch (19.7.2023), fünf Tage nach Veröffentlichung des oben stehenden Beitrags, wurde mein selten gelesener Beitrag vom 17.5.2021 aufgerufen, ein Geheimtip: https://stellwerk60.com/2021/05/17/als-rotkappchen-vor-dem-oster-besuch-bei-der-grosmutter-in-die-vorquarantane-ging-und-was-dann-passierte/

In dieser Geschichte erfahren wir, wie Rotkäppchens Großmutter mitten in der “Pandemie” zum Entsetzen ihrer Familie eine Ehe mit dem Wolf eingeht und bei der Gelegenheit fünf Wolfskinder adoptiert. Damals geschah etwas Seltsames: Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Beitrags wurde -während der nächtlichen Corona-Ausgangssperre- in der Nähe der autofreien Siedlung Stellwerk 60 ein Wolf gesichtet.

In der Nacht, nachdem der Blog-Beitrag aufgerufen wurde (Nacht zum 20.7.2023), tauchte in Kleinmachnow bei Berlin ein Tier auf, das man aufgrund eines Passanten-Videos als Löwin identifizierte. Nachdem man die Umgebung in Alarmbereitschaft gesetzt und bis zum Freitagvormittag vergeblich nach dem Tier, das kaum Spuren hinterließ, gesucht hatte, gab es Entwarnung: Bei dem Tier dürfte es sich um ein Wildschwein gehandelt haben.

Das wiederum korrespondiert mit meiner kleinen Geschichte über das Wunder der Immunität. Die Männer der kleinen Siedlung dämonisieren nicht nur die Windpocken. Sie suchen einen Grund, jagen zu gehen, und warnen vor gefährlichen Raubtieren, die noch nie jemand gesehen hat.

Seltsam ist das schon, doch werte ich das Zusammenkommen der Sonderbarkeiten als reinen Zufall.

Elfchen im Fünften: Das Recht weiblicher Papageien auf die besten Leckereien

Für uns Menschen sind die weiblichen Rotkehlchen kaum von den männlichen zu unterscheiden. Auch bei Meisen, Spatzen und Elstern sehen sich Weibchen und Männchen sehr ähnlich – um nur einige der Vögel zu nennen, die tagtäglich in unsere Gärten kommen. Die Rotkehlchen selber haben damit kein Problem. Um das Männchen zu erkennen, braucht das Weibchen weder Augen noch Ohren. Und sollte sich einmal ihr gegenüber eine Rotkehlchen-Frau als Männchen ausgeben und so laut singen, wie es sonst nur die männlichen Rotkehlchen tun, sollte also wirklich einmal ein Trans-Kehlchen um ihre Kralle anhalten, ließe sich das Rotkehlchen nichts vormachen: Du bist ein schmucker Mann, doch leider nur zum Schein, gemeinsam können wir nicht Eltern sein.

Das Rotkehlchen wird getrieben von einer unerschöpflichen Lebens-Energie. Würde man die Fortpflanzung als Sinn seines Lebens bezeichnen, hätte es gewiss nichts dagegen. Es selber stellt sich solche Menschen-Fragen nicht, schon aus Zeitmangel. Als Teil der Natur, als instinktiv handelndes Naturwesen hinterfragt es nicht, sondern agiert – und braucht weder Ratschläge noch Richtlinien noch Gebote.

Auch uns Menschen ist die Fortpflanzungsfreude (inklusive Nähren und Versorgen) angeboren, nur müssen wir sie verdrängen und kontrollieren, denn sie erinnert uns daran, dass wir nicht nur Verstandeswesen, sondern Teil der Natur sind. Das hören wir nicht gerne, denn als Naturwesen sind wir sterblich. In einer Welt, in der Gott (bzw. das Göttliche) nur noch als Schatten seiner selbst überlebt, ist der Gedanke an den Tod unerträglich.

Durch die weltweite Veränderung des Klimas sind wir Menschen der Gegenwart jetzt schon schwer traumatisiert. Die Medien füttern unsere Angst, indem sie uns tagtäglich mit Katastrophenbildern konfrontieren, die wir nicht mehr verarbeiten können. Dabei sind es nicht nur “Extremwetter-Ereignisse”, die uns tief verängstigen. Durch Flutkatastrophen zerstörte Orte und Landschaften lassen sich, wenn auch unter erheblichen Verlusten, in der Regel wieder aufbauen.

Anders ist es mit den schleichenden Veränderungen, die die Erderwärmung hervorruft. Wir erleben, dass der Winter ausbleibt, dass sich die Jahreszeiten einander angleichen und die Unterschiede verflachen. Hierauf reagieren wir mit diffuser Angst und einem tiefen “Heimweh nach dem Schnee”, denn altangestammte, elementare Orientierungen gehen verloren. Früheste Kindheitserfahrungen verschwimmen.

So verlieren die Menschen nicht nur den Halt, sondern Intuition und Gespür. Das macht sie anfällig für Heils- und Glücksversprechungen. In der Silicon Society (David Lyon) vertrauen sie nur noch dem Schein. Die Menschen mutieren zu Karikaturen. Was ist männlich, was weiblich?

Es gehört zu den größten Irrtümern und Täuschungsmanövern der modernen Medizin, dass sie uns vormacht, man könne via Chirurgie und Hormontherapie aus einem Mann eine Frau und aus einer Frau einen Mann machen.

Das Rotkehlchen handelt instinktsicher, es macht keinen Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, wohl aber den zwischen Männchen und Weibchen. Rotkehlchen spielen genau die Rolle, die ihr Geschlecht ihnen vorgibt. Würde das Rotkehlchen seine Geschlechter-Rolle hinterfragen, würde es diskutieren, wer wann wo für’s Brüten verantwortlich ist, würde es aussterben.

Es lebe der Unterschied…

Amseln und Halsbandsittiche haben einen ausgeprägten Geschlechterdimorphismus, was meint, dass sich die Geschlechter optisch klar voneinander unterscheiden. So bin selbst ich in der Lage, den Unterschied zu erkennen. Dass ich die Vögel auseinanderhalten kann, macht die Betrachtung spannend, denn als “Männchen” bzw. “Weibchen” werden diese Vögel zu “Personen”, zu eigenständigen Akteurinnen und Akteuren. Sie leben ihr Vogelleben – und führen uns Tag für Tag ein Spiel über das Leben vor.

Ihre Geschichten kommen uns bekannt vor, denn es sind Liebes- und Familiengeschichten. Die Themen der Halsbandsittiche sind unsere Themen: Liebe, Eifersucht und Zärtlichkeit, Essen, Arbeitsteilung, Trinken, Verdauung und Futterneid. Doch genaugenommen sind diese Themen keine Menschen-, sondern Papageienthemen, denn die Papageien existieren schon viel länger als wir. Es ist nicht anzunehmen, dass sie uns Menschen kopieren.

Erwachsene Halsbandsittich-Weibchen haben ein schwach angedeutetes, blassgrünes “Halsband”. Bei den Männchen hingegen ist es stark ausgeprägt. Es beginnt schwarz an der Kehle und umspannt orangerot das Genick. Da der Unterschied eindeutig ist, konnte ich beobachten, dass im Frühjahr ausschließlich Weibchen in unseren Garten kamen, um Erdnüsse zu picken.

Das erstaunte mich nicht. Schließlich entwickeln sich die Eier, entsteht das Leben in IHR, nicht in IHM. Und daher braucht insbesondere das Weibchen gutes, nahrhaftes Futter. Halsbandsittich-Weibchen lachen, wenn hungrige Männchen ihnen was von “Gleichberechtigung” vorkrächzen. Warum sollten Halsbandsittich-Männchen fress-gleichberechtigt sein, wozu?

In aller Regel ist im Tierreich die Partnerwahl Sache des weiblichen Tieres: Female Choice. So auch bei den Halsbandsittichen. Darüber hinaus bestimmt SIE in der Brutperiode, wer welche Nahrung bekommt. Halsbandsittiche leben, wie ich gelesen habe, monogam. Dass die Sittiche ein Paar bilden und sich treu sind, heißt aber noch lange nicht, dass Weibchen und Männchen sich das Essen “gerecht” teilen. Es heißt auch nicht, dass das Weibchen dem Männchen was abgibt. Schon gar nicht heißt es, dass das Weibchen -wie wir Menschen es von den Familien der 1960er Jahre kennen- dem Männchen das Essen (die nahrhafte und leckere Extra-Portion) serviert. Im Gegenteil.

In der unten stehenden kleinen Foto-Geschichte bekommen wir zu sehen, wie sich ein friedlich pickendes Halsbandsittich-Weibchen (zu erkennen am zartgrünen Halsband) erfolgreich gegen ein futterneidisches Männchen (schwarz gefärbte Kehle, rosa Halsband) zur Wehr setzt:

Der Futterspender ist frisch gefüllt mit geschälten, unbehandelten Erdnüssen. Das Weibchen findet heraus, wie es ein Halsbandsittich anstellen muss, trotz relativ kräftigem Schnabel an die Erdnüsse heranzukommen. Das erregt die Neu-Gier eines männlichen Artgenossen.

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In

kraftzehrenden Zeiten

der Papagei’n-Paarung verteilen

die Papagei’n-Weibchen die Nahrung:

Geschlechtergerecht

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Hier führen zwei Halsbandsittich-Weibchen vor, wie man die Erdnüsse erfolgreich vor den Männchen verteidigt. Rundum den Futterspender knüpfen sie weibliche Futter-Bande.

Elfchen im Zweiten: Gäbe es unsere Liebeslieder ohne die Regenwürmer?

Es gibt ein munteres Kinderlied, das modern klingt, aber schon über hundert Jahre alt ist: “Hörst du die Regenwürmer husten? Ahua, uha. Wie sie durchs dunkle Erdreich zieh’n. Wie sie sich winden und dann verschwinden, auf nimmer nimmer Wiederseh’n. Und wo sie waren, da ist ein Loch, Loch, Loch. Und wenn sie wiederkommen, ist es immer noch, noch, noch...”

Autor des Textes ist der evangelische Pfarrer und Dichter Georg Christian Dieffenbach (1822-1901). In der schmissig-heiteren Vertonung aus dem 20. Jahrhundert – nach der Melodie des Lieds Get Me to the Church On Time aus dem Musical My Fair Lady– wurde (und wird) das Lied nicht nur von Kindergartenkindern gesungen, sondern auch von marschierenden Bundeswehrsoldaten (und mittlerweile leider auch -innen), zu deren Repertoire zahlreiche Volks-, aber auch Kinderlieder gehören. Das Schuhwerk der Marschierenden ist so robust, dass der Regenwurm, dem die Uniformierten bei feuchter Witterung häufig begegnen, ihnen nichts anhaben kann.

Ich muss zugeben, dass mir Regenwürmer nicht ganz geheuer sind. Ich nehme die haarlosen, sich windenden Zwitter-Tierchen nicht gerne in die Hand, was ich aber manchmal tun muss, denn nach einem sommerlichen Regenschauer sind die Wege in der autofreien Siedlung in der Regel mit Regenwürmern übersät, die die Orientierung verloren haben.

Wir Menschen bringen Würmer mit Tod und Verwesung in Verbindung und nicht mit Leben und Blüte. Vor den Maden, den Larven der Fliegen, ekeln wir uns. Maden sind gefräßig. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich bis ins späte 19. Jahrhundert das Vorurteil hielt, dass Regenwürmer Schädlinge sind und Pflanzen anfressen. Die meisten Menschen konnten nicht glauben, dass die Regenwürmer für die Fruchtbarkeit des Ackerbodens unerlässlich sind. Warum war ausgerechnet der schnöde Regenwurm wichtig, und warum sollten ausgerechnet seine Ausscheidungen für das Gedeihen und den Ertrag der Pflanzen von elementarer Bedeutung sein?

Selbst der Gott der Bibel ist nicht vorurteilsfrei. Im Gegenteil: Er redet abschätzig über “alles Gewürm des Erdbodens”. “Füllet die Erde“, sagt er zu Adam und Eva (mit Menschen!), “und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.” (Gen 1,28, Luther-Bibel, https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/)

Gottes Geringschätzung gegenüber den Kriechtieren kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Schlange zum kriechenden Tier degradiert: “14Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. 15Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/GEN.3/1.-Mose-3

Schlangen bewegen sich lautlos und sind Meisterinnen im Sich-Verbergen. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu stammen. Schlangen nehmen Schallwellen wahr, aber auch feinste Boden-Vibrationen. Dass sie Sinne haben, über die wir Menschen nicht verfügen und für die wir keinen Namen haben, macht sie uns unheimlich. Auch dass Schlangen keine Beine brauchen, um sich am Boden (elegant!) fortzubewegen.

Den Menschen, die lebten, als die Texte der Genesis verfasst wurden, dürfte nicht entgangen sein, dass Schlangen gut klettern können, insbesondere die Äskulapnatter, die sich in der griechischen Mythologie um den Wanderstab des Gottes der Heilkunde windet, Asklepios (Äskulap”). Die Äskulapnatter, heute noch Symboltier für den ärztlichen Beruf, liebt es, sich auf Bäumen zu verbergen. Auch das ist uns Menschen nicht ganz geheuer. So ist es nicht verwunderlich, dass der Gott der Genesis die Schlange vom Baum holt.

In der Paradies-Geschichte ist die Schlange das Böse schlechthin, die Lügnerin, die Verführerin. Doch Gottes Furor richtet sich nicht gegen ein einzelnes Tier, sondern gegen die Unberechenbarkeit der Natur, die sich in der geheimnisvollen, vieldeutigen Schlange manifestiert. “Die Schlange ist ein Ursymbol”, schreibt Ingrid Olbricht (1935-2005), “… in fast allen Kulturen spielt sie in Mythen und im Brauchtum eine große Rolle. So bedeutete die Schlange einerseits Leben, Erneuerung, Verjüngung, Häutung, Auferstehung und andererseits Tod, Gift und Zerstörung. Sie symbolisierte die schöpferische Kraft der Erde. Sie war Begleiterin der Großen Mutter, geheimnisvoll wie sie, rätselhaft, intuitiv, eine unkontrollierbare, undifferenzierte, unerschöpfliche Lebenskraft. Weiterlesen: https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/wp-content/uploads/2015/07/Symbol_der_Schlange.pdf (unbedingte Lese-Empfehlung!)

Abgestreiftes “Natternhemd”: Eine Freundin meiner älteren Tochter lebt in den Tessiner Bergen. Im Frühjahr 2022 hat sie direkt unter ihrem Fenster eine Schlangenhaut gefunden, die vermutlich, wie an der “Kopfbekleidung” zu erkennen ist, von einer Ringelnatter stammt. Bei der Schlange dürfte es sich um ein älteres Weibchen handeln, denn die abgestreifte Haut ist über einen Meter lang. Anders als etwa bei den Äskulapnattern ist bei den Ringelnattern das weibliche das wesentlich größere Tier. Das Bild ist der Ausschnitt eines Fotos, das meine Tochter, die zufällig dort war, mit dem Smartphone gemacht hat.

