Eine Reise mit Coronatestfußfessel – Ein abendliches Treffen mit der Frau Keuner

“Hömma Lisa, du kannst ja braten”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner, und stopft sich eine halbe Bulette ins Maul. “Aber wat isst du so langsam?”

“Ich will einfach nicht mehr so viel Fleisch essen.”

“Dann lass dir Zeit”, sagt die Frau Keuner. “Ich mach dat schon.”

Abends ist die Frau Keuner mit paar Flaschen Kölsch vorbeigekommen, und ich hab auf ihren Wunsch Buletten gebraten. Viele, weil ich damit gerechnet hab, dass die Frau Keuner viel essen kann. Die Frau Keuner spießt eine weitere Bulette auf. “Ich wollte dir den Appetit nicht völlig verderben, Lisa, aber die Wahrheit sagen. In dieser Bulette ist nicht nur das Fleisch von einem Rind und einem Schwein, sondern zerkleinertes Fleisch von unzähligen Rindern und Schweinen, denn das wird in riesigen Bottichen zermanscht. Aber sach, willst du nich mehr?”

Ich kann mich erinnern, dass mein großer Bruder vor gefühlt 55 Jahren einmal aus Futterneid vor den Augen seiner hungrigen, entsetzten Schwestern in eine Schüssel mit köstlichem Essen gespuckt hat, und zwar ausgiebig, aber was die Frau Keuner hier macht, das ist schlimmer, das ist Psycho-Spucken.

“Das Fleisch ist bio”, sage ich leise.

“Dann is dat eben Hackfleisch von unzähligen artgerecht gehaltenen Bio-Schweinen und Bio-Rindern. Deine Buletten sind echt lecker, aber noch verbesserungsfähig. Die Zwiebeln könnten feiner geschnitten sein. Ich komm jetzt einmal die Woche vorbei und kontrolliere deine Fortschritte. Das nächste Mal bitte mit Salat.”

“Kartoffelsalat?”

“Jau”, sagt die Frau Keuner. “Buletten mit Kartoffelsalat können wir noch essen, wenn wir überhaupt keine Zähne mehr haben. Aber jetzt pack mir bitte die restlichen Buletten in einen Tuppertopf. Die ess ich morgen in aller Ruhe, und zwar alleine, du störst ja nur.” Ich räume den Tisch ab und geh mit feuchtem Lappen und anschließend mit trockenem Geschirrtuch über die Platte, denn die Frau Keuner braucht fettfreien Platz für die Computerausdrucke.

Die Frau Keuner pickt ein paar übersehene Fleischkrümel vom Tisch und breitet die Ausdrucke aus. “Lisa, du musst mal langsam lernen, dich zu wehren. Du bist viel zu freundlich, aber die Gesellschaft ist das schon lange nicht mehr. Freundliche Menschen werden nicht ernst genommen. Die Demokratie ist nur noch Alibi. Die Politiker wollen deine Stimme, aber nach den Wahlen wollen sie dich ganz schnell wieder loswerden. Die sind an unserer Arbeit und an unserem Geld interessiert, aber nicht an unserer Meinung, denn das bringt nur Ärger. Wir sind denen lästig. Vielleicht erinnerst du dich: Vor zwei Jahren hast du gesagt, mit dem Jens Spahn würdest du gerne mal ein Gespräch unter vier Augen führen. Nur leider redet der Jens Spahn nicht mit dir. Aber das ist gut so, sonst wäre das Gesagte unter euch geblieben. Wozu hast du deinen Blog? Da kannst du aufschreiben, was du ihm gerne persönlich gesagt hättest. Schreib, was passiert ist, schreib über Jens Spahn. Der Mann hat uns viel angetan”.

“Das kann man doch so nicht sagen”, sage ich leise und räume die Teller in die Spülmaschine. “Der Jens Spahn hat im Jahr 2020 einen FDP-Vorschlag abgelehnt und sich klar gegen die Leihmutterschaft ausgesprochen, und das rechne ich ihm hoch an.”

“Du musst den Spahn jetzt nicht noch in Schutz nehmen”, sagt die Frau Keuner. “Im selben Jahr hat der Jens Spahn die Widerspruchslösung für “Organspenden” vorgeschlagen, so, wie es die schon in der DDR gab. Damit ist er ja zum Glück nicht durchgekommen. Der Jens Spahn ist ein Karriererist, der ist schon mit 15 in die Junge Union eingetreten. Dann war er ausgemustert und hat eine Banklehre gemacht. Der Jens Spahn ist schon früh auf die schiefe Geldbahn geraten. Eigentumswohnung mit Anfang 20, zwei fette Kredite. Die mussten natürlich abbezahlt werden. Und was macht man, wenn man Geld braucht? Geschäfte. So empfiehlt man sich heutzutage für die Politik. Was in der Steinzeit die fette Beute war, sind heute die dicken Geschäfte… Aber wir reden ja jetzt über Corona. Corona hat gezeigt, wie autoritär unsere Politiker ticken, wie groß ihre Angst ist, Macht und Privilegien zu verlieren. Gehen wir mal zwei Jahre zurück. Also… Bundesgesundheitsminister Spahn muss beweisen, dass er alles im Griff hat. Denn in Deutschland regt sich Widerstand, Impf-Widerstand.”

Ich setze mich wieder zu der Frau Keuner, die mir einen Zettel mit Zitat zuschiebt mit der Bitte, laut vorzulesen: “‘Innerhalb der EU wird das Reisen voraussichtlich nicht von der Impfung abhängig sein’, sagte Spahn der ‘Rheinischen Post’ in der Samstagsausgabe (08.05.2021). `Auch mit den Testungen wird man sich europaweit gut bewegen können’, ergänzte er. Spahn selbst werde seinen Urlaub in Deutschland verbringen. ‘In dieser hoffentlich letzten Phase der Pandemie würde ich keine großen Fernreisen planen, Nordsee statt Südsee quasi’, sagte der CDU-Politiker.https://www.fr.de/politik/jens-spahn-urlaub-bundesrat-lockerungen-geimpfte-genesene-entscheidung-gesetz-deutschland-sommerferien-zr-90497261.html

“Das ist sowas von autoritär”, sagt die Frau Keuner. “Und wieder einmal wird das schöne Wort “Hoffnung” missbraucht. Hör dir das an: “Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) macht Hoffnung auf den Sommerurlaub in EU-Staaten.” Da stilisiert sich der Spahn auch noch zum Überbringer der Frohen Botschaft. Das ist gönnerhaft. Doch mittlerweile wissen wir, dass nicht nur beim Maskenkauf einige Milliarden Euro Steuergelder verschwendet wurden, sondern auch bei der Beschaffung von Tests. Das war nur zu unserem Schutz, wie die behauptet haben, das ist nicht mal nachgeprüft worden.” https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/pcr-tests-111.html

Die Frau Keuner öffnet sich die frische Flasche Kölsch, die ich ihr aus dem Kühlschrank geholt hab. “Die unbrauchbaren Tests müssen jetzt auch alle vernichtet werden, genauso wie die abgelaufenen Impfstoffe und die unbrauchbar gewordenen Masken. Aber der Olaf Scholz wird sich, sobald der angepasste Corona-Impfstoff da ist, trotzdem ein fünftes Mal impfen lassen. Aus Treue zur Pharmaindustrie und aus Rechthaberei.” Die Frau Keuner trinkt einen Schluck. “Der Scholz wird noch mal so richtig auf die Schnauze fallen… Sach mal, Lisa, heulst du?” Sie reicht mir die Serviette, mit der sie sich vorhin den Mund abgewischt hat.

“Brauch ich nicht”, sage ich leise. “Ich habe nur immer die Bilder im Kopf. Ende August 2021 sind wir nach Frankreich gefahren. Wir mussten uns per Internet anmelden. Und dann brauchten meine jüngere Tochter und ich noch einen negativen Anti-Gen-Test, also waren wir am Tag vor der Abreise in der Test-Station gegenüber vom alten Schlachthof. Ich konnte mich nicht auf den Urlaub freuen. Wie soll man sich in die Vorfreude fallen lassen, wenn man nicht weiß, ob man nicht auf den letzten Drücker doch noch positiv ist. Vor mir war eine ungeimpfte Frau, ein paar Jahre älter als ich. Wenn man älter ist, zeigt man ja nicht mehr so gerne die Zähne, und man reißt man nicht gerne den Mund auf, vor allem nicht in einer Test-Baracke gegenüber vom alten Schlachthof. Die Frau hat geschrien und gelacht. Krampfhaft. Aber irgendwann hat sie dann doch den Mund aufgemacht.”

“Du hast doch den Spahn gehört”, sagt die Frau Keuner und grinst. “Du konntest froh und dankbar sein, als Ungeimpfte überhaupt ins Ausland zu dürfen. Ich war schon lange nicht mehr verreist. Welche Rentnerin kann sich das denn noch leisten? Den Leuten mit der kleinen Rente bringt die Rentenerhöhung nicht viel. Was sind 5% Rentenerhöhung, wenn du nur 600 Euro Rente kriegst? Aber komm jetzt nicht auf die Idee, mich beim nächsten Mal einzuladen. Wie du Urlaub machst, das ist mir einfach zu spießig. Du machst das, was du auch in Köln machst, du mietest für dich und deine Töchter eine bezahlbare Ferienwohnung und bestückst die mit euren Kölner Plörren. In Paimpol angekommen, gehst du nicht direkt zum Hafen, sondern in den Intermarché. Aber auch nur deshalb, weil es da keinen REWE gibt. Am nächsten Tag fahrt ihr drei zum Plage de Behec, aber der Strandtag fühlt sich an wie ein Tag in der Riehler Rheinaue.”

“2021 hat es sich wirklich so angefühlt”, sage ich leise. “Aller Zauber war weg.”

“Ich verschick übrigens Urlaubsfotos”, sagt die Frau Keuner. “Wenn du mir sagst, ich soll dir welche schicken, dann setz ich mich vor meine Fototapete und mach Selfies.”

“Was ist das denn für eine Fototapete?”

“Raufaser”, sagt die Frau Keuner. “Weiß, leicht vergilbt. Aber ich sag dir was. Du hast noch Glück gehabt. Andere Ungeimpfte mussten zu Hause bleiben, nur weil der Test positiv war. Aber negativ war auch nicht viel besser. Hör dir Spahns Satz noch mal genau an. Auch mit den Testungen wird man sich europaweit gut bewegen können – Das ist nicht nur gönnerhaft, sondern richtig böse. Und jetzt setz die Wörter “auch die Ungeimpften” ein, denn die sind ja gemeint. Also… Mit den Testungen werden sich auch die Ungeimpften europaweit gut bewegen können. Woran erinnert dich das?”

Ich ahne, worauf die Frau Keuner hinauswill. “An die elektronische Fußfessel?”

“Genau”, sagt die Frau Keuner. “Und dabei legt man die elektronische Fußfessel nur entlassenen Schwerverbrechern an, vor allem Sexualstraftätern. Das ist durchaus logisch. Aus Sicht der Bundesregierung waren ja alle Ungeimpften Straftäter. Aber sach, hast du die Coronatestfußfessel für einen Moment vergessen?”

“Nein, die Coronatestfußfessel war zwar unsichtbar, aber die hing mir wie ein Klotz am Bein.” Doch jetzt gibt es kein Halten mehr, es bricht aus mir heraus: “Warum haben die mich und meine jüngere Tochter gezwungen, uns testen zu lassen? Wir war doch beide nachweislich immun. Meine ältere Tochter hatte Delta, hohe Virenlast, und wir beide haben mit aller Kraft versucht, uns bei ihr anzustecken, aber es hat nicht geklappt. In der Nachbarschaft ist ein junger Mann krank geworden, obwohl er geimpft war. Der hat die ganze Familie angesteckt, obwohl oder weil die auch alle geimpft waren. Die haben es richtig heftig bekommen. Warum gab es kein großes I für immun. Wozu soll ich mich testen lassen, wenn ich immun bin? Ich konnte und kann alles bezeugen. Und in Frankreich durften wir ohne aktuellen negativen Test nicht einmal ins Café. Und das, obwohl wir immun waren. Ich hatte sogar das positive Testergebnis meiner älteren Tochter und unsere negativen dabei und den Beleg für die zweiwöchige Quarantäne.”

Die Frau Keuner lacht: “Was sollen denn die Franzosen mit Kölner Beweismaterial? Außerdem war General Macron doch genauso rigide. Die Franzosen haben mit der Testung von Touristen richtig viel Knete gemacht. Lisa, du bist ein Störfall.”

“Das weiß ich doch”, sage ich. “Aber etwas in mir hat darauf gehofft, dass der Dr. Nießen vom Kölner Gesundheitsamt auf mich zukommt und mich beglückwünscht, dass er mich fragt, wie ich als Frau über 60 es geschafft habe, mich nicht mit der gefährlichen Delta-Variante zu infizieren.”

“Hömma, Lisa, du bist dermaßen naiv. Du stellst die Zwangsmaßnahmen in Frage und erwartest auch noch Beifall. Aber jetzt mach ich einen Test mit dir. Wessen Haaransatz ist das?”

“Spahn? Beide Male?”

“Und jetzt vergleich mal die beiden Urlaubsbilder von Spahn und Ehemann aus den Jahren 2021 und 2023 miteinander. Im Sommer 2021 war der Spahn noch so doof, ein Selfie zu veröffentlichen. Beide tragen keine Sonnenbrille, auch der Spahn nicht, dabei ist der Spahn Bundesgesundheitsminister. Und jetzt kommt’s. Sein Ministerium hat im Frühjahr des selben Jahres ein Heft seiner kostenlosen Werbebroschüre “Im Dialog” herausgegeben. In Heft 6/April 2021 geht es fast nur um die Impfung, aber auf der Kinderseite (S.34) wird ausdrücklich vor zu viel Sonne gewarnt. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Broschueren/BMG_Dialog_1-2021_bf.pdf

Der Jens Spahn hat für die Broschüre sogar das Vorwort geschrieben. Doch warum hat er die Warnungen seines eigenen Ministeriums nicht ernst genommen? Guck dir noch einmal das Selfie an. Gesundheitsminister Jens Spahn hat Sonnenbrand, knallrote Stirn, knallroter Hals und knallrote Nase. Dat geht doch gar nicht. Wahrscheinlich wollten Spahn und Mann den Beleg dafür liefern, dass es auch in Bayern schön sonnig sein kann, aber doch bitte nicht so. Das sind Top-Fotos für den Pschyrembel.”

“Ein Sonnenbrand kann doch jedem passieren”, sage ich leise.

“Ja, aber doch nicht dem Bundesgesundheitsminister. Der Mann ist doch ein Vorbild, was eine gesunde Lebensweise angeht.”

“Ich kann das so aber nicht in meinen Blog setzen.”

“Zu Zwecken der Aufklärung”, sagt die Frau Keuner. “Als Diashow. Jetzt guck dir bitte das Foto von 2023 an. Das haben Profis gemacht. Mittlerweile hat der Spahn kapiert, dass man als Spitzenpolitiker nicht einfach ein Selfie schicken kann, nicht mit Sonnenbrand und schon gar nicht, wenn der Bundesrechnungshof auf der Matte steht. Das ist jetzt zwei Jahre her, niemand erinnert sich mehr. Sind ja zu viele verstrickt.” Die Frau Keuner trinkt noch einen großen Schluck Bier.

“Ich vermute, dass der Jens Spahn für das Selfie damals einen richtigen Anschiss gekriegt hat. Deshalb musste sich der Spahn einer Styling-Beratung unterziehen. Die Profis haben das Bild aus dem Jahr 2021 genau analysiert. Der Fotograf hat Spahn und Funke aus der prallen Sonne geholt und in den Halbschatten gestellt. Beide Männer tragen jetzt Sonnenbrillen. Das Bild ist auch nicht während einer Wanderung aufgenommen worden, sondern danach. Im Jahr 2023 haben sich die Jungs den Schweiß abgewaschen. Die Klamotten sind nicht mehr schweißgetränkt, sondern sauber. Man sieht, wie die Männer duften. Und da ist noch was.”

“Das Büschel auf Spahns Stirn? So kommt er seriöser rüber.”

“Das auch”, sagt die Frau Keuner. “Aber guck mal auf Spahns Hals. Genau da, wo der Spahn im Jahr 2021 Sonnenbrand hatte, ist zwei Jahre später der Hemdkragen hochgeklappt. Ganz schön schlau.”

“Jau.”

“Strammer Max für Markus” ODER “Aus Schnee von Vorgestern kann man keine g’führige Piste mehr bauen” – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. Ich bin gerade im Vor-Gärtchen, um Unkraut zu zupfen, da steht die da, hält sich am Gehwagen fest und grinst.

“Tach auch”, sach ich. “Aber ich hab unangekündigten Besuch nicht so gerne.”

“Da solltest du dich in deinem Alter aber langsam drauf einstellen”, sagt die Frau Keuner. “Watt kütt, dat kütt, und zwar oft ohne Anmeldung. Ich sach dir, die Marianne vom Bahnwärterweg, die hatte einen Infarkt. Wie die reanimiert wurde, da hat die sich gesacht: Ich kann noch nich gehen, wie sieht denn die Bude aus? Da is weder aufgeräumt noch geputzt, ich brauch noch wat Zeit. Und jetzt ist die gesund, hat aber einen Putzfimmel. Im Nachhinein sacht die sich: Der Tod hat nur angeklopft, um zu sagen: Marianne, lass deine Bude nich so vergammeln.”

“Welche Marianne vom Bahnwärterweg?”

Die Frau Keuner zuckt die Achseln. “Wurde mir so erzählt. Ich kenn die nicht persönlich. Könntest du mir bitte mal einen Sitzplatz anbieten? Sach mal, hast du die Stühlchen etwa schon für den Winter parat gemacht? Hömma, Lisa, du hast wohl Angst, dass sich eine Gruppe Öko-Touristen in die autofreie Siedlung verirrt und bei dir vorm Haus picknickt. Ich sach dir, die lassen sich nicht davon abhalten, auch wenn die Stühlchen zusammengeklappt sind.”

“Quatsch”, sage ich und klappe der Frau Keuner ein Stühlchen auf.

“Alles Männer, früher lief sowat unter Kegelverein.” Die Frau Keuner setzt sich leicht ächzend. “Da kannst du noch froh sein, dass es Öko-Touristen aus Baden-Württemberg sind, die nehmen ihre Abfälle wieder mit. Alles kann man natürlich nicht wieder mitnehmen. Irgendwann schellt einer aus der Gruppe an und fragt, ob er mal bei dir aufs Klo kann. Und du traust dich nicht, nein zu sagen. Leider hast du das Klo seit drei Wochen nicht mehr geputzt. Du kannst dem Öko-Touristen ja sagen, dass du nicht geputzt hast, weil du Wasser sparen wolltest. Da hat der Verständnis für. Und wat macht der Ökotourist? Zieht nicht ab. Könnte ja noch ein anderer aus der Gruppe aufs Klo wollen.” Kurze Redepause, sehr kurz.

