Elfchen im Fünften: Das Recht weiblicher Papageien auf die besten Leckereien

Für uns Menschen sind die weiblichen Rotkehlchen kaum von den männlichen zu unterscheiden. Auch bei Meisen, Spatzen und Elstern sehen sich Weibchen und Männchen sehr ähnlich – um nur einige der Vögel zu nennen, die tagtäglich in unsere Gärten kommen. Die Rotkehlchen selber haben damit kein Problem. Um das Männchen zu erkennen, braucht das Weibchen weder Augen noch Ohren. Und sollte sich einmal ihr gegenüber eine Rotkehlchen-Frau als Männchen ausgeben und so laut singen, wie es sonst nur die männlichen Rotkehlchen tun, sollte also wirklich einmal ein Trans-Kehlchen um ihre Kralle anhalten, ließe sich das Rotkehlchen nichts vormachen: Du bist ein schmucker Mann, doch leider nur zum Schein, gemeinsam können wir nicht Eltern sein.

Das Rotkehlchen wird getrieben von einer unerschöpflichen Lebens-Energie. Würde man die Fortpflanzung als Sinn seines Lebens bezeichnen, hätte es gewiss nichts dagegen. Es selber stellt sich solche Menschen-Fragen nicht, schon aus Zeitmangel. Anders als erwachsene Menschen braucht es keine Gottes-Beweise, um zu wissen, dass es das Göttliche gibt. Auch uns Menschen ist die Fortpflanzungsfreude (inklusive Nähren und Versorgen) angeboren, nur müssen wir sie verdrängen und kontrollieren, denn sie erinnert uns daran, dass wir Teil der Natur sind. Das hören wir nicht gerne, denn als Naturwesen sind wir sterblich.

Intuition und Gespür sind den meisten Menschen abhanden gekommen. In der Silicon Society (David Lyon) vertrauen die Menschen nur noch dem Schein. Die Menschen mutieren zu Karikaturen. Was ist männlich, was weiblich? Für das Rotkehlchen gibt es keinen Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, und offenbar ist das gut so.

Es lebe der Unterschied…

Amseln und Halsbandsittiche haben einen ausgeprägten Geschlechterdimorphismus, was meint, dass sich die Geschlechter optisch klar voneinander unterscheiden. So bin selbst ich in der Lage, den Unterschied zu erkennen. Dass ich die Vögel auseinanderhalten kann, macht die Betrachtung spannend, denn als “Männchen” bzw. “Weibchen” werden diese Vögel zu “Personen”, zu eigenständigen Akteurinnen und Akteuren. Sie leben ihr Vogelleben – und führen uns Tag für Tag ein Spiel über das Leben vor.

Ihre Geschichten kommen uns bekannt vor, denn es sind Liebes- und Familiengeschichten. Die Themen der Halsbandsittiche sind unsere Themen: Liebe, Eifersucht und Zärtlichkeit, Essen, Trinken, Verdauung und Futterneid. Doch genaugenommen sind diese Themen keine Menschen-, sondern Papageienthemen, denn die Papageien existieren schon viel länger als wir. Es ist nicht anzunehmen, dass sie uns Menschen kopieren.

Erwachsene Halsbandsittich-Weibchen haben ein schwach angedeutetes, blassgrünes “Halsband”. Bei den Männchen hingegen ist es stark ausgeprägt. Es beginnt schwarz an der Kehle und umspannt orangerot das Genick. Da der Unterschied eindeutig ist, konnte ich beobachten, dass im Frühjahr ausschließlich Weibchen in unseren Garten kamen, um Erdnüsse zu picken.

Das erstaunte mich nicht. Schließlich entwickeln sich die Eier, entsteht das Leben in ihr, nicht in ihm. Und daher braucht insbesondere das Weibchen gutes, nahrhaftes Futter. Halsbandsittich-Weibchen lachen, wenn hungrige Männchen ihnen was von “Gleichberechtigung” vorkrächzen. Warum sollten Halsbandsittich-Männchen fress-gleichberechtigt sein, wozu?

In aller Regel ist im Tierreich die Partnerwahl Sache des weiblichen Tieres: Female Choice. So auch bei den Halsbandsittichen. Darüber hinaus bestimmt sie in der Brutperiode, wer welche Nahrung bekommt. Halsbandsittiche leben, wie ich gelesen habe, monogam. Dass die Sittiche ein Paar bilden, heißt aber noch lange nicht, dass Weibchen und Männchen sich das Essen “gerecht” teilen. Es heißt auch nicht, dass das Weibchen dem Männchen was abgibt. Schon gar nicht heißt es, dass das Weibchen -wie wir Menschen es von den Familien der 1960er Jahre kennen- dem Männchen das Essen serviert. Im Gegenteil.

In der unten stehenden kleinen Foto-Geschichte bekommen wir zu sehen, wie sich ein friedlich pickendes Halsbandsittich-Weibchen (zu erkennen am zartgrünen Halsband) erfolgreich gegen ein futterneidisches Männchen (schwarz gefärbte Kehle, rosa Halsband) zur Wehr setzt:

Der Futterspender ist frisch gefüllt mit geschälten, aber unbehandelten Erdnüssen. Das Weibchen findet heraus, wie es ein Halsbandsittich anstellen muss, trotz relativ kräftigem Schnabel an die Erdnüsse heranzukommen. Das erregt die Neu-Gier eines männlichen Artgenossen.

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In

kraftzehrenden Zeiten

der Papagei’n-Paarung verteilen

die Papagei’n-Weibchen die Nahrung:

Geschlechtergerecht

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Hier führen zwei Halsbandsittich-Weibchen vor, wie man die Erdnüsse erfolgreich vor den Männchen verteidigt. Rundum den Futterspender knüpfen sie weibliche Futter-Bande.

Das KLEINE TEUFELCHEN auf Katharina Witts Schulter: “Willkommen zurück in der DDR”

Auf Anordnung der britischen Besatzungsbehörde waren im Bottroper Elternhaus meiner Mutter, das später auch mein Elternhaus werden sollte, nach dem Krieg Soldaten einquartiert. Später zog eine dreiköpfige Familie ein, die bei einem Bombenangriff ihre Wohnung verloren hatte. Der Familienvater war ein traumatisierter Augenarzt, der schwer verletzte Soldaten hatte behandeln müssen, darunter viele “Kriegsblinde”.

Meine Mutter, die 1925 geboren wurde, war seelisch verwundet. Ihr einziger Bruder, ein Theaterwissenschaftler, war als Propaganda-Soldat unter nicht geklärten Umständen ums Leben gekommen. Meine Mutter hat den Tod ihres Bruders, der neun Jahre älter war, nie verwunden. Da man seinen Leichnam nicht fand, verlor sie nie die Hoffnung, dass er nach Hause kommen könnte. Aber wer würde ihm mitten in der Nacht die Tür aufmachen?

Meine Mutter konnte ein Leben lang nicht mehr ruhig schlafen und nahm schon in jungen Jahren Schlaftabletten – Ende der 1950er Jahre auch das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan. Beide Schwestern meiner Mutter hatten Pharmazie studiert, beide waren mit Ärzten verheiratet, so dass meine Mutter immer gut informiert war. Elisabeth, die mittlere der Schwestern, hatte als Apothekerin die Familie ernährt, solange ihr Mann, mein späterer Patenonkel, noch in der Ausbildung war. Ich weiß nicht, ob meine Tante, ein sehr gewissenhafter Mensch, meiner Mutter Contergan empfohlen hat, aber ich kann es mir gut vorstellen. Die Apothekerinnen und Apotheker waren, selbst als die verheerenden “Nebenwirkungen” offenkundig wurden, nicht aufgeklärt bzw. vom Pharma-Unternehmen Grünenthal hinters Licht geführt wurden.

In der Nachkriegszeit machte die Pharmaindustrie mit der seelischen Not der Menschen große Geschäfte. Freiverkäufliche Schlaf- und Schmerzmittel fanden einen reißenden Absatz. “Das Schlafmittel Contergan war vom Pharmakonzern Grünenthal als “sicher” auf den Markt gebracht, von den Ärzten als “sicher” empfohlen und von den Apotheken als “sicher” verkauft worden. Unter den schwangeren Frauen, die es nahmen, waren viele, die den Zweiten Weltkrieg mit seinen entsetzlichen Bombennächten als Kinder oder Jugendliche miterlebt hatten und ihr weiteres Leben lang unter massiven Schlafproblemen leiden sollten. Als Contergan 1957 auf den Markt kam, unterschätzte man (und ignorierte man lange) die möglichen “Nebenwirkungen”, so dass Contergan nicht einmal rezeptpflichtig war.https://stellwerk60.com/2020/06/11/elfchen-im-sechsten-die-apotheke-hilft/

Gerne wird verschwiegen, dass Grünenthal seinen Verkaufsschlager Contergan einem Arzt zu “verdanken” hatte, der in der NS-Zeit menschenverachtende medizinische Experimente durchgeführt hatte, worüber Grünenthal informiert gewesen sein dürfte. Erfunden wird der Contergan-Wirkstoff Thalidomidin der Forschungsabteilung der Firma, deren Leiter Heinrich Mückter auch am Gewinn des patentgeschützten Produkts beteiligt ist. Dass ihm die polnische Justiz medizinische Experimente an KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern während der NS-Zeit vorwirft, schadet Mückters Nachkriegskarriere nicht.https://www1.wdr.de/archiv/contergan/contergan166.html