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Wenn auch zahnlos und weniger vieldeutig, so ist der “Gemeine Regenwurm” ebenfalls ein altes Symboltier: “In den frühen Epochen unserer Geschichte glaubte man, dass der Regenwurm über besondere Heilkräfte verfüge. Im Schamanismus galt er als Krafttier, das für Erneuerung und Heilung stand. Er diente als Orakel und beliebte Zutat für Zaubereien und Rituale. Im alten Ägypten wurde der Regenwurm sogar heiliggesprochen und stand unter dem Schutz von Königin Cleopatra.http://www.regenwuermer.info/regenwurm/bedeutung-bodenverbesserung.php

Die ersten Hinweise auf den großen praktischen Nutzen der Regenwürmer stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der englische Schriftsteller und Naturforscher Gilbert White (“The Natural History and Antiquities of Selborne, 1789″) stellte dar, auf welche Weise der Regenwurm den Ackerboden lockert und somit die Entwicklung der Pflanzen fördert. Wissenschaftlich untermauert wurde die Bedeutung der Regenwürmer aber erst im 19. Jahrhundert, und zwar insbesondere durch Charles Darwin, der von White beeinflusst und beeindruckt war.

Der bekannte englische Naturforscher Charles Darwin hielt bereits 1837 vor der Geologischen Gesellschaft von London einen Vortrag über die Bedeutung der Regenwürmer bei der Bodenbildung („On the Formation of Mould“). Aber erst 1881 veröffentlichte er seine langjährigen und umfangreichen Beobachtungen in dem Buch „The Formation of Vegetable Mould through the Action of Worms, with Observations of their Habits“ (deutsch: „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer”), das von Biologen und Bodenkundlern als Grundlagenwerk der Bodenbiologie gewürdigt wird (vgl. GRAFF 1983, S. 30/31).https://hypersoil.uni-muenster.de/1/02/49.htm

Darwin sollte, nachdem er von seiner mehrjährigen Reise mit der Beagle zurückgekehrt war, England nie mehr verlassen. Doch auch das Leben der hier heimischen Lebewesen ist Teil einer universalen Naturgeschichte. So beobachtete Darwin seine unmittelbare Umgebung und studierte die Evolution sozusagen im eigenen Garten, wobei der englische Regen seinen Studien zugute kam.

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Wenn der stille, gehörlose, lediglich leicht schmatzende Regenwurm (wissenschaftlicher Name: Lumbricus terrestris) auch im Erd-Reich verschwindet, kommt er dennoch immer wieder ans Licht, dann nämlich, wenn es regnet und er in seinen unterirdischen Höhlen und Gängen zu ertrinken droht. Jetzt aber begegnet er einem Tier, das nicht nur Regen mag.

Die Regenwürmer haben einen Fressfeind, den ich zum Lauschen gerne hab. Singvögel, die im Laufe der Evolution komplexe Melodien entwickelt haben, existieren seit 33 Millionen Jahren. Wir Menschen lauschen ihnen nicht nur, sondern ahmen seit jeher ihren Gesang nach. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir unsere Liebeslieder auch den Regenwürmern verdanken.

Amsel

Drossel, Fink

und Star, unsere

Liebeslieder waren vor uns

da

Sommer 2022: Dieses Amselmännchen widersteht dem Impuls, die Rosine direkt zu verzehren. Es wartet so lange, bis das Jungtier auch eine Rosine aufgepickt hat. Dieser “Ästling” wurde schon als “Nestling” mit (ungeschwefelten) Rosinen gefüttert, die wir auf die Terrasse gestreut hatten, deshalb mag er sie sehr. Im letzten Sommer habe ich mehrmals beobachtet, wie das fütternde Amselmännchen zusätzlich zu den Würmern oder Insekten, die es im Schnabel hatte, noch Rosinen aufgepickt hat. Ein Balanceakt!

Dieses Jungtier hat zwar vor etwa zwei Wochen das Nest verlassen, braucht seine Eltern aber immer noch. Doch mittlerweile kriegt es das Futter nicht mehr einfach so in den offenen Schnabel gestopft. Her zeigt ihm sein Vater, wie eine Amsel es macht.

Wenn eine Jung-Amsel eigenständig ist, verlöscht das Interesse der Eltern an ihr. Dennoch werden die Eltern wieder Eltern sein und in Zukunft wieder gemeinsam brüten. Amseln leben überwiegend monogam und bleiben über mehrere Brutperioden zusammen. Die Jung-Amsel ist Vater und Mutter gleichermaßen zugeneigt. Bei uns Menschen ist das anders. Da die Mutter das Kind austrägt, zur Welt bringt und stillt, ist im Idealfall die körperliche Symbiose zwischen Mutter und Kind so tief, wie sie zwischen Vater und Kind nie sein kann – und auch nie sein sollte.

Biblische WONDER WOMEN: Die wundersamen Schwangerschaften der unfruchtbaren Elisabeth und der Jungfrau Maria

Die Wunder Jesu, die uns das Neue Testament erzählt, waren einmal spektakulär. Zu den bekanntesten gehören die Heilung eines Mannes, der von Geburt an blind ist, die Speisung der Viertausend mit fünf Broten und zwei Fischen und der Gang über den See Genezareth.

Doch als Menschen des 21. Jahrhunderts wissen wir, dass sich Wunder fingieren lassen. Mit der Erfindung von Comic-Superhelden wie Batman, Superman und dem weiblichen Pendant Wonder Woman sowie der Entwicklung filmischer Tricksequenzen haben die Wunder Jesu endgültig an Überzeugungskraft verloren. Selbst Theologen stellen sich die Frage, ob die Wunder Jesu tatsächlich stattgefunden haben, schon lange nicht mehr. “Dass die Wunder eins zu eins so passiert sind, wie es in der Bibel steht, schließen die meisten Theologen heute aus. Die Erzählungen sind nicht vom Einfluss anderer Geschichten zu trennen und auch nicht von dem, was die Gläubigen nach Jesu Tod als Ausschmückung dazuerzählten. Bis die Evangelien aufgeschrieben wurden, vergingen Jahrzehnte. Keiner der Evangelisten hat Jesus persönlich kennengelernt.https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/sind-die-wunder-wirklich-geschehen-20727

Da ist es umso verwunderlicher, dass die Wunder Jesu immer noch eins zu eins ernstgenommen werden, wenn auch als Vorlage für Wissenschafts-Ulk. Jack Pop (MDR Wissen) versucht in einem YouTube-Auftritt zu Ostern 2020, die “Wunder” aus Sicht der Wissenschaft zu entlarven. In welche Trickkiste, so der Tenor des Beitrags, könnte Jesus gegriffen haben? Hat er etwa bei der Verwandlung von Wasser in Wein in Wirklichkeit das Wasser nur rot eingefärbt und dafür zu Kamin gegriffen, einem Extrakt aus der Schildlaus? Pops Sprache ist aufgesetzt lässig. Um sich bei der Zielgruppe “Junge Erwachsene” beliebt zu machen, spricht er eine saloppe “Jugendsprache”. Wortwörtlich: “Was, wenn der Heiland nur ein krasses Wissenschaftsgenie war?”

Nun finde ich es höchst fragwürdig, wenn man die Wunder Jesu “wissenschaftlich” beleuchtet und auf diese Weise veralbert. Schließlich handelt es sich bei der Bibel nicht um irgendein Buch. Die Bibel ist ein voluminöses Grundlagenwerk und hat nicht nur unser Menschen-, Gottes- und Weltbild nachhaltig geformt, sondern war wegweisend und tonangebend für die moderne Menschheitsgeschichte. Die Bibel ist das meistverkaufte Buch der Welt und, das wage ich zu sagen, das wirkmächtigste Propagandawerk aller Zeiten.

Ich persönlich finde die Bibel gefährlich, weil uns die Heilige Schrift auf den einen Vater-Gott einschwört, unsere Spiritualität absorbiert, unsere Sehnsucht kanalisiert und unsere Hoffnung auf ein Paradies in enge, patriarchale Bahnen lenkt. Doch was war und ist die eigentliche Mission der Bibel?

Der Sohn Gottes, so erzählt es das Neue Testament, sei auf die Erde gekommen, um die Trennung zwischen Mensch und Gott aufzuheben und den Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies wieder an Gott zu binden. Doch die “Versöhnung” hat ihren Preis, denn eine andere Trennung wird zementiert, die zwischen Mensch und Natur. Jesus -und das ist fatal- besiegt die Natur. Mit seinen “Wundern” überwindet er die Schwerkraft, die Elemente, er besiegt unheilbare Krankheiten, und am Ende dann besiegt er, indem er wiederaufersteht, sogar den Tod. An diesen Gott sollen wir glauben. Der Lohn, der uns versprochen wird, falls wir gehorchen, ist ein Leben nach dem Tod und die Aufnahme in das Paradies Gottes.

So untermauert das Neue Testament einen autoritären Grundsatz aus dem sehr viel älteren Alten Testament. Schon im Schöpfungsbericht, noch während er dabei ist, die Erde zu erschaffen, erteilt Gott den Menschen den Auftrag, die Natur zu beherrschen: „Macht euch die Erde untertan.“ (Gen 1,28) Manch einer wird den markigen Appell in der modernen “Einheitsübersetzung”, die die Katholische Kirche benutzt, vergeblich suchen, denn hier findet sich stattdessen die Formulierung “Unterwerft sie euch”. In der Luther-Übersetzung (Aktuelle Fassung von 2017) heißt es aber nach wie vor: “Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.” https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/

Der berühmte Appell ist, seit wir wissen, dass der “Klimawandel” menschengemacht ist, in Verdacht geraten. Doch der Appell lässt sich, auch wenn er so formuliert ist, dass man ihn kaum wieder erkennt, nicht zum Verschwinden bringen, denn die Aufforderung zur Naturbeherrschung durchdringt die gesamte Bibel.

Indem Gott Adam und Eva segnet, bekommt auch die Naturbeherrschung Gottes Segen: “Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.Gen 1,28, EÜ, zitiert nach: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen2.html

Nun wirkt der Appell Macht euch die Erde untertan bis heute nach. Auch Naturwissenschaft und Politik haben ihn sich auf ihre Fahnen geschrieben. So findet sich sein sprachliches Echo im hymnischen Leitsatz einer deutsch-französischen Wissenschaftskooperative: “Make Our Planet Great Again.” Was für eine Anmaßung, die Erde “wieder großartig” machen, sie (nach den Vorgaben der Wissenschaft?) umgestalten zu wollen! Und was wäre eine “wieder großartige” Erde?

Der französische Präsident Emmanuel Macron, Kofürst von Andorra, ein Rationalist, der die Etikette hochhält, hätte, als er am 2. Juni 2017 eine “persönliche Botschaft” an die Weltöffentlichkeit vorlas, fast zu weinen begonnen, vermutlich aus Erschütterung über sich selber. Schlusswort seiner Klima-Botschaft war die Parole Make Our Planet Great Again. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/09/11/elfchen-im-neunten-make-our-planet-great-again-macht-euch-die-erde-untertan/

Adam und Eva versündigen sich, indem sie Gott und die Aufforderung, die Natur zu beherrschen, nicht ernst nehmen. Im 3. Buch der Genesis lässt sich Eva von der listigen Schlange dazu verführen, Gottes Verbot zum Trotz einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen. Anschließend verführt sie Adam dazu, es ihr gleichzutun. Jetzt erst realisieren sie, dass sie nackt sind, Mann und Frau. Sie bemerken nicht ohne Entzücken den Unterschied zwischen den Geschlechtern, ahnen, dass man Menschen weder aus Ackererde formt noch aus Rippen schnitzt. Adam und Eva empfinden nicht nur Scham, sondern bekommen eine Ahnung von etwas Schönem: Der leiblichen Liebe.

Indem sich Adam und Eva als Naturwesen erfahren, entscheiden sie sich -ohne es beabsichtigt zu haben- gegen Gott. Denn der erbarmungslose, rigorose Vater-Gott duldet nur ein Entweder-Oder. Er macht seine Drohung wahr, bestraft Adam und Eva mit dem Schicksal, sterblich zu sein, und definiert die Natur, in die er sie stößt, als Ort des Schreckens. Gott vertreibt die Menschen aus dem Paradies, das sich bei näherem Hinschauen als Unort entpuppt: Als sauberer, allzu schöner, bis in den letzten Winkel durchstrukturierter Raum, den Gott allein nach seinen Vorstellungen gestaltet und mit Lebewesen bestückt hat: Künstlich und unisex. Er pflanzt den Menschen Angst ein, Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Die moderne politische Propaganda, die mit unserer Todesangst spielt, hat hier ihre Wurzeln.

Gottes Furor richtet sich insbesondere gegen die Frau. Nicht ohne Grund, denn die Frau ist seine Konkurrentin. Sie ist diejenige, die den Menschen zur Welt bringt und mit jeder Geburt die Erschaffung des Menschen aus Ackerboden und Männer-Rippe in Frage stellt. So missachtet Gott die weibliche “Schöpfungswonne” und reduziert Schwangerschaft und Geburt auf Mühsal und Schrecken: Zur Frau sprach er: “Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder…” (Gen 3,16, LU) Gleichzeitig bestraft er Adam und Eva für die aufkeimende gegenseitige Liebe, treibt einen Keil zwischen Mann und Frau und zementiert die leibliche Liebe als Gewalt- und Herrschaftsverhältnis: “ / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen.” (Gen3,16, LU)

Mit der Erschaffung des Menschen installiert der Gott der Genesis ein Herrschaftsverhältnis. Adam und Eva bilden ein patriarchales Ur-Paar, denn von Beginn an herrscht Adam über Eva. Doch gleichzeitig -und darin zeigt sich die Genialität der wirkmächtigen Bibel- macht der Gott der Genesis Adam und Eva zu Komplizen. Ausgerechnet die Frau, deren Leiblichkeit uns in aller Ambivalenz daran erinnert, dass wir Teil der Natur sind, soll sich Seite an Seite mit dem Mann die Erde und alle irdischen Kreaturen untertan machen, die Natur beherrschen. Als seine Assistentin, versteht sich. Schließlich lautet der berühmte Appell nicht Mach dir, sondern Macht euch die Erde untertan. Die Gleichschaltung der Geschlechter, die in unserer Gegenwart mit dem “Wehrdienst” von Frauen ihren brutalen Höhepunkt erreicht hat, nimmt hier ihren Anfang.

Kann ich Christin sein, ohne dem Gott der Bibel, den ich als kalt empfinde, Glauben zu schenken?

Ein christliches Volks- und Wallfahrtslied aus dem 19. Jahrhundert erzählt von einem göttlichen Naturwunder, das nicht in der Bibel steht. Das Lied wagt einen Perspektivwechsel, denn es rückt nicht den Mann Jesus, sondern die mutterleibliche Zweieinigkeit von Jesus und Maria in den Mittelpunkt. Noch ist Jesus nicht auf der Welt. Er ist noch lange nicht der erwachsene, bewusst agierende Mann, sondern das Wesen im Mutterleib. Der ungeborene Jesus ist noch Teil von Maria und eins mit der Natur.