“Und dann passiert ein Malheur”, sagt die Frau Keuner. “Einer aus der Gruppe hat Durchfall und schafft es gerade noch so aufs Klo. Und du, du bist so freundlich, dem anzubieten, bei dir zu duschen. Du hättest sogar ein sauberes Handtuch für ihn. Doch leider hört der Mann nicht auf dich, sondern nur auf den Kretschmann. Du kennst doch den Winfried Kretschmann?”

“Natürlich kenn ich den. Der Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Der hat mit dem Markus Söder zusammen schon im November 2021 für die allgemeine Corona-Impfpflicht plädiert. Und das zu genau dem Zeitpunkt, als allmählich klar wurde, dass es eine neue, harmlosere Corona-Variante gibt, gegen die in keinem Fall massengeimpft werden dürfte. Die standen mit dem Rücken zur Wand und haben mächtig auf die Tube gedrückt, was die Impfung angeht. Seitdem weiß ich, wie gut CDU/CSU und GRÜNE zusammenpassen. Wenn der Kretschmann redet, hör ich nicht mehr hin.”

“Nicht hinhören ist ein Fehler”, sagt die Frau Keuner. “Für die jüngeren GRÜNEN ist der Kretschmann ein Öko-Vorbild, auch für den Habeck. Ich sage dir, wenn du gelesen hättest, was der Kretschmann zum Energiesparen gesagt hat, wärest du gewarnt gewesen. Der Kretschmann hat ein Elektroauto und auf seinem Dach eine riesige Fotovoltaikanlage. Seit die Kinder aus dem Haus sind, heizen die Kretschmanns in der Regel nur noch ein Zimmer. Duschen tun die auch nicht so oft.”

“Das ist doch nicht unvernünftig”, wende ich ein.

Die Frau Keuner rümpft die Nase. “Und weißt du, was der Kretschmann wörtlich gesagt hat? … ‘Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung.’ Klingt schlau. Das Problem ist nur, dass ein gebrauchter Waschlappen gründlich gewaschen werden muss. Im Waschlappen bleibt hängen, was beim Duschen im Abfluss verschwindet. Lisa, du wirst doch irgendwo noch einen Waschlappen haben.“

“Für den Ökotouristen?”, frage ich leise.

“Der hat eigene dabei”, sagt die Frau Keuner. “Das Problem ist nur, dass der Ökotourist die Waschlappen nicht feucht in den Rucksack packen kann. Also lässt er sie da, und zwar für deine nächste 60°-Wäsche. Seine olle Unterbuxe kommt auch noch dazu, denn er hat frische Wechselwäsche dabei. Kann eine Weile dauern, bis die Maschine voll ist, aber der Öko-Tourist ist ein alleinstehender Rentner mit Senioren-Bahncard und 49-Euro-Ticket. Der kommt wieder. Ich sach dir, sich näher kommen ist ziemlich unromantisch, wenn man über 60 is.”

“Auch das noch”, sage ich leise, klappe einen zweiten Stuhl auf und setze mich..

“Lisa,” fängt die Freu Keuner wieder an, “sei froh, dass du keine wichtige Person bist und nur ein ömmeliges Reihenhaus hast. Als der Jens Spahn noch in seiner Dahlemer Villa gewohnt hat, standen ständig die Gaffer vorm Haus. Ich meine, wie konnte der Mann so naiv sein zu meinen, dass die Leute Beifall klatschen, wenn sich der Bundesgesundheitsminister im Sommer 2020 eine Fünf-Millionen-Euro-Villa für den Luxus-Lockdown kauft, während sich die Menschen in ihren kleinen Wohnungen auf der Pelle hängen. Und wie kann der Jens Spahn so doof sein, ein Paket anzunehmen, wo kein Absender draufsteht. Da kann doch nur Kacke drin sein.”

“Bah!”

“Genau”, sagt die Frau Keuner. “Aber im Wahlkampf machen die Politiker dann auf Piep, piep, piep – Wir haben uns alle lieb. Wie der Jens Spahn vor zwei Jahren. Da hat er mitten im Bundestags-Wahlkampf auf Instagram ein Urlaubs-Selfie gepostet, und zwar vom Tegernsee. Guck es dir im Internet an, im Vordergrund sieht man Jens Spahn und Mann und im Hintergrund eine Berglandschaft. Die Schlagzeile auf rtl.de war, Moment… ” Die Frau Keuner kramt einen Zettel aus der Jackentasche. “Also, die Schlagzeile war: Jens Spahn (CDU) schickt Grüße aus dem Liebesurlaub in den Bergen. Ist das nicht primitiv? Ich sach dir, im Anschluss an die Nachricht vom Liebesurlaub in den Bergen hat der Spahn noch mehr Pakete ohne Absender gekriegt. Ich schick dir den Link, denn den brauchst du noch.” https://www.rtl.de/cms/jens-spahn-sendet-urlaubsgruesse-gesundheitsminister-mit-ehemann-am-tegernsee-4809772.html

“Wieso brauch ich den Link?”

“Für den Blog-Beitrag, den du schreibst”, sagt die Frau Keuner. “Ich bin übrigens für die gleichgeschlechtliche Ehe. Das Problem ist nur, dass die gleichgeschlechtlichen Promi-Ehepaare in aller Regel genauso spießig sind wie die heterosexuellen. Vor allem die von der CDU. Ich sehe da eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Pärchen Jens und Daniel und dem Pärchen Hannelore und Helmut. Die Kohls sind ja auch immer in die Berge gefahren. An den Wolfgang-See in Österreich, und der Helmut Kohl wollte nie mit der Familie alleine sein, der wollte die Presse immer dabei haben… Hömma, Lisa, wat sitzt du da die ganze Zeit so doof rum? Hast du wohl mal bitte ein Kissen für mich?”

Ich gehe ins Haus und hole ihr eins. “Für die Hannelore Kohl muss das entsetzlich gewesen sein”, sagt die Frau Keuner. “Wo sie doch unter einer Lichtallergie litt. Licht ist aggressiv, wenn es zu viel wird, vor allem das Licht der Öffentlichkeit… Aber da will ich gar nicht dran denken.” Die Frau Keuner seufzt, aber dann lächelt sie und singt: “Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein…” Summt, guckt selig. Das Summen geht in ein Brummen über und dann in ein leises Schnarchen.

“Frau Keuner?”

“Schon gut”, sagt die Frau Keuner und gähnt. “Wo war ich noch. Also… Erinnerst du dich noch an die weltweite Reisewarnung vom Auswärtigen Amt, als sie wegen Corona die Grenzen dichtgemacht haben? Das war im Frühjahr 2020. Da hatte der Markus Söder Angst, dass der bayrische Tourismus zusammenbricht. Der Söder hat damals einen kernigen Satz gesagt, der auch noch lustig sein sollte, von oben herab, der Söder kennt ja nur die eine Richtung… Moment, ich muss den noch zusammenkriegen… Also: “Wer Österreich genießen will, der kann das auch in Bayern tun.” Wäre ich eine österreichische Hotelkraft, wäre ich schwer bedient gewesen, aber die Österreicher haben sich angeblich geschmeichelt gefühlt. Is ja klar, jedes Land will heute Genießerland sein. Is ja auch lecker da. Kennst du Frittatensuppe?” Ich schüttele den Kopf.

“Du kannst in Bayern keinen Österreich-Urlaub machen”, fährt die Frau Keuner fort. “Doch bei der Frittatensuppe geht das, die kannst du auch in Bayern kochen, sogar vegetarisch. Aber einer wie der Söder wird unruhig, wenn er kein Fleisch kriegt. Der braucht ein ordentliches Stück Fleisch im Bauch. Das sättigt nicht nur, das macht stark. Fleisch ist angeblich auch gut für die Wehrkraft. Deshalb hat der Markus Söder im Frühjahr 2022 ein großes Weißwurst-Frühstück für US-amerikanische Soldaten veranstaltet. Moment, ich kann den Twitter-Text nicht auswendig.”

Die Frau Keuner holt einen weiteren Spick-Zettel aus der Jackentasche und faltet ihn auseinander: “Ich muss mich jetzt zusammenreißen, denn ich esse dermaßen gerne Weißwürste. Wenn ich beim Reden kurz pausiere, liegt das daran, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft.” Die Frau Keuner stockt, schluckt und redet dann weiter. “Aber die Weißwürste, die man in Köln kaufen kann, haben keine richtige Pelle mehr. Dat beißt sich nicht nur wie Bockwurst, dat bricht sich auch wie Bockwurst.” Die Freu Keuner seufzt. “Die Pelle von der echten Weißwurst ist so derb, dass man die Wurst nur biegen kannst.”

Die Frau Keuner stockt, schluckt und redet dann weiter. “Also, auf dem offiziellen Twitter-Account vom Markus Söder steht am 11. März 2022: ‘Größtes Weißwurst-Frühstück in Bayern: US-Soldaten verteidigen unsere Demokratie auf der ganzen Welt. Dafür danken wir herzlich mit bayerischen Spezialitäten auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Wir sind verlässliche Partner und stehen vereint zusammen für Frieden und Freiheit.` Das war nur wenige Wochen nach Beginn des Kriegs in der Ukraine, die USA hatten schon mächtig viel Geld in den Irrsinn gepumpt.”

“In der Weißwurst, die man hier kaufen kann, ist kaum noch Kalb drin”, sage ich leise.

“Als wenn du das rausschmecken würdest”, sagt die Frau Keuner. “Das hast du auf der Verpackung gelesen. Auf Twitter kannst du dir übrigens die Fotos vom Weißwurst-Frühstück angucken. Da steht der Söder für Weißwürste an, natürlich an vorderster Front. Und er trägt eine FFP2-Maske, was in dem Zusammenhang schon ein bisschen unpassend ist. Ich versteh aber schon, dass der Söder maskiert war.”

“Warum?”

“Ich würde auch eine Maske tragen, wenn ich Politiker wäre und meine Ehefrau wäre nicht nur seit Ende 2020 Schirmherrin über die berittenen Einheiten der Bayerischen Polizei, sondern auch eine erfolgreiche bayrische Unternehmens-Erbin und Unternehmerin, die versucht hat, mit Corona-Masken zu handeln. Die Frau Baumüller-Söder hat ja angeblich beste China-Kontakte. Da gab es einen erhellenden Artikel im Merkur. Moment… Ich geb dir den Link. Aber die Karin Baumüller-Söder hat immer betont, dass sie mit der Masken-Beschaffung keine Geschäfte machen wollte, sondern nur helfen. Is dat nich lieb?” Ich nicke. https://www.merkur.de/bayern/nuernberg/ehefrau-karin-baumueller-corona-masken-deals-ffp2-csu-bayern-soeder-91483544.html

Die Frau Keuner lacht. “Lisa, lies bitte die Kommentare, die unter dem Artikel stehen. Manche sind ja kritisch, aber andere… Verstehst du die Sprache? Weißt du, was eine g’führige Piste ist? Was sagst du zu diesem Kommentar? Aus Schnee von Vorgestern kann man keine g’führige Piste mehr bauen…

“Was das Skifahren angeht, bin ich leider unsportlich”, antworte ich.

“Nicht nur, was das Skifahren angeht”, sagt die Frau Keuner. “Ich hab dich kürzlich an der Tischtennis-Platte gesehen. Schon mal wat von Rückhand gehört?”

“Aber das war ich nicht! Ich spiele schon seit Jahren kein Tischtennis mehr.”

“Dann war das eben deine Doppelgängerin”, sagt die Frau Keuner. “Je älter man wird, desto mehr Doppelgängerinnen hat man. Aber du solltest wirklich an deinem Outfit feilen. Guck dir den Söder an, der sieht immer gut aus, nicht nur wegen der Landtagswahl im Oktober. Und er hat einen gesunden Appetit. Kennst du den Hashtag #Söderisst?” Ich schüttele den Kopf.

“Söders Lieblingsgerichte sind Nürnberger Rostbratwürste und Kalbskopf mit Kartoffelsalat”, sagt die Frau Keuner. “Den Kalbskopf hat die Mutter Söder immer für den Markus gekocht. Für den Hashtag macht er die Fotos selber, auch die vom Kalbskopf, aber an die eigene Visage lässt er nur Profis ran. Da gab es jetzt diesen Skandal. Der Söder ist ja wirklich fotogen, volle Haare, gute Figur, stattliche Erscheinung, markante Züge, grimmiger Blick. Dass der Bayrische Ministerpräsident fotografiert wird, ist ja normal, aber während seiner Amtszeit haben sich die Ausgaben für Fotos vervielfacht. Hömma, dat sind Steuergelder, geht gar nicht.” https://www.welt.de/politik/deutschland/article246678732/Markus-Soeder-Fotos-von-Bayerns-Ministerpraesident-kosten-Steuerzahler-220-000-Euro.html

“Lisa, magst du Strammer Max?”

“Ja”, sage ich. “Wenn der nicht ganz so stramm ist, ohne Schinken, mein ich.”

“Ohne Fleischteil ist dat aber nach Meinung von Markus Söder kein Strammer Max mehr”, sagt die Frau Keuner. “Ende April 2022 war auf #Söderisst ein kompletter Strammer Max abgebildet, mit Käse und Schinken. Und wie nennt der Söder das Tellergericht, das er serviert kriegt? Strammer Max für Markus. Kannst du so in die Suchmaschine eingeben. Da redet ein Ministerpräsident von sich selber in der dritten Person. Ist das nicht peinlich? Die Food-Fotos hat der Söder alle selber geknipst. Aber guck dir mal Strammer Max für Markus an: Ich sage dir, die Spiegeleier waren definitiv zu lange in der Pfanne, das Eiweiß ist porös und leicht angebacken, das Häutchen über dem Eigelb ist schon ledrig, der Schinken ist billiger Pressschinken und der Käse abgepackter Allgäuer Emmentaler, und dann steht im Hashtag nicht einmal, wo der Söder das fotografiert hat.” Die Frau Keuner hält mir ihr Smartphone hin.

“Viel sehe ich ohne Lesebrille nicht”, sage ich. “Aber dieser Stramme Max für Markus sieht kaltgeworden aus. Geht schnell bei Ei.”

“Sach, Lisa, du bist doch Germanistin. Woher kommt der Ausdruck Strammer Max?” Ich zucke die Achseln, aber die Frau Keuner gibt Strammer Max bei Wikipedia ein, fängt an zu lachen, prustet, grunzt. “Dat darf doch nicht wahr sein.”

“Was steht denn da?”, will ich wissen, geh ins Haus und schnapp mir die Lesebrille. “Kann ich wohl mal gucken?”

Die Frau Keuner reicht mir ihr Smartphone: “… Der Ausdruck Strammer Max wurde um 1920 im Sächsischen mit der Bedeutung „erigierter Penis“ gebildet und anschließend auf das Gericht übertragen, wohl weil es ein besonders „kräftigendes“ belegtes Brot ist…” https://de.wikipedia.org/wiki/Strammer_Max

“Jetzt tut mir der Markus Söder fast schon wieder leid”, sage ich.

“Der muss dir nicht leid tun”, sagt die Frau Keuner.

“Aber das darf doch nicht passieren. Warum sagt ihm das denn keiner? Der Markus Söder muss Strammer Max für Markus sofort von seinem Hashtag #Söderisst runternehmen. Der macht sich doch lächerlich.”

“Soll er”, sagt die Frau Keuner. “Der Markus Söder soll sich so zeigen, wie er ist und frisst, denn so geht das nicht weiter. Was bildet sich der Mann eigentlich ein. Wer Österreich genießen will, der kann das auch in Bayern tun... Das erinnert mich an die DDR-Staatsführung. Weißt du, was die damals zu den DDR-Bürgern gesagt haben? ‘Wenn es euch auch nach Italia zieht, dann seid ihr mit Eforie Nord doch viel besser bedient.’ Die SED-Elite war ja eine geschlossene Gesellschaft. Die Bonzen waren damals schon so schlau, den Massentourismus zu meiden. Und dann haben sie auf der Ostsee-Insel Vilm Nobel-Urlaub gemacht. Da waren sie unbeobachtet. Das Volk ist währenddessen zum Schwarzen Meer gefahren und hat in den Trabis geschlafen. Gardinen vorm Autofenster. Die Hotels waren für die Westdeutschen reserviert. Die hatten ja West-Mark. Wenn ich DDRlerin gewesen wäre, hätte ich die Wessis dermaßen gehasst.”

“Ich hätte uns nicht gehasst, aber fürchterlich gefunden”, sage ich.

“Die haben uns damals schon gegeneinander ausgespielt”, sagt die Frau Keuner. “Und wie gehen die Politiker mit unserem Geld um? Als der Jens Spahn im Jahr 2021 seinen Liebesurlaub gemacht hat, stand der schon sehr unter Druck. Der hatte ja ohne Ende auf dicke Hose gemacht und vom Bundesrechnungshof einen Anschiss gekriegt. Die haben dem Gesundheitsministerium Geldverschwendung vorgeworfen, du erinnerst dich vielleicht, da ging es um die Beschaffung von Schutzmasken. Spahns Ministerium hatte viel zu viele Masken bestellt und dann nicht bezahlt. Das ist so primitiv, dass da keiner drauf kommt.”

Die Frau Keuner macht eine kurze Pause und redet dann weiter. “Schon im Frühjahr 2021 hatte der Unternehmer Walter Kohl, CDU, Sohn vom Helmut Kohl, CDU, das Bundesgesundheitsministerium verklagt. Der Skandal ist ja nicht nur, dass die Masken nicht bezahlt wurden, sondern dass ausgerechnet der Sohn vom Kohl den Großauftrag hatte. Und jetzt gib bitte bei Google “Maskendeals” ein. Dann siehst du, wer da alle beteiligt war. Eine einzige Vettern- und Ehegattenwirtschaft. Die meisten aus dem Umkreis von CDU/CSU. Alfred Sauter und Georg Nüßlein, Andrea Tandler, Tochter vom ehemaligen CSU-Generalsekretär Gerold Tandler u.u.u. Die Burda GmbH hat mehr als eine halbe Million FFP2-Masken an das Bundesgesundheitsministerium verkauft. Und wer leitet die Burda-Repräsentanz in Berlin? Daniel Funke, der Ehemann von Jens Spahn.”

“Ich hab noch paar Masken übrig”, sage ich. “Rosa”.