Doch vielleicht war es nicht im Interesse der Bundesregierung, genauer nachzuforschen, denn das Nachkriegsdeutschland verdankte ausgerechnet Mückter den “freien Zugang” zum Penicillin. Ende der 1940er Jahre hatte Grünenthal als erstes deutsches Unternehmen Penicillin-Präparate auf den Markt gebracht, dank Mückter. Woher auch immer er die Penicillin-Stämme hatte, “auf legale Weise hätte er sie nicht erwerben können, denn die westlichen Besatzungsmächte hatten Forschung an und Herstellung von Penicillin durch deutsche Unternehmen strikt verboten. Mückter setzte sich über dieses Verbot hinweg und erschlich sich im Januar 1948 unter falschen Angaben bei der britischen Militärregierung die Erlaubnis, mit Penicillin zu experimentieren… Der Frage, wie Mückter damals in den Besitz von Penicillin-Stämmen gekommen war, verweigert sich die Firma bis heute.https://www.spiegel.de/geschichte/braune-vorgeschichte-a-948837.html

Der Spiegel-Artikel von Armin D. Steuer bringt nicht nur dieses und weitere Details ans Licht, sondern erinnert auch an die zynische, modern anmutende Werbeidee des Unternehmens Grünenthal, das es wagt, ausgerechnet mit Mozarts “Kleiner Nachtmusik” für das Schlafmittel zu werben und sich einen bildungs- und kulturbeflissenen Anstrich zu geben. “In seinen besten Zeiten bescherte Contergan der CG knapp die Hälfte des Umsatzes. In Zeitungen schaltete die Firma Anzeigen mit der Partitur von Mozarts “Kleiner Nachtmusik” – Contergan sei so harmlos wie Zucker.

“Totalitarismus” bezeichnet nicht nur die totale politische Herrschaft über die Menschen bis in die privaten Nischen hinein, sondern auch die totale Herrschaft über deren Körper. Im Visier der Nationalsozialisten waren die Familien (die ja immer eine Lebens- und Leibesgemeinschaft bilden), insbesondere aber Frauen und Kinder. Daher versuchten sie, Mutterliebe, Schwangerschaft und Geburt unter staatliche Kontrolle zu bringen. Während sie “erbkranken Nachwuchs” zur Vernichtung freigaben, erhoben sie das Kinderkriegen zur soldatischen Pflicht der “arischen” Frau. Je mehr Kinder sie bekam, desto besser. Belohnt wurden die Frauen mit dem Mutterkreuz, das an militärische Orden, aber auch an olympische Medaillen erinnerte. Das Kreuz in Bronze gab es bei vier und fünf Kindern, das silberne bei sechs und sieben und das goldene bei mehr als acht Kindern.

Die Mutterkreuze wurden einmal im Jahr verliehen – am Muttertag. Meine Mutter liebte Feste, aber sie war außerstande, noch jemals den Muttertag zu feiern. Wenn man ihr Geschenke machte, reagierte sie gereizt. In Erinnerung an die Nazi-Zeit empfand meine Mutter den Muttertag als “Verhöhnung” der Frau, auch wenn sie den Ausdruck nie benutzte. Erst vor wenigen Jahren habe ich realisiert, dass meine Mutter den Muttertag so vehement ablehnte, weil sie -anders als wir Kinder- über den grausamen Tod der Mutter meines Vaters Bescheid wusste. https://stellwerk60.com/2021/12/13/13-12-2021-digitaler-stolperstein-zur-erinnerung-an-meine-grossmutter-steffi/

Meine Mutter, eine großzügige Frau, wollte immer Menschen um sich haben. Nach dem entsetzlichen Krieg waren für sie Freundschaft und Verwandtschaft überlebensnotwendig. Sie pflegte althergebrachte Verwandtschaften, stiftete neue und erklärte ihre besten Freundinnen zu Schwestern. Da aber kein Mensch 13 oder mehr Schwestern haben konnte, nannte meine Mutter ihre Wahl-Schwestern “Kusinen”.

Eine dieser Kusinen, eine Jugend-Freundin meiner Mutter und ihrer Schwestern, hatte es nach Leipzig verschlagen: Mia. Gemeinsam mit ihren Schwestern besuchte meine Mutter sie regelmäßig. Ab Ende der 1970er Jahre waren auch meine Zwillingsschwester und ich dabei. Wir waren nach Köln gezogen, studierten Geisteswissenschaften und konnten uns die Zeit selber einteilen.

Für uns junge Menschen waren die Kurz-Reisen exotische Trips in eine andere Welt. Für unsere Mutter und unsere Tanten jedoch waren es keine Trips, sondern immer auch Reisen in eine düstere Vergangenheit. Aber die Freundinnen wollten sich unbedingt wiedersehen. Schlimm war jedes Mal die Fahrt über die Grenze. Meine Mutter, die es immer geschafft hat, Menschen zum Lachen zu bringen, entlockte den Grenzsoldaten nicht einmal ein Lächeln.

Meine Mutter beteiligte sich nie an den politischen Diskussionen, denn sie konnte nicht vergessen, dass das Haus verwanzt war. Unsere jungen Verwandten umgingen das Thema “Ausreise”, waren der DDR gegenüber kritisch, fanden aber die Bundesrepublik großartig. Sie beneideten uns um die “Segnungen des Kapitalismus”, was sie auch offen zugaben. Wir waren “bunte Vögel” für sie. Das Vorurteil bestätigte sich, als wir bei einem Besuch Anfang der 1980er Jahre Latzhosen trugen, die Uniform der Alternativbewegten. Es war natürlich bekloppt, dass wir ausgerechnet beim Besuch im Arbeiter- und Bauernstaat Latzhosen trugen, aber wir waren jung und dachten uns nichts dabei.

Worüber wir lachten, das war für die Menschen in der DDR bittere Realität. Paragraf 249 des Strafgesetzbuches der DDR fanden wir so absurd, dass wir nicht glauben konnten, dass er jemals durchgesetzt würde. Doch da irrten wir uns,. “Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht […] wird mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.Strafgesetzbuch der DDR § 249 https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/asozialenparagraph-arbeitslos-opposition-arbeitslager-zwangsadoption-100.html

Ich muss Luft holen…

Elstern-Ästling auf einer junge Eiche vor der KiTa “Lummerland”, Köln, Lokomotivstraße:

Vögel sind weder fleißig noch faul. Was sie tun, das würden sie nicht “Arbeiten” nennen. Sie nehmen sich, was sie vorfinden, Beeren, Körner, Insekten, und geben zurück, was sie hervorbringen: Nachkommen. Sie kommen nicht auf die Idee, die Natur zu verändern, denn sie sind Teil der Natur. Anders als die Menschen würden sie niemals den Ast zerpicken, auf dem sie sitzen.

Meine Schwester und ich wurden nicht ganz ernst genommen, nicht nur wegen der Latzhosen. Unsere jüngeren, gut ausgebildeten Verwandten konnten nicht verstehen, dass wir Geisteswissenschaften studierten und nicht einen der Abschlüsse machten, mit denen man im Westen richtig viel Geld verdienen konnte. Vor allem aber hatten sie kein Verständnis dafür, dass meine Schwester und ich die BRD-Politik kritisierten. Schließlich hatten wir alle Freiheiten, vor allem die Eine: Wir konnten jederzeit zurück in den Westen. Wir mussten uns nur ins komfortable West-Auto setzen – und verschwanden hinter dem “antifaschistischen Schutzwall”.

Zurück im Westen, fühlte ich mich nach jeder unserer Reisen wie befreit, ich erfreute mich an den (damals noch) relativ intakten Straßen und gepflegten Häuserfassaden. Ich genoss es, eine Luft zu atmen, die nicht nach Braunkohle und Desinfektionsmitteln roch. Vor allem im Winter war die westliche Welt schön bunt. Doch irgendwann fiel mir auf, dass es die (damals noch) bunten, hochglanzlackierten Autos und die Leuchtreklamen waren, die der westlichen Welt Farbe verliehen. Alles war Tünche und Schöner Schein. Die Leute jubelten Wolf Biermann zu, aber niemand interessierte sich für die DDR.

So hielt das Gefühl, auf der richtigen Seite der Mauer zu leben, nie lange an, denn es gab keine richtige Seite. Nach unseren Reisen spürte ich einmal mehr, wie gefährdet unsere Welt und wie fragil unsere Freiheit war. Wir, die wir im Herbst 1981 nach Bonn zur Friedensdemo fuhren, hatten etwas, das den Realpolitikern fehlte: Politische Phantasie: Wir wussten, dass die Motive für die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen weder Friedens- noch Menschenliebe waren. Und wir, die wir Ende Februar 1981 an der verbotenen (und Jahre später “freigesprochenen”) Anti-AKW-Demo in Brokdorf teilnahmen, zweifelten schon Jahre vor der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl an einer “friedlichen Nutzung der Kernenergie”.