In einem schönen Text (auch als Podcast zu hören) erklärt uns Doris Blaich, was es mit dem Lied, das so alt nicht ist, wie es scheint, auf sich hat: “Uralt wirkt dieses Lied und die Geschichte, die es erzählt: die schwangere Maria geht durch einen Wald. Er ist völlig verdorrt: überall nur Dornengestrüpp. Doch als Maria den Wald betritt, verwandelt sich diese Wüste…” https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/maria-durch-ein-dornwald-ging-swr2-weihnachtslieder-100.html

Maria durch ein Dornwald ging

Maria durch ein Dornwald ging
Kyrie eleison
Maria durch ein Dornwald ging
Der hat in sieben Jahr’n kein Laub getragen
Jesus und Maria

Was trug Maria unter ihrem Herzen
Kyrie eleison
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen
Das trug Maria unter ihrem Herzen
Jesus und Maria

Da haben die Dornen Rosen getragen
Kyrie eleison
Als das Kindlein durch den Wald getragen
Da haben die Dornen Rosen getragen
Jesus und Maria

Das Lied ist schlicht und zart und kommt ohne Superlative aus. Es speist sich aus einem Gefühl, das in der Genesis fehlt: Liebe. Marias Gang durch den Dornwald spiegelt Schwangerschaft (und Geburt) in ihrer Ambivalenz. Maria nimmt einen beschwerlichen Weg auf sich – wie jede werdende Mutter. Es gibt keine Schwangerschaft ohne Beschwerden und keine Geburt ohne Schmerzen. Alles braucht seine Zeit. Aber Schwangerschaft und Geburt münden in eine Erlösung, die so tief ist, wie eine Erlösung nur sein kann. Hierfür stehen die Hoffnung spendenden Rosen. Jede Geburt ist ein Neuanfang.

Ich bin Christin, weil ich zwar nicht den erwachsenen Mann Jesus Christus, aber das ungeborene Kind liebe. Auch ein Kind Gottes -das erzählt die Bibel- muss geboren werden. Für mich ist Jesus Christus Teil der Natur und Teil eines Göttlichen, das größer ist als Gott Vater. Das ungeborene Kind Jesus Christus vollbringt keine Wunder. Es ist die Natur selber, die die Rosen zum Blühen bringt.

Marias Wanderung bezieht sich auf eine Begegnung, von der auch Bibel erzählt: Die Heimsuchung. Die Jungfrau Maria, seit kurzem erst schwanger, besucht ihre Kusine Elisabeth, die ebenfalls ein Kind erwartet, aber schon in drei Monaten entbinden wird. Maria wird bis kurz vor der Geburt bei Elisabeth bleiben, um sie zu unterstützen. Dass Elisabeth schwanger ist, ist verwunderlich, denn Elisabeth, Gattin des Zacharias, war in all ihren Ehe-Jahren unfruchtbar und ist jetzt längst nicht mehr im gebärfähigen Alter.

Superlative der Fruchtbarkeit kennen wir bereits aus dem Buch Genesis. Da sind es vor allem “auserwählte” Männer, Adam und seine Nachfahren, die noch im hohen Alter Kinder zeugen. Nachdem sie zunächst Väter von Söhnen werden, zeugen sie im Verlauf von mehreren hundert Jahren zahlreiche weitere Kinder. Hier ist allerdings die Phantasie mit den Autoren durchgegangen, und die protzigen Bibel-Passagen hören sich an wie Comic-Geschichten:

Adam war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie sein Abbild, und nannte ihn Set. Gen 5,3, EÜ. Nach der Geburt Sets lebte Adam noch achthundert Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,4, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Adams betrug neunhundertdreißig Jahre, dann starb er. Gen 5,5, EÜ. Set war hundertfünf Jahre alt, da zeugte er Enosch. Gen 5,6, EÜ. Nach der Geburt des Enosch lebte Set noch achthundertsieben Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,7, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Sets betrug neunhundertzwölf Jahre, dann starb er. Gen 5,8, EÜ.

Auch von einer Frau, die im hohen Alter noch ein Kind zur Welt bringt, erzählt das Alte Testament. 90 Jahre alt muss Abrahams Frau Sara der Bibel nach werden, bevor sie (mit Gottes übernatürlicher Hilfe) endlich schwanger wird. “Abraham und Sara waren schon alt; sie waren in die Jahre gekommen. Sara erging es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt.Gen 18,11, EÜ.

Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Soll ich wirklich noch Kinder bekommen, obwohl ich so alt bin? Gen 18,13, EÜ. Ist beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. Gen 18,14, EÜ.

(“Ist beim Herrn etwas unmöglich?” Mit leichtem Schrecken bemerke ich, dass sich die moderne Auto-Werbung auch bei der Bibel bedient: “Nichts ist unmöglich: TOYOTAhttps://www.youtube.com/watch?v=tkIqeI0wZ7c)

Das Neue Testament knüpft mit Elisabeths Schwangerschaft genau da an. Auch sie ist schon in einem Alter, das man heutzutage “Rentenalter” nennt. Wieder einmal setzt die Macht Gottes die naturgegebenen weiblichen Rhythmen außer Kraft. Es ist der Erzengel Gabriel, “Marias Engel”, der Zacharias den ersehnten Sohn verheißt. Doch anders als Johannes der Täufer wird der Sohn Gottes nicht von einer unfruchtbaren alten Ehe-Frau ausgetragen, sondern von einer fruchtbaren jungen Frau, der Jungfrau Maria.

Unübersehbar ist der Bezug zur Gegenwart. Medizintechnisch ist es möglich, Frauen jenseits der Wechseljahre, die keinen Eisprung mehr haben, befruchtete Eizellen einzupflanzen. Manchmal sind werdende Mütter gleichzeitig werdende Großmütter, dann nämlich, wenn sie sich die befruchteten Eizellen ihrer Töchter einpflanzen lassen und als Leihmütter ihre Enkelkinder austragen.

Tatsächlich spielen Wissenschaftler Gott, doch nur den Einen, den Gott der Bibel. Und wie die keimzellenfreie Befruchtung in der Bibel hat die keimfreie künstliche Befruchtung Gottes Segen.

Mittlerweile dringen die reproduktionsmedizinischen Eskapaden bis in unseren Alltag vor.

Ich kenne eine jüngere verheiratete Frau, die keinen Eisprung hat und daher unfruchtbar ist. Vor ein paar Jahren hat Lena (wie ich sie nenne) ein Mädchen zur Welt gebracht. Die leiblichen Eltern sind ihr Ehemann und eine Eizell-Spenderin unbekannter Herkunft. In einer spanischen Fruchtbarkeitsklinik hat sich Lena eine mit dem Sperma ihres Mannes befruchtete Eizelle der Spenderin in ihre Gebärmutter einpflanzen lassen. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es tiefenpsychologisch so ist, als sei Lena gezwungen, die Frucht eines Seitensprunges ihres Mannes auszutragen. “Gesund” für die Seele ist das nicht. Die Zukunft wird zeigen, wie das Kind damit umgeht. Lena hatte ein blondes, blauäugiges Kind bestellt, hat aber ein dunkelhaariges mit braunen Augen bekommen. Das Kind ist “entzückend”.

Der einzige Trost, den der Wahnsinn, unser Leben an die Reproduktionsmedizin zu verkaufen, parat hält, ist die Tatsache, dass die Kinder, die der In-vitro-Fertilisation entspringen, trotz alledem ganz normale, süße, liebe Kinder sind.

Elfchen im Zwölften: Der Weihnachtsmann der DEUTSCHEN BAHN beschenkt Nippeser Pänz!

Im September hatte ich über das Bau-Vorhaben der Deutschen Bahn in Köln-Nippes berichtet. Die Pläne der BAHN sind so brutal und lebensfeindlich, dass sie uns irreal erscheinen. Wir Menschen, die in der Nähe der Nippeser S-Bahn leben, können und wollen nicht glauben, dass die Vertreter der BAHN es nicht gut mit uns meinen. Von einem Privatunternehmen erwartet man profitorientiertes Kalkül, aber die Deutsche Bahn ist kein Privatunternehmen, sondern ein bundeseigener “Mobilitäts- und Transportkonzern”, der der Bundesrepublik Deutschland gehört, also sozusagen uns allen.

Die Bahn weckt nostalgische Gefühle in uns, denn sie ist Teil unserer Kindheit: “Zuch zuch zuch zuch Eisenbahn, wer will mit nach Kölle fahr’n? Kölle ist geschlossen, Schlüssel ist gebrochen…” Dieses kleine Lied habe ich Anfang der 1960er Jahre im Kindergarten gesungen. Es weckte meine Neugier auf Kölle und ist -so bekloppt sich das anhört- nicht ganz unschuldig daran, dass ich seit 1977 hier lebe. Das Lied gibt es noch heute, allerdings in freundlicheren Versionen ohne gebrochenen Schlüssel. Meine Kinder haben es vor zwanzig Jahren so gesungen: “Tuff tuff tuff tuff Eisenbahn, wer will mit in’ Urlaub fahr’n? Alleine reisen mag ich nicht, da nehm’ ich mir die Oma mit…

Nebenbei gesagt: Kindische Männer singen das Liedchen auch noch, wenn sie erwachsen sind, dann aber eher in der albernen Blödelversion von Wigald Boning und Olli Dittrich (“Die Doofen”): “Tuff, Tuff, Tuff ( Wir fahren in den Puff )” https://www.youtube.com/watch?v=ctmlV2ZzelQ, einer Art Vorläufer-Liedchen des diesjährigen Ballermann-Tophits Layla.

Doch der aktuelle Plan der Deutschen Bahn ist, was Köln-Nippes angeht, nicht einmal mehr schön blöd, sondern gar nicht mehr schön, denn was man uns androht, ist der “Bau eines Zuführungsgleises und damit einhergehend die Zerstörung großer Teile des letzten Grüns diesseits der S-Bahn-Linie, eine jahrelange Großbaustelle in unmittelbarer Siedlungsnähe und -nach Beendigung der Bauarbeiten- ein stetiger nächtlicher S-Bahn-Verkehr („Geisterzüge“).https://stellwerk60.com/2022/09/27/elfchen-im-neunten-liebe-laermschutzriegel-bewohnende/

Mitglieder des Vereins Nachbarn 60 der autofreien Siedlung hatten -wie berichtet- Ende Juli eine Arbeitsgruppe gebildet, um eine gemeinsame Einwendung zu formulieren und Unterschriften gegen den Ausbau zu sammeln. Wir -ich war mit dabei- standen nicht nur unter leichtem Schock, sondern unter ziemlichem Zeitdruck, denn der Abgabetermin bei der Bezirksregierung war der 15.8.2022. Wir hatten erst spät realisiert, dass ein erneutes Planfeststellungsverfahren läuft, denn erst durch Mails und Aushänge der Anwohnergemeinschaft Nippes (AWG) waren wir (mitten in den NRW-Sommerferien, aber gerade noch rechtzeitig!) wachgerüttelt worden. https://www.awg-nippes.de/grossbaustelle-bahn-in-koeln-nippes-verfahren-geht-wieder-los-einwendungen-bis-15-08-2022-moeglich/

Wir machten die Erfahrung, dass es sehr schwer es ist, eine Nachricht innerhalb der ganzen Siedlung zu verbreiten, noch dazu eine höchst unangenehme. Die Mitglieder des Vereins Nachbarn60 sind zwar über einen Mail-Verteiler miteinander verbunden, aber nicht alle Bewohner sind im Nachbarschaftsverein. Viele Nachbarn konnten und wollten die Sache nicht ernst nehmen. Auch ich hätte mich gerne doof gestellt, was mir aber mit zunehmendem Alter kaum noch gelingt. Dennoch schafften wir es, unsere gemeinsame Einwendung noch rechtzeitig abzugeben und allein in der autofreien Siedlung 280 Unterschriften zu sammeln, was etwa 20% aller Bewohnerinnen und Bewohner entspricht.

Weder die Stadt Köln noch Die Bahn ist einer Informations- oder Aufklärungspflicht nachgekommen- weil es so etwas nicht gibt. Wir waren ahnungslos und sollten es bleiben. Aus “gutem” Grund sind Stadt und Bahn offenbar nicht daran interessiert, die Menschen aufzuklären, zu informieren und in die Planungen mit einzubeziehen. Obwohl (oder weil?) der Bau des Zuführungsgleises ein massiver Einschnitt wäre und obwohl (oder weil?) es menschenfreundlichere, wenn auch teurere Alternativen gibt, will man keine Einwände hören, vor allem kein klares NEIN. Man tut so, als würde uns unmittelbar Betroffene die Angelegenheit nichts angehen. Mit dem vielbeschworenen demokratischen Dialog hat das nichts mehr zu tun.

Darüberhinaus unterliegen mögliche Einwände einer bürokratisch verklausulierten Widerspruchs-Logik, die eigentlich unlogisch ist: Wer sich nicht bis zum 15.8.2022 formal korrekt ausdrücklich gegen das Zuführungsgleis ausgesprochen hat, ist rein rechtlich dafür. Mit anderen Worten: Später kann man zwar sagen, man sei gegen den Gleisbau gewesen, aber juristisch ist das belanglos. Zum Beispiel können Haus- und Wohnungsbesitzer, die sich nicht bis zum 15.8.2022 formal korrekt ausdrücklich gegen das Zuführungsgleis ausgesprochen haben, später nicht mehr die zu erwartende Wertminderung ihrer Immobilie einklagen. Doch wie soll man Widerspruch einlegen gegen ein Vorhaben, über das man nicht einmal informiert wurde? Das ist grotesk und zutiefst undemokratisch.

Nun ist das aktuelle Nippeser Planfeststellungsverfahren (in dessen Rahmen man derzeit die Einwände prüft) nicht das erste. Die Deutsche Bahn musste seit 2007 bereits mehrmals “nachbessern”, vor allem, was die Höhe der geplanten Lärmschutzwände angeht, denn der zu erwartende Bahnlärm wäre enorm. Ich habe noch einmal woanders hingeguckt, nicht auf die Höhe, sondern auf die Länge der zu erwartenden Lärmschutzwände.

Hier offenbart sich die tragikomische Seite sogenannter “Lärmschutz-Maßnahmen”. Was uns nämlich zusätzlich zum Zuführungsgleis droht, ist ein völlig unzureichendes und noch dazu potthässliches Lärmschutz-Ungetüm, eine “Neu-Nippeser Mauer” mit einer Höhe von zwei bis vier bzw. sechs Metern. Unter dem Vorwand, uns schützen zu wollen, sollen die “Lärmschutzwände” lang ausfallen, sehr lang, sehr sehr lang. Was die Länge betrifft, muss die Bahn nicht einmal mehr nachbessern. Westlich der Gleisanlagen (dem Stadtteil Bilderstöckchen zugewandt) wäre, so hat man errechnet, eine Lärmschutzwand mit rund 430 m Länge erforderlich. Östlich der Gleisanlagen (Nippes und den Eisenbahner-Siedlungen zugewandt) plant man im Bereich des Zuführungsgleises drei Lärmschutzwände. Die eine hat eine Länge von knapp 290 m, eine zweite soll 640 Meter lang sein und eine weitere rund 425 m. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, sind das insgesamt 1355 Lärmschutzmeter. Will man Lärmschutz-Rekorde brechen?

Abgesehen davon, dass die Bewohner oberer Stockwerke (insbesondere der Mehrfamilienhäuser “Am Ausbesserungswerk”) den Bahnlärm nach Fertigstellung der Gleisanlage auch bei einer Höhe von sechs Metern mit voller Wucht abkriegen würden, bedeutet eine 1355 Meter lange Lärmschutzwand einen erheblichen Eingriff in die Integrität des ohnehin schon schwer in Mitleidenschaft gezogenen Lebensraums aller hier beheimateter Lebewesen.

Um zu verdeutlichen, wie monströs die “Neu-Nippeser Mauer” wäre, veröffentliche ich hier noch einmal die Gegenüberstellung zweier Fotos aus meinem oben erwähnten Blog-Beitrag vom 27.9.2022. Wer in die Fotomontage der AWG (rechtes Bild) noch zusätzlich zur Bahn eine Lärmschutzwand hinein imaginiert, kann sich vielleicht vorstellen, wie irrwitzig die Pläne der Deutschen Bahn sind: Noch vor dem Zuführungsgleis soll in einer Länge von 425 Metern eine in diesem Bereich sechs Meter hohe “Lärmschutzwand” errichtet werden.