“Kannst du wegschmeißen”, sagt die Frau Keuner. “Angeblich taugen die alle nicht mehr. Im Juni habe ich gelesen, dass 755 Millionen Schutzmasken vernichtet werden müssen. Dabei haben sie von Anfang an versucht, den Maskenkonsum ankurbeln, um die teuer bezahlten Dinger irgendwie loszukloppen. Das war dermaßen primitiv. Und wie sie die älteren Menschen veräppelt haben. Weißt du noch, da haben alle gesetzlich Krankenversicherten über 60 einen Brief von der Bundesregierung gekriegt, im Januar 2021. Vielleicht erinnerst du dich, dieses Schreiben, wo stand, dass alle über 60 ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Die Bundesregierung hat behauptet, dass sie uns schützen will. Und dann hat da gestanden, dass man bis zum 6. Januar drei Masken mit hoher Schutzwirkung kostenlos kriegt. Der Brief war undatiert, und da stand nicht einmal ein Neujahrsglückwunsch drunter. Das hat mich stutzig gemacht. Das Schreiben war halbseiden und primitiv, die Absende-Adresse war München-Flughafen.”

Ich nicke: ” Die selbe Absende-Adresse wie beim Brief von Karl Lauterbach.”

“All die Verbrechen haben keine Konsequenzen”, sagt die Frau Keuner. “Die Masken-Deals gelten als Kavaliersdelikte. Sauter und Nüsslein dürfen sogar ihre fetten Provisionen behalten. Die sahnen ab, aber für uns gibt es nicht einmal den versprochenen Trostpreis. Knausrig waren die auch noch. Der Brief von der Bundesregierung ist erst Mitte Januar angekommen, da waren die kostenlosen FFP2-Masken längst weg. Wenn es die je gegeben hat. So lockt man die älteren Menschen in die Apotheke. Leider war ich so wütend, dass ich den Brief weggeschmissen hab.”

“Ich hab den Brief auch erst Mitte Januar gekriegt”, sage ich. “Das war auch zu spät fürs Lockangebot. Aber ich hab den Brief aufbewahrt. Für meinen Blog.”

“Hui”, macht die Frau Keuner. “Ich bin jetzt mal kurz weg. Aber heute Abend komm ich wieder. Und du hast bis dahin Kölsch besorgt und kalt gestellt. Und brat mir bitte paar Buletten. Dass du das Beweismaterial noch hast, dieses unseriöse Schreiben von der Bundesregierung.”

Ich wusste nicht, dass sie dazu in der Lage ist, aber die Frau Keuner lächelt. “Lisa, ich liebe dich.”

“Der Populismus fährt Fahrrad”- Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Freu Keuner.

“Tach auch”, sach ich. Wir sind an der KiTa Lummerland verabredet. Die Frau Keuner hat mich angerufen und darum gebeten, in der Nähe der KiTa ein paar Fotos von ihr zu machen, und mein Fahrrad soll ich mitbringen. Jetzt steht sie da, hält die Griffe des Rollators umklammert und mustert mich grinsend.

“Fotos von mir?”, sagt die Frau Keuner. “Dat dachtest du dir so. Ich seh mit Ende 60 zwar immer noch besser aus als du mit knapp Mitte, aber dat muss ja nich sein.”

“Aber, aber”, stammele ich. “Sie haben mich doch darum gebeten. Das war Ihre Idee. Ich meine, ich sollte Sie doch fotografieren.”

“Du lässt dir aber auch alles erzählen”, sagt die Frau Keuner und lacht breit. “Aber ne wirklich schicke Frisur.”

“Danke”, sage ich. “Aber ich war seit zweieinhalb Jahren nicht mehr beim Frisör.”

“Dat sieht man”, lacht die Frau Keuner. “Deine Haare sehen aus wie n oller Wischmopp. Ich meinte dein Fahrrad. Wenn Männer ihre Fahrzeuge frisieren, dann motzen die die technisch auf. Aber wenn Frauen ihre Fahrräder frisieren, dann schmücken sie die Körbe mit Blömscher. Aus Kunststoff. Hömma Lisa, du hast Kunststoff-Blumen gekauft.”

“Ich, ich… Ich hatte die noch.”

“Ja, ja”, sagt die Frau Keuner. “Und du dachtest wohl, ich würde mich auf dein Fahrrad setzen. Wie soll dat wohl gehen mit meiner kaputten Hüfte? Außerdem hab ich nicht die Top-Figur, die der Joe Biden immer noch hat. Der Joe hat ja im Juni an seinem 45. Hochzeitstag mit der Jill zusammen eine Radtour gemacht, bei sich zu Hause in Delaware. Dabei trug er diese kurze Hose, die er seit 40 Jahren im Schrank hat. Ich sach dir, vielleicht ist der im Kopf nicht mehr klar, wenn er das jemals war. Ich meine, der Mann ist ja schwer traumatisiert. Joe Biden macht eine furchtbare Kriegs- und Coronapolitik, aber körperlich gibt er immer noch eine Top-Figur ab. Sogar in der ollen Buxe.”

Die Frau Keuner holt eine Wasserflasche aus dem Netz. “Ich krieg die Pulle nicht auf. Hast du noch Kraft in der Hand?”

Sie hat einen verdammt wunden Punkt erwischt, aber ich schnapp mir die Flasche. Zum Glück lässt sich der Drehverschluss leicht öffnen. “War halb so schwer”, sage ich.

“War ja eh schon auf”, sagt die Frau Keuner und lacht.

Sie beruhigt sich langsam und nimmt einen Schluck Wasser. “Zurück zu Joe Biden. Wat ja an den Männern definitiv schöner ist als an den Frauen, dat sind die Beine. Keine Cellulitis. Und der Joe Biden, der hat noch richtig schöne Beine. Dat wüsste ich nicht, wenn er auf seiner Radtour nicht mit dem Fahrrad umgekippt wär. Die Bilder gingen ja um die Welt. Ich hab mir dat bei Youtube angeguckt. Also… Die Radfahrergruppe kommt ins Bild, bissken steif dat Ganze, aber egal… Die Gruppe fährt auf eine Weggabelung zu, an der schon die Kameras bereit stehen. Jill und die anderen biegen ab, aber Joe fährt geradeaus weiter, weil am Straßenrand die Presseleute auf ihn warten. Joe trägt zu seiner Sicherheit einen Helm, doch der Sicherheitsmann, der hinter ihm fährt, trägt zu Joe’s Sicherheit keinen, weil so ein Helm beim Personenschutz hinderlich ist. Kannst du mir noch folgen?” Ich nicke nur.

“Also”, fährt die Frau Keuner fort. “Joe kommt bei den Journalisten an, bremst und setzt den Fuß auf den Boden, den linken Fuß. Joe steht, und jetzt erst kippt er um, denn er kriegt den rechten Fuß nicht aus der Pedal-Schlaufe. Joe verliert das Gleichgewicht. So was passiert, ältere Menschen kippen schnell um, geht mir auch so. Und der Biden muss das Gefühl gehabt haben, dass er bei den Journalisten in Sicherheit ist, dass er sich fallen lassen kann. Doch da hat er sich verschätzt. Denn jetzt kommt der eigentliche Skandal… Niemand fängt Joe auf, die stehen da doof rum. War so nicht geplant. Aber anstatt den Joe festzuhalten, halten die Journalisten ihre Kameras fest, um zu filmen, wie der umkippt, weil niemand ihn festhält. Früher waren die berühmten Leute schlauer, da haben die sich vor den Paparazzi in Sicherheit gebracht und sind nicht noch auf die zu.”

Die Frau Keuner trinkt noch einen Schluck Wasser und packt dann die Flasche weg. “Der Joe ist schneller wieder auf die Beine gekommen, als ich gucken konnte. Und du, Lisa, du bist 16 Jahre jünger als Joe, aber du siehst auf dem Rad lange nicht so gut aus wie der. Du kannst ja nicht einmal mehr einhändig fahren. Ich hab dich letztens beobachtet, wie du mit der linken Hand dat alte Nokia-Teil ans Ohr gehalten hast und fast einen Pfosten touchiert hättest.”

Ich guck die Frau Keuner fragend an. “Wo soll das gewesen sein?”

“Wagenhallenstraße Richtung Wartburgplatz. Das kann teuer werden, auch in der Füßgängerzone. Du kannst so was von froh sein, dass du nicht prominent bist. Wenn man prominent ist, sitzt immer eine von diesen Medien-Petzen im Gebüsch und wartet darauf, dass man einen Fehler macht. Hömma, Lisa, du warst ja nie besonders sportlich, aber dat war dermaßen ungelenk.” Jetzt lacht sie dreckig.

Ich bin machtlos und in dieser Kleine-Schwester-Schockstarre. Ich kann mich nicht wehren, denn ich bewundere die Frau Keuner, wie ich kleines Mädchen meine große Schwester bewundert habe, so fies die auch manchmal war. Meine große Schwester hat es immer wieder geschafft, mich zum Heulen zu bringen. Sie konnte schon lesen, als ich noch nicht einmal in der Lage war, die Bilderbücher richtigrum aufzuklappen. Meine große Schwester, das war so eine, die schon bis über tausend zählen konnte, während ich drei Finger abspreizen musste, um zu zeigen, dass ich drei Jahre alt war.

“Hömma, Lisa”, sagt die Frau Keuner, “jetzt stellst du dein Fahrrad an genau die Stelle, die ich dir sach. Wir machen ein paar Fotos, und diese Fotos stellst du als Dia-Show in deinen Blog. Dein letzter Blog-Beitrag über das Zuführungsgleis war ja nicht übel, aber da fehlt was.”

“Wieso?”, frage ich leise. “Was hab ich denn jetzt wieder falsch gemacht?”

“Da fehlt der Jochen Ott, unser SPD-Landtagsabgeordneter. Der Ott is ja unser Nachbar, der wohnt zwar nich in der autofreien Siedlung, aber in der daneben, mit Tiefgarage, aber auch direkt anner S-Bahn… Der Ott ist für das Zuführungsgleis, zumindest ist er nicht dagegen. Man kann aber nur für das Gleis sein, wenn man selber lärmgeschützt wohnt, und das tut er, der Ott hat nämlich sein schmuckes Reihenhäusken mitten in der bewohnten Lärmschutztrutzburg.”

“Lärmschutztrutzburg”?

“Jau”, sacht die Frau Keuner, “der bewohnte Lärmschutzriegel geht nämlich noch umme Ecke. Du sitzt doch den ganzen Tach am Rechner. Gib da mal “Am Ausbesserungswerk Köln” ein. Da guckst du dann von oben drauf, und mit ein bisschen Phantasie erkennst du die Hintergedanken der Bauplaner. Die haben schon vor dem Bau der Siedlungen das Zuführungsgleis eingeplant – und den Lärm, den das macht. Falls das Gleis gebaut wird, bilden die Häuser “Am Ausbesserungswerk” die bewohnte Mauer einer Lärmschutz-Trutzburg, und die Mieter, die in den Mauern der Trutzburg wohnen, sind menschliche Lärmschutzschilder.”

“Das kann man doch so nicht sagen!”

“Oh doch, die Mieter schützen die Reihenhaus-Besitzer, denn die Menschen, die “Am Ausbesserungswerk” zur wohnen, kriegen den Lärm ab, aber wohnen Leuten wie dem Ott den Lärm fott. Sozial gerecht ist das nicht. Und wenn dann das Zuführungsgleis gebaut wird, sitzt der Ott im Lärmschatten der bewohnten Mauer in seinem Reihenhausgarten und füttert den Hund. Und wie ich ihn kenne, füttert er seinen Hund aus Kostengründen mit den aufgetauten Resten von Kochen mit Jochen. Da guckst du. Kochen mit Jochen war eine Werbeaktion im Landtags-Wahlkampf 2010. Da hat der Ott noch auf der Schäl Sick kandidiert und mit Kindern und Jugendlichen zusammen gekocht, und zwar in Jugendeinrichtungen. Afrikanisch, italienisch, international, politisch absolut korrekt. Kochen mit Jochen würde in Nippes nicht ankommen. Aber der Mann ist schon lustig. Seinen Wahlkampf-Podcast zum Thema Schule hatte der Ott Ottcast genannt. Is dat nich süß? Da fehlt nur noch der Jottifant.”

“Frau Keuner, ich komm jetzt nicht mehr mit.”

“Is ja nix Neues”, lacht die Frau Keuner. “Du bist eben ein bisschen langsam im Kopp. Aber nochmal zum Ott. Das ist wie beim Olaf Scholz. Nur weil seine Partei die SPD ist, meinen die Leute, er hätte Ähnlichkeit mit Johannes Rau oder Willy Brandt. Mädchen, die hat er nicht. Der Ott war mal Oberstudienrat, und ich sach dir, dat bleibt. Der Ott ist ein Berufspolitiker, der sich einen Top-Job mit Super-Rentenerwartung geangelt hat. Guck dir mal die Internetseite an. Was macht für Jochen Ott Wohnen aus? Dass es “bezahlbar” ist. Hört sich gut an. Doch abgesehen davon, dass die Nippeser Mieten extrem gestiegen sind: Was hat man von bezahlbarem Wohnraum, wenn im Schrank die Teller wackeln, weil die S-Bahn vorbeifährt? Und zwar jetzt schon. Was hat man von einer Wohnung im beliebten Veedel, wenn jetzt schon ständig die Fenster geputzt werden müssen? Flugrost, Feinstaub, Ruß. Wenn Wahlkampf ist, wird der Ott aktiv, da zeigt er sich, da geht er strahlend über den Nippeser Markt. Und jetzt? Grimmig. Total verschlossen. Wenn kein Wahlkampf is, hört man nix mehr von ihm. Und jetzt stell dein Fahrrad genau da hin, wo der Ott seins für das Wahlplakat platziert hat.” Die Frau Keuner zeigt mir die Stelle.

“Erinnerst du dich nicht an das Wahlplakat? Davon hast du mir doch das Foto geschickt. Vor der Landtags-Wahl hingen hier doch überall diese Werbeplakate. Nur so kleine für Radfahrer und Fußgänger, aber trotzdem ärgerlich, weil die Sprüche von Wahl zu Wahl dümmer werden. Wat stand unterm Ott? “MOTIVIEREN. MITNEHMEN. EINFACH MACHEN.” Wat soll dat, wer soll wozu motiviert werden, wohin mitgenommen, und wat soll einfach gemacht werden? Und dann noch dreimal das “M”, das die Kölschen immer an die Spitzen vom Dom erinnert. Mann, Macht, Muskeln… Das darf doch alles nicht wahr sein…”

“Ist Ihnen nicht gut?” frage ich leise, denn die Frau Keuner ist plötzlich ganz blass geworden.

“Schon gut”, sagt die Frau Keuner, “aber ich kann die politischen Knallköppe manchmal nicht mehr ertragen. Die tun so, als wäre alles wie immer. ” Sie atmet tief, macht eine kleine Trinkpause und redet gottseidank weiter. “Hömma, ich hab mir überlegt, wo in Köln das Foto mit dem Ott aufgenommen ist. Ich dachte, in einer weitläufigen Parklandschaft, vielleicht im Stadtwald. Dann hab ich genauer hingeguckt, und auf einmal kam mir alles bekannt vor. Hömma, dat spielt genau hier, wo wir stehen. Mit Blick auf die große Wiese zwischen den beiden Eisenbahnersiedlungen, zwischen der autofreien Siedlung und der Hohr-Siedlung, auf das grüne Zwischen-Stück, das sie nicht bebaut haben. Im Hintergrund sieht man die Bahntrasse. Der Ott präsentiert uns sein Fahrrad. So macht man sich bei den Leuten in der autofreien Siedlung beliebt. Der Populismus fährt Fahrrad. Aber den Wahlkreis hat dann doch der Arndt Klocke von den GRÜNEN geholt. Der Ott kommt hier im Viertel nicht besonders gut an.”

Jetzt singt die Frau Keuner auch noch. “Ja so blau, blau, blau ist der Jochen Ott, ach wat is der flott, ach wat is der flott… Es gibt da einen alten Trick, der Fotograf hat sich hingekniet und den Ott von unten fotografiert, damit er so richtig groß und mächtig ins Bild kütt. Stattlich ist er ja schon, aber so raumeinnehmend. Ich hab hab ja nichts dagegen, wenn die Männer raumeinnehmend sind, aber nicht so und schon gar nicht im öffentlichen Raum, du verstehst schon. Hömma, jetzt bist du rot geworden, Lisa. Findest du doch auch gut, wenn die Männer…”

“Unsinn!”

“Schon gut”, sagt die Frau Keuner. “Aber jetzt mach schon. Du kniest dich jetzt aber nicht hin, Lisa. Ich trau dir zwar zu, dass du wieder hoch kommst, aber mach die Fotos bitte im Stehen, denn man will ja noch wat vonner Landschaft sehen. Und wat fällt dir an dem Wahlplakat noch auf?” Ich zucke die Achseln.

“Der Fotograf hat das Ausbesserungswerk abgeschnitten”, sagt die Frau Keuner. “Vielleicht wollte es der Ott so. Deshalb klebst du in deiner Diashow das Stück wieder dran. Mach mit deiner kleinen ollen Kamera einfach einen Schwenk, damit die Südseite vonner Lärmschutztrutzburg draufkommt. Fotografier die Balkone, aber auch die Lüftungsöffnungen vonner Tiefgarage. Mach schon.”

Diese Diashow benötigt JavaScript.

“Gut so”, kommentiert die Frau Keuner die Fotos. “Aber da is noch wat. Auf seiner Internetseite schreibt der Ott, dass er 60-70 Stunden in der Woche arbeitet. Wie konnte es da passieren, dass er vor sieben Jahren einen richtig guten Vorstoß der NRW-Landesregierung verpasst hat?” Sie macht eine Pause, schließt die Augen und atmet tief durch.

“Jetzt muss ich mich konzentrieren, damit ich das noch zusammenkriege”, sagt die Frau Keuner. “Also… Da haben verschiedene Bundesländer ein Eckpunktepapier zum Thema Bahn-Lärm vereinbart. Und unser damaliger grüner NRW-Umweltminister Johannes Remmel hat die Bundesregierung aufgefordert, die Menschen besser vor Bahnlärm zu schützen und das in der Verkehrslärmschutzverordnung zu verankern. Der Bund hat leider nicht entsprechend reagiert, da is nix verankert, obwohl die Faktenlage eindeutig ist. Bahnlärm ist extrem gesundheitsgefährdend. Ich schick dir den Link. Is ganz einfach zu finden, denn die Pressemitteilung steht immer noch auf der offiziellen NRW-Internetseite.”

https://www.land.nrw/pressemitteilung/minister-remmel-bahnlaerm-macht-die-menschen-krank

“Aber der Ott war doch vor sieben Jahren in der Kommunalpolitik aktiv”, sage ich.