Erst vierzig Jahre später bekam ich eine Ahnung davon, wie sich das Leben in der DDR angefühlt haben musste, denn im Zusammenhang mit den autoritären staatlichen Corona-Maßnahmen hatte ich wieder den Geruch von Desinfektionsmitteln in der Nase.

Anfang März 2021: Ich trage eine Gesichtsmaske und schiebe einen Einkaufswagen vor mir her, dessen Griffe ein Mitarbeiter des Alnatura-Supermarkts desinfiziert hat. Zuvor musste ich mir Desinfektionsmittel in die Hand geben lassen, sonst wäre ich nicht in den Laden gekommen, biologisch unbedenklich, wie der Mann sagt, zu kaufen bei Alnatura.
In der Gemüse-Abteilung angele ich aus einer Kiste einen feuchten, aber knackig wirkenden Salatkopf. Vorher hatte ich mehrere Salatköpfe befingert, wobei ich das Desinfektionsmittel losgeworden sein dürfte. Alle machen es so, im Alnatura und anderswo. Zum Obst muss niemand Abstand halten. Da darf berührt werden, angefasst, gepackt, gedrückt und an die Nase gehalten bzw. an den staatlich verordneten “Mund-Nasen-Schutz”.
Ich hole mir ein kleines Stück überteuerten, aber sehr leckeren Weichkäse. Später lege ich die Einkäufe aufs Kassenband. Die Kundin vor mir hat ihre etwa fünfjährige Tochter in den Einkaufswagen gesetzt. Sie muss mit einkaufen gehen, denn aktuell ist die KiTa geschlossen. Sie darf nicht im Laden herumlaufen, aber immerhin hat man ihr die Hände nicht desinfiziert. Irgendwann stellt sich das Kind aufrecht hin, beugt sich über das Kassenband und zückt grinsend den Zeigefinger. Sie hat ein lecker weiches Teil entdeckt, wie bestellt für’s Fingerchen. Die kleine Einbuchtung auf dem Coeur de Paille (s.o.) rührt daher. Lecker!

Die Parallelen zwischen den Entmündigungen in der DDR und den Entmündigungen im Rahmen der bundesdeutschen Corona-Politik sind offenkundig, was sich während der “Pandemie”kaum jemand getraut hat, offen zu sagen. Die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt gehörte im März 2021 zu den wenigen Prominenten, die es wagten, die staatlichen Corona-Maßnahmen mit den Restriktionen in der DDR zu vergleichen:

„Weitere Freiheitseinschränkungen, Vorgaben, wer wann, wohin, oder überhaupt reisen darf, die existierende festgeschriebene Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt und die Unmündigkeit des Volkes, wird unter Vorgabe der Rücksichtnahme festgelegt. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, was man im Namen ‘zum Wohle des Volkes’ so kollektiv, früher im Sozialismus und gegenwärtig im Kapitalismus, in so kleinem Kreise einfach durchsetzen kann!“, so Witt. „Ich mag es gar nicht aussprechen, aber ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter flüstert mir fast schelmisch ins Ohr – ‚Willkommen zurück in der DDR‘.“ zit. nach: https://www.morgenpost.de/berlin/leute/article231876279/Katarina-Witt-Facebook-Corona-DDR-Reaktionen.html

Elfchen im Vierten: “Kleiner Ästling”

Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit einem Paartherapeuten namens Eric Hofmann. Darin ging es um einen neuen Promi-Trend, die sogenannte “Sologamie”, die Heirat mit sich selbst. Was wie ein Gag aus einem Woody Allen- Film klingt, wird tatsächlich praktiziert, vor allem von Frauen um die 30. So soll Pop-Star Selena Gomez (30) vor ein paar Monaten Pop-Star Selena Gomez (30) geheiratet haben. 

Nun können es die meisten Medien-Promis in (der) Wirklichkeit keinen Moment alleine aushalten. Sie wetteifern um permanente öffentliche Aufmerksamkeit und sind sich selber längst abhanden gekommen. “Sologame” merken nicht, dass die “Sologamie” zwar ein hübsches Gesellschafts- und Medienspiel ist, als “lustige” Selbstzurschaustellung aber ein Schlag in den Nacken derjenigen, die wirklich alleine sind. Ein einsamer Mensch käme wohl kaum auf die Idee, sich selber zu heiraten.

Obwohl die “Sologamie” nicht viel mehr ist als ein Werbegag, nimmt Paartherapeut und Buchautor Eric Hofmann den Trend sehr ernst. Wohl aus beruflichem Interesse, denn wenn der Mensch solo ist, gibt es kein Paar mehr – und dementsprechend keine Paartherapie. Auch der Ehe stellt Hofmann ein eher nüchternes Zeugnis aus, ebenfalls aus beruflichem Interesse, denn Eheleute, die nach vielen Jahren immer noch harmonieren und sich nicht miteinander langweilen, brauchen keine Paartherapie. Hofmann: “Hier muss auch noch einmal deutlich gemacht werden: Die Ehe als romantisches Modell ist eine sehr neue Erfindung. Bis vor wenigen Hundert Jahren wurde nicht aus Liebe geheiratet. Liebe war im Gegenteil als Sicherheitsrisiko für diese vor allem wirtschaftliche und für Frauen existentielle Verbindung verpönt.https://web.de/magazine/liebe-partnerschaft/paartherapeut-interview-sologamie-37730146

Doch was sagen unsere Singvögel dazu, die gattungsgeschichtlich viel älter sind als wir? Führen Wild-Vögel, die in beeindruckender Zweisamkeit liebevoll ihren Nachwuchs umsorgen, nicht auch eine Art (wilder) Ehe? Wie wir wissen, leben Amseln überwiegend monogam und bleiben in der Regel über mehrere Brutperioden zusammen. Mich haben die Amseln gelehrt, dass die Ehe weder ein “romantisches Modell” ist noch “eine sehr neue Erfindung”, noch, dass Menschen sie kreiert haben.

Wenn der Amsel-Mann im frühen Frühling sein wohlbekanntes Lied anstimmt, tut er es nicht, um die Amsel-Frau für sich zu gewinnen. Das muss er nicht, denn sie hat sich schon vor Jahren für ihn entschieden. Und doch bringt er sich singend in Erinnerung: Weißt du noch?

Manchmal singt der Amsel-Mann, um sich vor Nebenbuhlern zu brüsten, doch eigentlich singt er aus Liebe, nicht nur zur Amsel-Frau. Er singt aus schierer, unbändiger Frühlings-, Fortpflanzungs- und Lebensfreude. Denn nicht nur seine Frau ist ihm treu. Wenn die Welt wieder grün wird, wenn alles blüht, wenn das Gras wieder wächst und die Knospen platzen, dann weiß die Amsel: Auf den Frühling kann ich mich verlassen.

Die unauffällige Amsel-Frau hält sich im Hintergrund, aber sie hat die Fäden in der Hand beziehungsweise im Schnabel…

Schon Mitte März trägt die Amsel-Frau Material zusammen, um, wie es ausschaut, ein Nest zu bauen, zu unserer Freude im immergrünen Efeu, der direkt hinter der noch kahlen Buchenhecke unseren Gartenzaun überwuchert. Nach ein paar Tagen scheint das Nest fertig zu sein, denn die Amsel-Frau verschwindet -ohne was im Schnabel zu haben- immer wieder im dichten Grün. Ob sie Eier legt? Das Nest ist so gut versteckt, dass man es nur erahnen kann. An einem Abend, als beide Eltern-Tiere ausgeflogen sind, stelle ich mich auf einen Hocker, mache den Arm lang, greife vorsichtig dorthin, wo ich das Nest vermute, und ertaste drei eng beieinander liegende Eier.

Das Nest ist winzig, aber ein Junges überlebt.

Die deutsche Sprache hält für Singvogel-Küken zwei schöne Wörter parat. Küken, die noch im Nest hocken, sind “Nestlinge”. Wenn sie das Nest verlassen haben, sich aber noch nicht selbstständig versorgen können, nennt man sie “Ästlinge”.

Dabei hat es zunächst nicht gut ausgesehen. Der Amsel-Vater verletzt sich und steht und hüpft nur noch auf einem Bein. Das Abheben, Fliegen und Landen klappt, aber das Rosinen-Picken ist so anstrengend, dass er sich zwischendurch ausruhen muss. Ohne die Kooperation beider Eltern kann ein Amsel-Küken nicht überleben. Wird der Amsel-Vater rechtzeitig wieder gesund sein?

Eine Woche vor Ostern steht der Amsel-Vater wieder auf beiden Beinen. Abwechselnd mit der Mutter-Amsel fliegt er mit Futter im Schnabel das Nest an. Ein gutes Zeichen: Mindestens ein Junges muss geschlüpft sein.

17.4.2023: Eine Woche nach Ostern fliegen die Amsel-Eltern das Nest nicht mehr an. Das Jungtier hat das Nest verlassen. Noch am selben Tag zeigt es sich uns.


Flüssigkeit ist für das Jungtier überlebensnotwendig. Doch es muss erst lernen, dass es Wasser nicht verschlingen darf, sondern schlucken muss. Daher ist es gut, dass ein Regenwurm, wie ich lese, zu 90% aus Wasser besteht. Dass ausgerechnet der Sänger mit dem goldenen Schnabel mit eben jenem Schnabel die Würmer zerhackt, schmerzt mich. Zum Trost sage ich mir: Die Amsel handelt aus Eltern-Liebe. Und sie wird nur so viele Regenwürmer zerkleinern und verfüttern, wie das Jungtier zum Großwerden braucht.