Kürzlich habe ich den Bereich “Am Ausbesserungswerk” noch einmal von der anderen, der Südseite aus fotografiert. In den schmalen Streifen zwischen bestehender Bahntrasse und Fußweg sollen zwei Gleise (denn hier ist das Zuführungsgleis zum Zwecke quetschender nächtlicher Wendemanöver zweigleisig geplant!) und die Lärmschutzwand nebeneinander hineingebaut werden.

Sooo deutsch ist eine bestehende Schilder-Allee: Aktuell weisen, ordentlich aufgereiht, insgesamt 15 rot umrahmte Schilder darauf hin, dass man für die Feuerwehr Platz lassen soll. Für die gäbe es allerdings -so hat man errechnet-, würde das Zuführungs-Gleis gebaut, kein ordnungsgemäßes Durchkommen mehr.

Ergänzung Juni 2023: Wie es nach einer Nacht- und Nebel- Aktion (“prophylaktischer Kahlschlag”) im Frühjahr 2022 hier bzw. wenige wenige hundert Meter weiter aussah, hat Bernd Schöneck vom Kölner Stadtanzeiger in einem Artikel vom 10.3.2022 festgehalten. https://www.ksta.de/koeln/nippes/koeln-nippes-baeume-am-bahndamm-gerodet-anwohner-ensetzt-159449

Male ich mir all das aus, fühle ich mich in keiner Weise geschützt, sondern der Willkür der Deutschen Bahn schutzlos ausgeliefert. Es ist, als seien wir Menschen kleine Spielfigürchen, vergleichbar mit denen, die jedermann beim Modellbau-Anbieter Faller bestellen kann. E

Apropos Faller: Der Weihnachtsmann der Deutschen Bahn hat -so wurde mir erzählt- auch in diesem Jahr in ganz Köln Geschenke verteilt. Aber die wirklich hochwertigen Geschenke, so soll der Weihnachtsmann der Deutschen Bahn augenzwinkernd betont haben, die gab es exklusiv für die Pänz aus Köln-Nippes.

Der

Weihnachtsmann der

BAHN kam nicht

mit leeren Händen, sondern…

Faller-Lämschutzwänden!

Bildschirmfoto 2022-12-26 um 17.40.56

Eine Lärmschutzwand im Mini-Format. Bestimmte Produkte sind laut Faller für Kinder unter drei Jahren wegen verschluckbarer Kleinteile nicht geeignet. Diese Faller-Lärmschutzwand ist ungefährlich für Kinder unter drei, könnte aber Kindern über drei Jahren Lust machen auf reale Kletterpartien. Meines Wissens fehlt bei dem Produkt der Zusatz “nicht geeignet unter 14 Jahren”. Wo er nicht fehlt, das sind die Faller-Strommasten, die man ebenfalls bestellen kann und die sich wunderbar mit der Lärmschutzwand kombinieren lassen. Abenteuerlustige Kinder bekommen sehr schnell heraus, dass sich Faller-Lärmschutzwände mit Faller-Figürchen beklettern lassen. Was die echten Lärmschutzwände betrifft: Da wird weiterhin “nachgebessert”, was die Höhe betrifft. Das freut die waghalsigen Kinder, denn Lärmschutzwände probiert aus, wem es im Frechener Chimpanzodrome zu langweilig ist.

“Der Populismus fährt Fahrrad”- Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Freu Keuner.

“Tach auch”, sach ich. Wir sind an der KiTa Lummerland verabredet. Die Frau Keuner hat mich angerufen und darum gebeten, in der Nähe der KiTa ein paar Fotos von ihr zu machen, und mein Fahrrad soll ich mitbringen. Jetzt steht sie da, hält die Griffe des Rollators umklammert und mustert mich grinsend.

“Fotos von mir?”, sagt die Frau Keuner. “Dat dachtest du dir so. Ich seh mit Ende 60 zwar immer noch besser aus als du mit knapp Mitte, aber dat muss ja nich sein.”

“Aber, aber”, stammele ich. “Sie haben mich doch darum gebeten. Das war Ihre Idee. Ich meine, ich sollte Sie doch fotografieren.”

“Du lässt dir aber auch alles erzählen”, sagt die Frau Keuner und lacht breit. “Aber ne wirklich schicke Frisur.”

“Danke”, sage ich. “Aber ich war seit zweieinhalb Jahren nicht mehr beim Frisör.”

“Dat sieht man”, lacht die Frau Keuner. “Deine Haare sehen aus wie n oller Wischmopp. Ich meinte dein Fahrrad. Wenn Männer ihre Fahrzeuge frisieren, dann motzen die die technisch auf. Aber wenn Frauen ihre Fahrräder frisieren, dann schmücken sie die Körbe mit Blömscher. Aus Kunststoff. Hömma Lisa, du hast Kunststoff-Blumen gekauft.”

“Ich, ich… Ich hatte die noch.”

“Ja, ja”, sagt die Frau Keuner. “Und du dachtest wohl, ich würde mich auf dein Fahrrad setzen. Wie soll dat wohl gehen mit meiner kaputten Hüfte? Außerdem hab ich nicht die Top-Figur, die der Joe Biden immer noch hat. Der Joe hat ja im Juni an seinem 45. Hochzeitstag mit der Jill zusammen eine Radtour gemacht, bei sich zu Hause in Delaware. Dabei trug er diese kurze Hose, die er seit 40 Jahren im Schrank hat. Ich sach dir, vielleicht ist der im Kopf nicht mehr klar, wenn er das jemals war. Ich meine, der Mann ist ja schwer traumatisiert. Joe Biden macht eine furchtbare Kriegs- und Coronapolitik, aber körperlich gibt er immer noch eine Top-Figur ab. Sogar in der ollen Buxe.”

Die Frau Keuner holt eine Wasserflasche aus dem Netz. “Ich krieg die Pulle nicht auf. Hast du noch Kraft in der Hand?”

Sie hat einen verdammt wunden Punkt erwischt, aber ich schnapp mir die Flasche. Zum Glück lässt sich der Drehverschluss leicht öffnen. “War halb so schwer”, sage ich.

“War ja eh schon auf”, sagt die Frau Keuner und lacht.

Sie beruhigt sich langsam und nimmt einen Schluck Wasser. “Zurück zu Joe Biden. Wat ja an den Männern definitiv schöner ist als an den Frauen, dat sind die Beine. Keine Cellulitis. Und der Joe Biden, der hat noch richtig schöne Beine. Dat wüsste ich nicht, wenn er auf seiner Radtour nicht mit dem Fahrrad umgekippt wär. Die Bilder gingen ja um die Welt. Ich hab mir dat bei Youtube angeguckt. Also… Die Radfahrergruppe kommt ins Bild, bissken steif dat Ganze, aber egal… Die Gruppe fährt auf eine Weggabelung zu, an der schon die Kameras bereit stehen. Jill und die anderen biegen ab, aber Joe fährt geradeaus weiter, weil am Straßenrand die Presseleute auf ihn warten. Joe trägt zu seiner Sicherheit einen Helm, doch der Sicherheitsmann, der hinter ihm fährt, trägt zu Joe’s Sicherheit keinen, weil so ein Helm beim Personenschutz hinderlich ist. Kannst du mir noch folgen?” Ich nicke nur.

“Also”, fährt die Frau Keuner fort. “Joe kommt bei den Journalisten an, bremst und setzt den Fuß auf den Boden, den linken Fuß. Joe steht, und jetzt erst kippt er um, denn er kriegt den rechten Fuß nicht aus der Pedal-Schlaufe. Joe verliert das Gleichgewicht. So was passiert, ältere Menschen kippen schnell um, geht mir auch so. Und der Biden muss das Gefühl gehabt haben, dass er bei den Journalisten in Sicherheit ist, dass er sich fallen lassen kann. Doch da hat er sich verschätzt. Denn jetzt kommt der eigentliche Skandal… Niemand fängt Joe auf, die stehen da doof rum. War so nicht geplant. Aber anstatt den Joe festzuhalten, halten die Journalisten ihre Kameras fest, um zu filmen, wie der umkippt, weil niemand ihn festhält. Früher waren die berühmten Leute schlauer, da haben die sich vor den Paparazzi in Sicherheit gebracht und sind nicht noch auf die zu.”

Die Frau Keuner trinkt noch einen Schluck Wasser und packt dann die Flasche weg. “Der Joe ist schneller wieder auf die Beine gekommen, als ich gucken konnte. Und du, Lisa, du bist 16 Jahre jünger als Joe, aber du siehst auf dem Rad lange nicht so gut aus wie der. Du kannst ja nicht einmal mehr einhändig fahren. Ich hab dich letztens beobachtet, wie du mit der linken Hand dat alte Nokia-Teil ans Ohr gehalten hast und fast einen Pfosten touchiert hättest.”

Ich guck die Frau Keuner fragend an. “Wo soll das gewesen sein?”

“Wagenhallenstraße Richtung Wartburgplatz. Das kann teuer werden, auch in der Füßgängerzone. Du kannst so was von froh sein, dass du nicht prominent bist. Wenn man prominent ist, sitzt immer eine von diesen Medien-Petzen im Gebüsch und wartet darauf, dass man einen Fehler macht. Hömma, Lisa, du warst ja nie besonders sportlich, aber dat war dermaßen ungelenk.” Jetzt lacht sie dreckig.

Ich bin machtlos und in dieser Kleine-Schwester-Schockstarre. Ich kann mich nicht wehren, denn ich bewundere die Frau Keuner, wie ich kleines Mädchen meine große Schwester bewundert habe, so fies die auch manchmal war. Meine große Schwester hat es immer wieder geschafft, mich zum Heulen zu bringen. Sie konnte schon lesen, als ich noch nicht einmal in der Lage war, die Bilderbücher richtigrum aufzuklappen. Meine große Schwester, das war so eine, die schon bis über tausend zählen konnte, während ich drei Finger abspreizen musste, um zu zeigen, dass ich drei Jahre alt war.

“Hömma, Lisa”, sagt die Frau Keuner, “jetzt stellst du dein Fahrrad an genau die Stelle, die ich dir sach. Wir machen ein paar Fotos, und diese Fotos stellst du als Dia-Show in deinen Blog. Dein letzter Blog-Beitrag über das Zuführungsgleis war ja nicht übel, aber da fehlt was.”

“Wieso?”, frage ich leise. “Was hab ich denn jetzt wieder falsch gemacht?”

“Da fehlt der Jochen Ott, unser SPD-Landtagsabgeordneter. Der Ott is ja unser Nachbar, der wohnt zwar nich in der autofreien Siedlung, aber in der daneben, mit Tiefgarage, aber auch direkt anner S-Bahn… Der Ott ist für das Zuführungsgleis, zumindest ist er nicht dagegen. Man kann aber nur für das Gleis sein, wenn man selber lärmgeschützt wohnt, und das tut er, der Ott hat nämlich sein schmuckes Reihenhäusken mitten in der bewohnten Lärmschutztrutzburg.”

“Lärmschutztrutzburg”?

“Jau”, sacht die Frau Keuner, “der bewohnte Lärmschutzriegel geht nämlich noch umme Ecke. Du sitzt doch den ganzen Tach am Rechner. Gib da mal “Am Ausbesserungswerk Köln” ein. Da guckst du dann von oben drauf, und mit ein bisschen Phantasie erkennst du die Hintergedanken der Bauplaner. Die haben schon vor dem Bau der Siedlungen das Zuführungsgleis eingeplant – und den Lärm, den das macht. Falls das Gleis gebaut wird, bilden die Häuser “Am Ausbesserungswerk” die bewohnte Mauer einer Lärmschutz-Trutzburg, und die Mieter, die in den Mauern der Trutzburg wohnen, sind menschliche Lärmschutzschilder.”

“Das kann man doch so nicht sagen!”

“Oh doch, die Mieter schützen die Reihenhaus-Besitzer, denn die Menschen, die “Am Ausbesserungswerk” zur wohnen, kriegen den Lärm ab, aber wohnen Leuten wie dem Ott den Lärm fott. Sozial gerecht ist das nicht. Und wenn dann das Zuführungsgleis gebaut wird, sitzt der Ott im Lärmschatten der bewohnten Mauer in seinem Reihenhausgarten und füttert den Hund. Und wie ich ihn kenne, füttert er seinen Hund aus Kostengründen mit den aufgetauten Resten von Kochen mit Jochen. Da guckst du. Kochen mit Jochen war eine Werbeaktion im Landtags-Wahlkampf 2010. Da hat der Ott noch auf der Schäl Sick kandidiert und mit Kindern und Jugendlichen zusammen gekocht, und zwar in Jugendeinrichtungen. Afrikanisch, italienisch, international, politisch absolut korrekt. Kochen mit Jochen würde in Nippes nicht ankommen. Aber der Mann ist schon lustig. Seinen Wahlkampf-Podcast zum Thema Schule hatte der Ott Ottcast genannt. Is dat nich süß? Da fehlt nur noch der Jottifant.”

“Frau Keuner, ich komm jetzt nicht mehr mit.”

“Is ja nix Neues”, lacht die Frau Keuner. “Du bist eben ein bisschen langsam im Kopp. Aber nochmal zum Ott. Das ist wie beim Olaf Scholz. Nur weil seine Partei die SPD ist, meinen die Leute, er hätte Ähnlichkeit mit Johannes Rau oder Willy Brandt. Mädchen, die hat er nicht. Der Ott war mal Oberstudienrat, und ich sach dir, dat bleibt. Der Ott ist ein Berufspolitiker, der sich einen Top-Job mit Super-Rentenerwartung geangelt hat. Guck dir mal die Internetseite an. Was macht für Jochen Ott Wohnen aus? Dass es “bezahlbar” ist. Hört sich gut an. Doch abgesehen davon, dass die Nippeser Mieten extrem gestiegen sind: Was hat man von bezahlbarem Wohnraum, wenn im Schrank die Teller wackeln, weil die S-Bahn vorbeifährt? Und zwar jetzt schon. Was hat man von einer Wohnung im beliebten Veedel, wenn jetzt schon ständig die Fenster geputzt werden müssen? Flugrost, Feinstaub, Ruß. Wenn Wahlkampf ist, wird der Ott aktiv, da zeigt er sich, da geht er strahlend über den Nippeser Markt. Und jetzt? Grimmig. Total verschlossen. Wenn kein Wahlkampf is, hört man nix mehr von ihm. Und jetzt stell dein Fahrrad genau da hin, wo der Ott seins für das Wahlplakat platziert hat.” Die Frau Keuner zeigt mir die Stelle.

“Erinnerst du dich nicht an das Wahlplakat? Davon hast du mir doch das Foto geschickt. Vor der Landtags-Wahl hingen hier doch überall diese Werbeplakate. Nur so kleine für Radfahrer und Fußgänger, aber trotzdem ärgerlich, weil die Sprüche von Wahl zu Wahl dümmer werden. Wat stand unterm Ott? “MOTIVIEREN. MITNEHMEN. EINFACH MACHEN.” Wat soll dat, wer soll wozu motiviert werden, wohin mitgenommen, und wat soll einfach gemacht werden? Und dann noch dreimal das “M”, das die Kölschen immer an die Spitzen vom Dom erinnert. Mann, Macht, Muskeln… Das darf doch alles nicht wahr sein…”

“Ist Ihnen nicht gut?” frage ich leise, denn die Frau Keuner ist plötzlich ganz blass geworden.