“Nicht nur”, sagt die Frau Keuner. “Der war auch im Landtag. Und die Pressemitteilung der NRW-Landesregierung ist vom 9. Juni 2015. Die kennt der. Nur war da gerade Oberbürgermeister-Wahlkampf. Weißt du noch? Der Ott ist doch gegen die Henriette Reker angetreten. Und ich sach dir, weil nur vier Monate später Wahl war, hatte der Ott keinen Bock, nach Düsseldorf zu fahren. Aber jetzt müsste er endlich aktiv werden. Die Herzen der Nippeser gewinnt man nicht beim “Kochen mit Jochen”, nicht mit Spaghetti Bolognese, sondern indem man sich für das Wohlergehen der Menschen einsetzt. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: MDL Jochen Ott (SPD) solidarisiert sich mit den Kölner Bürgerinnen und Bürgern gegen die menschenfeindlichen Pläne der DEUTSCHEN BAHN. Aber jetzt kann ich nicht mehr länger rumstehen.”

Die Frau Keuner macht ein paar Schritte und redet dann weiter. “Mach bitte noch ein letztes Foto, Lisa. Stell dich auf den Weg vor der sonnenbeschienenen Südseite des Ausbesserungswerks und fotografier die Wiese, aber sieh zu, dass du ein paar von den 13 Bäumchen draufkriegst, die die Stadt Köln in diesem Jahr neu gepflanzt hat… Die Menschen, die auf der Südseite der Lärmschutztrutzburg wohnen, haben schöne große Balkone. Da füttern sie die stolzen Halsbandsittiche, die sich in den letzten Jahren prächtig vermehrt haben. Ich freu mich so sehr, dass den Papageienvögeln in den milden Wintern die Krallen nicht mehr abfrieren. Es ist mir ein Trost, wo es schon keinen Schnee mehr gibt… Und weil sich der Bahnlärm noch in Grenzen hält, können die Leute im Sommer auf den Balkonen sitzen und Spaß haben an den Fledermäusen, die genau da nisten, wo das Gleis hinkommen soll. So einen freien Blick hat der Ott nicht. Dat nenne ich soziale Gerechtigkeit. Der Ott hört zwar den Bahnlärm kaum, aber dafür guckt er nicht in die Weite, nur auf Häuser… Wir müssen dafür sorgen, dass das Zuführungsgleis niemals gebaut wird. Schon wegen der Fledermäuse.”

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“Die Stadt Köln möge allen 2000 Menschen, denen abgelaufener Impfstoff verabreicht wurde, Schmerzensgeld zahlen!” – Offene Mail der Frau Keuner an Dr. Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamts der Stadt Köln

Ich bin gerade dabei, für’n kleines Mittagessen Kartoffelreste in die Pfanne zu schnibbeln, Pommes Sarladaises mit viel Knoblauch und glatter Petersilie, lecker, da klingelt’s. Ich geh’ an die Tür, denn es wird der Postbote sein.

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner.

“Tach”, sach ich. “Aber ich hab überhaupt keine Zeit.”

“Aber ich.” Die Frau Keuner drückt sich samt Gehwagen an mir vorbei ins Haus. “Hömma, Lisa, kennste mich noch? Seitdem ich dir erzählt hab, dass ich geimpft bin, guckst du mich nicht mehr an.”

“Ich halt mich eben an die AHA-Regeln”, sage ich. “Und ich müffel neuerdings nach Knoblauch. Seit Corona…”

“Dat riech ich”, unterbricht mich die Frau Keuner. “Bissken eng hier. Da is nix mit Abstand. Aber wenn du auch stinkst, kannst du mich immer noch angucken.”

“Wissen Sie”, sage ich schnell, “warum die Pommes Sarladaises “Sarladaises” heißen?”

“Ach, Schätzchen”, sagt die Freu Keuner und singt: “Ich war noch niemals in New York, ich war schon zweimal in Sarlat… Hömma, Lisa, lenk nicht schon wieder ab, ich sach dir, du kannst es dir leisten, nich geimpft zu sein. Du hast ein Reihenhäusken, bissken piefig, aber Eigenheim. Jetzt hast du sogar ein Auto, und dat als Bewohnerin der autofreien Siedlung. Sach mir bloß nich, dat du die alte Kiste vorm Schrottplatz gerettet hast und dat die bei dir ihr Gnadenbrot fristet. Guck nicht so pikiert, dat hast du der Gerda erzählt.”

“Ich kenn keine Gerda.”

“Red keinen Quatsch”, sagt die Frau Keuner. “Mit über 60 kennt jede eine, die Gerda heißt. Aber sag, kennst du eine Anna, eine jüngere mit zwei kleinen Kindern?” Ich zucke die Achseln.

“Dann hast du der Anna die Story erzählt.”

Bevor ich “nein” sagen kann, hat die Frau Keuner auch schon den Gehwagen abgestellt und ist -wie auch immer- über Hütehund Freki gestiegen, der quer im Flürchen liegt und den Zugang zum Wohnzimmer versperrt. “Wat seh ich da? Da steht ja immer noch der kaputte Stuhl, den du schon vor drei Monaten auf den Sperrmüll getan hast. Zurückgeholt, wa?” Ich schieb der Frau Keuner, bevor die den Halt verliert, schnell einen intakten Stuhl hin.

Die Frau Keuner setzt sich, aber stänkert immer noch: “Wie sieht dat denn hier aus, wie kann man in dem Zustand Gäste empfangen?”

“Welche Gäste?”, frage ich leise.

“Nette Leute wie mich”, sagt die Frau Keuner. “Und mach jetzt nicht einen auf einsam und allein. Die Gerda hat mir da wat anderes erzählt. Hömma, Lisa, du kannst dich hier verbuddeln, Silberfischchen füttern, Müll ansammeln, lecker kochen, dich bemitleiden und Wein saufen. Zur Zeit vergammeln viele gute Stuben. Noch musst du dich auch nicht impfen lassen. Meinst du, ich hätte das freiwillig getan? Ich hab von allen Seiten Druck gekriegt. Du kannst es dir leisten, deinen Job zu verlieren, denn du hast keinen. Ist ein echter Luxus, sich die Plörre nicht in den Arm drücken zu lassen.”

“Frau Keuner, ich…”

“Komm mir nicht mit irgendwelchen faulen Ausreden”, sagt die Frau Keuner. “Aber du kannst alles wieder gut machen. Ich hab heute morgen eine Mail an den Kölner Gesundheitsamtsleiter geschickt, an den Dr. Johannes Nießen. Der Nießen ist der, der neben noch zwei Kölnern seit zwei Monaten in Lauterbachs Corona-Expertengremium sitzt. Kölscher Klüngel, dat sach ich dir. Im Internet steht keine Mail-Adresse vom Gesundheitsamt. Ich konnte also meine Mail nur an stadtverwaltung@stadt-koeln.de schicken. Dat kann ich vergessen. Also wirst du meine Mail heute noch auf deinem Blog öffentlich machen. Du setzt dich jetzt an den Rechner. Wenn du den Freki an die Seite schiebst und mir mein Wägelchen bringst, bin ich weg.”

Die Frau Keuner richtet sich langsam auf und hält sich am Tisch fest. “Du kannst dir gerne wat zu essen machen, aber danach machst du dich an die Arbeit. Und wenn ich nachher wiederkomm, dann stoßen wir mit lecker Kölsch auf Omikron an. Omikron ist der Game Changer. Dat haben die nur noch nich begriffen. Wie kann die Stadt Köln denn so blöd sein, jetzt, wo halb Europa schon das Ende von Corona feiert, den Zoch zu stutzen. Hömma, Lisa, der Zoch kütt in diesem Jahr ins Rheinenergie-Stadion. 2G+ und 11,11 € Eintritt.” Die Frau Keuner schluckt und reibt sich die Augen. “Omikron ist unsere Rettung. Und nachher… Nachher singen wir die schönen neuen Lieder: Mamor, Stein und Impfnadel bricht… Oder kennst du das? Am Sonntag will mein Süßer mit mir boostern gehen… Jetzt guck nicht so bedient. Bis dann, ja?”

***

An dieser Stelle veröffentliche ich die Mail der Frau Keuner. Der Wortlaut ist weitgehend unverändert. Ich habe allerdings, nachdem ich alle Zahlen überprüft und die gewagten Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft hatte, einige Belege und Links hinzugefügt. Darüberhinaus habe mir erlaubt, ein paar kleine Rechtschreibfehler zu korrigieren. Auch wenn ich die Mail unterstütze, gibt sie doch ausschließlich die Meinung der Frau Keuner wieder. Die beiden RKI-Tabellen, die die Frau Keuner ihrer Mail angehängt hat, habe ich mitsamt Erklärung an passender Stelle eingefügt…

***

Köln, 10.2.2022

Sehr geehrter Herr Dr. Nießen,

gestern bin ich mit einer Nippeser Mitbürgerin ins Gespräch gekommen, die eine Einladung zur vierten Impfung gekriegt hat. Sie gehört zu den über 2000 (!) Menschen, die zwischen dem 26. Dezember 2021 und dem 5. Januar 2022, also an den kurzen Tagen zwischen den langen Rauhnächten, hier in Köln versehentlich mit einem abgelaufenen Impfstoff der Marke Moderna geimpft wurden.

Was passiert ist, haben die Betroffenen -so unglaublich das klingt- erst Tage später nicht persönlich, sondern aus der Presse erfahren: Im gefrorenen Zustand wäre der verabreichte Impfstoff noch bis zum Juni 2022 “haltbar” gewesen, doch zwecks Verwendung war er aufgetaut worden. Nur hatten die Impf-Dienstleister viel zu viel aufgetaut, denn es waren bei weitem nicht so viele Impfwillige gekommen, wie man gedacht hatte. Was für eine Schlamperei! Aber wem erzähl ich das? Sie wissen das ja.

Jeder Kölner hat da direkt das beliebte Lied vom Jupp Schmitz im Kopp. Die Geschichte: Einmal im Monat wird in einem Verein Erbsensuppe gekocht. Diesmal ist sie besonders lecker, nur leider hat sich der Wirt vertan und zu viel gekocht. Deshalb schnappt sich der Vereinspräsident das Mikrophon und ruft laut in den Saal:

Es ist noch Suppe da, es ist noch Suppe da… Wer hat noch nicht, wer will noch mal…

Vielleicht war an dem Tag noch Suppe da, weil es Erbsensuppe war, die schmeckt ja aus dem Groß-Bottich irgendwie immer nach Suppenküche. Es geht auch lecker. Herr Dr. Nießen, vielleicht kennen Sie das österreichische Speiselokal Essers im Stadtteil Neuehrenfeld. Dort serviert man an jedem ersten Donnerstag im Monat köstliche Backhendl im Korb, Salat dazu, aber nichts anderes. Lecker, sehr lecker! Was ist schon der ostdeutsche Broiler im Vergleich zu einem Steirischen Backhendl? Damit die Wirtin planen kann, müssen sich die Gäste Wochen im Voraus anmelden und dabei genau angeben, mit wie vielen Hendl-Essern sie kommen. Man kann dann immer noch absagen. Kommt man aber am Hendl-Tag mit einer Person bzw. Hendl-Esserin weniger als angemeldet, wird das überzählige Hendl berechnet. Man kann es direkt verspeisen oder im Hendl-Sackerl nach Hause mitnehmen. Die Iris vom Essers achtet sehr genau auf Frische und weiß um die Salmonellen-Gefahr. Sie ist nicht nur eine tolle Wirtin und Sommeliere, sondern auch eine gute Geschäftsfrau. Würde sie so schlecht wirtschaften wie die Bundesregierung, könnte sie den Laden dichtmachen.

Wie kann man aber auch so bescheuert sein, über unsere Köpfe hinweg diese gigantischen Mengen Impfstoff zu ordern? Ich zitiere: “Die Bundesregierung hat seit Beginn der Pandemie insgesamt mehr als 660 Millionen Dosen Corona-Impfstoff bestellt, die bis 2023 ausgeliefert werden sollen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler hervor, die dem ARD-Politikmagazin “Report Mainz” vorab vorliegt. Darunter sind rund 367 Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer, 120 Millionen Dosen von Moderna, aber auch mehrere Millionen Dosen der Impfstoffe Novavax, Valneva und des Herstellers Sanofi. Die bestellten Vakzine haben nach Angaben der Bundesregierung einen Gesamtwert von rund 12,5 Milliarden Euro.” https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/impfdosen-117.html

Was ich nicht verstehe: Warum hat die Bundesregierung nicht für den Fall, dass sich das Corona-Virus abschwächen sollte, mit den Pharmaunternehmen eine Art Rücktrittsversicherung abgeschlossen? Angesichts der harmlosen Variante Omikron müsste die Bundesregierung zum Wohle des Volkes schnellstmöglich von den Bestellungen zurücktreten, was aber offenbar nicht möglich ist, denn laut “den Lieferverträgen ist Deutschland verpflichtet, die gesamte bestellte Menge Impfstoff abzunehmen.” (tagesschau.de, s.o.) Aber vielleicht will die Bundesregierung nicht zurücktreten, sondern immer und ewig singen:

Es ist noch Impfe da, es ist noch Impfe da, wer hat noch nicht, wer will noch mal…

Es ist wie in diesen fiesen Familien: Der Teller muss leer gegessen werden. Aber den Impfstoff kann man ja nicht essen, da muss jemand kommen, der… Doch wohin jetzt mit den Mengen? Der beste Ort, Impfstoffe zu verknappen, ist der menschliche Körper. Kaum gab es die Impfung, wurde ja mächtig auf die Tube gedrückt bzw. auf den Impfspritzen-Kolben – und hinein damit. “Impfen, was das Zeug hält!” – Das hat schon Anfang 2021 der Karl-Josef Laumann von der CDU gefordert, der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Dieser Laumann ist zwar ein Hörsteler und kein Kölner, aber da tut sich wohl nicht viel. Denn was sagt der Kölner? “Was fott es, ess fott.”

Es ist noch Impfe da, es ist noch Impfe da, wer hat noch nicht, wer will noch mal…

Doch was mir am meisten stinkt, Herr Dr. Nießen, das ist die Anbiederung der Stadt Köln an die Bürgerinnen und Bürger. Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde ja im April 2021 gegen Corona geimpft, und zwar mit Moderna, denn Astrazeneca kam für sie, wie ja auch im Stadtanzeiger stand, aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage. Das hätte doch gereicht, doch Frau Reker setzte noch eins drauf: Um bloß nicht den Anschein zu erwecken, sie würde sich als was Besseres fühlen und den Kölnern was wegnehmen, ließ sie sich demonstrativ mit einer Restdosis impfen. https://www.t-online.de/region/koeln/news/id_89838366/koeln-henriette-reker-mit-restdosis-gegen-corona-geimpft.html

Ich persönlich nehme ja gerne Reste zu mir, aber nicht öffentlich und auch nur dann, wenn es sich um Nahrungsmittel handelt. Da riechen und schmecken wir meistens, wenn was schlecht und vergammelt ist. Und wenn man was Schlechtes gegessen hat, kann man noch immer versuchen zu kotzen. (Übrigens hätte die Nippeser Betroffene auch fast gekotzt). Bei einem Impfstoff geht das schlecht.

Herr Dr. Nießen, ich erlaube mir, Sie zu zitieren: „Wir schließen eine gesundheitsschädliche Wirkung durch den verabreichten Impfstoff aus. Was die Wirksamkeit angeht, lassen Erfahrungen aus vergleichbaren Fällen den Schluss zu, dass auch nach Verabreichung eines wenige Tage zu lang aufgetauten Impfstoffs ein unverminderter Impfschutz besteht.” https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/corona-lage-koeln-39

Doch wie können Sie eine gesundheitsschädliche Wirkung durch den Impfstoff, dessen Haltbarkeitsdatum überschritten ist, ausschließen, wo wir doch wissen, dass auch eine Impfung mit “frischem” Corona-Impfstoff in vielen Fällen gesundheitliche Schäden hervorruft? Außerdem kann niemand die gesundheitsschädliche Langzeit-Wirkung eines abgelaufenen Impfstoffs ausschließen, wo wir nicht einmal wissen, wie ein frisch aufgetauter Corona-Impfstoff langfristig wirkt.

Und diese Kölner “Panne” ist auch noch zu einer Zeit passiert, als längst klar war, dass die Omikron– Variante zwar ansteckender, aber deutlich harmloser ist. Ich persönlich bin zweifach geimpft, werde mich aber nicht boostern lassen. Liebend gerne würde ich Ihnen Ihre Reste abnehmen, aber nicht diese. Ich hab mir die Statistiken des RKI angeguckt und kann nur sagen, dass man insbesondere älteren Menschen von einer sogenannten “Auffrischimpfung” -und sei es auch mit frisch aufgetautem Impfstoff- dringend abraten müsste. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-02-03.pdf?__blob=publicationFil

(Dem Brief der Frau Keuner hinzugefügte Tabellen: Tabelle 3 bezieht sich auf alle Corona-Varianten, Tabelle 4 ausschließlich auf Omikron. Man kann nicht nur herauslesen, wie viel harmloser die Omikron-Variante ist, sondern auch, dass die Impfung kaum schützt. Für Omikron gilt: Menschen über 60 sterben, seit Omikron dominant ist, deutlich seltener an Corona, aber Ältere mit Auffrischimpfung sterben sogar häufiger als nur doppelt Geimpfte.)

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Sehr geehrter Herr Dr. Nießen,

leider werden uns nicht nur abgelaufene Impfdosen als “Auffrischung” verabreicht, sondern auch “abgelaufene”, veraltete Informationen als frische Nachrichten serviert. Auf Ärzteblatt.de wurde am 4.2.2022 ein Artikel veröffentlicht, der sich auf Daten vom 4.12.2021 bezieht. Dieser Artikel macht Werbung für die Booster-Impfung. Dass die Booster- Erfolgsstory uns erst zwei Monate später vorgesetzt wird, ist nicht nur wissenschaftlich inkorrekt, sondern irreführend. Denn die Zahlen stimmen längst nicht mehr. Mittlerweile, zwei Monate später, hat Omikron (Gott sei Dank!) alles auf den Kopf gestellt. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/131575/CDC-Geboosterte-sterben-97-Mal-seltener-an-COVID-19?rt=27a1e265edbe7b41181e070a386e17af

Im Zusammenhang mit dem Kölner Impf-Skandal habe ich mich an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 erinnert. Während die Menschen in der DDR zunächst nur aus den West-Medien von dem Unfall erfuhren, wurden wir im Westen beschwichtigt. Eine mögliche Gesundheitsgefahr wurde von den bundesdeutschen Verantwortlichen zunächst heruntergespielt. Ich zitiere: “Die sowjetischen Behörden vermelden den Unfall erst am 28. April, nachdem Schweden und Finnland stark erhöhte Strahlenwerte gemessen haben. Obwohl wenig über das Ausmaß des Unfalls bekannt wird, gibt sich die Bundesregierung gelassen: In einem Fernsehinterview mit der Tagesschau erklärt Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU), dass eine Gefährdung der deutschen Bevölkerung “absolut auszuschließen” sei. Es gebe keinen Anlass zu handeln. Eine Gefahr bestünde nur im Umkreis von 30 bis 50 Kilometern rund um den Reaktor.https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Tschernobyl-Katastrophe-Wie-Deutschland-reagiert-hat,tschernobyl230.html

Auch damals entstand ein “Entsorgungsproblem”: Wohin mit den verstrahlten Lebensmitteln? “In den Wochen nach dem Unglück gab es in der DDR plötzlich ein reichhaltiges Angebot an Gemüse; es war jenes, das den Ostblocklieferanten vom Westen nicht abgekauft wurde.[112] Da viele Bürger aufgrund der über westliche Radio- und Fernsehprogramme empfangenen Warnungen diese Angebote nicht einkauften, wurde dieses Obst kostenlos in Kindergärten und Schulen verteilt.” https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearkatastrophe_von_Tschernobyl

Mit “Rücksicht auf den sozialistischen Bruderstaat” wurden die gesundheitlichen Gefahren nicht nur heruntergespielt, sondern verleugnet. Die “großzügige” Beschenkung der Kinder mit vermutlich kontaminierten Lebensmitteln ist verwerflich, eine Propaganda-Maßnahme, die bei mir nur Entsetzen hervorruft. Wahrscheinlich war die Gabe sogar gut gemeint.