Wenn ein Fressfeind ihr Junges bedroht, zögern Amsel-Eltern nicht lange. Sie sind so sehr eins mit ihrem Jungtier, dass sie nicht nur ihr Küken, sondern mit dem Küken sich selber verteidigen. Ich beobachte, wie Männchen und Weibchen gemeinsam schreiend und pickend eine Elster vertreiben und ein anderes Mal die dicke Nachbarkatze, eine gute Jägerin, die meiner Nachbarin einmal ein frisch erlegtes Jungkaninchen serviert hat.

Auch wir Menschen kennen das: Elternliebe setzt ungeheuerliche Kräfte frei. Wir sind da besonders menschlich, wo wir den Tieren am ähnlichsten sind.

Ob Mensch oder Amsel: Elternliebe ist schön, aber anstrengend. Die Amsel-Eltern wirken tagelang hektisch und nervös. Während das Mutter-Tier immer noch einen klaren Kopf behält, überreagiert der Amsel-Vater und vertreibt sogar die freundlichen Tauben.

Dann ist mit einemmal alles wie früher. Von einem Tag auf den anderen wirken die Amsel-Eltern entspannt, sie essen die Rosinen selber und haben keine Würmer mehr im Schnabel. Was kann das bedeuten, wo ist “Kleiner Ästling”?

Doch nach drei Tagen…

Noch ist “Kleiner Ästling” nicht in der Lage, die Rosinen aufzupicken. Doch der Amsel-Vater ist geduldig. Sein Junges darf noch einmal (oder zweimal, oder dreimal…) den Schnabel aufreißen.
Suchbild mit Jungtier. Wo ist “Kleiner Ästling?”

Offenbar haben die Amseln ein genaues Gespür für den Moment, wo das Jungtier groß genug ist und in der Lage, sich selber mit Futter zu versorgen und sich vor Fressfeinden zu schützen. Sein Instinkt ist dem Jungtier angeboren, aber es muss noch in seine Aufgabe (Leben und Leben geben) hineinwachsen.

Ihr Instinkt verleiht der Amsel Sicherheit. Niemand muss einer Eltern-Amsel sagen, was sie zu tun hat. Sie zwitschert auf Rechte und Pflichten.

Über

Nachfragen, wer

das Brut-Sorgerecht hat,

lacht die Amsel sich

schlapp

Die Masern-Impfpflicht ist wieder da – 50 Jahre nach Einführung in der DDR jetzt in ganz Deutschland!

Am 3.10.1990 ist die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland “beigetreten”, ein Vorgang, der auch als “Überrumpelung” durch den Westen interpretiert werden kann. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, das eigentlich nur ein “Provisorium” war, gilt seitdem für ganz Deutschland. https://stellwerk60.com/2019/10/13/das-ist-sooo-deutsch-unser-heimatministerium-veranstaltet-eine-dooofe-teure-imagekampage/

Mittlerweile denke ich aber, dass nicht nur die DDR der BRD beigetreten ist, sondern (inoffiziell) auch die BRD der DDR. Das JA zur DDR zeigt sich im selbstgerechten Gebaren der bundesdeutschen Obrigkeit, die sich -insbesondere in Gesundheitsbelangen- zunehmend bevormundend und respektlos verhält und immer weiter in die privaten Räume der Bürgerinnen und Bürger (und in die Bürgerin und den Bürger selber) eindringt. Wir erleben eine bundesdeutsche Gesundheits-Politik, die autoritär agiert und sich die DDR-Gesundheitsfürsorge zum Vorbild nimmt.

Nun war die DDR, auch wenn die Bezeichnung “Deutsche Demokratische Republik” etwas anderes vormacht, kein demokratischer Staat. Es gab keine freien Wahlen, sondern ein Einparteiensystem. Eine knapp 1400 Kilometer lange, streng gesicherte innerdeutsche Grenze, der im Westen so genannte “Todesstreifen,” sorgte dafür, dass die Menschen das Land nicht verließen. Den Menschen, die einen Ausreiseantrag stellten, drohten schwere Sanktionen.

Manipulation und Kontrolle waren politischer Alltag. Dabei okkupierte das DDR-Regime nicht nur die Köpfe, sondern auch die Körper der Menschen. Hauptleidtragende der autoritären staatlichen Volkserziehungs-Maßnahmen und der grenzüberschreitenden Gesundheitsfürsorge waren die Kinder. Schließlich gelingt eine umfassende Leibes-Kontrolle der Menschen am besten dann, wenn sie früh anfängt. Bei Verwandtenbesuchen in Leipzig Anfang der 1980er Jahre bekam ich mit, dass Kinder, die in der Krippe betreut wurden, bereits mit zehn Monaten, kaum konnten sie sitzen, “erfolgreich” aufs Töpfchen “gingen”, was für die Erwachsenen natürlich praktisch war. Solcherart kleine “Wunder” waren in der DDR “Normalität” und Produkt einer autoritären Reinlichkeitserziehung, die wiederum Teil einer allgegenwärtigen Gesundheitsfürsorge war.

Im Deutschland-Archiv der Bundeszentrale für Politische Bildung findet sich ein interessanter Text der Psychiaterin und Psychoanalytikerin Agathe Israel, der ganz alltägliche Situationen der DDR-Kinderbetreuung in ihrer Drastik anschaulich beschreibt. Agathe Israel benennt dabei die dramatischen Folgen einer Erziehung, deren Ziel es war, bereits aus Kleinstkindern sozialistische Persönlichkeiten zu formen: “Es eröffnete sich ein Konflikt, der zwar gefühlt, jedoch kaum gedacht und schon gar nicht öffentlich diskutiert werden konnte: Die autoritär-kontrollierende Strategie, Mündigkeit, Empathie und Verantwortung von früher Kindheit anzuerziehen, behinderte die Entwicklung eben dieser Eigenschaften. Dieses Entwicklungsmilieu im „nazifreien“ Teil Deutschlands erzeugte Autoritätsgebundenheit. Sie ist ein wesentliches Kennzeichen des „totalitären Charaktertyps“.” https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/259587/fruehe-fremdbetreuung-in-der-ddr/

Gleichzeitig enthält der Artikel eine Fülle erhellender Fakten. Ich bekam viele Informationen, die neu für mich waren, etwa die, dass DDR-Gesundheitsbürokratie und Kindertagesstätten eng miteinander verzahnt waren: “Die Kinderkrippen in der DDR unterstanden dem Ministerium für Gesundheit, das über ein hierarchisch gegliedertes System mit Bezirksärzten und deren Fachreferaten die fachliche und politische Aufsicht und Kontrolle ausübte.” (ebd.)

Zwar unterstehen unsere Kitas nicht dem Bundes-Gesundheitsministerium, aber die bundesdeutschen Gesundheitsbehörden haben unter der Kanzlerschaft der Physikerin Dr. Angela Merkel (CDU), geboren in Westdeutschland, aufgewachsen in der DDR, deutlich an Macht und Einfluss gewonnen. Dass die bundesdeutsche Gesundheitsfürsorge so weit in den persönlichen Alltag vordringen darf, verdankt sich vor allem der kontinuierlichen Zusammenarbeit der Kanzlerin mit der sittenstrengen, hochdisziplinierten CDU-Politikerin Dr. med. Ursula von der Leyen.

Die Politikerin und Ärztin, geboren in Ixelles/Elsene (Brüssel), Belgien, Mutter von sieben Kindern und leidenschaftliche Dressurreiterin (Pferde), kann eine glänzende politische Vita und eine lückenlose Laufbahn (insbesondere unter Merkel) vorweisen: Sie war von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Kabinett Merkel I ), von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales (Kabinett Merkel II ) und von 2013 bis 2019 Bundesministerin für Verteidigung (Kabinett Merkel III und IV, bis 17. Juli 2019). Am 16. Juli 2019 wurde von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Dieses auf fünf Jahre befristete Amt hat sie seit Ende 2019 inne.