“Schon gut”, sagt die Frau Keuner, “aber ich kann die politischen Knallköppe manchmal nicht mehr ertragen. Die tun so, als wäre alles wie immer. ” Sie atmet tief, macht eine kleine Trinkpause und redet gottseidank weiter. “Hömma, ich hab mir überlegt, wo in Köln das Foto mit dem Ott aufgenommen ist. Ich dachte, in einer weitläufigen Parklandschaft, vielleicht im Stadtwald. Dann hab ich genauer hingeguckt, und auf einmal kam mir alles bekannt vor. Hömma, dat spielt genau hier, wo wir stehen. Mit Blick auf die große Wiese zwischen den beiden Eisenbahnersiedlungen, zwischen der autofreien Siedlung und der Hohr-Siedlung, auf das grüne Zwischen-Stück, das sie nicht bebaut haben. Im Hintergrund sieht man die Bahntrasse. Der Ott präsentiert uns sein Fahrrad. So macht man sich bei den Leuten in der autofreien Siedlung beliebt. Der Populismus fährt Fahrrad. Aber den Wahlkreis hat dann doch der Arndt Klocke von den GRÜNEN geholt. Der Ott kommt hier im Viertel nicht besonders gut an.”

Jetzt singt die Frau Keuner auch noch. “Ja so blau, blau, blau ist der Jochen Ott, ach wat is der flott, ach wat is der flott… Es gibt da einen alten Trick, der Fotograf hat sich hingekniet und den Ott von unten fotografiert, damit er so richtig groß und mächtig ins Bild kütt. Stattlich ist er ja schon, aber so raumeinnehmend. Ich hab hab ja nichts dagegen, wenn die Männer raumeinnehmend sind, aber nicht so und schon gar nicht im öffentlichen Raum, du verstehst schon. Hömma, jetzt bist du rot geworden, Lisa. Findest du doch auch gut, wenn die Männer…”

“Unsinn!”

“Schon gut”, sagt die Frau Keuner. “Aber jetzt mach schon. Du kniest dich jetzt aber nicht hin, Lisa. Ich trau dir zwar zu, dass du wieder hoch kommst, aber mach die Fotos bitte im Stehen, denn man will ja noch wat vonner Landschaft sehen. Und wat fällt dir an dem Wahlplakat noch auf?” Ich zucke die Achseln.

“Der Fotograf hat das Ausbesserungswerk abgeschnitten”, sagt die Frau Keuner. “Vielleicht wollte es der Ott so. Deshalb klebst du in deiner Diashow das Stück wieder dran. Mach mit deiner kleinen ollen Kamera einfach einen Schwenk, damit die Südseite vonner Lärmschutztrutzburg draufkommt. Fotografier die Balkone, aber auch die Lüftungsöffnungen vonner Tiefgarage. Mach schon.”

Diese Diashow benötigt JavaScript.

“Gut so”, kommentiert die Frau Keuner die Fotos. “Aber da is noch wat. Auf seiner Internetseite schreibt der Ott, dass er 60-70 Stunden in der Woche arbeitet. Wie konnte es da passieren, dass er vor sieben Jahren einen richtig guten Vorstoß der NRW-Landesregierung verpasst hat?” Sie macht eine Pause, schließt die Augen und atmet tief durch.

“Jetzt muss ich mich konzentrieren, damit ich das noch zusammenkriege”, sagt die Frau Keuner. “Also… Da haben verschiedene Bundesländer ein Eckpunktepapier zum Thema Bahn-Lärm vereinbart. Und unser damaliger grüner NRW-Umweltminister Johannes Remmel hat die Bundesregierung aufgefordert, die Menschen besser vor Bahnlärm zu schützen und das in der Verkehrslärmschutzverordnung zu verankern. Der Bund hat leider nicht entsprechend reagiert, da is nix verankert, obwohl die Faktenlage eindeutig ist. Bahnlärm ist extrem gesundheitsgefährdend. Ich schick dir den Link. Is ganz einfach zu finden, denn die Pressemitteilung steht immer noch auf der offiziellen NRW-Internetseite.”

https://www.land.nrw/pressemitteilung/minister-remmel-bahnlaerm-macht-die-menschen-krank

“Aber der Ott war doch vor sieben Jahren in der Kommunalpolitik aktiv”, sage ich.

“Nicht nur”, sagt die Frau Keuner. “Der war auch im Landtag. Und die Pressemitteilung der NRW-Landesregierung ist vom 9. Juni 2015. Die kennt der. Nur war da gerade Oberbürgermeister-Wahlkampf. Weißt du noch? Der Ott ist doch gegen die Henriette Reker angetreten. Und ich sach dir, weil nur vier Monate später Wahl war, hatte der Ott keinen Bock, nach Düsseldorf zu fahren. Aber jetzt müsste er endlich aktiv werden. Die Herzen der Nippeser gewinnt man nicht beim “Kochen mit Jochen”, nicht mit Spaghetti Bolognese, sondern indem man sich für das Wohlergehen der Menschen einsetzt. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: MDL Jochen Ott (SPD) solidarisiert sich mit den Kölner Bürgerinnen und Bürgern gegen die menschenfeindlichen Pläne der DEUTSCHEN BAHN. Aber jetzt kann ich nicht mehr länger rumstehen.”

Die Frau Keuner macht ein paar Schritte und redet dann weiter. “Mach bitte noch ein letztes Foto, Lisa. Stell dich auf den Weg vor der sonnenbeschienenen Südseite des Ausbesserungswerks und fotografier die Wiese, aber sieh zu, dass du ein paar von den 13 Bäumchen draufkriegst, die die Stadt Köln in diesem Jahr neu gepflanzt hat… Die Menschen, die auf der Südseite der Lärmschutztrutzburg wohnen, haben schöne große Balkone. Da füttern sie die stolzen Halsbandsittiche, die sich in den letzten Jahren prächtig vermehrt haben. Ich freu mich so sehr, dass den Papageienvögeln in den milden Wintern die Krallen nicht mehr abfrieren. Es ist mir ein Trost, wo es schon keinen Schnee mehr gibt… Und weil sich der Bahnlärm noch in Grenzen hält, können die Leute im Sommer auf den Balkonen sitzen und Spaß haben an den Fledermäusen, die genau da nisten, wo das Gleis hinkommen soll. So einen freien Blick hat der Ott nicht. Dat nenne ich soziale Gerechtigkeit. Der Ott hört zwar den Bahnlärm kaum, aber dafür guckt er nicht in die Weite, nur auf Häuser… Wir müssen dafür sorgen, dass das Zuführungsgleis niemals gebaut wird. Schon wegen der Fledermäuse.”

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Elfchen im Neunten: Liebe Lärmschutzriegel-Bewohnende

Vor gut 20 Jahren hat man damit begonnen, das innenstadtnahe Gelände der ehemaligen Köln-Nippeser Eisenbahn-Ausbesserungsanlage mit Wohnhäusern zu bebauen, mit Mehrfamilien-, aber auch mit Einfamilienreihenhäusern. Nach Abschluss der Bauarbeiten leben hier insgesamt über 5000 Menschen, etwa 1500 davon in der autofreien Siedlung Stellwerk 60.

Die autofreie Siedlung liegt genau in der Mitte des bebauten Areals. Was die Siedlung auszeichnet, ist, dass sie wirklich eine ist. Unser großer gemeinsamer Nenner ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Auto. Dass die nachbarschaftliche Kooperation über den Gartenplausch hinaus gelingt, ist vor allem dem Nachbarschaftsverein Nachbarn 60 zu verdanken, dessen aktive Mitglieder seit mittlerweile 15 Jahren unermüdlich organisieren, koordinieren, anleiern, Ideen entwickeln und überhaupt viel Arbeit in das Projekt stecken. Der Gemeinschaftsgarten muss gepflegt werden, die Kettcars, Tandems, Einräder, Biertische und Transportkarren, die alle Vereinsmitglieder in der Mobilitätsstation (“Mobi”) kostenlos ausleihen können, müssen regelmäßig gewartet werden, junge Bäume gegossen, Flohmarkt, Sommerfest und Lebendiger Adventskalender organisiert werden u.u.u….

Das Besondere an Stellwerk 60 ist die Familien- und Kinderfreundlichkeit. Die Kinder stören sich nicht daran, dass die Siedlung dicht bebaut ist. Auch die geringe Breite der Reihenhäuser (oft weniger als fünf Meter), die vielen Erwachsenen die Luft zum Atmen nimmt, vor allem dann, wenn man den Nachbarn nicht riechen kann, ist ganz nach dem Geschmack von Kindern. Wo in der Siedlung sie auch wohnen: Die Kinder gehen raus und treffen Kinder. Ihr Draußen wird nicht durch parkende Autos verstopft. Die asphaltierten “Hauptstraßen”, die nur von Müllabfuhr und Notarztwagen befahren werden dürfen, laden ein zum Rollschuhlaufen, Einradfahren, Skateboarden, der autofreie Raum zum Spielen, Raufen und Austoben. Wo Kinder sind, gibt es kein Abstandhalten.

Manchmal bin ich ziemlich genervt, wenn ich einem großen Kettcar ausweichen muss, auf dem fünf kreischende Kinder sitzen. Aber dann erinnere ich mich an die “Pandemie” mit ihren volkserzieherischen “Sicherheits”-Maßnahmen, ich erinnere mich daran, wie gespenstisch still es selbst in der autofreien Siedlung war, als die Kinder, denen das Virus nie viel anhaben konnte, zu einer Art soldatischem Gehorsam gezwungen wurden, als sie sich nicht einmal zu Hause mit mehreren Freunden treffen konnten, nicht einmal die Kettcars ausleihen und kaum Spaß haben durften. Und wenn ich mir klarmache, wie autoritär, wie lust- und lebensfeindlich die “Gesundheitsschutz”- Maßnahmen waren (und zum Teil noch sind!), dann bin ich erleichtert, dass die Kinder nicht verstummt sind – und kann ihr Gekreische ertragen. Ach was, ich freue mich daran!

Ein Archivfoto aus dem Jahr 2016:

Besuch des Koreanischen Fernsehens in der autofreien Siedlung Stellwerk 60. Die beiden, die hier -gesittet und ohne zu kreischen- auf dem Kettcar sitzen, sind Filmemacherin Chi-Suk Kim und Siedlungs-“Bürgermeister” Hans-Georg Kleinmann; Foto: Nachbarn60.  https://stellwerk60.com/2016/07/17/der-film-ist-da-stellwerk-60-im-koreanischen-tv/

Es ist abwechslungsreich und angenehm, in der autofreien Siedlung zu leben – wenn nur die Bahn nicht so nah wäre. Natürlich ist es grundsätzlich vorteilhaft, in der Nähe zweier S-Bahnhöfe zu wohnen. Auch hält sich die Lärmbelastung innerhalb der autofreien Siedlung in Grenzen. Doch was den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht nur von Stellwerk 60, sondern aller Nippeser Siedlungen zwischen den S-Bahnhöfen Nippes und Geldernstraße droht, ist nicht mehr angenehm, sondern so alptraumhaft, dass man es kaum glauben kann. Wie viele andere hatte auch ich versucht zu verdrängen, was uns seit Jahren “nur” droht, jetzt aber real werden könnte: Der Bau eines Zuführungsgleises und damit einhergehend die Zerstörung großer Teile des letzten Grüns diesseits der S-Bahn-Linie, eine jahrelange Großbaustelle in unmittelbarer Siedlungsnähe und -nach Beendigung der Bauarbeiten- ein stetiger nächtlicher S-Bahn-Verkehr (“Geisterzüge”).

Die Pläne der DB für das Zuführungsgleis sind nicht neu, und die entsprechenden “Planfeststellungsverfahren” laufen schon seit 2007. Wegen zahlreicher Einwendungen und erheblicher Bedenken, vor allem wegen des zu erwartenden Lärms, musste die Bahn ihre Pläne bereits mehrere Mal aktualisieren. Dass die Deutsche Bahn ihr Vorhaben noch nicht hat durchsetzen können und weiterhin “nachbessern” muss, ist insbesondere der Anwohnergemeinschaft Nippes (AWG) zu verdanken, deren Mitglieder über die Jahre hinweg das Vorhaben nicht verdrängt, sondern sich der Bedrohung gestellt haben. Bei allen “Planfeststellungsverfahren” erhob die AWG (nicht zu verwechseln mit dem Verein Nachbarn 60) immer wieder Einspruch und holte vor Jahren bereits ein Gutachten ein, das belegt, dass das Zuführungsgleis nicht nötig ist und es eine menschenfreundliche, wenn auch teurere Alternative gibt. Laut Gutachten könnten S-Bahnen auch auf einem anderen Weg in die mittlerweile in Betrieb genommenen Abstellanlage einfahren.

Was genau droht, erzählt plastisch dieser Aushang der AWG, der Ende Juli im Grünstreifen diesseits der S-Bahn aufgehängt wurde und sich vor allem auf das erste Teilstück hinter dem S-Bahnhof Nippes bezieht:

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Mich persönlich hatte bereits Anfang des Jahres eine Nacht-und-Nebel-Aktion in Alarmbereitschaft versetzt. In einer Mensch und Tier überrumpelnden Blitz-Maßnahme wurden im Frühjahr 2022 Tatsachen geschaffen, bereits “Vorbereitungen” getroffen für die von der Deutschen Bahn geplante Bebauung. Entlang der Bahntrasse wurde gerodet, kleinere Bäume wurden gefällt, Sträucher komplett zurückgeschnitten. Das Gelände wurde -wie es aussieht- für einen Eingriff präpariert, der in keinerlei Hinsicht gebilligt ist. Wer den Kahlschlag in Auftrag gegeben und wer ihn durchgeführt hat, ist nicht bekannt.

Besonders augenfällig ist der Kahlschlag dort, wo er städtischen Grund berührt. Während ein wenige Meter breiter Geländestreifen neben der S-Bahntrasse der Deutschen Bahn gehört, ist ein kleines Wäldchen, das nach dem Willen der DB komplett plattgemacht werden soll, Eigentum der Stadt Köln. Noch scheitert das Bauvorhaben u.a. an diesem kleinen städtischen Wäldchen – und am Widerstand der Stadt Köln, die jedoch im Falle einer Bau-Bewilligung enteignet werden kann.

Ich habe das schwer beschädigte Wäldchen jetzt im September von verschiedenen Seiten fotografiert. Das Wäldchen wurde bei der Aktion unbegehbar gemacht. Abgesägte Äste wurden auf die Wege gekippt und der zentrale Zugang durch einen Baumstamm versperrt.