Gut gemeint ist sicherlich auch die Impfung von Kindern zwischen fünf und elf Jahren, die man derzeit trotz Omikron immer noch in der Lanxess-Arena anbietet.

Sie, Herr Dr. Nießen, haben ja schon im Dezember lautstark Werbung für die Kinderimpfung gemacht: “Der Start der Kölner Kinder-Impfaktion in der Lanxess Arena ist am Freitag reibungslos verlaufen. Bis einschließlich Dienstag werden dort rund 4000 Dosen des speziell für Kinder dosierten Impfstoffes von Biontech an Fünf- bis Elfjährige verimpft. Johannes Nießen, Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, betonte die Wichtigkeit der Aktion: „Die Kinder sind eine große Bevölkerungsgruppe, bei der die Inzidenz deutlich zu hoch ist. Deswegen ist es unheimlich wichtig, mit den Impfungen zu starten, um insgesamt einfach möglichst viele Menschen zu impfen.”https://www.ksta.de/koeln/lanxess-arena-so-verlief-der-start-der-koelner-kinder-impfaktion-39314860?cb=1645033932697&

Ihnen, Herr Dr. Nießen, dürfte doch bewusst sein, dass es nach wie vor keine allgemeine Empfehlung der STIKO für die Impfung von Kindern dieser Altersgruppe gibt! Kinder mit einem umstrittenen Impfstoff zu impfen, nur weil die Inzidenz unter Kindern “deutlich zu hoch ist” und “um insgesamt einfach möglichst viele Menschen zu impfen”, finde ich persönlich unverantwortlich.

Es ist noch Impfe da, es ist noch Impfe da, wer hat noch nicht, wer will noch mal…

Zum Schluss eine dringende Bitte:

Ich habe die Summe, die die Bundesregierung für die Corona-Impfstoffe bezahlt, auf die Impfung aller Kölnerinnen und Kölner (von 0 bis…) umgerechnet. Bei einer Million Einwohnern wären das 156 Millionen Euro, die wir alle bezahlen! Dagegen sind 1 Million Euro ein Witz. Als kleine Entschuldigung möge die Stadt Köln daher allen 2000 Menschen, denen abgelaufener Impfstoff verabreicht wurde, ein Schmerzensgeld von mindestens 500€ zahlen!

Mit herzlichen Grüßen,

Ihre Frau Keuner, Köln-Nippes

***

“Hömma, Lisa, deine Tochter hat DELTA, und du lädst mich nicht zur Viren-Party ein: Kniesbüggel!” – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. “Kann ich deine Tochter wohl mal sprechen?”

“Hä?” Ich war nur kurz vor der Tür, zwei Fahrräder aus dem Schuppen holen, hab die Haustür aufgelassen, da war die Frau Keuner auch schon da, als wenn sie drauf gewartet hätte. Die hat den Gehwagen die Stufe hochgebockt und is rein ins Haus. Jetzt sitzt die Frau Keuner am Tisch, und wenn die erst mal sitzt, dann sitzt die.

Ich räuspere mich: “Frau Keuner, das geht jetzt nicht, ich muss Sie leider bitten, das Haus zu verlassen.” Die Frau Keuner verschränkt die Arme.

“Meine Tochter ist vor zwölf Tagen positiv getestet worden”, sage ich und räuspere mich wieder. “Gestern stand das Gesundheitsamt hier noch einmal auf der Matte und hat den Abstrich für den abschließenden PCR-Test durchgeführt. Meine Tochter ist zwar wieder negativ, aber bis einschließlich 23.59 Uhr ist die in Quarantäne. Die darf noch nicht raus und die darf vor allem keinen Besuch haben. Die hat gehustet, geschnieft und geschwitzt. Sie wissen doch, wie hoch ansteckend die Delta-Variante ist. In den letzten Wochen habe ich mich kaum getraut, die Fenster zu öffnen, damit das Virus nicht entfleucht und halb Nippes verseucht. Es ist gut möglich, dass das Delta-Virus hier…”

“… Immer noch sein Unwesen treibt”, ergänzt die Frau Keuner und lacht. Sie schließt die Augen und holt tief Luft. “Bissken abgestanden, die Luft, aber lecker Aerosole. Wo du mir schon sonst nichts anbietest, will ich wenigstens echte Kölner Corona-Luft einatmen.” Die Frau Keuner legt den Kopf in den Nacken, atmet tief durch die Nase ein und tief durch den Mund aus.

“Frau Keuner, bitte verlassen Sie das Haus. Meine jüngere Tochter und ich stehen als ungeimpfte Kontaktpersonen einer Infizierten immer noch unter Corona-Verdacht. Und nur weil wir uns kooperativ verhalten, sieht das Gesundheitsamt von unangekündigten Hausbesuchen ab.”

“Und der angekündigte Besuch war lustig, wa?”, foppt mich die Frau Keuner. “Dat sind die neuen Vertreter, aber die kommen nicht mehr von Vorwerk, sondern vom Gesundheitsamt.”

“Es war gruselig”, antworte ich. “Da kam eine vermummte blonde junge Frau. Hellblauer Schutz-Anzug, hellblaue Maske, blaue Augen. Ich war so schlau, ganz langsam vor dem langen Stäbchen zurückzuweichen, aber meine Tochter dachte, dass es nicht weh tut, wenn sie nur den Kopf ruhig hält.”

“Ach wat”, sagt die Frau Keuner und grinst. “Wenn du nicht protestierst, dringen die umso tiefer in dich ein. Das geschulte, erfahrene Personal führt das lange, lange Teststäbchen mit ruhiger Hand durch die Nase tief und immer tiefer ein bis hinten an die Rachenwand, ja, mit ruhiger Hand platziert die medizinische Fachkraft das lange, lange Teststäbchen hinter dem Gaumenzäpfchen. Und? Hat das Personal dir Impfmuffel auch schön Angst gemacht? Hat man dir auch einen Pulsoximeter an den Finger geklemmt?”

“Ich, ich”, stammele ich. “Ich wusste gar nicht, dass es das gibt. Das…”

“Dat gibbet bei Saturn und überall”, lacht die Frau Keuner. “Der Pulsoximeter gehört heutzutage in jede Hausapotheke.”

“Das ging schneller, als ich reagieren konnte”, sage ich. “Ohne Vorankündigung und alles im Hauseingang. Und die Frau hat nur auf Nachfrage gesagt, dass sie meinen Pulsschlag und den Sauerstoffgehalt meines Blutes testet. Dabei stand ich gesund und munter auf beiden Beinen vor ihr. Ich meine, die ist vom Fach, die muss doch ein Gespür dafür haben, dass es mir gut geht. Und wollen Sie wissen, was die Person gesagt hat?”

“Was hat die denn gesagt?!… Jetzt sach schon!”

Ich lasse die Frau Keuner eine Weile zappeln und rede dann weiter: “Wortwörtlich hat die zu mir gesagt: Es kann sein, dass Sie in Kürze beatmet werden müssen. Sie wissen nichts davon, denn noch fühlen Sie sich wohl, aber Ihr Zustand kann sich binnen kürzester Zeit dramatisch verschlechtern. Sie hätten die Untersuchung auch ablehnen können, aber seien Sie froh, dass Sie kooperiert haben, denn Ihre Werte sind in Ordnung.”

 

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Ein leider unscharfes Selfie meiner physisch und psychisch verletzten jüngeren Tochter, die ebenso wie ich vermutlich gegen Delta immun ist: Am Morgen nach dem äußerst unangenehmen Abstrich für den PCR-Test war ihr rechtes Auge (der Stab wurde ins rechte Nasenloch eingeführt) gerötet. Außerdem verspürte  die “Kontaktperson” tagelang einen stechenden Schmerz im Hals.                                                              Abstriche für PCR-Tests sind immer unsanft und sollten in der Corona-Diagnostik nicht routinemäßig durchgeführt werden. Wie brutal sie sein können, musste eine meiner Schwippschwägerinnen erfahren. Bei ihr wurde ein Nerv getroffen. Nachdem sie sich vor ein paar Jahren die Nase gebrochen hat, sieht der Innenraum ihrer Nase anders aus als die Norm-Naseninnenräume auf den Abbildungen in den Fachbüchern. Das medizinische Personal müsste für den Fall, dass man solche Eingriffe überhaupt vornimmt, dringend angehalten werden, nach Vor-Verletzungen zu fragen!

Zum Vergleich hatte meine Tochter auch das andere Auge fotografiert:

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“Am Anfang dachte ich, es ist nur ein Gerücht”, sagt die Frau Keuner. “Aber dann stimmt es also, dass deine Tochter Corona hatte? Delta auch noch.” Ich nicke und setze mich zu ihr an den Tisch.

“Es ist schon vernünftig, dass du mir kein Käffken anbietest”, sagt die Frau Keuner. “Boah ey, Lisa, du hast Corona geküsst!”

“Hä?”

“Man hat dich beobachtet. Du hast am 21. Juli gegen 16h von irgendwoher ein Auto geholt und unerlaubterweise im Wendehammer geparkt. Dann hast du deine Tochter zu Hause abgeholt und zum Auto gebracht. Eng umschlungen. Bei welchem Arzt wart ihr denn, wart ihr auch in der Praxis Dr. Knoop? Stimmt es, dass die ein riesengroßes Wartezimmer mit einem riesigen, stets weit geöffneten Fenster haben und ein Extra-Stühlchen für die Personen, die unter Corona-Verdacht stehen? Und haben die euch eine halbe Stunde warten lassen, obwohl dat Mädchen Fieber hatte und gehustet und geschnieft hat?” Ich nicke.

“Hömma, Lisa, du hast deine Tochter auf offener Straße ohne alle Hemmungen abgeknutscht.”

“Weil sie mir so leid tat.”

“Angeblich hast du laut und deutlich Willkommen, Corona! gesagt”, lacht die Frau Keuner. “Und als am nächsten Tag klar war, dass die Delta hat, hast du wahrscheinlich einen Luftsprung gemacht. Und du hast alles dafür getan, dich bei ihr anzustecken. Du hast mit ihr in einem Bettchen geschlafen, du hast aus ihrem Becherlein getrunken und von ihrem Tellerchen gegessen.”

“Ja, ja, ja!”

“Ihr habt euch schön amüsiert. Und mir hast du nicht Bescheid gesagt, dass ihr eine Corona-Party feiert.”

“Eine Quarantäne ist alles andere als eine Party”, entgegne ich. “Das ist eine Freiheitsberaubung. Ja, ich wollte mich anstecken, weil ich keine Angst vor Corona habe und weiß, dass Corona mir nicht viel anhaben kann, obwohl ich knapp 63 bin. Hat offensichtlich nicht geklappt. Der Selbstversuch ist schiefgegangen. Und warum? Weil ich Corona längst gehabt haben muss. Aber ich hätte mich strafbar gemacht, wenn ich Sie eingeladen hätte. Frau Keuner, wir haben einen Termin. Ich kann nicht mehr, ich will raus!”

Die Frau Keuner lacht: “Lenk nicht ab. Ihr habt gefeiert. Letzte Woche standen hier zig Papiertüten vom REWE-Lieferdienst vor der Tür. Und jetzt machst du mitten in der Quarantäne ne kleine Radtour.”

“Nein”, wende ich ein. “Wir verhalten uns völlig korrekt. Meine kleine Tochter und ich fahren jetzt zum Test-Zentrum, um uns freitesten zu lassen. Ich kann nicht mehr. Ich will raus. Man hat uns eingesperrt, obwohl wir immun sind. Nur wenn wir weiterhin negativ sind, dürfen wir raus aus der Quarantäne. Sonst…”

“Sonst ist es wie beim Fußball”, lacht die Frau Keuner. “Dann geltet ihr zwar sechs Monate als genesen, aber die quälende Quarantäne geht noch ein paar Tage in die Verlängerung. Und beim Elfmeterschießen gibt es nur ein Tor. Deins.”

Die Frau Keuner richtet sich auf und bewegt sich langsam Richtung Haustür. “Und wat seh ich da? Satteltaschen für den Großeinkauf. Da wolltest du auf dem Weg zum Test-Zentrum an der Liebigstraße noch mal kurz beim ALDI vorbei.”

“Das sieht nur so aus”, sage ich schnell.

Die Frau Keuner lacht, wird aber wie so oft plötzlich sehr ernst. “Freu dich, dass dir Delta nichts anhaben kann. Und sei froh, dass du nicht geimpft bist, denn wenn du es wärest, hättest du zwar nicht in Quarantäne gemusst, aber man würde behaupten, dass dich nur die Impfung vor einer Ansteckung geschützt hat. Vermutlich hattest du die Alpha-Variante, die dich aber auch vor Delta schützt. Das ist allerhand für eine Olle wie dich. Solltest du dich jetzt noch impfen lassen, zerstörst du im Nachhinein die natürlich erworbene Immunität.”

Ich hebe den Arm zum Corona-Ellenbogen-Abschied. Die Frau Keuner berührt meinen Ellenbogen mit ihrem und fängt an zu heulen, und ich spüre, wie auch mir die Tränen kommen. Ich mache ihr die Tür auf, damit sie das nicht mitkriegt. Doch als sie draußen ist, bleibt sie stehen, dreht sich zu mir um, atmet tief durch und reibt sich mit dem Handrücken über die Augen.

“Noch nie hatte ein einzelnes NEIN eine solch große Bedeutung”, sagt die Frau Keuner. “Du musst jetzt stark bleiben. Wir werden niemals erfahren, wie viele Menschen bereits immun waren, als sie geimpft wurden. Wir Menschen verfügen über große Selbstheilungskräfte, aber die Impfung vertuscht die Wahrheit. Deshalb musste alles so schnell gehen, deshalb die Panikmache. Die Corona-Impfung ist der größte medizinische Skandal in der Menschheitsgeschichte.”

“Das kann man doch so nicht sagen”, sage ich.

“So kann man das auch nicht sagen”, sagt die Frau Keuner. “Skandal ist untertrieben. Die Corona-Massenimpfung ist eine Katastrophe. Und dabei dürften die meisten Schulkinder längst immun sein. Es ist verwerflich, die Kinder zu impfen.”

“Ich will das große G“, jammere ich. “Für mich und meine kleine Tochter.”

“Stark bleiben, NEIN sagen”, verabschiedet sich die Frau Keuner. “Im Namen des Lebens.”

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Meine Tochter gilt als “genesen”. Doch leider freut sich die Gesundheitspolitik nicht über eine selbsterworbene Immunität. Im Gegenteil: Nach sechs Monaten ist von Amts wegen Schluss mit “genesen”. Offiziell ist die Impfspritze schon gezückt. Impfjuristisch ist der “Genesenen”-Status der Erstimpfung gleichgestellt. 

“Für den Franz-Josef Strauß waren die politischen Kritiker weder ‘Wutbürger’ noch ‘Verschwörungstheoretiker’, sondern ‘Ratten und Schmeißfliegen’ ” – Weiter geht’s mit der Frau Keuner

“Tut das gut”, sagt die Frau Keuner, nachdem sie einen Schluck Kölsch getrunken hat. “Das nenne ich Freiheit. Mitten auf der Straße kühles Kölsch direkt aus der Pulle, unbeobachtet. Deshalb möchte ich nicht prominent sein. Da musst du dich immer kontrollieren, immer aufpassen, was du sagst, denn du wirst ständig beobachtet. Du lebst ja nicht nur vom, sondern im Fernsehen. Aber manchmal vergessen die Promis, dass wir sie beobachten. Ich denk da an den Jogi Löw. Wo der sich überall hingepackt hat.”

“In die Nase doch nur, oder?”

“Nicht nur”, sagt die Frau Keuner. “Hast du das damals nicht mitgekriegt? 80 Prozent von euch und ich … Die Pressekonferenz, wo der Poldi das gesagt hat, kannst du dir auf You Tube angucken.”

“Da hatte man noch was zu lachen”, sagt die Frau Keuner. “Jetzt tritt der Jogi ab. Der sieht ja neuerdings ziemlich alt aus. Als Fernseh-Figur kannst du nicht unbeobachtet altern. Die Fernsehzuschauer ertappen dich sozusagen dabei. Und die kriegen es alle mit, wenn du pummelig wirst. Je höher die Einschaltquote ist, desto mehr Leute sitzen vor dem Fernseher und sagen: Ist der Eckart von Hirschhausen aber moppelig geworden. Vor den Leuten kannst du auch nicht verstecken, dass du gesoffen hast. Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass die Margot Käßmann verpfiffen wurde, als die damals ein einziges Mal zu viel gesoffen hat. Ist allerdings auch bescheuert, sich als öffentliche Person alkoholisiert hinters Steuer zu setzen.”

“Ich glaub, die konnte einfach nicht mehr, die musste mal…”, sage ich. “Das war schlau.”

Wir sind vor dem Haus angekommen, wo die Frau Keuner wohnt. Es ist nicht so leicht zu erkennen, denn die Mehrfamilienhäuser sehen alle gleich aus und sind aneinander gebaut. Alle Häuser haben ein gemeinsames Dach, wie mir die Frau Keuner erklärt. Und deshalb hatten alle Häuser ein gemeinsames kaputtes Dach und eine gemeinsame Baustelle.

Die Frau Keuner geht noch nicht hoch. “Schön, mit dir zusammen draußen Bier zu trinken. Aus einer echten Glasflasche. Für zu Hause hol ich mir ja meistens das Weißbier von Aldi in der Plastikpulle. Das schütte ich mir dann in ein Glas um. Aber direkt aus der Pulle geht Plastik überhaupt nicht. Wie hieß noch die Karnevalsaktion der Stadt Köln, wo die Leute dazu erzogen werden sollten, das Bier nicht mehr aus Glasflaschen zu trinken, sondern aus stabilen Plastikbechern?”