Frau von der Leyen, attraktiv, zielstrebig und durchsetzungsfähig, ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Verordnungen, die die Entscheidungsfreiheit von Eltern einschränken und den Staat dazu ermächtigen, Kinder und ihre Familien ärztlich zu überwachen, in Deutschland vorangetrieben und durchgesetzt wurden. Von der Leyens besonderes Augenmerk galt dabei den “kostenlos” angebotenen “Kinderfrühuntersuchungen”, die im Jahr 1971 in Westdeutschland eingeführt wurden. Sinn und Zweck dieser “U-Untersuchungen” ist die mit einem peinlichen Unwort tatsächlich so genannte “Kinderfrüherkennung”. https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/

Unter Familienministerin Ursula von der Leyen wurde die “Kinderfrüherkennung” intensiviert, verschärft und ein verbindliches Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen auf den Weg gebracht. Es ist sozusagen Ursula von der Leyens familienpolitisches Vermächtnis, denn kurze Zeit später sollte sie als Ministerin ins Bundesministerin für Arbeit und Soziales wechseln. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Kernaussage einer Pressemitteilung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (holpriges Kürzel für die Behörde: BMFSFJ) aus dem Jahr 2009 zitieren. Die Pressemitteilung mit dem Titel Ursula von der Leyen: “Wir haben das Niveau des Kinderschutzes in Deutschland spürbar erhöht(.) steht nach wie vor auf der offiziellen BMFSFJ– Internet-Seite:

“Fast alle Bundesländer haben ein verbindliches Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen eingeführt … Zentral sind dabei stets Einladungssysteme mit Rückmeldemechanismen. Wenn Familien nicht zu Untersuchungsterminen beim Kinderarzt erscheinen, wird systematisch nachgehakt. Notfalls schaut das Jugendamt zuhause nach dem rechten.https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/ursula-von-der-leyen-wir-haben-das-niveau-des-kinderschutzes-in-deutschland-spuerbar-erhoeht–87356

Darf der Staat “zum Wohle des Kindes” in private Wohnungen eindringen, nur weil die Familien nicht zu den “empfohlenen” Untersuchungsterminen (und dadurch auch nicht zu den entsprechenden Impfterminen) erscheinen? Stellt so nicht der Staat die Eltern unter den unzulässigen Generalverdacht, ihre Kinder zu vernachlässigen oder sie zu misshandeln? Warum misstraut die Politik den Bürgerinnen und Bürgern? Meines Erachtens ist der “Hausbesuch” des Jugendamts unter den genannten Umständen ein Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes. Zur Erinnerung: “Die Wohnung ist unverletzlich.” (Artikel 13 GG, Absatz 1)

Würde man Frau Dr. med. Ursula von der Leyen darauf hinweisen, dass das verbindliche Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen möglicherweise gegen Artikel 13 des Grundgesetzes verstößt, würde sie (lächelnd) auf den ergänzenden Absatz 7 hinweisen: “Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.” (Fettungen von mir)

Tatsächlich kann Artikel 13 des Grundgesetzes je nach politischem Gutdünken unterschiedlich interpretiert und leider auch missbraucht werden, nicht nur zum Schutze gefährdeter Jugendlicher. Im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen mussten unbescholtene Bürgerinnen und Bürger erleben, dass der private Raum nicht mehr unverletzlich ist – ebenso wenig wie der eigene Körper.

Meine Töchter (damals 25 und 22) und ich (damals knapp 63) mussten, nachdem die ältere im Juli 2021 an der Delta-Variante erkrankt war, nicht nur eine zweiwöchige Quarantäne erdulden, sondern auch den Hausbesuch einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamt zulassen, die zur Bekämpfung von Seuchengefahr nach telefonischer Vorankündigung am 23.7.2021 bei uns vorbeikam. Sie übertrat zwar nicht die Tür-, wohl aber die Körperschwelle, um bei mir und meiner jüngeren Tochter den amtlich angeordneten PCR-Test vorzunehmen. Die Frau tat ihre Pflicht, das heißt, sie drang mit dem Teststab durch unsere Nasen hindurch bis an die jeweilige Rachenhinterwand vor.

“Rachenhinterwand” ist ein Bereich meines Körpers, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn habe, aber ich hatte, sonst hätte ich mich erst recht verdächtig gemacht. Was dann kam, war sehr unangenehm, vor allem für meine Tochter, die eine Schockstarre simulierte und sich nicht bewegte. Ich weiß noch, dass ich während der Prozedur langsam, ganz langsam vor dem Teststab zurückwich, was clever war, denn die Frau traute sich nicht, “die Verfolgung aufzunehmen”, vermutlich aus Angst zu stolpern. Und was dann passiert wäre, will ich mir gar nicht ausmalen.

Entwürdigende und grenzüberschreitende PCR-Tests, wie sie damals üblich waren – nur zur Bekämpfung von Seuchengefahr -, hätten so brutal, wie wir sie erlebt haben und wie sie allerorts vorgenommen wurden, niemals durchgeführt werden dürfen, insbesondere nicht bei Kindern. https://stellwerk60.com/2022/06/30/in-dem-moment-als-karl-lauterbach-mit-dem-aufzug-steckenblieb-bekam-ich-corona/

(Doch nicht nur die deutsche Gesundheitspolitik hat damals überreagiert. Als meine ältere Tochter im Juni 2021ihre Schwester besuchte, die für zwei Erasmus-Semester nach Durham/UK gezogen war, wurde sie -aus Deutschland anreisend- in die Kategorie “Amber” eingestuft. Das bedeutete: Online-Anmeldung, COVID-19-Test vor Einreise, 2 weitere Tests vor/am Tag 2 und am/nach Tag 8 nach Einreise, häusliche Quarantäne von 10 Tagen mit Möglichkeit einer Freitestung (immerhin “nur” per kostenpflichtigem Selbsttest) am Tag 5 nach Einreise. In der Quarantäne erlebte sie, dass ein Mitarbeiter des NHS (National Health Service) völlig überraschend vorbeikam und ihre Anwesenheit kontrollierte.)

Vergessen scheint, dass Artikel 13 niemals dazu gedacht war, staatliche Übertretungen zu legitimieren. Im Gegenteil: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland war und ist eine Replik auf die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten. “Die Wohnung ist unverletzlich(.)” (Artikel 13) ist eine Antwort auf Totalitarismus und Terror im NS-Deutschland. “Die Wohnung ist unverletzlich(.)” ist ein klarer, ein leiser Satz, aber ein unbedingtes “Nie wieder!“. Artikel 13 erinnert an die totale Überwachung in der NS-Zeit, an die Razzien der GESTAPO, an die systematische Durchforstung und Auslöschung von Privatwohnungen und an die Deportationen. Der Satz kommt so zart daher, dass man ihn ganz leicht ignorieren kann, wegpusten. Er ist so zerbrechlich, wie der Mensch selber zerbrechlich ist.

Um zu verstehen, warum die damalige Familienministerin, die nie Bundesgesundheitsministerin war, als Gesundheitskontrolleurin auftritt und dermaßen unerbittlich agiert, sollte man sich ihren Lebenslauf genauer anschauen. Ursula von der Leyen, Tochter des CDU-Politikers Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachen in den Jahren 1976 bis 1990, ist zusammen mit sechs Geschwistern in protestantisch-großbürgerlichen, fast schon feudal zu nennenden Verhältnissen aufgewachsen.

In einem anschaulich geschriebenen Cicero-Artikel aus dem Jahr 2013 gibt uns Constantin Magnis Einblicke in einen von Standesdünkel und Arroganz geprägten, streng durchgetakteten Familienalltag. Der Artikel bezieht sich auf die Zeit nach 1971, als die Familie nicht mehr in Brüssel lebte, sondern in Burgdorf-Beinhorn nahe Hannover. Der berufliche Wechsel von Familienvater Ernst Albrecht, der von 1970 bis 1990 Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag war und in den Jahren 1971 bis 1976 einer von fünf stellvertretenden Geschäftsführern des Gebäckherstellers Bahlsen, hatte den Umzug notwendig gemacht.

Ursula ist der Liebling des Vaters. “Trotzdem“, so schreibt Magnis, “wird auch sie zu eiserner Disziplin erzogen. In der Schule wird maximaler Fleiß erwartet, ein Studium ist selbstverständlich, die Promotion erwünscht. Heidi Adele Albrecht erzählt der Bild, wie sie ihren Sohn Harald einmal zur Strafe ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken schickt. Fernsehen, berichten Nachbarn, durften die Kinder kaum, Micky Maus lesen auch nicht. Spielkameraden erinnern sich, dass die Albrecht-Buben Kalender hatten, in die sie Termine zum Spielen notierten.Ungewöhnlich wird bald auch das Leben im Dorf um Tundrinsheide herum. Als Schutz vor der RAF wird in Beinhorn ein eigenes Polizeirevier installiert. Zwölf Beamte und zwei Autos patrouillieren die Straßen, die Kinder werden im Streifenwagen zur Schule gefahren, der Ort wird zur Burg der Albrechts.https://www.cicero.de/innenpolitik/portraet-von-ursula-von-der-leyen-planet-roeschen/56367 (Fettungen von mir. Ich nehme an, dass das, was Constantin Magnis schreibt, gewissenhaft recherchiert ist und der Wahrheit entspricht. Eigentlich ist das, was ich lese, so un-heimelich, dass ich es kaum glauben kann.)

Ursula Albrecht wächst auf als Kind einer Vorzeige-Familie. Mit ihrem Umzug nach Deutschland werden sie und ihre Geschwister Teil einer medialen Inszenierung. Hauptdarsteller ist der vor der Kamera stets strahlende Ernst Albrecht, der sich gerne als Familienvater inszeniert. Albrecht, ab dem Jahr 1976 Ministerpräsident von Niedersachsen, ist der smarte, sportliche Typ. Einmal posiert er zusammen mit zwei Söhnen für den “Kicker“- im Fußballtrikot. https://www.spiegel.de/politik/ernst-albrecht-a-a114c50b-0002-0001-0000-000014327668 Nach Vorbild prominenter US-amerikanischer Politiker-Clans schmückt sich Albrecht mit der großen Familie, die, siehe wikipedia, schillernde Vorfahren vorweisen kann. Tochter Ursula knüpft später da an, durch die Heirat mit dem Mediziner Heiko von der Leyen im Jahr 1986 beschert sie der Familie den noch fehlenden Adelstitel – und wird als Politikerin noch erfolgreicher als ihr Vater.