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Fünf sanfte letzte Kurven und ein Hauch von Central Park. “Wo jetzt in dieser Mini-Oase die Blätter rauschen und ein kühles Lüftchen im Sommer angenehm kühlt, sollen S-Bahnen aus ganz NRW nachts zu einem “Parkplatz” mit 18 Gleisen hin und zurück rollen.” (AWG)

Da die klugen Köpfe der AWG in ständiger Alarmbereitschaft sind, hatten sie mitbekommen, dass die Deutsche Bahn erneut ein “Planfeststellungsverfahren” angestrengt hat. Anfang Juli informierte die AWG uns Nippeser Nachbarinnen und Nachbarn sowie den Nachbarschaftsverein der autofreien Siedlung und lud zu einer Info-Veranstaltung mit Begehung des betroffenen Gebietes ein. http://www.awg-nippes.de

Vielleicht muss man vor Ort gewesen sein und sich mit den Betroffenen unterhalten haben, um sich das Ausmaß der geplanten Bau-Maßnahme vorstellen zu können. So war bei der gut besuchten Info-Veranstaltung am 6.8.2022 glücklicherweise Journalist Bernd Schöneck vom Kölner Stadtanzeiger anwesend. In seinem “Kommentar zum Gleisvorhaben in Köln-Nippes” vom 10.8.2022 mit dem Titel “Es bliebe fast nichts, wie es ist” stellt Schöneck fest, dass das “Vorhaben wie ein Damoklesschwert über der Nippeser Eisenbahnsiedlung” schwebt. Weiter schreibt Schöneck, dass man sich des Verdachts nicht erwehren könne, “dass das Vorhaben bereits beim Siedlungsbau geplant war – und das wäre ein Skandal. Denn die Bewohner des Veedels wären bezüglich der Nutzung des Areals im Dunkeln gelassen worden. Zugleich zeigt sich leider erneut, dass das Wohl der Anlieger, vorsichtig gesagt, bei der Bahn nicht an allererster Stelle steht.” https://www.ksta.de/koeln/kommentar-zum-gleisvorhaben-in-koeln-nippes-es-bliebe-fast-nichts–wie-es-ist-39868530 Aufschlussreich auch: https://www.ksta.de/koeln/nippes/umstrittene-bahn-plaene-fuer-koeln-nippes–das-waere-eine-gefahr-fuer-leib-und-leben–39866080 (Beide Artikel konnte ich auch ohne Abo nach Anmeldung kostenlos lesen.)

Ich bin Bernd Schöneck dankbar für seinen engagierten Kommentar und auch dafür, dass endlich jemand den “Skandal” zur Sprache bringt. Was die autofreie Siedlung betrifft, spricht einiges dafür, dass der Bauträger Kontrola im Bilde gewesen sein dürfte. Als wir im Jahr 2007 unser Reihenhaus kauften, wurden wir während des ausführlichen Verkaufsgesprächs nicht über die Pläne der Bahn informiert. Wachgerüttelt wurden wir erst im Sommer 2008, als die Mitglieder der AWG anlässlich der ersten Offenlegung zum Protest aufriefen.

Hätte der Stellwerk 60– Bauträger und Projektentwickler Kontrola im Wissen um die Pläne mit offenen Karten gespielt, wäre es schwierig gewesen, die Häuser und Eigentumswohnungen zu verkaufen, zumal -während die Siedlung noch in der Bauphase war- mit der Finanzkrise 2008 der Verkauf ins Stocken geriet. Ohnehin war der Verkauf eine kaufmännische Herausforderung, denn vor 15 Jahren war es keineswegs sicher, ob sich Häuser ohne Stellplatz gut verkaufen lassen.

So aber wurde neben den Häusern in den anderen Bereichen der Eisenbahner-Siedlung ausgerechnet das Vorzeigeobjekt “autofreie Siedlung” auf ein Verschweigen gebaut. Dabei hatte Kontrola im Jahr 2007 gleich zwei Auszeichnungen entgegengenommen. Stellwerk 60 war nicht nur „Ort im Land der Ideen“, sondern wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der „Qualitätsoffensive für Familien in Städten und Gemeinden“ ausgezeichnet. 

Leider schützen solche Preise die Bewohnerinnen und Bewohner nicht und schon gar nicht vor Willkür-Maßnahmen, sondern dienen lediglich den Bauunternehmen zu Werbezwecken. Nachfolge-Bauträger BPD wirbt heute noch mit dem Kontrola– Projekt “Stellwerk 60” und wurde vor wenigen Jahren mit dem Bau einer „Klimaschutzsiedlung“ in Köln-Lind betraut. (Allerdings liegen in Großstädten wie Köln die Flächen, auf denen noch ganze Siedlungen gebaut werden können, oft in heikler Nähe zur Autobahn, so auch hier. Diese Siedlung erfüllt zwar die Vorgaben des Leitfadens “100 Klimaschutzsiedlungen Nordrhein-Westfalens”, entsteht aber wenige Kilometer weit weg vom Flughafen Köln-Bonn in unmittelbarer Nähe des Lärmschutzwalls vor der Autobahn A59. Ich weiß nicht, ob es schon Straßennamen gibt. Mein Vorschlag: Am Linder Lärmschutzwall)

Immerhin ist der Linder Lärmschutzwall unübersehbar, während das Nippeser Zuführungsgleis mitsamt seinen landschaftszerschneidenden Lärmschutzwänden lediglich auf dem Papier exisitiert. Und das, was droht, ist so unglaublich, dass es die meisten verdrängen. In der autofreien Siedlung wurden in den letzten Jahren bereits einige Häuser von ahnungslosen Besitzern an ahnungslose Käufer überteuert verkauft. Auf diese Weise jedoch wird der Bauträger-Skandal, wird das Verschweigen weiter getragen. Der “Marktwert” ist reine Fiktion. Die permanente Drohung eines Zuführungsgleises senkt nicht nur den ideellen, sondern den tatsächlichen Wert der Immobilien meines Erachtens erheblich – auch den unseres Hauses.

Nachdem wir uns informiert hatten, bildeten fünf Mitglieder des Vereins Nachbarn 60 eine Arbeitsgruppe, um – angeregt von der AWG – eine Einwendung zu formulieren und Unterschriften gegen den Ausbau zu sammeln. Das war nicht einfach, da die Zeit drängte und man den “Abgabetermin” bei der Bezirksregierung auf den 15.8. gelegt hatte. Viele Nachbarinnen und Nachbarn waren in Urlaub, andere gerade zurück gekommen. Doch da die Sommerferien in diesem Jahr schon am 9.8. endeten, waren die meisten gerade noch rechtzeitig wieder vor Ort. Meistens halte ich mich bei Siedlungsaktivitäten zurück, aber diesmal gab es für mich kein Halten.

Gaby hatte der Arbeitsgruppe die wichtigsten Punkte der Planungsunterlagen vorgestellt, und Beate, die nicht nur ein außergewöhnliches politisches Gespür, sondern die Gabe hat, auch in äußerst angespannten Situationen besonnen zu bleiben, hatte die Einwendung verfasst. Sie opferte mehrere Urlaubs-Tage, um den kaum lesbaren Text durchzuarbeiten, ein Konvolut, das bis zum 15.7. im Internet öffentlich auslag und so umfangreich ist, dass es sich nicht per Mail-Anhang verschicken lässt.

So saßen wir fünf einander abwechselnd in der Mobilitätsstation, wo wir zwischen dem 8.8. und dem 13.8. an fünf Abenden Unterschriften sammelten. Von insgesamt knapp 1000 Unterschriften im gesamten betroffenen Bereich sammelten wir 280 von Bewohnerinnen und Bewohner der autofreien Siedlung, was etwa 20% entspricht. Der gemeinsame Tenor: Wir unterstützen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, aber so bitte nicht!

Interessant war es, auf diese Weise mit den Nachbarn der Nachbarsiedlungen ins Gespräch zu kommen, darunter auch Menschen aus den ganz nahe an die bestehende Bahntrasse herangebauten Mehrfamilienhäusern “Am Ausbesserungswerk”. Ein Bewohner erzählte, dass sich der Estrich in seiner Wohnung durch die permanenten Boden-Erschütterungen so weit gesenkt hat, dass man -sehr zur Freude seiner beiden kleinen Söhne- Matchbox-Autos unter den Zimmertüren hin- und herflitzen lassen kann. Ein anderer erzählte, dass Menschen, die dort eine Wohnung neu beziehen, jetzt schon per Unterschrift zusichern müssen, dass sie, falls das Zuführungsgleis gebaut wird, die Miete nicht mindern.

Und ist das Gleis einmal fertig”, so schreibt Bernd Schöneck, “würden die Züge nur einige Meter entfernt von den Wohn- und Schlafzimmern der Häuserzeile am Ausbesserungswerk entlang rollen – dem „bewohnten Lärmschutzwall“, wie es recht zynisch hinter vorgehaltener Hand heißt.” (ksta.de, s.o.) Leider muss ich ergänzen, dass der “bewohnte Lärmschutzwall” nicht nur hinter vorgehaltener Hand so genannt wird, sondern bereits als ein solcher konzipiert worden ist. Im Stadtteilführer des “Archiv(s) für Stadtteilgeschichte Köln-Nippes e.V.” heißt es: “Aufsehen erregte vor allem ein direkt an der Bahnlinie liegender Gebäuderiegel, der als Lärmschutz für die rückwärtigen Gebiete an die Stelle der alten Wagenhalle treten sollte. Befürchtungen wegen Lärmbelastungen und einer geplanten Eisenbahntrasse unmittelbar vor den Häusern wurden mit dem Hinweis verworfen, die Bewohner würden vom Lärm nicht gequält, weil auf der Seite zur Bahntrasse nur Treppenhäuser und Küchen vorgesehen seien.” (“Loss mer jet durch Nippes jon”, 3. Auflage 2010, S.36)

Die AWG hat im Jahr 2017 eine Fotomontage kreiert, die leider schaurig realistisch ist. Ich habe mir erlaubt, sie von dem Flyer, wo sie abgedruckt ist, abzufotografieren. Hier wird simuliert, wie es “Am Ausbesserungswerk” aussähe, wenn…

Nun will die Deutsche Bahn -im wahrsten Sinne des Wortes- noch eins draufsetzen. An der Stelle, die ich, um den Kontrast zum Flyer zu zeigen, im Jetzt-Zustand fotografiert habe, soll nach den Plänen der Bahn zwecks Wendemöglichkeit das Zuführungsgleis sogar zweigleisig verlaufen. Und genau dort will man direkt vor den zwei Gleisen eine sechs (!) Meter hohe Lärmschutzwand errichten! Doch dieses Lärmabwehr-Ungetüm würde den Menschen im Erdgeschoss die Sicht und das Licht rauben und im vierten Stock nicht einmal den Lärm abhalten.

Mein Elfchen des Monats ist diesmal von der schamlosen FÜR EUCH- Werbekampagne der BILD – Zeitung inspiriert. Im Sommer 2019 startete BILD “… eine neue Werbekampagne, in deren Zentrum die Leser stehen. Die Kampagne „FÜR EUCH. BILD.“ stellt Menschen vor, die jeden Tag für andere im Einsatz sind, die Verantwortung übernehmen und die mehr Wertschätzung verdienen. Statt Situationen mit Schauspielern oder Models nachzustellen, zeigt die Kampagne BILD-Leser wie Krankenschwester Manuela, LKW-Fahrer Reinhold, Polizistin Mehtap oder Oma Lore in ihren Alltagssituationen.” https://www.axelspringer.com/de/ax-press-release/bild-startet-neue-werbekampagne-fuer-euch-bild

Wie schafft man es, Menschen, die eine knallharte Arbeit leisten, eine Arbeit, für die sich die meisten “zu schade sind”, Menschen, die permanent ihre physische und psychische Gesundheit FÜR UNS aufs Spiel setzen und die viel zu wenig verdienen, bei Laune zu halten? Indem man sie lobt, sich bei ihnen bedankt und sie prominent ins Bild setzt. In der Sprache der BILD nennt man das “Wertschätzung”.

Im darauffolgenden Jahr 2020 passte diese Kampagne wie von Jens Spahn bestellt zur bundesdeutschen Gesundheitspolitik. Jetzt machte die Kampagne nicht nur Werbung für die BILD-Zeitung, sondern für die staatlichen Corona-Maßnahmen – und die Corona-Maßnahmen waren wiederum eine Top-Werbung für die BILD. Während der “Pandemie” mussten die Plakatmotive nur entsprechend aktualisiert und um zusätzliche Motive ergänzt werden. Wir erlebten eine höchst erstaunliche Kooperation zwischen Boulevard-Zeitung und Bundesregierung.

***

Wie aber hält man Menschen bei Laune, die einen Lärmschutzriegel bewohnen und dafür auch noch (Miete) bezahlen müssen?

Liebe

Lärmschutzriegel-Bewohnende, schenkt

der Deutschen Bahn

ein Lächeln. FÜR EUCH.

BALD.

***

Das gönnerhafte Lob sozial Benachteiligter, die Stärkung der Arbeitsmoral und die Überredung zu eigentlich unzumutbarer Arbeit via Werbung sind nicht neu. Um Arbeitskräfte anzuheuern, wurde schon im 20. Jahrhundert eine ausgeklügelte Plakatwerbung eingesetzt, die mit psychologischen Tricks arbeitete. Die Zielsetzung: Den Menschen einen beschämend schlecht bezahlten und dazu noch gesundheitsgefährdenden Job schmackhaft machen.

Dieses Werbe-Plakat aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg richtet sich an junge Schulabsolventen, die nicht das Privileg haben, eine höhere Schule besuchen zu dürfen, sondern -im Gegenteil- schon früh zum Familieneinkommen beitragen müssen. Das Plakat appelliert an das Verantwortungsgefühl und packt die Jungen bei ihrem gerade erwachenden männlichen Stolz. Der Beruf des Bergmanns, so die Botschaft des Plakats, ist nichts für Weichlinge, die nicht zupacken können, sondern “Ein Beruf für ganze Kerle”. (Der Ausdruck “ganzer Kerl” ist heutzutage kaum noch gebräuchlich. Ein “ganzer Kerl” sein meint soviel wie “körperlich und mental topfit sowie moralisch integer”.)
Die Abbildung des Plakats habe ich von der Internet-Seite “deisterbergbau.de” abfotografiert und den “Absender” mithilfe vom Lesebrille und Lupe hoffentlich korrekt entziffert: “Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge der sowjetischen Besatzungszonen in Deutschland- Ausbildung und Umschulung – Berlin”                                                                                                    Schon mein Urgroßvater Leopold, geboren 1861 in Loslau/Oberschlesien, wurde gegen 1890 durch die Werbung der westdeutschen Bergbauunternehmen ins Ruhrgebiet gelockt. Für meinen Urgroßvater, der damals gerade geheiratet hatte, war die Arbeit unter Tage die vielleicht einzige Chance, eine große Familie -seine Frau Carolina sollte 12 Kinder zur Welt bringen- dauerhaft zu ernähren. Vermutlich hat es schon damals Werbeplakate in Form von Aushängen gegeben, auf denen bereits das noch Jahrzehnte später gegebene Versprechen (s.o.) stand: “Arbeit und Brot auf Lebenszeit”.                                                                                                                                                                   Im Nachhinein mutet diese Parole zynisch an,  denn die “Lebenszeit” der meisten, zu Beginn ihrer Arbeit noch gesunden Bergleute war begrenzt. Dass sie schwere und schwerste Schädigungen der Lunge davontrugen, gepflegt werden mussten und früh starben, dürfte insbesondere den Verantwortlichen in der SBZ längst bewusst gewesen sein. Erstaunlich ist auch, dass man ausgerechnet in der sowjetischen Besatzungszone mit der Plakat-Werbung im großen Maßstab ein zentrales Kommunikations- und Machtmittel des Kapitalismus einsetzte.                                                                          Mein Urgroßvater “erkrankte” schwer an der Staublunge und starb 1916 im Alter von 55 Jahren als Berginvalide. Sein Sohn Karl, mein Großvater, geboren 1898 in Bottrop, starb am 14.Juni 1946, dem Geburtstag des selbsternannten “Bergarbeiterfreundes” Donald Trump, im Alter vom 57 Jahren an Lungentuberkulose als Folgeerkrankung der Staublunge. Aber was bedeutet eigentlich “Staublunge”? Aufklärend: https://news.rub.de/wissenschaft/2018-08-28-bergbau-diagnose-staublunge

Elfchen im Siebten: Gartenschnecken-Hochzeit

* 9.7.1957

Am Strand von Spiekeroog: Kinder bauen bei Ebbe eine Sandburg. Als die Sandburg fertig ist, wird sie mit Muscheln verziert, denn Steine findet man am Strand vom Spiekeroog kaum. Die Kinder wissen, dass die Flut kommt, und gehen. Morgen werden sie eine neue Sandburg bauen, die schönen Schalen der Herzmuscheln gibt es wie Sand am Meer. Man merkt der Sandburg an, welche Freude die Kinder hatten, als sie sie gebaut haben. Zwei Jungs, die vorbeikommen, spüren das auch. Sie können die Schönheit der Sandburg nicht ertragen und zögern nicht lange. Was die Flut kann, können wir auch, nur viel schneller.