Mehr Spaß ohne Glas”, sage ich. “Ich versteh das schon. Es liegen ja schon ohne Karneval überall Scherben rum.”

“Dann sollte man, anstatt uns alle damit zu bestrafen, Bier aus Plastikbechern zu trinken, lieber den Flaschenpfand auf fünfzig Cent erhöhen”, sagt die Frau Keuner. “Nicht nur zur Karnevalszeit. Könnte man ja mal ausprobieren. Für acht Cent bringt niemand die Bierflasche zurück. Prost.”

“Wie hat sich eigentlich das Leben auf der Baustelle angefühlt?”, frage ich.

“Dumme Frage”, sagt die Frau Keuner. “Wie wohl? Ich hatte monatelang das Gerüst direkt vor dem Fenster. Wie soll ich mich gefühlt haben? Bedroht! Du weißt ja nie, wer zu dir will, Einbrecher, die Polizei oder die aufsuchende Impfung. Es gibt so viele Leute, die ihren Mitmenschen einen Schreck einjagen wollen. Erinnerst du dich noch an die Horrorclowns, die vor ein paar Jahren unterwegs waren? Stell dir vor, ein als Krankenhausclown verkleideter Eckart von Hirschhausen und der Impfarzt Karl Lauterbach tun sich zusammen, die klettern über das Gerüst auf deinen Balkon und klopfen von außen an dein Fenster. Lustig, was?” Die Frau Keuner nimmt einen Schluck Bier. “Wenn du alleine lebst, ist so eine Baustelle alptraumhaft. Erst recht in Corona-Zeiten. Puff geschlossen, Stadion nur für geladene Gäste. Das macht die Männer noch aggressiver, als sie ohnehin sind. Eigentlich sollte das Gerüst vor Weihnachten abgebaut werden. Soll ich dir Fotos zeigen? Ich hab die Fotos an das Heimatministerium geschickt: Das ist sooo deutsch: Pfusch am Bau.”

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Hereinspaziert!

“Und warum haben Sie die Fotos an das Heimatministerium geschickt?”, will ich wissen.

“Weil die da auch für den Bau zuständig sind. Das Heimatministerium ist das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Ich finde, ein Bundesministerium für Bau und Heimat sollte darauf achten, dass so gebaut wird, dass sich die Menschen überall in Deutschland in ihren Wohnungen beheimatet fühlen. Aber die sind da leider mehr an PR als am Gemeinwohl interessiert. Das Heimatministerium gibt Broschüren heraus, die uns die unternehmerfreundliche Politik als bürgerfreundlich verkaufen. Stadtentwicklungsbericht 2020. In den Großstädten wird der soziale Wohnungsbau gefördert, damit die Leute nicht mehr gezwungen sind, von Köln nach Frechen zu ziehen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können.

“Das klingt doch gut”, sagte ich.

“Ja, das klingt gut”, sagte die Frau Keuner. “Aber dann bauen die die Wohnungen so billig, dass nach ein paar Jahren saniert werden muss. Prost.”

“Prost auch”, sage ich. “So fördert man das Handwerk.”

“Hömma, wie redest du?! Lisa, du musst keine Miete zahlen. Du bist fein raus. Das hier ist geplanter Verschleiß am Bau. Wenn ein Staubsauger nach ein paar Jahren kaputt geht, kannst du den wegschmeißen, weil sich die Reparatur nicht mehr lohnt, aber du kannst ein Wohnhaus nicht in die Tonne kloppen. Man darf doch beim Bau der Wohnhäuser nicht an den falschen Stellen sparen. Wobei die falschen Stellen für manche Leute genau die richtigen sind. Ich denke, mein Vermieter GAG hat sich die Sanierung teuer bezahlen lassen. Auf unsere Kosten, denn auf der öffentlich geförderten Baustelle leben wir. Ich habe gerade mal 15% weniger Miete gezahlt. Warum musste ich überhaupt noch Miete bezahlen? Warum hab ich kein Schmerzensgeld gekriegt?”

“Warum gucken Sie mich an?”, frage ich. “Ich bin keine Vermieterin.”

“Aber Eigentümerin”, sagt die Frau Keuner. “Ich weiß ja, dass eure schmucken Reihenhäuser kurz nach Ablauf der Gewährleistungsfrist sanierungsbedürftig waren und es immer noch sind. Hast du mir selber erzählt. Aber ihr könnt selber entscheiden, wann und ob ihr euch das Gerüst vor die Häuserreihe stellt. Und ihr könnt die Bruchbuden teuer verkloppen. Die autofreie Siedlung ist ja eine Top-Adresse für Leute mit Kleinkindern. Die kaufen die Häuser, obwohl sie wissen, dass die Bausubstanz schlecht ist. Der Bauträger hat ja damals keinen Unterschied gemacht zwischen Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern. Billiger, billiger, billiger.”

Die Frau Keuner verstummt, aber nur, weil sie trinkt. Sie setzt die Flasche ab, wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und redet dann weiter: “Jetzt wurde im Heimatministerium der Förderaufruf Post-Corona-Stadt gestartet. Es geht um die Finanzierung zukünftiger Bauprojekte. Woran erinnert dich das Vorhaben Post-Corona-Stadt? Was soll da mit unseren Geldern gefördert werden? Welche Nachkriegs-Vokabel fällt dir dazu ein?”

“Wiederaufbau?”

“Genau”, sagt die Frau Keuner. “Aber warum fühlt sich der Heimatminister nicht verantwortlich für die Stadt vor Corona, für den Zustand der Häuser, die schon vor Jahren und Jahrzehnten gebaut wurden? Warum lässt man zu, dass die Menschen gerade in den Großstädten völlig überhöhte Mieten zahlen müssen? Das Bundesverfassungsgericht hat gerade den Berliner Mietpreisdeckel gekippt. Sag mal, interessiert dich das nicht?”

“Ich muss jetzt gehen”, sage ich.

“Du wartest, bis wir hier fertig sind”, sagt die Frau Keuner, stellt die Bierflasche ab und kramt ihr Smartphone aus der Tasche. “Hömma, wir sind das Volk. Wer zahlt die Steuern, wer bezahlt Rundfunkgebühren, wer finanziert das Wohlleben der Politiker? Und was sagt unser Heimat- und Innenminister Horst Seehofer, der sich gerade als einziger Bundesminister nicht den Ladenhüter Astrazeneca, sondern die vermeintliche Nobel-Impfung Biontech hat verabreichen lassen? Der Mann ist so gönnerhaft. Was steht da auf der Web-Site? Moment…”

Die Frau Keuner setzt die Lesebrille auf und tippt auf dem Smartphone herum: “Er sagt… Hier: Wir greifen Menschen unter die Arme, bei denen der Lohn trotz Arbeit nicht für die Miete ausreicht. Hömma, ist dat dem sein Geld? Ich sage dir, ich will nicht, dass mir einer an den Arm greift, ich will nicht, dass mir einer unter die Arme greift, ich will überhaupt nicht, dass man sich an mir vergreift. Wem gehört das Geld, wem gehört die Welt? Die Prominenten leben in ihrer wohltemperierten Blase und haben Angst, dass die Blase, die immer dicker wird, platzt. Irgendwann wird sie das. Die Demokratie, das sind wir. Denn wer gestaltet das Leben in den Städten, in den Stadtteilen, auf den Straßen, auf den Plätzen? Wer macht Musik, wer hält ein Schwätzchen, wer sorgt öffentlich für gute Stimmung? Doch nicht die Politiker.”

“Bah”, mache ich. Ich habe den Fehler gemacht, mir die Flasche mit dem schon ollen Restschluck Bier an die Lippen zu setzen..

“Dat gönn ich dir”, sagt die Frau Keuner und lacht. “Kölsch wird schnell schal, das muss man schneller trinken, als man kann. Davon leben die Brauhäuser. Du traust dich wohl nicht, den Rest vor meinen Augen in den Gully zu kippen.”

“Ach was.”

“Ja ja”, grinst die Frau Keuner. Sie steckt das Smartphone zurück in die Tasche. “Was ich noch sagen wollte: Der unglaubwürdigste Politiker ist für mich Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Da sitze ich vor dem Fernseher und gucke mir seine Weihnachtsansprache an. Ich ahne nichts Böses, da sagt der Steinmeier diesen Satz: Wann kann ich meine Träume wieder leben? Das haben angeblich die Bürger den Steinmeier gefragt. Dass dieser Präsident sich nicht schämt. Zu Beginn der Rede wird die schöne, wunderbar intakte, gerüstlose Fassade von Schloss Bellevue gezeigt. Auf diese Fassade wurden in der Adventszeit, wie der Steinmeier sagt, gefühlvolle Sprüche projiziert. Für die Weihnachtsansprache wurde das noch einmal nachinszeniert. Wir Fernsehzuschauer gucken auf die Fassade und sehen leuchtende Satzfetzen, die auftauchen und wieder verschwinden. Tolle Installation. Nur ein einziger Satz ist komplett: Wann kann ich meine Träume wieder leben? Diese Anbiederung an die Menschen ist übelste politische Propaganda. Zum Glück gibt es das Internet, denn die Rede ist da konserviert. Ja, den Schmarren kann man sich auf You Tube noch einmal ganz genau angucken, und zwar kritisch und mit Abstand. Ich kann den Beginn der Rede auswendig. Also, hör gut zu…”

“Muss das sein?”

“Muss sein”, sagt die Frau Keuner. “Weil das so entlarvend ist. Also: Dieser tiefe Seufzer, liebe Landsleute, ist eine von tausenden persönlichen Botschaften, die mich aus allen Teilen unseres Landes erreicht haben. Viele der Zuschriften haben wir in der Adventszeit hier draußen auf der Fassade von Schloss Bellevue zum Leuchten gebracht – jede einzelne ein Zeichen der Sehnsucht am Ende eines Jahres, das wir uns alle ganz anders vorgestellt hatten.” Die Frau Keuner macht eine kurze Pause und fragt dann: “Was sagst du als Sprachwissenschaftlerin dazu?”

“Tut weh”, sage ich nur. “Sentimentales Gesülze.”

“Genau”, sagt die Frau Keuner. “Dass der Mann sich nicht schämt. Für diesen Schwulst, dieses Geseire. Als würden wir uns mit unseren Sorgen und Nöten an den Bundespräsidenten wenden, obwohl doch die Bundespolitik für diese neuen Nöte und Sorgen verantwortlich ist.”

“Ob man das so sagen kann?”, unterbreche ich die Frau Keuner.

“Kann man”, sagt die Frau Keuner. “Und guck dir die Formulierungen an: Dieser tiefe Seufzer…, eine von tausenden persönlichen Botschaften…, jede einzelne ein Zeichen der Sehnsucht… Viele Menschen empfinden so, aber viele empfinden ganz anders. Sie sind wütend, sie sind so wütend wie noch nie, und wer das ganz genau weiß, ist Frank Walter Steinmeier. Der schreibt ja seine Reden nicht selber, die schreiben psychologisch geschulte Werbetexterinnen und Werbetexter, die uns Bürgerinnen und Bürger beschwichtigen und besänftigen sollen. Denn der Steinmeier hat auch andere Briefe gekriegt, sachliche, kritische Briefe mit klugen, nachdenklichen Sätzen, aber die kritischen Sätze passten nicht auf die Fassade, deshalb verschweigt man sie. Ich hatte den Steinmeier hierhin eingeladen, damit der sich mal die Baustelle anguckt. Damit er sieht, dass es auch andere, weniger schöne Fassaden gibt. Frank-Walter Steinmeier ist nicht gekommen, und ich hab auch keine Antwort gekriegt. Aber dann…” Die Frau Keuner hört auf zu reden und atmet schwer.

“Aber dann…? Bitte, Frau Keuner, reden Sie weiter.”

“Aber dann kam ein Mann vorbei, der hat das Gerüst fotografiert. Weißt du, was der gesagt hat? Ich beneide Sie darum, hier zu leben. Das ist Kunst, Verpackungskunst. Wo jetzt die Theater geschlossen sind, können Sie froh sein, Teil eines Kunstwerks zu sein. Sind die denn alle bekloppt?”

Die Frau Keuner kippt den Rest Kölsch in den Gully. “Erinnerst du dich an den Löwenthal? Das waren noch Zeiten, als die Moderatoren noch offen reaktionär waren, damals, als im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von links noch Gegenwind kam.” Sie fängt an zu singen: “Die Milch wird sauer, das Bier wird schal, im Fernsehen spricht der Löwenthal…”

“Ich sehne mich nach Politikern wie Franz Josef Strauß”, sagt die Frau Keuner. “Der Strauß hat seine Aggressionen nicht versteckt. Der war furchtbar, aber der hat nicht auf Gutmensch gemacht. Der Mann hat sich nicht bei uns eingeschleimt. Für den Franz-Josef Strauß waren die kritischen Menschen weder Wutbürger noch Verschwörungstheoretiker, sondern Ratten und Schmeißfliegen.”

“Der Strauß war doch ein Polterer”, sage ich.

“Aber immerhin kein Bürokrat”, sagt die Frau Keuner. “In den letzten Jahren haben wir uns zu sicher gefühlt und nicht aufgepasst. Wir haben uns eingebildet, dass nur die AFD unsere Demokratie gefährdet. Aber die CDU…”

“Das geht mir zu weit, Frau Keuner, die CDU gefährdet doch nicht unsere Demokratie.”

“Hab ich das etwa behauptet?” Die Frau Keuner drückt mir die leere Bierflasche in die Hand.

“Pfusch am Körperbau” – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

„Tach“, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. Wir laufen uns am frühen Sonntagabend im Siedlungsladen über den Weg. Mir fehlt zum Kochen die Sahne, also bin ich schnell dahin. Der Dorfladen der autofreien Siedlung ist nicht ganz billig, aber gut sortiert und auch sonntags geöffnet. Die Frau Keuner hat ein paar Flaschen Früh gekauft und im Rollator verstaut. Sie trägt eine rosa OP-Maske, obwohl…

„Tach auch“, sach ich. “Aber haben Sie nicht ein Masken-Attest?”

“Ich muss mich schützen”, sagt die Frau Keuner.

“Vor Corona?”

“Ach wat. ” Die Frau Keuner grinst. “Ich muss mich vor den blöden Sprüchen schützen. FFP2 geht gar nicht, da kommt keine Luft durch, aber die sogenannte OP-Maske kann ich für ein paar Minuten anhaben, ohne dass ich Atemnot krieg. Ich hab keinen Bock, permanent angepflaumt zu werden, weil ich keine Maske anhab. Hier im Dorfladen sind die Leute ja nett und entspannt, kein Kassenband, kein Stress, die Kunden verteilen sich, freundliche Mitarbeiter und immer Zeit für ein Schwätzchen. Aber in den Supermärkten sind die Leute ja dermaßen giftig geworden. Die gehen aufeinander los, anstatt sich mal endlich zusammenzuraufen. Kennst du noch die Hundehasserin?”

“Meinen Sie die fiese ältere Frau, die immer das Ordnungsamt alarmiert hat, wenn man mit dem Hund die Wiese betreten hat?”

Die Frau Keuner nickt: “Genau die.”

“Ich dachte, die ist tot. Seit Corona hab ich die nicht mehr gesehen.”

“Die ist nicht tot, die ist nur woanders unterwegs”, sagt die Frau Keuner. “Im REWE. Die geht jetzt nicht mehr auf die Hundebesitzer los. Die ist jetzt keine Hundehasserin mehr, sondern das, was sie eigentlich immer schon war: Eine Menschenhasserin. Die geht nicht mehr draußen spazieren. Die spaziert jetzt durch den REWE, die Gänge rauf und runter, die schiebt einen Einkaufswagen vor sich her und wartet darauf, dass einer kommt, der eine falsche Maske trägt oder eine verrutschte oder gar keine. Dann geht die mit dem Einkaufswagen auf den Menschen zu und versperrt ihm den Weg….” Die Frau Keuner hört auf zu reden, zieht kurz die Maske runter und reibt sich die Nase.

“Hat die auch Ihnen den Weg versperrt?”, frage ich leise.

“Ja”, sagt die Frau Keuner. “Die hat ihren Einkaufswagen gegen meinen Rollator gedrückt. Ich wäre fast umgefallen. Das war vor ein paar Wochen, als es im REWE an der Nohlstraße noch die Einkaufswagen-Pflicht gab. Keinen Einkaufswagen?, hat die Menschenhasserin gefragt. Nein, hab ich gesagt. Ich bin auf die Gehhilfe angewiesen und von daher von der Einkaufswagen-Pflicht befreit. Dass ich von einer Pflicht befreit bin, während sie zur Pflichterfüllung verpflichtet ist, hat der Frau gar nicht gefallen.”

Die Frau Keuner macht eine kurze Atempause und redet dann weiter: “Ich hab der Frau gesagt, dass ich auch von der Maskenpflicht befreit bin, weil ich Asthmatikerin bin und ein Attest hab. Na und, hat die mich angegiftet, dann soll man nicht einkaufen gehen, sondern sich die Ware liefern lassen, denn ohne Maske gefährden Sie uns alle, ob mit oder ohne Attest. Und in Ihrem Alter und in Ihrem desolaten gesundheitlichen Zustand sollten Sie ohnehin nicht einkaufen gehen: Oder… Ich sag dir, die ist richtig fies geworden: Oder haben Sie sonst nichts?”

Die Frau Keuner holt ein Tüchlein aus der Tasche und tupft sich ein paar Tränen ab. “Ich will an der vorbei, aber die lässt mich nicht. Dann wird die richtig fies, die lächelt, beugt sich zu mir, nimmt kurz die Maske ab, haucht mir ihre Aerosole ins Gesicht und sagt mir leise ein Wort ins Ohr: Träumerin. Dann hat die noch was gesagt, diesmal laut: Sie sind die asozialste Person, die mir jemals begegnet ist. Sofort sind ein paar Kunden gekommen, die das gehört haben, und haben sich hinter sie gestellt: Jawoll! Mir sind blöderweise die Tränen gekommen. Zwei junge Frauen haben zu mir gehalten. Das hat gut getan. Mir ist nichts passiert, ich hab ja mein Attest. Aber ich kann nicht mehr. Ich zieh jetzt immer die Maske auf. Auch hier.”

“Ich bin oft im REWE in der Nohlstraße”, sage ich. “Weil der der nächste ist. Aber ich habe die Frau da noch nie gesehen.”