Doch ist eine Familie unter diesen Bedingungen noch ein warmer, heimeliger Ort, ein Schutzraum? Robert Habeck sagte im Jahr 2018 in einem Interview mit dem dänischen Magazin GRÆNSEN: “Ich habe mal gelesen: Heimat ist da, wo man doof sein kann. Das klingt komisch, aber ich finde es genau richtig: Mit Menschen zusammen zu sein, wo man nicht erklären muss, wer man ist.https://www.nordschleswiger.dk/de/deutschland-suedschleswig/ich-bin-nicht-nur-da-zuhause-wo-meine-muttersprache-gesprochen-wird. Man kann es auch einfacher sagen: Heimat ist da, wo man so doof sein kann, wie man ist.

Die Albrecht-Kinder dürfen nie einfach nur doof sein, sondern müssen fleißig sein, zielstrebig und gehorsam. Schließlich schaut man auf sie. Sie dürfen sich nicht frei bewegen und werden von der Polizei zur Schule kutschiert. Die ersten Male mag das ja noch aufregend sein, aber dann? Wer will mit 15 noch zur Schule gebracht werden? Wie können Eltern bewaffneten Polizisten, die ständig um ihr eigenes Leben fürchten müssen, ihre Kinder anvertrauen? Personenschutz für Kinder, das hätte Ernst Albrecht bewusst sein müssen, erregt erst recht Aufmerksamkeit. Die bewachte Fahrt zur Schule gefährdet nicht nur Mitschülerinnen und Mitschüler, sondern macht die Sicherheitskräfte selber zur Zielscheibe – und das auf Kosten der Allgemeinheit..

Ernst Albrecht muss tatsächlich große Angst vor der RAF gehabt haben. Nicht ohne Grund, denn Albrecht war nicht zimperlich, was die Terrorabwehr betraf. So waren er und die damalige CDU-Landesregierung in einen -wie sich später herausstellen sollte- vom Verfassungsschutz fingierten Anschlag eingeweiht. “Als Celler Loch wurde die Aktion Feuerzauber[1] des niedersächsischen Verfassungsschutzes bekannt, bei der am 25. Juli 1978 ein Loch mit rund 40 Zentimeter Durchmesser in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle gesprengt wurde. Damit wurde ein Anschlag zur Befreiung von Sigurd Debus vorgetäuscht, der als mutmaßlicher Terrorist der Rote Armee Fraktion (RAF) im Celler Hochsicherheitsgefängnis einsaß.” https://de.wikipedia.org/wiki/Celler_Loch Ernst Albrecht hätte, um seine Kinder tatsächlich zu schützen und ihnen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen, vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten müssen, spätestens im Jahr 1986, als der Journalist Ulrich Neufert die wahren Hintergründe der “Aktion Feuerzauber” aufgedeckt hat.

Doch Albrecht bleibt hart. Würde er seine Mit-Schuld eingestehen, würden auch die eigenen Kinder den Respekt vor ihm verlieren. So aber spielen die Kinder mit. Ihnen ist nicht zu verdenken, dass sie den Prominenten-Status genießen, denn die totale Kontrolle ist mit allerlei Annehmlichkeiten verknüpft. Sie beißen in den sauren Apfel und machen sich vor, dass er süß schmeckt.

Fotos der jungen Ursula Albrecht zeigen ein bildhübsches, selbstbewusstes Mädchen. Ursula vergöttert den Vater. “„Röschen“ hockt nachmittags auf der Haustreppe und wartet, bis ihr Vater nach Hause kommt.” Sie interessiert sich für alles, was den Vater interessiert, sogar für Landespolitik. “Während die Brüder bei Besprechungen rausgeschickt werden, erleben Besucher, wie Ursula unterm Schreibtisch ihres Vaters sitzen bleiben darf.” (cicero.de/ s.o.)

In Erziehungsfragen ist Albrechts Ehefrau Heidi Adele seine Verbündete. Vermutlich heißt er es gut, dass sie Sohn Harald ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken lässt. Als sozial engagierte “Landesmutter” hat Heidi Adele Albrecht eine gute Presse. Da wird man schnell leutselig und plappert aus, was man am besten für sich behält. Dass sie ausgerechnet der BILD-Zeitung von ihrer demütigenden Erziehungsmaßnahme erzählt, vermutlich sogar als kleine Anekdote, wundert mich allerdings sehr. Ich gebe “ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken Strafe” in die Suchmaschine ein und werde von einem Ergebnis überrascht, das mich nachdenklich stimmt.

Im Rahmen der Online-Ausstellung “Verfolgung von Jugendlichen im Nationalsozialismus”, die die Lebensläufe von Jugendlichen aus ganz Europa aufzeichnet, “die in der Zeit von 1933 bis 1945 von den Nationalsozialisten aus »rassischen«, politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt und teilweise sogar ermordet wurden…”,  wird auch die Geschichte der 1925 in  Łódź /Polen geborenen Widerstandskämpferin und Auschwitz-Überlebenden Batsheva Dagan erzählt. Die Jüdin Batsheva Dagan wurde im Jahr 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie Zwangsarbeit verrichten musste, unter anderem im “Brennnessel-Kommando”.

Bei ihrer ersten Arbeit im »Brennnessel-Kommando« musste Batsheva mit bloßen Händen, ohne Handschuhe, Brennnesseln pflücken, aus denen »Kaffee« für die Häftlinge gekocht wurde. Bei dieser schmerzhaften Arbeit wurden die Zwangsarbeiterinnen von einer jungen Aufseherin bewacht: Irma Grese. Diese hatte einen abgerichteten Hund, den sie auf die Häftlinge hetzte, wenn sie ihrer Meinung nach zu langsam arbeiteten. Auch schlug sie die Frauen zur Strafe ins Gesicht.https://www.verfolgung-von-jugendlichen-im-ns.de/index.php/biographies/batsheva-dagan

Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die promovierte Germanistin Heidi Adele Albrecht gewiss niemals mit den Nazis sympathisiert hat. Die Taten der KZ-Aufseherin Irma Grese lassen sich nur entfernt mit der Erziehungsmaßnahme von Frau Albrecht vergleichen. Während Irma Grese die jungen Zwangsarbeiterinnen systematisch und tagtäglich quälte, war die Bestrafung des Albrecht-Sohns eine Einzelaktion. Dennoch verurteile ich diese Aktion, bei der Sohn Harald nicht nur zu Gehorsam erzogen und bestraft, sondern vermutlich auch abgehärtet werden sollte. In keinem Fall hätte Heidi Adele Albrecht die Erziehungsmaßnahme öffentlich machen dürfen, denn als “Landesmutter” war sie eine einflussreiche Person und für viele Eltern ein Vorbild.

Der autoritäre Umgangston innerhalb der Familie und das permanente Streben nach öffentlicher Anteilnahme und Anerkennung war gewiss auch eine Reaktion auf einen schweren familiären Schicksalsschlag. Nur wenige Jahre zuvor war die heile Welt für eine Weile zusammengebrochen, als Ursula Albrecht im Alter von 13 Jahren ihre jüngere Schwester Benita-Eva verlor. Diese traumatische Erfahrung ist gewiss eine Ursache für die harte Gesundheitspolitik, die Ursula von der Leyen nach Verabschiedung aus der Bundespolitik als Vorsitzende der EU-Kommission weiter vorantreibt.

Moralisch bedenklich ist allerdings, auf welche Weise Ursula von der Leyen ihre persönliche Lebensgeschichte heranzieht, um als Vorsitzende der EU-Kommission dem Krebs in Europa den Kampf anzusagen. “Mit dem Hinweis auf ihre eigene Familiengeschichte hat die neue EU-Kommissionschefin dem Krebs in Europa den Kampf angesagt. „Als ich als Mädchen in Brüssel lebte, starb meine kleine Schwester im Alter von elf Jahren an Krebs“, sagte die 61-Jährige. „Ich erinnere mich an die enorme Hilflosigkeit meiner Eltern, aber auch der medizinischen Betreuer, die sich so liebevoll um sie kümmerten.“ ” https://www.aerzteblatt.de/archiv/211174/EU-Kommission-Von-der-Leyen-sagt-Krebs-den-Kampf-an Es sind rührselige Worte. mit denen sich von der Leyen zum Opfer stilisiert: Als ich ein kleines Mädchen war…

Der Tod eines Kindes ist so furchtbar, dass er das Leben der betroffenen Familie(n) vollkommen auf den Kopf stellt. Ich selber habe miterlebt, wie Anfang der 1960er Jahre meine damals zweijährige Großkusine Susanne binnen kürzester Zeit an Leukämie starb, was insbesondere für Susannes Schwester, aber auch für mich und meine Geschwister entsetzlich war. Wir hatten Angst, selber zu erkranken. Gleichzeitig waren wir eifersüchtig auf unsere Kusine, die in der Nachbarstadt lebte, denn unsere Mutter fuhr jeden Tag zu ihr. Für sie gab es in diesen traurigen Wochen nur ein Kind: Susanne.