Aufgrund von Ausgrabungen mithilfe präziser moderner Techniken müssen die Ursprünge der Menschheit immer wieder neu datiert werden. “Sowohl genetische Daten heute lebender Menschen als auch Fossilien weisen auf einen afrikanischen Ursprung unserer Art hin. Die ältesten bisher bekannten Homo sapiens-Fossilien stammen aus Äthiopien: Die Fundstelle Omo Kibish ist 195.000 Jahre alt, Herto wird auf 160.000 Jahre datiert.https://www.mpg.de/11322546/homo-sapiens-ist-aelter-als-gedacht

Geschichtsschreibung als bewusste sprachliche Aufzeichnung und Deutung historischer Ereignisse sowie deren Festschreibung als “Geschichte” gibt es erst seit der Antike. Die frühen “Historiker” waren ausschließlich Männer. Mit dem Ende der Steinzeit und der Sesshaftwerdung der Menschen vor gerade einmal 10.000 Jahren hatten die Männer die Herrschaft übernommen. Das Patriarchat setzte sich mit aller Macht und Härte durch. Männliche “Stärken” wie Muskelkraft, Kampfbereitschaft und Kriegslüsternheit spielten eine immer größer Rolle, denn das Eigentum war entstanden und “musste” verteidigt werden. Fortan war die Geschichte mitsamt all ihren Institutionen, Erfindungen und kulturellen Errungenschaften immer auch eine Geschichte brutaler Kriege, der primitiven und brachialen Waffengewalt. Kaputtmachen ist einfach, Kaputtmachen ist feige, Kaputtmachen sichert Macht. Nichts ist einfacher, als mit roher Gewalt Tatsachen zu schaffen, Geschichte zu schreiben.

Doch warum hat die zwar gefahr-, aber dennoch friedvolle vorpatriarchale Epoche nicht eher geendet, “was hat die steinzeitliche Welt so lange in der Balance gehalten? Warum hat der Gebrauch von Werkzeugen und Waffen nicht zur Selbstzerstörung geführt? … Entscheidend war die Liebe zum Leben: Das Gespür für Natur, die Ehrfurcht vor der weiblichen Gebärfähigkeit und die Einbettung des menschlichen Daseins in den göttlichen Kosmos…” Weiterlesen: https://stellwerk60.com/2016/12/06/die-menschheitsgeschichte-begann-in-afrika/

Doch eben diesen friedenssichernden göttlichen Kosmos, jene spirituelle Balance meint der männliche Größenwahn zertrümmern zu müssen. Die männliche Hybris konkurriert dabei nicht nur mit der göttlichen Schaffenskraft, sondern auch mit der Schöpfungsgeschichte. Männer wollen auch deshalb Macht und Einfluss haben, um selber Schöpfer zu sein, (Welt-) Geschichte zu schreiben.

Dieser Gestaltungs-Ehrgeiz zeigt sich auch im Verhalten vieler unserer Zeitgenossen, die, sobald sie Einfluss haben, ohne es zu merken permanent Sandburgen zertrümmern. Buchautor und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will uns nicht nur alle impfen, sondern uns alle aufklären: “Bevor es zu spät ist” (Rowohlt 2022). Wissenschaftsjournalist, Atheist und Buchautor Ranga Yogeshwar, den ich in mancherlei Hinsicht sehr schätze, impft uns mit Halbwissen. Sein Video “Warum Impfen schlauer ist” (6.8.2021) ist zwar spätestens seit Omikron in allen Punkten widerlegt, steht aber weiterhin unverändert im Netz. https://www.youtube.com/watch?v=gT9z-l77ZYk

Schon anlässlich der Schweinegrippe im Jahr 2009 mutierte Yogeshwar zum öffentlich-rechtlichen Impf-Missionar. In einer Quarks&Co-Sendung zum Thema Schweinegrippe am 1.9.2009 beantworteten Ranga Yogeshwar und der Virologe Alexander Kekulé, der sich wenig später mit dem schon damals umstrittenen Impfstoff Pandemrix impfen ließ, Zuschauerfragen. Ende 2020 dann benutzte Yogeshwar im Interview mit morgenpost.de in Bezug auf die Corona-Impfung eine zum Fremdschämen kitschige, hymnisch-sentimentale Floskel, die mich aufhorchen ließ: “Ich bin stolz, jetzt Teil der Menschheit zu sein.” https://www.morgenpost.de/berlin/article231048684/Ranga-Yogeshwar-Corona-Impfen-Schnelltests.html (leider €)

***

Doch wer die Natur nicht sentimental verklärt oder nach Brauchbarkeit abklopft, nach Nutzen für Technik und Wissenschaft, wer noch zu schauen oder zu lauschen vermag, dem (oder der) erzählt sie wundersame Geschichten:

Krochen

in den

Nabel der Spirale

und fanden sich da…

Schöpfungswonne*

Sommer 2021: Diese weibliche Figur habe ich vor drei oder vier Jahren in einem Kringloopwinkel (Kringloop = Kreislauf) in Alkmaar gefunden. Das Holz war glänzend lackiert, aber der Regen hat den Lack mit der Zeit abgewaschen.                                                                                                                           Strudel bewegen sich spiralförmig. Diese langsam fließende Spirale vermittelt nur eine leise Ahnung von der Sogkraft des Strudels. Und doch schienen die beiden Gartenschnecken durch eine geheimnisvolle Kraft in den Nabel der Figur, in den Mittelpunkt der Spirale gezogen worden zu sein. Dabei ist diese Spirale ein Spiel mit der Spirale, die sich, als ich sie genauer betrachtete, noch als etwas anderes entpuppte: Zwei ineinander verschlungene Schlangen.                                          Nachdem ich sie vom Sofa aus beim Blick durch die Terrassentür entdeckt hatte,  blieben die Schnecken dort -zwischen den regenfeuchten Blättern von Minze und Efeu- noch eine Stunde oder länger. Dann ließen sie einander los und krochen in verschiedene Richtungen davon.

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Ergänzung 16.7.22: Was aber ist der Unterschied zwischen dem Gartenschnecken-Paar und dem Ehepaar Lindner/Lehfeldt? Wir erinnern uns: Bundesfinanzminister Christian Lindner hat am vergangenen Wochenende auf Sylt eine Journalistin namens Franca Lehfeldt geheiratet. Anders als die bundesdeutsche Politprominenz waren wir, das Volk, nicht eingeladen, durften aber der Traumhochzeit zwischen Lindner und Lehfeldt bzw. Politik und Journaille vom Fernsehsessel aus zuschauen.

In der EMMA brachte Alice Schwarzer “den kleinbürgerlichen Kitsch” der Veranstaltung auf den Punkt: “… Das ganze medial effektiv beschirmt von einer Hundertschaft Polizei, bezahlt vom Steuerzahler. Hochzeitsgast Friedrich Merz braust im Privatjet aus dem Sauerland an, markig am Steuerknüppel. Ein echter Mann eben. Ex-Kandidat Laschet kommt aus Aachen im Kleinbus. Passt. Die Braut steckt in einem cremefarbenen „Jumpsuit“, rückenfrei, der Bräutigam in einem sehr blauen Anzug. Er steigt, knapp vor dem Kirchenportal, aus einem schwarzen BMW. Sie folgt in einem schwarzen Porsche Targa.” https://www.emma.de/artikel/lindner-hochzeit-es-ist-zum-kotzen-339645

Am liebsten hätte ich weggeguckt, aber Abschalten ging nicht. Schließlich wurden wir auf allen Kanälen mit der Story beballert. Und das, wie Alice Schwarzer schreibt, in “Zeiten, in denen die Inflation galoppiert, die Menschen arbeitslos werden, Alten und Armen das Gas abgedreht wird; in Zeiten, in denen Krieg nebenan ist und in Afrika deswegen noch mehr Menschen verhungern.” (emma.de, s.o.)

Wir sind das Volk.” Es gibt uns noch, aber wir sind zum Zuschauen verdammt. Wir müssen das Hochzeitsfest mitfinanzieren, müssen Eintritt bezahlen, aber die Party findet ohne uns statt. Nun zeichnet sich die aktuelle deutsche Bundespolitik durch Abschottung von den Menschen, durch eine kaum noch erträgliche Egomanie der Agierenden, durch Selbstgerechtigkeit, Eitelkeit und Gleichgültigkeit aus. Dolce Vita in Germany: Dass Autonarr und Bundesfinanzminister Lindner, während weltweit Großbrände wüten, seine Hochzeit dazu benutzt, für die deutsche Autoindustrie zu werben, für Porsche und BMW, ist nicht nur scham- und geschmacklos, sondern -wie Alice Schwarzer sagt- zum Kotzen.

Doch was ist jetzt der Unterschied zwischen dem Gartenschnecken-Paar und dem Ehepaar Lindner/Lehfeldt?

Anders als Lindner/Lehfeldt sind den Gartenschnecken Geld, Selbstdarstellung und Haartransplantationen (Lindner) fremd. Und abgesehen davon, dass sie gar nicht stehen können, stehen Gartenschnecken nicht gerne im Mittelpunkt. Beifall ist ihnen suspekt. Aus gutem Grund verstecken sie sich lieber. Doch wenn Schnecken Hochzeit feiern, sind sie der Mittelpunkt der Welt – was alle nachempfinden können, die glücklich verliebt sind oder es einmal waren.

Gartenschnecken sind verletzlich, sie paaren sich nur dort, wo sie sich geschützt fühlen- stundenlang. Dass sie sich vor meinen Augen in den Mittelpunkt der Spirale gesetzt haben, berührte und erfreute mich. Ich war zu ihrer Hochzeit eingeladen. Diese beiden Schnecken schienen genau zu wissen, dass ich sie erschütternd schön finde. Niemand kann mir erzählen, dass Schnecken nicht dankbar sind.

*Auf den Begriff „Schöpfungswonne” bin ich bei der Theologin Hanna Strack gestoßen, die ihn wiederum in einer Schrift des Religionswissenschaftlers Walter Schubart entdeckt hat (“Religion und Eros”, 1941). In ihren Büchern schließt sich Hanna Strack der Weltsicht der Philosophin Hannah Arendt an, für die das menschliche Leben von der Geburtlichkeit geprägt ist und nicht-wie es die klassische Philosophie postuliert- von der Sterblichkeit. Das geht einher mit einem radikalen Perspektivwechsel, denn die Entwürfe der mittlerweile 85jährigen Christin Hanna Strack haben naturreligiöse Elemente.

Anders als die Theoretikerin Hannah Arendt versinnlicht Hanna Strack die “Geburtlichkeit”. Für sie sind Menschen nicht nur Geborene, sondern Gebärende, wobei das Vermögen, ein Kind zur Welt zu bringen, ein rein weibliches ist. Hanna Strack, die drei Kinder zur Welt gebracht hat, entwickelt eine „Theologie des Blühens“ und richtet den Blick auf “das Leben in Fülle”. Sie unterwirft sich nicht der christlichen “Unter Schmerzen sollst du gebären” – Doktrin, die den Geburtsschmerz als Strafe versteht, sondern entwickelt eine gewagte feministische These: Indem sie mithilfe der Wehen ein Kind/den Menschen zur Welt bringt, ist die Frau “Mitschöpferin”.

Blödel-Ölfchen: Klimakommentar des Meisenknödels

Der Januar 2022 ist so mild, dass schon jetzt das Gras wieder wächst. Wie kräftig und saftig -wenn auch spärlich- die Halme mancherorts sprießen, demonstrieren fünf Meisenknödel, die vor dem Nippeser Mehrfamilienhaus Am alten Stellwerk 32 an den Ästen eines Baumes hängen.

Die

Sturmfrisur des

Meisenknödels ähnelt der

des Greisenschädels – O schneemännerloser

Jänner!

***

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Immerhin wurde bei der Herstellung dieses Knödels frischester Grassamen verbacken! Etwas Gutes haben die milden Temperaturen: Fiele auch nur ein bisschen Schnee, würden die Nippeser Kinder kleine Schneemänner bauen, und die Meisenknödel müssten als Köpfchen herhalten. Leider kann ich mich nicht am Grün erfreuen. Wenn der Winter ausbleibt, erfriert das Frühlingserwachen.

Genau vor einem Jahr war in Nippes an den beiden Sonntagen 17.1. und 24.1.2021 etwas Schnee gefallen. Damals “war die Stimmung ausgelassen. Eine Ahnung vom Winter, wie er früher einmal war, ließ viele Menschen die Corona-Zwangsmaßnahmen für eine Weile vergessen.” https://stellwerk60.com/2021/02/22/schnee-elfchen-tauwettertrotz/

Ich wünsche unseren Kölner Kindern, die (genauso wie die schneeverwöhnten Kinder in Süddeutschland) tagtäglich die geballte Dummheit der öffentlich tonangebenden Erwachsenen ausbaden und seit fast zwei Jahren die Zumutungen einer respektlosen, autoritären Corona-Politik erdulden müssen, viel Schnee, wenn nicht jetzt, dann im Februar!

Dir, Ökohund Freki (vgl: https://stellwerk60.com/2021/05/24/elfchen-im-funften-hunde-brauchen-baume/), wünsche ich den Schnee natürlich auch!

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Das Bad im Schnee  – Berauschend für ältere… Hunde.

Kommt nur herbei, liebe Kinder, es geschieht euch kein Leid: Das Weiße Haus hält für euch alle eine kleine Impfung bereit




Vor anderthalb Jahre habe ich aufgehört, regelmäßig Radio zu hören. Auslöser für die “Trennung” war die ARD- Infonacht während des ersten Lockdowns. Die Sender waren im Frühjahr 2020 wochenlang schon am frühen Abend gleichgeschaltet und brachten ausschließlich Nachrichten rundum Corona. Diese Corona- Infonacht sollte vermutlich eine Art Katastrophen-Live-Ticker darstellen, was misslingen musste, da sich die Katastrophe nicht im erwarteten Maß zuspitzte. So wurden wie in einer Endlosschleife Stunde um Stunde immer die gleichen Nachrichten gesendet. Für mich hat das öffentlich-rechtliche Radio mit dieser Infonacht seine “Unschuld” bzw. Glaubwürdigkeit verloren.

Selbst während ich geschrieben habe, hatte ich früher oft das Radio an. Insbesondere die alltagsnahe WDR5-Vormittagssendung “Neugier genügt”, von vielen als “Hausfrauenradio” belächelt, war mir ein inspirierender Hintergrund-Sound. Ein Highlight innerhalb der Sendung ist das “Tagesgespräch”, ein knapp halbstündiges Interview mit mehr oder weniger prominenten Zeitgenossen. Für den WDR-Hörfunk arbeiten kluge, erfrischend uneitle Moderatorinnen und Moderatoren, die es verstehen, richtig gute Interviews zu führen.