“Die wechselt die Filiale”, sagt die Frau Keuner. “REWE zieht ja überhaupt die Kontrolleure an. Im REWE an der Neusser Straße gibt es doch vorne im Eingangsbereich einen kunstledergepolsterten Stuhl. Auf diesem ollen Stuhl sitzt jetzt manchmal ein Rentner, der aufpasst, dass die Leute nur den Laden betreten, wenn die Corona-Einlass-Ampel auf grün steht. Der Mann geht ja noch. Der ist vielleicht obrigkeitshörig, aber noch lange kein Menschenhasser. Auch wenn nichts los ist und die Ampel rot zeigt, obwohl das nicht stimmen kann, bleib ich stehen, damit der seinen Spaß hat. Der Mann ist glücklich, denn er hat eine Aufgabe. Früher war er Schülerlotse, hat er mir erzählt. Es ist bescheuert, aber ich freu mich für den.” Die Frau Keuner muss husten. Wir gehen vor die Tür. Das Husten wird direkt weniger, als die Frau Keuner die Maske abnimmt. Sie seufzt so tief, wie ich nur selten jemanden hab seufzen hören.

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Schöne neue Welt: Plakat zu “Dürfen die das”, einer Kampagne der Stadt Köln, die am 19.1.2021 gestartet wurde. In einer Presseerklärung der Stadt Köln heißt es: “Der kommunale Ordnungsdienst hat laut Gesetzgeber (Polizeigesetz NRW in Verbindung mit dem Ordnungsbehördengesetz NRW) nahezu identische Befugnisse wie die Polizei. Vielen Menschen ist dies nicht bewusst, einige wenige wissen es – und sind dennoch nicht kooperativ bei Kontrollen.https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/22877/index.html Vor Corona ist man hier, an der Neusser Straße in Nippes, den Ordnungskräften nur dann begegnet, wenn sie parkende Autos kontrollierten (“Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten”). Seitdem jedoch die Corona-Maßnahmen durchgeführt werden, ist das Ordnungsamt allgegenwärtig. Das färbt leider auch auf “kooperative” Spießbürger ab, die sich mächtiger denn je fühlen und einen fiesen Spaß daran haben, ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger im Namen von Ordnung und Sicherheit zu maßregeln, zu drangsalieren und zu denunzieren.

“Das tut so weh”, sagt die Frau Keuner.

“Haben Sie Schmerzen?”, frage ich vorsichtig.

“Auch”, sagt die Frau Keuner. “Seit der Hüft-OP. Das war Pfusch am Körperbau. Ich weiß nicht, ob der Norbert Blüm nach seiner Hüft-OP auch ein verkürztes Bein hatte, aber der hatte wie ich eine schwere Infektion und als Folge davon eine Blutvergiftung. Aber anders als der Blüm lebe ich noch. Das ist das Schöne an diesen Infektionen. Multiresistente Keime machen keinen Unterschied zwischen den Privatversicherten und den Kassenpatienten. Übrigens würde ich gerne wissen, wie viele der Corona-Patienten sich auf den Intensivstationen mit Krankenhauskeimen infizieren. Das Intubieren soll ja eine Hauptursache sein.”

Wir gehen langsam die Rampe hoch. Der Laden liegt unter dem Straßenniveau, deshalb muss die Frau Keuner den Rollator eine Betonrampe hochschieben. “Du kannst mich ruhig nach Hause begleiten”, sagt sie. “Aber bitte nur bis zur Tür. Mir fehlt alle Energie zum Aufräumen. Seit Corona ist meine Behausung nur noch ein Dach überm Kopp.”

Die Frau Keuner bleibt immer wieder stehen. “Ohne eine Flasche Bier am Abend oder auch drei oder vier würde ich die Schmerzen nicht aushalten. Sei froh, dass deine Gelenke noch taugen. Aber du konntest dich ja immer schonen. Da sitzt du auf dem Sofa und schreibst Geschichten. Und alle halbe Stunde zapfst du dir dein frisches Käffken aus der Siebträgermaschine. Hätte ich auch gerne. Hömma, dir geht es zu gut.”

“Das Gerüst ist ab”, sage ich. “Immerhin.”

“Lenk nicht ab, geh mal lieber zurück in den Laden und hol uns beiden ein kühles Kölsch für unterwegs, aber lass dir die Flasche aufmachen…”

 

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21.2.2021: Kinder nutzen das schöne Vorfrühlingswetter, breiten Decken aus und bauen Flohmarkt-Stände auf – wie früher, d.h. vor Corona.                                                                                     Im Hintergrund ist ein eingerüstetes Gebäude zu sehen. Wir schauen auf die Vorderfront eines Gebäudekomplexes  mit zahlreichen, zum Teil öffentlich geförderten Mietwohnungen, mit Villa Stellwerk, dem einzigen Mehrgenerationenhaus innerhalb der autofreien Siedlung, mit Wohnungen für Menschen mit “Betreuungsbedarf”, mit einer Physiotherapie- Praxis sowie einer Praxis, die sich drei Hebammen, zwei Heilpraktikerinnen und eine Jugendpsychotherapeutin teilen – sowie dem einzigen Lebensmittelgeschäft auf dem Stellwerk 60-Gelände. Vermieter: GAG Immobilien AG                                                                                                                                           Ausgerechnet dieser wohl facettenreichste Gebäudekomplex innerhalb der Siedlung wurde in den Monaten zwischen Juli 2020 und März 2021 zu einer Art “Mahnmal” für “Pfusch am Bau”.  Das marode Dach musste nach nur 12 Jahren komplett saniert werden. Erste Schäden ( Schimmel, Feuchtigkeit) hatten sich allerdings schon kurz nach Fertigstellung gezeigt.  Dabei hatte Bauträger und Projektentwickler Kontrola im Jahr 2007 gleich zwei Auszeichnungen entgegen genommen. Stellwerk 60 war nicht nur “Ort im Land der Ideen”,  sondern wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der “Qualitätsoffensive für Familien in Städten und Gemeinden” ausgezeichnet.  Nachfolge-Bauträger BPD wirbt heute noch mit dem Projekt. Aalglatt: “Auf dem gesamten Areal ist weder das Fahren noch das Parken von Autos zugelassen. Mehrfach ausgezeichnet steht Stellwerk 60 für einen modernen und zeitgemäßen Wohn- und Lebensstil in mitten eines der lebendigsten und beliebtesten Viertel Kölns.” Es dürfte nicht zuletzt der Referenz auf die autofreie Siedlung zu verdanken sein, dass BPD derzeit in Köln-Lind eine “Klimaschutzsiedlung” baut.      Dem Pfusch am Bau zum Trotz ist Stellwerk 60 nach wie vor ein großartiges Projekt, das die Stadt Köln endlich unter (Denkmal)- Schutz stellen sollte. Immer noch aktuell (wenn nur die Coronoia nicht wäre): https://stellwerk60.com/2016/06/19/land-der-ideen/

“Ist schon seltsam, aber irgendwann habe ich gelernt, die Zwangsmaßnahmen zu lieben…” – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. “Tach auch”, sach ich.

Die Frau Keuner steht mit einem Mal neben mir an der Gesichtsmasken-Wühltheke auf dem Nippeser Wochenmarkt. Ich bin da gelandet, weil ich wie so oft meinen Mund-Nasen-Schutz zu Hause vergessen hab. Der Verkäufer hat mir eine hellblau-weiße Einweg-Maske geschenkt, damit ich mir in Ruhe eine wiederverwendbare aussuchen kann.

Die Frau Keuner hat ihren Gehwagen zwischen uns gestellt. “Damit du mir nicht zu nahe kommst. Ich hatte beim Wühlen schon öfter mal einen verseuchten Ellbogen in der Fresse, da brauch ich deinen nicht auch noch. Du willst dir also eine neue Stoff-Maske kaufen, weil du mit der Slipeinlage im Gesicht nicht rumlaufen willst. Was guckst du so, die Wegwerf-Masken sehen doch wirklich so aus, findest du nicht? Schlag du ruhig zu, ich grabbel nur bissken. Ich hab meine Maske zwar auch nicht mit, aber ich hab mir auf die Schnelle ein Einwegteil von der Straße gefischt. Da hat jemand eine Großpackung ausgekippt. Wie neu, das geht, regnet ja nicht.”

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Nippes, Thüringer Straße, Ende November 2020. Mittlerweile findet man weniger Zigarettenschachteln und Kippen auf der Straße als weggeworfene Einwegmasken. Hier sind Einwegmasken direkt auf oder neben dem Gully-Deckel gelandet. Ab damit in die Kanalisation. Höchst riskant, denn längst trägt der Masken-Abfall zur Vermüllung der Strände und Meere bei.

“Wir haben uns an die Maske gewöhnt”, sagt die Frau Keuner. “Ist ja mittlerweile ganz normal. Was hab ich am Anfang geschrien. Und jetzt? Wenn man mir ohne überzeugenden Grund einen Arm amputieren würde, würde ich auch schreien, aber nach einer Weile würde ich nur noch leise wimmern. Keiner würde es hören. Und irgendwann würde ich mich dafür bedanken, dass man mir den anderen Arm drangelassen hat. So fühlt sich in Corona-Zeiten Glück an.” Die Frau Keuner wirft mir eine bunte, keimfrei verpackte Maske rüber. “Ich würde die da nehmen, du stehst doch auf Paisley, oder? Eines kann ich dir versichern, ich…”

Die Frau Keuner gähnt und redet dann weiter: “Ich sage nie mehr, wie entwürdigend die Maske ist, ich sage nie mehr, dass der Maskenzwang uns demütigt, ich sage nie mehr, dass ich mit dem Stück Stoff ein “Jawoll, zu Befehl, Herr Spahn!” im Gesicht trage, auch wenn es so ist. Nie mehr sage ich, dass es brutal ist, sechsjährige, vor Energie und Lebenslust sprühende Kinder zu nötigen, ihre Wünsche zu drosseln und eine Maske zu tragen, obwohl das Virus ihnen nicht viel anhaben kann. Ich sage nie mehr, dass die Zwangsmaßnahmen eine Attacke sind auf die Lebensfreude, die Hoffnung, die Liebe. Denn ich…” Die Frau Keuner schluckt. “Ich muss dir was sagen, ich…” Sie holt ein Tüchlein aus der Jackentasche, nimmt die Gesichtsmaske ab und schnäuzt sich die Nase.

“Frau Keuner”, frage ich leise. “Was ist denn? Sie sind doch nicht krank?”

Die Frau Keuner guckt mich lächelnd an: “Ist schon seltsam, aber irgendwann habe ich gelernt, die Zwangsmaßnahmen zu lieben…”

“Nein!!! Das ist doch nicht Ihr Ernst?!”

“Wie laut man doch trotz Maske immer noch schreien kann”, sagt die Frau Keuner, lacht und zeigt auf eine Pyramide aus Schachteln mit Einwegmasken. “Rosa! Dat war sowat von überfällig. Immer und überall gab es ja nur hellblaue. Rosa, is dat nich süß? Rooosa. Ich hab der Angela Merkel 20 Stück zugeschickt, aber die sind wohl nie in Berlin angekommen. Vielleicht trägt die Merkel die rosa Masken privat, aber im Fernsehen sehe ich die immer nur mit dieser Werbemaske für die EU. Deutschland hat ja zur Zeit den EU-Ratsvorsitz inne und die Macht, deutsche Interessen durchzudrücken. Kennst du das deutsche Motto?”

“Nein”, sage ich leise. “Frau Keuner, können Sie bitte etwas langsamer reden.”

„Tut mir leid”, sagt die Frau Keuner, “aber ich hab wohl deine Auffassungsgabe überschätzt. Also… Das Motto für den deutschen Ratsvorsitz lautet: Gemeinsam. Europa wieder stark machen. Wieso wieder? Hömma, Europa wieder stark machen heißt übersetzt: Make Europe great again. Diese Abschreiber haben ausgerechnet den Trump beklaut! Die Werbetexter haben den Trump ja damals dermaßen beneidet für die verbale Kraftmeierei: Make America great again.

Europa wieder stark machen. Dabei sind sie gerade im Begriff, Europa genau da zu schwächen, wo Europa stark war: Die offenen Grenzen, der internationale Bildungsaustausch. Die Erasmus-Studenten haben zwar noch ihr Stipendium, aber die sitzen ihren Auslandsaufenthalt in Durham, Nantes oder sonst wo vor dem Rechner ab. Um Geld zu bekommen, müssen sie in der Universitätsstadt vor Ort sein, aber wozu? Fast alle Seminare sind online. Da ist nicht mehr viel mit Austausch. Apropos absitzen: Auf der Maske von der Merkel ist das EU-Logo mit der Möbius-Schleife. Eine Möbius-Schleife ist eine ohne Anfang und ohne Ende, und ohne Anfang und ohne Ende ist die Möbius-Schleife eine Endlosschleife, eine Warteschleife, und in so was sitzen wir alle drin.” Die Frau Keuner löst die Bremse des Gehwagens. “Ich muss mich bewegen. Kommste mit? Im Reformhaus gibt es jetzt wieder dieses leckere frische Sauerkraut. Wär das nicht auch was für dich?”

“Heute nicht”, sage ich. Ich kaufe die Paisley-Maske, klemme mir die Schlaufen hinter die Ohren und ziehe das Teil über die Nase, weil gerade eben zwei Männer vom Ordnungsamt über den Markt patrouillieren. Ich begleite die Frau Keuner ein Stück. Langsam gehen wir die Viersener Straße Richtung Neusser. “Die Männer von der Straßenreinigung tun ihr Bestes”, sagt die Frau Keuner. “Die gehen ständig mit ihren Zangen durch die Straßen und picken Masken auf, aber das reicht nicht.” Die Keuner zieht Plastikhandschuhe über. Ab und an bleibt sie stehen, bückt sich ächzend, pickt eine weggeschmissene Maske vom Bürgersteig und tut sie seufzend in eine kleine Plastiktüte.

Als wir an der Neusser Straße ankommen, drückt mir die Frau Keuner die Tüte in die Hand: “Für deinen Restmüll. Bei euch ist doch neuerdings mehr Platz in der Tonne. Lass dich angucken. Wusste gar nicht, dass du Röcke trägst. Hing dein Röckchen nicht letzte Woche noch bei Humana?” Die Keuner grinst und summt eine Melodie, die mir bekannt vorkommt. Nicht singen, denke ich, bitte nicht, aber schon ist es passiert: “Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt’ …”

“Pst”, mache ich. Die Frau Keuner hört auf zu singen und mustert mich: “Jetzt bist du über sechzig, deine Beine sind nicht mehr so schön wie früher, aber mit einer blickdichten Strumpfhose lassen sich die Besenreiser kaschieren. Ich sage dir was, du kannst Second-Hand-Klamotten anziehen, und es kommt immer noch elegant rüber, aber die Angela Merkel…”

“Was ist mit der?”

“Na ja, die Angela Merkel kauft Designer-Kleidung, aber die Designer-Kleidung sieht an der Merkel aus wie von der Stange oder aus dem Neckermann-Katalog der 60er Jahre. Das liegt nicht nur an der Figur, sondern auch daran, dass die Angela Merkel in der DDR aufgewachsen ist. Und in der DDR gingen die Kataloge von Quelle und Neckermann rum. Bestellen konnten die Ostdeutschen nicht, aber die Männer verguckten sich in die angebotenen Sportgewehre und die Frauen in die Klamotten. Bastelanleitungen für die Gewehre gab es nicht, aber Schnittmuster für die Kleider. Die wurden dann nachgenäht. Kaufen konnte man sie nicht, die wurden zwar vor allem in der DDR produziert, aber gegen Devisen an den Westen verkloppt. Doch Neckermann bleibt im Kopp, auch und gerade bei der Angela Merkel.”

Die Keuner macht endlich wieder eine Redepause, aber nur deshalb, weil sie eine Maske aufpicken muss. Ich halte das Tütchen auf.

“Aber diese kragenlosen Jacketts”, fängt die Keuner wieder an zu reden. “Die Blazer, die überm Hintern spannen, das geht eigentlich nicht. Die Corona-Zeit ist doch eigentlich eine Zeit ohne die Festessen, wo sich die Politiker auf unsere Kosten dick und doof fressen. Ich weiß nicht, warum die Merkel nicht dünner wird. Irgendwas stimmt da nicht. Vielleicht findet hinter den Kulissen das große Fressen immer noch statt. Stop, Maske!”

Die Keuner bückt sich, ist aber schnell wieder oben. “Weißt du, woran die Jacken von der Merkel mich erinnern? An ein chinesisches Einheits-Kleidungsstück, das in den 70er Jahren, als made in China noch nicht billig klang, in links-alternativen Kreisen angesagt war. Weißt du, was ich meine? Stichwort Unisex. Wir sind von Duisburg nach Düsseldorf gefahren, weil es da in der Altstadt einen Laden gab, wo die Jacken zu kaufen waren.”

“Meinen Sie die Maojacke?”, frage ich vorsichtig. Die Keuner grinst und nickt: “Die Merkel trägt Mao.”

“Ich muss jetzt”, sage ich. “Mir raucht der Kopf.”

“Zu viel Input, wa?”, sagt die Frau Keuner und lacht. “Dann trennen wir uns jetzt. Aber ich hab was mit dir vor, denn ich wollte immer schon mal mit dir… Wusstest du schon, dass wir… Dass wir beide für morgen nachmittag 16 h verabredet sind?”

Ich schlucke: “Was haben Sie mit mir vor?”

“Corona-Sause im REWE”, sagt die Frau Keuner.

P1000709Diese Masken, darunter eine Kindermaske, habe ich auf der Straße gefunden, einige aus Pfützen gefischt. Es sind Handarbeiten. Ich habe sie bei 60° Grad gewaschen, also nicht einmal so heiß, wie es zur Abtötung von Viren empfohlen wird. Dennoch leiert schon bei 60° die Gummi-Litze aus, was zur Folge hat, dass die Maske von der Nase rutscht. Wäre das Virus wirklich so gefährlich, wie uns weisgemacht wir, wäre die (offizielle!) Empfehlung solcher Stoffläppchen grob fahrlässig.

Eine Begegnung mit der Frau Keuner: “Die Politik finanziert Werbepsychologen, um uns Bürger bei Laune zu halten”

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Freu Keuner.

Gerade versuche ich, möglicht geräuscharm ein paar leere Weinflaschen zu entsorgen, da taucht auf der gegenüberliegenden Seite des Glascontainers das verdötschte Gesicht von der Frau Keuner auf. Nicht gut, wenn man verkatert ist. Schon gar nicht, wenn man auf dem Wochenmarkt ist und vorhat, am Tag vor Himmelfahrt schnell noch Spargel einzukaufen – unbeobachtet.

“Tschuldigung”, sage ich. “Ich bin total verkatert, aber nicht vom Alkohol. Gestern bin ich seit Monaten mal wieder Auto gefahren, weil ich in Hannover was abholen musste. Autobahn ist ja nur dann erträglich, wenn man Radio hören kann. Vor allem abends und in der Nacht. Ich mach also das Radio an, drück auf meinen Lieblingssender WDR5, aber das hört sich irgendwie falsch an. Da gab’s nicht die Wiederholungen vom Vortag. Ganz anderer Sound. Ich drück auf Deutschlandfunk, das gleiche Programm. Die anderen Knöpfe, überall. Ich dachte, das Radio ist kaputt, aber das war es nicht.  Für eine Stunde geht so was noch, aber da wurden über Stunden immer dieselben Nachrichten gesendet. Es ging nur um Corona. Keine Werbung, keine Musik, nur Corona. Furchtbar. Du hörst Radio und wirst in eine Art Wiederholungsschleife reingezogen, in der wir sowieso alle sind. Und das auf der Autobahn. Wie ein Sprung in der Schallpatte, die du eh schon gar nicht mehr anhören willst.”