Leukämie war Anfang der 1960er Jahre noch nicht behandelbar. Susannes Vater, selber Arzt, hat damals lebensverlängernde Maßnahmen wie Bluttransfusionen abgelehnt, um seiner Tochter weiteres Leid zu ersparen. Obwohl er der Krankheit gegenüber machtlos war, hat ihn wohl niemand (auch kein Erwachsenener) als “hilflos” empfunden- so wie Ursula Albrecht ihren “Übervater” Ernst Albrecht.

Vermutlich hat Ursula Albrecht ihren Vater bis zum Zeitpunkt des Todes ihrer Schwester für allmächtig gehalten. Jetzt bekommt das Bild einen Kratzer.

Ich halte die Generalmobilmachung gegen Krankheiten, und sei es gegen die von uns allen gefürchtete Krankheit Krebs, für gefährlich. Es führt schnell dazu, dass die Gesundheits-Politik allzu schwere Geschütze auffährt.

Das allzu schwere Geschütz ist in diesem Fall das totale Screening. “Mit einem neuen Ansatz für das Krebsscreening will die EU-Kommission die Mitgliedstaaten bei der Krebsvorsorge unterstützen. Ziel ist es, bis 2025 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der EU, die für Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs-Screenings infrage kommen, ein solches Screening anzubieten. Das populationsbezogene systematische Krebsscreening soll zudem auf Lungen-, Prostata- und unter bestimmten Umständen auch auf Magenkrebs ausgeweitet werden.https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de#verbesserung-der-fr%C3%BCherkennung-von-krebs

Ich bin erleichtert, dass ich wenigstens eines der anvisierten Organe, die Prostata, nicht besitze. Dennoch bin ich alarmiert. Der “Sound” dieser Verlautbarung erinnert mich doch sehr an das “verbindliche Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen“, Ursula von der Leyens familienpolitisches Vermächtnis aus dem Jahr 2009 (s.o.). Gewiss wird das Gesundheitsamt bei mir zuhause “nach dem rechten” schauen, wenn ich nicht zu den Untersuchungsterminen erscheine.

Frau Dr. med. Ursula von der Leyen empfehle ich, einmal Tempo und Verve zu drosseln und gründlich zu recherchieren. Denn es hat vor mehr als zwanzig Jahren eine großangelegte Studie gegeben, bei der im Rahmen der Früherkennung des Neuroblastoms nicht nur in Deutschland Millionen Kleinstkinder per Urin-Windeltest untersucht wurden. Die Folgen waren für einige der Kinder katastrophal. Da aber niemand von einer Katastrophe und nicht einmal einem medizinischen Skandal redet, werde ich es demnächst an dieser Stelle nachholen…

Natürlich ist die Krebsfrüherkennung, wenn sie nicht überspannt wird, vernünftig. Auch Impfungen sind sinnvoll, solange maßvoll geimpft wird und man den Menschen, der ja über große Selbstheilungskräfte verfügt bzw. sie als Heranwachsende/r erst noch ausbilden muss, nicht entmündigt. Denn Impfungen sind (auch) eine wirksame Möglichkeit, den Menschen körperlich und seelisch zu manipulieren. In der DDR war die Impfung der Massen (und insbesondere der Heranwachsenden) ein zentrales Mittel der Machtausübung. Unter der Losung “Der Sozialismus ist die beste Prophylaxe” setzte die DDR seit den 1950er Jahren “eine gesetzliche Impfpflicht durchdie immer umfassender wurde: gegen Pocken, Kinderlähmung, Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Tuberkulose und ab den 1970er-Jahren auch gegen die Masern. Empfohlen wurde, wie auch heutzutage, eine Grippe-Impfung. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr bekamen Heranwachsende insgesamt 20 Schutzimpfungen – staatlich verordnet.” https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/gesundheit/impfen-impfpflicht-polio-epidemie-kinderlaehmung-100.html

Seit dem 1. März 2020 gilt in Deutschland das “Masernschutzgesetz”. Wie früher einmal in der DDR, wo die Masern-Impfpflicht Anfang der 1970er Jahre eingeführt wurde, ist sie jetzt in ganz Deutschland Pflicht. Das bedeutet, dass die Eltern aller Kinder, die über ein Jahr alt sind und eine Gemeinschaftseinrichtung wie KiTa, Kinder-Tagesgruppe oder Schule besuchen oder besuchen wollen, nachweisen müssen, dass die Kinder gegen Masern geimpft sind. Indirekt jedoch verpflichtet diese Impfung auch zur Mumps- und Rötelnimpfung, denn der Masern-Impfstoff ist in Deutschland nur in Kombination mit dem gegen Mumps und Röteln erhältlich.

Wie zu befürchten und nicht anders zu erwarten war, wurden alle Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht zurückgewiesen. Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale sind die wesentlichen Inhalte einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. August 2022 gut zusammengefasst:

Das Bundesverfassungsgericht hat Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht für Kinder zurückgewiesen und sie für verfassungsgemäß erklärt. Demnach stellt die Impfpflicht zwar einen Eingriff in das Elternrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit dar. Diese Grundrechtseingriffe seien aber zumutbar und verhältnismäßig, um besonders gefährdete Menschen vor einer Infektion zu schützen. “Angesichts der sehr hohen Ansteckungsgefahr bei Masern und den … verbundenen Risiken eines schweren Verlaufs besteht eine beträchtliche Gefährdung … Dritter”, heißt es in der Urteilsbegründung.” https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/alles-zur-masernimpfpflicht-das-muessen-sie-jetzt-wissen-76370

Die Masern sind eine nicht zu unterschätzende Kinderkrankheit. Ich habe meine beiden Töchter (Jahrgang 1999 und 1995) auch deshalb gegen Masern impfen lassen, weil ich einen jungen Mann kannte, dessen Hörvermögen nach einer Masern-Erkrankung im frühen Kindesalter eingeschränkt ist. Leider wurden die beiden bei der Gelegenheit -weil es so üblich war- per Mehrfachimpfstoff (MMR) auch gegen Röteln und Mumps geimpft. Ich war vertrauensvoll und naiv. Mehrfachimpfungen sind lukrativ.

Wer sich (aus medizinischer Perspektive) ein umfassendes Bild von der Unvernunft der Masern-Impfpflicht machen will, dem sei folgende Internet-Seite dringend empfohlen: https://individuelle-impfentscheidung.de/aktuelles/masern-impfpflicht/seite-3.html?view=category&cHash=298e1393af328bb62820f2bb85752344

Das Bundesministerium für Gesundheit klärt auf:

Big Brother takes care of you.

Eine allgemeine Impflicht, wie es sie seit 2020 gibt, ist unverhältnismäßig. Selbst das Bundesverfassungsgericht räumt ein, dass die Impfpflicht einen “Eingriff in das Elternrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit” darstellt. Doch ist nicht der Impfakt selber unter Umständen ein Angriff auf die körperliche (und seelische!) Unversehrtheit des Kindes?

Kurz vor der “Pandemie” begegnete ich einem Nippeser Bekannten. Er war in großer Sorge um seine Tochter, die im Sommer 2020 eingeschult werden sollte. Das Mädchen, so erzählte er mir, habe eine so schwere Allergie, dass im Falle einer Masern-Impfung mit einem allergischen Schock zu rechnen sei. Man habe ihm gesagt, dass man das Mädchen dennoch impfen müsse. Aber die Familie könne beruhigt sein. Das Mädchen werde im Krankenhaus geimpft, da stünden im Notfall die Experten bereit. Außerdem könne das Kind im Krankenhaus nach der Impfung weiter beobachtet werden.

Was er mir erzählte, war so entsetzlich, dass ich es kaum glauben mochte. Ein allergischer Schock verletzt den Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Wie kann man unter dem Vorwand, ein Kind schützen zu wollen, in Kauf nehmen, dass es möglicherweise großes Leid erfährt? Unter diesen Umständen wird dem Kind physisch und psychisch Gewalt angetan. Und wenn es schon eine Impfpflicht gibt, wäre dann nicht die Herdenimmunität dazu da, Kindern wie der Tochter meines Bekannten die Impfung zu ersparen und sie vor den unzumutbaren Begleitumständen der “Schutzimpfung” zu schützen?

Später habe ich im Internet einen Text mit den immer noch gültigen Empfehlungen des RKI gefunden, der bestätigt, was mein Bekannte mir erzählt hat. “Ausschließlich Kinder mit klinisch sehr schwerer Hühnereiweißallergie (z.B. anaphylaktischer Schock nach Genuss von geringsten Mengen von Hühnereiweiß) sollten unter besonderen Schutzmaßnahmen und anschließender Beobachtung (ggf. im Krankenhaus) geimpft werden.” https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ10.html

Leben wir noch in einer Demokratie? Die Empfehlungen des RKI sind, wie ich finde, nicht nur undemokratisch, sondern menschenverachtend.