Mittlerweile stelle ich das Radio kaum noch an, denn Ton und Tenor der Sendungen haben sich geändert. Der Radiosender WDR5, dessen Aushängeschild immer die Werbefreiheit war, macht zwar nach wie vor zwar kaum Produktwerbung, wirbt aber seit anderthalb Jahren für die Corona-Maßnahmen- und seit einem knappen Jahr leider auch für die Impfung.

Anstatt das Radio im Hintergrund laufen zu lassen, höre ich mir gezielt einzelne Beiträge an. Es ist nach wie vor -so oder so- Bemerkenswertes darunter. Vor drei Wochen fand ich in der Mediathek ein “Zeitzeichen” vom Vortag, dessen Titel mich gleich Werbung für den Impfstoff von Biontech/Pfizer vermuten ließ: 19. Oktober 1906 – Todestag des deutschen Chemikers und Pharmaunternehmers Karl Pfizer. https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/zeitzeichen-karl-pfizer-100.html

Leider bestätigten sich meine Befürchtungen. Der Beitrag macht Werbung für die Corona-Impfung, die ich als Gebührenzahlerin -ob ich will oder nicht- auch noch mitfinanziere.

Schon die hymnisch-sentimentalen Eingangssätze sind ein Paradebeispiel dafür, wie man mit Sprache manipulieren kann: “Die Menschen in Deutschland, die Menschen in Amerika und viele Menschen in der Welt haben diesen Mann gefeiert, und sie feiern ihn noch, weil er für die Hoffnung stand und steht.”

Nun gehöre ich zu den “Menschen in Deutschland”, aber ich habe “diesen Mann” nie gefeiert. Und selbst die Menschen, die sich aus Überzeugung impfen lassen, kommen wohl kaum auf die Idee, den Todestag des Pfizer-Unternehmensgründers, der vor über hundert Jahren gelebt und mit der Impfung herzlich wenig zu tun hat, zum Gedenktag zu machen.

Dieser Zeitzeichen-Beitrag, der “die Menschen in Deutschland” und “die Menschen in Amerika” in einen Topf wirft, macht nicht nur unmissverständlich Werbung für die Pharma-Industrie, sondern diskreditiert mit der Behauptung, dass Unternehmensgründer Karl Pfizer für die Hoffnung stehe, eines der größten menschlichen Vermögen, das als Überlebensenergie weit mehr ist als eine der fast schon vergessenen religiösen Tugenden: Glaube, Liebe, Hoffnung

Dennoch ist der Beitrag hörenswert, denn er ist sehr informativ. Katastrophen, so erfahren wir, konnten schon im 19. Jahrhundert die Wirtschaft ankurbeln. So hat der Amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) mit seinen 600.000 toten Soldaten und zahlreichen Verletzten und Verstümmelten die frühe Pharmaindustrie und das Unternehmen Pfizer nachhaltig beflügelt. Pfizer liefert “Morphine, Jod, Jodsalze, Chloroform, Fungizide, alles, was gebraucht wird.” (Zeitzeichen) Die Versorgung der Front mit Medikamenten ist Teil der Pfizer-“Erfolgsgeschichte”, zu der über hundert Jahre später auch das Patent auf das Potenzmittel Viagra gehört.

Die Menschen haben Pfizer gefeiert, “und sie feiern ihn noch, weil er für die Hoffnung stand und steht.” (Zeitzeichen):

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Ausgerechnet heute, wo ich über Pfizer schreibe, erscheint diese Nachricht auf web.de. “Die blaue Potenzpille Viagra des US-Pharmakonzerns Pfizer unterliegt mittlerweile nicht mehr dem Patentschutz.” https://web.de/magazine/panorama/potenz-pille-rezept-viagra-deutschland-erhaeltlich-36339728 Ob “frei erhältlich” oder auf Rezept: Viagra hat, wie jeder im Internet erfahren kann, schwerste Nebenwirkungen. 

Man sollte das PfizerZeitzeichen unbedingt gegen den Strich hören. Da der Beitrag nicht aufklärt, sondern manipuliert, ist er für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nur eingeschränkt empfehlenswert.

Auch diese Pille ist ein Pfizer-Produkt:

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Cytotec, eigentlich ein Magenmedikament, wurde in Deutschland bis vor kurzem als Abtreibungsmittel, aber auch bei der künstlichen Einleitung von Geburten eingesetzt, obwohl schon seit vielen Jahren bekannt war, dass die “Gabe” zu schwerwiegenden Komplikationen bei der Geburt und zu schweren gesundheitlichen Schäden von Mutter und Kind führen kann. Cytotec war zwar als Mittel zur Geburtseinleitung nicht zugelassen, konnte aber über Importfirmen bezogen und im sogenannten „Off-Label-Use“ (an der Zulassung vorbei!) dennoch legal verabreicht werden. https://www.merkur.de/politik/cytotec-zur-geburtseinleitung-probleme-waren-gesundheitsministerium-bekannt-zr-90938388.html Doch warum hat Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Bilde war, nicht bereits Anfang 2020, als unter anderen die Süddeutsche Zeitung  kritisch berichtete, den Notfall erklärt und veranlasst, dass das Mittel im Rahmen der Geburtshilfe nicht mehr zum Einsatz kommt?

Weit mehr noch als die medizinische Einleitung von Geburten ist Corona ein Milliarden-Geschäft. Die Impfstoff-Industrie schlägt aus der “Notlage” Kapital. Das kann nur solange funktionieren, wie die Politik mitspielt und Corona zur globalen Katastrophe und Gefahr für die Menschheit erklärt. Und die Gesundheitspolitik spielt weiter mit. Wie am Dienstag vor zwei Wochen bekannt gegeben wurde, bleibt für die tonangebende Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie “eine „Notlage von inter­nationaler Tragweite“ (PHEIC). Dies beschloss WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus gestern auf Em­pfehlung des unabhängigen Notfallausschusses, der sich alle drei Monate trifft, um die Lage neu zu be­urteilen.” https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/128499/WHO-behaelt-Notlage-von-internationaler-Tragweite-bei

Am selben Tag, am 26.10.2021, sprach sich -was kein Zufall sein kann- ein Beratergremium der US-Arzneimittelbehörde FDA für eine Notfallzulassung (!) des Corona-Impfstoffes von Biontech/Pfizer für Kinder zwischen fünf und elf Jahren aus.

Kinder sind durch Corona nicht in Not. Das Virus kann ihnen kaum etwas anhaben. Was den Kindern aber etwas anhaben kann, ist eine immer bedrohlicher agierende, alle Körpergrenzen überschreitende Politik. Dass der amerikanische Präsident Joe Biden alle US-Kinder zwischen fünf und elf Jahren impfen lassen will und bereits damit begonnen hat, stimmt mich fassungslos.

Dass er alle Kinder impfen lassen will, ist vermutlich Teil seiner Mission, die “nationale Spaltung” zu überwinden. Schon in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg am 7.11.2020 setzte der überzeugte Katholik Joe Biden die Heilung der Nation in den Mittelpunkt: “President-elect Joe Biden in his first address to the nation has vowed to restore the soul of America telling his supporters that this is the time to heal the country.https://www.timesnownews.com/international/article/we-must-restore-the-soul-of-america-says-president-elect-joe-biden-vows-to-fight-covid-19-pandemic/678921 Übersetzung (deepl): “Der gewählte Präsident Joe Biden hat in seiner ersten Ansprache an die Nation geschworen, die Seele Amerikas wiederherzustellen, und seinen Unterstützern gesagt, dass dies die Zeit ist, das Land zu heilen.”

Um erahnen zu können, was Joe Biden dazu bewegt, Amerika nicht wieder great machen, sondern heilen zu wollen, sollte man sich seine Lebensgeschichte anschauen. Joe Biden ist nach verschiedenen persönlichen Schicksalsschlägen seelisch schwer verletzt. Er selber hätte im Jahr 1988 zwei Hirn-Aneurysmen kaum überlebt. 27 Jahre später starb im Jahr 2015 sein Sohn Beau im Alter von nur 46 Jahren an einem Hirntumor. Und viele Jahre davor, zu “Beginn seiner politischen Laufbahn, wenige Tage nach seiner Wahl zum mit 29 Jahren jüngsten US-Senator in der Geschichte, kam 1971 seine einjährige Tochter Naomi zusammen mit Bidens erster Frau auf der Rückfahrt vom Holen des Weihnachtsbaums bei einem Unfall ums Leben. Freunde überredeten ihn, nicht aufzugeben. Was ihn damals – wie während des eigenen Ringens mit einem Aneurysma oder seinen politischen Niederlagen – gehalten hat, war nach eigenem Zeugnis sein Glaube.https://www.kirche-und-leben.de/artikel/joe-biden-tief-katholisch-trotz-schwerer-schicksalsschlaege

Die österreichische “Kleine Zeitung” nannte Biden einmal “Hiob im Weißen Haus”. Ein Vergleich, der mich aufhorchen lässt. Denn wie die Figur Hiob im Alten Testament hat ja auch Joe Biden so viele persönliche Katastrophen erlebt, wie sie ein einzelner Mensch kaum verkraften kann. Die Parallelen sind frappierend. Auch Hiob verliert seine Kinder, auch Hiob erkrankt schwer. Hiobs Schicksalsschläge sind allesamt von Gott inszenierte Prüfungen seines Glaubens. Hiob erlebt nicht nur persönliche Katastrophen, sondern wird durch den Teufel (und durch die eigene Frau!) versucht, Gott abzuschwören. Da jedoch Hiob weiter an Gott glaubt, wird er am Ende belohnt. Ein hollywoodreifes Happy End: Hiob bekommt nicht nur neue Kinder und Besitztümer, sondern Geld, viel Geld.

… Ich persönlich glaube an ein Göttliches, das größer ist als wir Menschen. Aber an einen männlich-autoritären Vatergott, der Geldbesitz mit Glückseligkeit gleichsetzt und meint, tote Kinder durch neue ersetzen zu können, glaube ich nicht ...

Was passieren kann, wenn ein Hiob Präsident einer Weltmacht wird und Macht über Leib und Leben der Menschen, die dort leben, bekommt, erleben wir gerade. Ich fürchte, dass der gläubige Katholik Joe Biden nicht nur sich selber und das Land heilen, sondern insbesondere den Kindern mit der Massenimpfung etwas Gutes tun will, sie von Corona erlösen: Make the children well again…

In den deutschen Medien wurde die “Notzulassung” des Impfstoffs überwiegend positiv aufgenommen: “US-Präsident Joe Biden begrüßte den Schritt als »Wendepunkt in unserem Kampf gegen Covid-19«. »Wir haben bereits einen ausreichenden Impfstoffvorrat für jedes Kind in Amerika sichergestellt«, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Für Eltern endeten nun Monate der Sorge um ihre Kinder wegen Corona.https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/usa-biontech-impfung-fuer-kinder-von-expertengremium-der-gesundheitsbehoerde-empfohlen-a-56040751-58bc-47aa-b191-96792200a52e (Wurde im PfizerZeitzeichen verallgemeinernd von den Menschen geredet, werden diesmal alle Eltern in einen Topf geworfen: “Für Eltern endeten nun Monate der Sorge um ihre Kinder wegen Corona.” Es dürfte zwar tatsächlich viele Eltern geben, die auf die Kinder-Impfung gewartet haben, aber die sind, wie ich las, immer noch in der Minderheit.)

In Biden’s Kampf gegen Covid-19 offenbart sich einmal mehr die Doppelmoral der US-amerikanischen Bevölkerungspolitik. Denn Biden will nicht nur die Kinder vor dem Virus, sondern die US-Amerikaner vor Migranten schützen. Unter dem Vorwand, die Pandemie eindämmen zu müssen, werden Flüchtlinge aus Haiti nicht ins Land gelassen, darunter zahlreiche Familien mit Kindern. “Title 42 ermöglicht es der US-Regierung Personen abzuschieben, die sich kürzlich in einem Land aufgehalten haben, in dem eine übertragbare Krankheit vorlag. Es handelt sich also um beschleunigte Abschiebung von Eingewanderten aufgrund des Coronavirus.https://www.fr.de/politik/usa-joe-biden-regierung-einwanderung-politik-migration-donald-trump-mexiko-haiti-grenze-del-rio-90994583.html

Natürlich ist Biden bei weitem nicht der einzige Politiker, der angesichts von Corona überreagiert. Offenbar hat die Politik weltweit längst den Boden verloren. Das hängt, so denke ich, auch mit der Angst vor dem Weltuntergang zusammen. Unsere Spitzenpolitiker sind (nicht anders als wir alle) durch die Folgen der Klimakatastrophe bereits jetzt schwer traumatisiert. Die völlig überzogenen, hilflos-autoritären Corona-Maßnahmen sind daher nicht nur blinder Aktionismus, sondern Ausdruck der Angst vor den entfesselten Naturkräften. Anstatt sich zu mäßigen und zu begreifen, dass wir Menschen Teil der Natur sind, führt man einen hilflosen Kampf gegen die Natur: Seht her, wir schaffen es, das Virus in den Griff zu bekommen, denn wir beherrschen die Natur.

Die tatsächliche Bedrohung wird verdrängt. Über die menschenverursachte Klimakatastrophe, die man beschönigend “Wandel” nennt, hat die Politik längst die Kontrolle verloren. Radikales Umdenken und Handeln wären angesagt, aber wir erleben Politiker, die (wie auch Biden) zwar den “Klimawandel” nicht leugnen, aber so weiter machen wie bisher.

Zwar setzt Biden anders als Trump auf Aufklärung, doch die Erforschung des “Klimawandels” bedeutet leider keinen Wandel in den Köpfen der Mächtigen. Der Physik-Nobelpreis 2021 “für physikalische Modelle zum Erdklima”, den sich Klaus Hasselmann (mittlerweile 90), Syukuro Manabe (90) und Giorgio Parisi (73) teilen, kam Jahrzehnte zu spät. “Schon Ende der 60er-Jahre habe man gezeigt, dass der Mensch das Klima verändere, sagte der 89jährige Nobelpreisträger für Physik Klaus Hasselmann im Dlf.” Für Hasselmann kam im Jahr 1995 der Durchbruch, als er “den menschlichen Fingerabdruck im Klimageschehen der vorangegangenen 20 Jahre mit 95-prozentiger Sicherheit belegen konnte.” https://www.deutschlandfunk.de/physik-nobelpreistraeger-und-klimapionier-klaus-hasselmann.676.de.html?dram:article_id=504023

In der Ratlosigkeit angesichts der Klimakatastrophe spiegelt sich das Drama der modernen Schulmedizin. Während es dank eines ungeheuerlichen technischen Aufwands gelingt, noch die letzten Winkel des menschlichen Organismus zu durchleuchten, krankhafte Veränderungen aufzuspüren und die genetischen Strukturen bis in die feinsten Verästelungen hinein zu analysieren, stößt die Therapie von Krankheiten nicht nur an ihre Grenzen, sondern kommt oft geradezu dilettantisch daher.

Das Corona-Virus ist entschlüsselt, aber die Impfung, deren Langzeitfolgen niemand absehen kann, ruft nicht nur kurzfristig schwere Nebenwirkungen hervor, sondern verliert ihre Wirkung und muss “aufgefrischt” werden. Das klingt hübsch und verharmlosend, aber verschleiert, was tatsächlich passiert: Wir alle sollen an der Impfnadel hängen.