Die Keuner grinst: “So schnell geht dat. Der Spaß nennt sich ARD-Infonacht. Die Sender sind jetzt abends gleichgeschaltet. Aber lenk bitte nicht ab, Lisa. Du gehörst also auch zu den Leuten, die bei Corona noch mehr saufen als sonst. Mit Wein und Schnaps werden jetzt gute Geschäfte gemacht. Aber ich sach dir, erst recht mit Zigaretten. Da erzählt irgendein Experte den Leuten, wie gefährlich das Rauchen für den Verlauf einer Corona-Infektion ist, schon sind die Leute so frustriert, dass sie noch mehr rauchen. Wäre der Jens Spahn ein Menschenfreund, würde er jetzt endlich dafür sorgen, dass man den Tabak in kleinen Mengen verkauft. Und dass man den Ekelaufdruck abschafft, der den Leuten eh schon Angst macht. Ich sach dir, die Corona-Panik hat den Tabakverkauf so wat von angekurbelt.”

Seltsame Situation. Wir stehen immer noch am Rand vom Markt, der Container ist zwischen uns und sichert einen gewissen Sicherheitsabstand, was ja nicht unbedingt schlecht ist. Die Frau Keuner redet weiter: “Ein Weinladen ist nämlich systemrelevant. Hömma, als ich vor ein paar Wochen im Kleefisch war, da hieß es noch, dass der französische Wein nicht geliefert werden kann, weil die LKW-Fahrer nicht mehr da sind. Die osteuropäischen Arbeitskräfte sind ja die einzigen, die den Knochenjob noch machen, aber die wollen in der Krise natürlich auch nach Hause. Ich denke mal, die haben die Leute dann ganz schnell zurückgepfiffen. Und woher hast du deinen Wein?”

“Was soll ich denn machen?”, jammere ich.

“Und ich wette, du willst gerade Spargel einkaufen. Was glaubst du, wer den gestochen hat? Hömma, du bist sowat von blauäugig. Und weißt du, was ich unerträglich und undemokratisch finde?”

“Nein?”

“Ich sag es dir”, sagt die Frau Keuner. “Die Politik finanziert Werbepsychologen, um uns Bürger bei Laune zu halten.”

“Wie bitte!?”

Die Keuner nickt. “Du kennst doch die Litfaßsäule an der Kempener Straße, die eine, die sich dreht, vor Fußgängern, Radfahrern, vor Autofahrern. Da klebt seit ein paar Wochen hinter Glas eine ausgeklügelte, wind- und wettergeschützte Werbung von der Bild-Zeitung für die Bild-Zeitung, aber gleichzeitig ist das Werbung für den Corona-Kurs der Bundesregierung. Da wird die gleiche Sprache gesprochen wie in den Ansprachen vonner Angela Merkel. Moderne Politiker lassen sich von Werbepsychologen beraten. Und wer bezahlt den Quatsch? Wir.”

“Das ist eine Verschwörungstheorie”, sage ich und muss mich räuspern.

Man kennt sich, man hilft sich”, sagt die Frau Keuner. “Das hat der Konrad Adenauer ja so schön mehrdeutig gesagt. Der war wenigstens ehrlich. Du zitierst den Spruch doch  selber so gerne. Trinkpause!”

Die Frau Keuner greift sich die Flasche Mineralwasser aus dem Körbchen und trinkt einen Schluck. Sie setzt die Flasche ab: “Dass ich dir nichts anbiete, liegt nicht an Corona. Aber ich will nicht, dass du an meiner Pulle löllerst. Aber du erinnerst dich vielleicht. Da war doch direkt neben Krankenschwester Manuela das Plakat von Doc Morris, und an der Stelle, wo die Werbung für das E-Rezept war, klebt jetzt der LKW-Fahrer Reinhold. Der Reinhold ist ein treudeutscher LKW-Fahrer. Der guckt nicht zu uns wie die Manuela, sondern in die Ferne. Der Reinhold ist nicht frisch rasiert, wirkt aber frisch gewaschen. Der hat hellwache Augen, Verantwortungsgefühl, der knackt nicht weg. Trinkpause!”

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” Reinhold, LKW-Fahrer”

Die Frau Keuner nimmt einen Schluck und redet dann weiter: “Der Plakat-Reinhold ist ein ganz lieber, gutmütiger Typ, ein bisschen wie Lukas der Lokomotivfahrer. Und wie Lukas der Lokomotivführer hat auch Reinhold der LKW-Fahrer ein Halstuch um. Die Werbepsychologen haben da die Abbildungen aus Büchern und Filmen studiert, die wir alle im Hinterkopp haben. Wir alle lieben das wunderschöne Kinderbuch von Michael Ende: “Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer”. Das einzige, was dem Reinhold fehlt, ist die Pfeife im Mund. Ein Lokomotivführer einer altmodischen Dampflok kann sich eine Pfeife leisten, aber ein moderner LKW-Fahrer nicht. Trinkpause!”

Die Frau Keuner nimmt noch einen Schluck und redet dann weiter: “Dafür hat der Reinhold einen kleinen Ring im Ohr. Ohne dass es uns bewusst ist, erinnert uns der Reinhold an unseren ersten Teddy. Und der Teddybär unter den Teddybären, der klassische Teddybär ist der Steiff-Teddybär, der hatte keinen Ring, aber einen Knopf im Ohr. Die Steiff-Tiere haben den Knopf im linken Ohr. Der Reinhold hat den Knopf im rechten Ohr. Angeblich tragen homosexuelle Männer den Ohrring immer im rechten Ohr. Dat is ein kleiner Gruß an Jens Spahn, sach ich dir… Und hömma, an wen denkst du, wenn du den Namen Reinhold hörst?”

“An meinen Vetter”, sage ich. “Den haben sie damals nicht gemustert, weil das Kreiswehrersatzamt dachte, dass Reinhold ein Mädchenname ist. So wie Reinhild.”

“Ach wat”, sagt die Frau Keuner und schüttelt den Kopf. “Du sollst an den Reinhold Messner denken, den Südtiroler Bergsteiger. Für alle, die jeden Weg auf sich nehmen, so einer ist der Messner doch auch. Und der Messner tut doch auch so, als wenn es toll wär, sich mutterseelenallein auf den Weg zu machen. Der einsame Held, hömma, das ist vielleicht angenehm, wenn man die frische Bergluft einatmen kann, aber dat is sowat von scheiße, da in der miefigen Fahrerkabine eingeklemmt zu sein. Und der Messner hat bestimmt niemals auf dem Parkplatz von der Autobahnraststätte übernachtet. Und überhaupt…”

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Reinhold Messner im aktuellen ARTE-Magazin: “Für mich ist das Virus – obwohl winzig klein – wieder ein Zeichen, dass wir der Natur unterlegen sind.” Diese Erkenntnis ist ein Denkfehler. Sie zementiert die Trennung zwischen Mensch und Natur. Wir sind der Natur weder unter-  noch überlegen. Wir sind ein Teil der Natur. Nur wenn wir das begreifen, ist Corona, ein Virus, das es gut meint mit den Kindern, kein Dämon mehr. Horst Stern, Wissenschaftsjournalist, Mitgründer der Umweltschutzorganisation BUND und Herausgeber der Zeitschrift Natur, schrieb in seinem ersten Editorial 1980:                                                                                                                      „Wir sind als Art biologisch unentrinnbar ein Teil der Natur – lebend an ihr Leben, leidend an ihr Leiden, sterbend an ihr Sterben gebunden.“

“Ich will dich nicht unterbrechen”, sage ich. “Aber ich muss jetzt wirklich los, ich wollte noch auf den Markt.” Wir stehen uns immer noch gegenüber.

“Gute Idee”, sagt die Frau Keuner. “Wollte ich auch, ich komm mit. Bissken langsam mit dem Gehwagen, aber wird schon klappen. Ich muss mir wat Neues aus der Wühltheke angeln, ich brauch mal wat Frisches, und da stehen die Leute dicht an dicht, so wie immer. Is so schön, und manchmal stößt man beim Grabbeln an eine fremde Hand, auch schön, so wie immer. Abstand halten geht auf dem Markt nicht. Außerdem wollte ich immer schon wissen, was du für eine Schutzmaske hast. Zeig mal.” Ich hole das Teil aus der Tasche und spanne es hinters Ohr.

Jetzt endlich lacht die Frau Keuner: “Hömma, du hast ja auch die Fehlkonstruktion mit den Domspitzen. Tut mir leid, jetzt komm ich nah an dich ran, die Masken sind so dickstoffig, dass man laut reden muss. Da hat man nicht nur Spuckschutz, sondern auch Schallschutz. Die gleiche! Du warst dat also… Hömma, die haben mir in der Mauenheimer Straße gesagt, die Maske ist noch mal bestellt, von einer Dame. Du bist doch keine Dame. Aber das ist gut, wenn wir die gleiche Maske aufhaben, halten uns die Leute für Mutter und Tochter.”

“Und wer von uns beiden ist dann die Mutter?”, frage ich die Frau Keuner.

“Na wer schon, Mutti.

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Lächelnder Abstandhalte-Smiley mit Frau auf der einen Seite (rechtes “Auge”) und Mann auf der anderen (linkes “Auge”). Es liest sich so, als sollten die Geschlechter einen Sicherheitsabstand voneinander einhalten. So ist das hier gewiss nicht gemeint. Mein Vorschlag an die Stadt Köln: Man sollte in der nächsten Sylvesternacht rundum den Hauptbahnhof lächelnde Pappkameraden aufstellen.

Würde man Tabak als Feinkost verkaufen, würden die Leute weniger rauchen – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner.

Diesmal strahlt sie über beide Backen, als wir uns mitten in der Siedlung über den Weg laufen: “Hömma, du hast mir ja paar schöne Fotos von deiner Belgien-Reise geschickt. Technisch allerdings bissken dürftig. Hast du etwa immer noch deine billige Kleinbildkamera? Sach mal, willst du dir nicht endlich mal ein anständiges Smartphone anschaffen? Is ja schön, dass du die Gummistiefel deiner Töchter aufträgst, weil die mit 11 schon deine Schuhgröße hatten, aber ein Nokia-Handy von 2005 weiter benutzen? Muss dat sein?” “Is eben so”, sach ich nur. “Reicht mir.”

Die Keuner grinst: “Und in wat für Gegenden läufst du rum, wenn du im Urlaub bist. Ich war selber mal in Belgien. Und ich sach dir, da gibt es richtig schöne Strandschuppen. Das De Kwinte in Westende ist zum Abhängen noch besser als das Spiekerooger Laramie, im De Kwinte kann man sich in ein altes Sofa knallen und mit ner Pulle Bier in der Hand an einer der letzten belgischen Dünen vorbei aufs Meer gucken. Mitten im Winter ist das Westmalle gut gekühlt, aber der Schuppen pottwarm. Warst du da nich?” “Doch, aber….” “Wahrscheinlich wolltest du nicht mit anderen Leuten zusammen an einem Tisch sitzen. Hömma, das ist da üblich. Niedrige Tische, große Sofas. Sich dazu setzen, miteinander quatschen und Spaß haben… Dazu müsste man…” Die Keuner grinst noch breiter: “Dazu müsste man natürlich die Landessprachen sprechen können. Die meisten Belgier sind zweisprachig, was man von dir ja kaum sagen kann. Aber sach mal, sehen die Einkaufsläden in Belgien mittlerweile alle so aus wie auf dem Foto, das du mir geschickt hast?”

“Ach wat”, sach ich nur.

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Shell-Tankstellen-Shop nahe der Küstentram-Haltestelle Moeder Lambic in De Panne. Hier wird der Tabak in Kunststoff-Eimern verkauft. Entsprechend großflächig ist die Kunststoff-Fläche, die die EU-Kommission für ihre Schockwerbung nutzt. Man kann es kaum glauben, aber eben jene EU-Kommission hat 2018 Maßnahmen zur Reduktion von Kunstoffmüll eingeleitet: https://ec.europa.eu/germany/news/20180116-plastikstrategie_de Vielleicht steckt wirklich eine gute Absicht dahinter. Aber aller Elan verpufft in den Katakomben des virtuellen Aktenschranks der EU-Bürokratie. Leider hat die Digitalisierung die Bürokratie noch weiter aufgebläht. Bei der EU-Kommission arbeiten 32.000 Mtarbeiter. Sie bestücken, füttern und kontrollieren unzählige virtuelle Schubladen, Ordner, Unterordner, Anhänge, Ablagen, Exel-Tabellen, Statistiken, Pdf-Dateien usw.. Praktisch am Digitalen ist, dass unliebsame Dokumente nicht einmal geschreddert werden müssen. Umgekehrt ist das, was wichtig wäre, nicht mehr aufzufinden. Gute Absichten werden abgelegt – irgendwo. Die Bürokratie nährt eine gefährliche Illusion: Dass man Notfallmaßnahmen (und die bräuchten wir dringend in der Klimapolitik!) um Jahrzehnte verschieben kann. Letzte Woche hat die EU-Kommission, vertreten von Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Klimakommissar Frans Timmermans, das erste gemeinsame Klimagesetz der Union vorgelegt: Die EU muss ab 2050 (also erst in 30 Jahren) klimaneutral sein. In Brüssel geht alles seinen bürokratischen Gang. Das ist gefährlich, denn das Klima verhält sich unbürokratisch – und schon gar nicht neutral.

Auch und gerade mit dem großformatigen Anti-Raucher-Aufdruck schrecken die Eimer nicht ab, sondern sind eine Verführung zum Noch-mehr-Rauchen. Die Botschaft auf dem Eimer im Vordergrund (s. Foto, 64,90€) ist widersinnig: Rauchen ist tödlich – hören Sie jetzt auf. Wie soll man sofort mit dem Rauchen aufhören, wenn man gerade einen Eimer mit so viel Tabak gekauft hat, dass man damit 975 Zigaretten drehen könnte? Das ist, als wenn man einem Kind einen 700 g – Eimer Haribo-Zoo in die Hand drückt und sagt: Süßigkeiten fressen macht deine Zähne kaputt  – Hör jetzt auf damit.

Eine wilde Müllkippe in Westende:

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Tabak-Behälter in dieser Größe habe ich in Deutschland noch nicht gesehen. Doch per Internet kann jeder einen Eimer bestellen, zum Beispiel den BURTON Volumen Full Red XXXL.
Zum Vergleich: Die Nippeser Shell-Tankstelle Neusser Straße/Nähe Innere Kanalstraße verkauft halb so große Behälter. Sie sind dort mit dem Deckel nach vorne so im Regal platziert, dass der Blick nicht auf den Ekel-Aufdruck fällt. Der Kunststoff der Boxen -ob XL oder XXXL- ist ausgesprochen robust. Eigentlich wären sie ideal fürs Kinderzimmer, denn man kann Klötzchen, Lego-Steine und andere Kleinteile darin aufbewahren – wenn da nur nicht der fiese Aufdruck wäre. So haben die Leute nur den einen Impuls: Weg damit auf den Müll! Eine extreme Rohstoffverschwendung. Mein Vorschlag an die EU-Kommission: Erhebt europaweit 5 Euro Pfand auf alle Tabak-Großbehälter, denn die XXXL-Boxen verrotten nur langsam, sind aber ideal fürs Mehrwegsystem.

Die Frau Keuner wird jetzt sehr ernst. “Weißt du, was ich denke?”, sagt sie. “Ich meine, dass man Tabak nicht in Großbehältern verkaufen sollte, sondern in kleinen Mengen. In schönen, kleinen Holzkistchen mit Pfand. Oder die Leute bringen ihr Schächtelchen mit. Dann wissen sie die einzelne Zigarette oder die kleine Menge Tabak zu schätzen. Man sollte die Genuss-Raucher, die wenig rauchen, darin unterstützen, auch finanziell. Kleinmengen sollten billiger werden. Die Verpackungen sollten so schön gestaltet sein, dass sie auch als Geschenk taugen. Wenn nämlich die Leute eine Packung mit Ekelaufkleber kaufen, dann rauchen sie die umso schneller weg, weil sie die fiese Verpackung loswerden wollen, das ist ein Akt der Verzweiflung. Wir dürfen den Tabak nicht verteufeln. Dem Suchtrauchen ist nur durch eine Wertschätzung des Genussrauchens beizukommen.”

Jetzt lacht die Frau Keuner: “Das andere Foto, das du mir geschickt hat, gefällt mir. Ich hab gegoogelt, Modest ist ja ein Unverpackt-Laden. Wahrscheinlich muss man die Kunden ans Händewaschen erinnern, denn Menschen, die auf Tüten verzichten, neigen auch dazu, Wasser zu sparen. Eigentlich schlau. Aber sach mal, könnte man in den Unverpackt-Läden nicht losen Tabak verkaufen?”

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Gesehen in Ostende. Beim Stadt-Spaziergang sind wir zufällig auf den ersten Ostender, 2019 eröffneten Unverpackt-Laden Modest gestoßen. Anders als beim Kölner Unverpackt-Laden Tante Olga gibt es dort Obst und Gemüse, und man kann nicht nur Kaffee trinken, sondern auch gemütlich sitzen und leckere kleine Snacks essen, Quiche oder Gemüsekuchen  – oder aufs Klo gehen, was ich auch tat. Die Pflicht, sich die Hände zu waschen, irritiert, aber wahrscheinlich gibt es (nicht nur, aber gerade für die Toiletten) in Unverpacktläden besonders strenge Hygieneauflagen.

Zwar ist die Belgische Küste so zugebaut, dass das Meer gebändigt zu sein scheint, aber anders als fast überall in Deutschland sind die Nordsee-Strände frei (und kostenlos!) zugänglich. Mancherorts ist die belgische Küste so schön wie die deutsche kaum irgendwo. Wer mit der Linie 0 fährt, der Kusttram, sollte unbedingt in De Haan (Haltestelle Aan Zee) aussteigen, nicht nur, weil man dort (z.B. im schön gelegenen La Potinière) besonders leckeren, Crêpe-inspirierten Pannekoeken essen kann.

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Die viel zu kurze, aber feine Dünen-Promenade bei De Haan: Liebesschlösser am Stacheldrahtzaun

Wer sich ein Bild von De Haan machen möchte, dem sei ein auch nach 30 Jahren noch aktueller Artikel von Elsemarie Maletzke dringend empfohlen:

https://www.zeit.de/1989/31/rosa-torten-fuer-hausgaeste/komplettansicht