Ich denke, es ist (aus vielerlei Gründen) höchste Zeit für eine Aufhebung der Masern-Impfpflicht. Ein Gerichtsurteil aus dem Sommer 2022, das ermöglicht, dass ein dreijähriges Kind nach Impfung mit einem Einfach-Impfstoff, der in der Schweiz besorgt wurde, in den Kindergarten gehen darf, ist ein Armutszeugnis für die deutsche Gesundheitspolitik, aber dennoch ein kleines Hoffnungszeichen. https://individuelle-impfentscheidung.de/aktuelles/detail/eilantrag-einzelimpfstoff-aus-der-schweiz.html Aber es sollte (und wird hoffentlich) andere Wege geben als den Rechtsweg.

Angela Merkel-Elfchen im Dritten: Ich war Pionierin!

Die autoritäre Kinderbetreuung in den DDR-Kinderkrippen und Kindertagesstätten (inklusive Pflicht-Impfungen und regelmäßiger Gesundheitskontrolle) fand in der Schule ihre Fortsetzung. Wollten die Kinder nicht von den Freizeit- und Gruppenaktivitäten ausgeschlossen werden (und welches Kind will das schon?), mussten sie sich den Jungpionieren anschließen. Die Organisation “Die Jungpioniere”, der fast alle Schülerinnen und Schüler vom 1. bis zum 3. Schuljahr angehörten, war Teil der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“.

Ein sprachliches Zeugnis für die Erziehung zur Unmündigkeit sind Die Gebote der Jungpioniere, die dem Schulkind vorschreiben, wie es zu sein hat: Es soll sich anpassen und funktionieren. Was vom Kind erwartet wird, ist absoluter Gehorsam und eine Einordnung in das sozialistische Kollektiv. Belohnt wird das Kind mit einem Ausweis, einer Uniform, einem Halstuch und dem Gefühl, einer Kindergruppe anzugehören. Die Jungpioniere, das sind WIR.

Ich versuche, mich in eine ehemalige Jungpionierin hineinzuversetzen und aus ihrer Perspektive ein Elfchen zu schreiben. Die Frau ist längst erwachsen, aber im Herzen immer noch Jungpionierin. Wir alle kennen sie. Nach der Wende hat sie im Westen Karriere gemacht. Zugute gekommen sind ihr Intelligenz, Ehrgeiz und ein typisch deutscher, leicht verklemmter Humor. Sie besitzt Eigenschaften, die man auch “deutsche Tugenden” nennt: Fleiß, Ordnungsliebe, Sauberkeit, Disziplin.

Diese Frau erfüllt immer und unter allen Umständen ihre Pflicht. Was die Frau auszeichnet, das ist eine gewisse Bescheidenheit. Bei der Corona-Impfung hat sie nicht Erste sein wollen. Sie hat sich nicht in den Vordergrund gedrängt, sondern in die Reihe gestellt und gewartet, bis sie an der Reihe war.

Ich entnehme den “Gebote(n) der Jungpioniere” die sechs einschlägigen Adjektive und Adverbien und wähle die Ich-Perspektive.

Das kleine Elfchen entsteht ganz von allein…

Ich

war Pionierin,

tüchtig und fleißig!

Ordentlich, sauber, diszipliniert und

gesund!

Ich drucke das Elfchen aus und lese es noch einmal. Es ist stimmig, es passt zu der Frau. Nachts träume ich von ihr, wieder einmal. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/01/27/elfchen-im-ersten-wir-geben-euch-staatssicherheit-ein-gedicht-von-angela-merkel-das-sie-mir-vortrug-wahrend-ich-traumte/ Sie steht freudestrahlend vor mir und liest mir den kleinen Text vor, zweimal, dreimal, sie fühlt sich gesehen. Ihre Darbietung ist fehlerlos, der Vortrag wird lediglich von winzigen Glucksern unterbrochen. Diese Frau, die mir jetzt auch noch zuzwinkert, ist in der DDR aufgewachsen und war FDJ-Aktivistin: Angela Merkel!

Als Kind war Angela Merkel Pionierin in der Organisation Ernst Thälmann. Sie wollte immer die Erste sein und war es oft, doch wahrhafte Pionierin war sie erst nach der Wende, sie war vielfache Erste, sie war “als Frau die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie war im Amt des Bundeskanzlers die erste Person aus Ostdeutschland und die erste nach der Gründung der Bundesrepublik geborene Person.” https://de.wikipedia.org/wiki/Angela_Merkel

Offenbar hat Angela Merkel nicht nur den autoritären Jargon der DDR-Obrigkeit verinnerlicht, sondern auch deren Geisteshaltung. Das ist verwunderlich, denn ist Frau Merkel nicht DDR-kritisch, war für Frau Merkel die DDR nicht ein Unrechtsstaat? Ich schaue im Internet nach und finde ein spiegel– Video vom 23.9.2010. Wir sehen Angela Merkel, die anlässlich der Feiern zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit ein neues Buch von Lothar de Maizière vorstellt: “Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit.”

De Maizière (CDU) war im Jahr 1990 als erster demokratisch gewählter Ministerpräsident zugleich der letzte Ministerpräsident der DDR. Angela Merkel war zu dieser Zeit (zunächst stellvertretende) DDR-Regierungssprecherin – und Lothar de Maizière ihr Vorgesetzter. Die große CDU-Karriere sollte jedoch nicht Lothar de Maizière machen, sondern Angela Merkel.

Im Zusammenhang mit der Buch-Vorstellung hält Angela Merkel eine Rede und stellt klar, dass “trotz des bescheidenen Glücks, das es vor der Wende gegeben habe(spiegel), die DDR aus ihrer Sicht ein Unrechtsstaat war: Die DDR “hat einen perfiden Druck auf alle ausgeübt, die in diesem Lande lebten.” (Video, 0.26-0.36) Indem sie die DDR als “Unrechtsstaat” abstempelt, rechtfertigt Angela Merkel die Wiedervereinigung, so wie sie vonstatten ging: nach den Vorgaben des “Rechtsstaats” Bundesrepublik Deutschland.

Angela Merkels Begründung ist meines Erachtens geschichtsverfälschend, denn “einen perfiden Druck” hat das DDR-Regime nicht auf alle, “die in diesem Lande lebten“, gleichermaßen ausgeübt. Die Brutalität der Obrigkeit bekamen vor allem die Menschen zu spüren, die den Mut hatten, Widerstand zu leisten. Diesen Mut hatte Angela Merkel nicht. Wozu auch? Angela Merkel dürfte ihr bescheidenes Glück genossen haben.

In ihrer Rede verliert sie (anders als an anderer Stelle) kein Wort über den politischen Widerstand in der DDR, über Kriegsdienstverweigerer, über Andersdenkende, kein Wort über die Bürgerrechtsbewegung, die Friedensgebete und die Montagsdemonstrationen.

Auf diese Weise stilisiert sich Angela Merkel zum Opfer eines autoritären Regimes, das sie so nie war.

Aber de Maizière verliert ein paar Worte über Angela Merkel und stellt ihr eine Art Zeugnis aus: “Ich habe Angela Merkel nicht erfunden, sondern sie war da und war in meiner Mannschaft und war eine tüchtige Regierungssprecherin. Und sie ist in allen weiteren Verwendungen ebenfalls tüchtig gewesen.“(Video, 1.42-1.52)

Auch in ihrer Verwendung als Bundeskanzlerin ist Angela Merkel durchaus tüchtig gewesen…

“Buhoo”, “Uhju” und “Ohuuu” – Erinnerung an unseren Hütehund Freki

*3.3.2010

Silvester 2016: Freki am Strand von Bergen aan Zee

Vor etwa drei Jahren hat mich am Eingang der Siedlung einmal ein freundlicher Radfahrer angesprochen. Er stellte sich als Sozialarbeiter der Stadt Köln vor. Seine Aufgabe war es, sich vor Ort ein Bild vom sozialen Klima in der autofreien Siedlung zu machen. Konkret wollte er wissen, ob es abendliche Ruhestörungen gäbe, denn bei der Stadt gingen immer wieder Meldungen ein. Mich sprach er an, weil sich, wie er sagte, niemand so gut in einem Wohnumfeld auskenne wie die Menschen, die mit Hunden zusammenleben. Schließlich müssen Hunde zu verschiedenen Tageszeiten ausgeführt werden, auch am späten Abend.

Allzu viel konnte ich zu den Ruhestörungen nicht sagen. Am späten Abend mache ich einen Bogen um die zwei Tischtennisplatten in der Nähe der KiTa, wo manchmal fiese, angespannte Männer rumhängen, denen nichts Besseres einfällt, als Bierflaschen zu zerdeppern. Schlägereien habe ich aber nie mitgekriegt. Freki war mir da ähnlich, er ist möglichen Beißereien von vornherein aus dem Weg gegangen und wurde nur böse, wenn man ihn bedroht hat. Manchmal hat er schon von weitem Hunde angeknurrt, mit denen “etwas nicht stimmte”. Unser verspielter Hund wurde dann mit einem Mal starr und angespannt. Er hatte -wie viele Hütehunde- ein sicheres Gespür für scharf gemachte, von Menschen abgerichtete Artgenossen. Deren für mich kaum wahrnehmbare latente Beißbereitschaft muss Freki “gerochen” haben. Wenn Gefahr droht, bemerken das die sensiblen Hunde oft eher als wir.

Manchmal konnte ich mich abends kaum noch dazu aufraffen, mit Freki eine Runde zu drehen. Aber wenn ich dann einmal draußen war, war ich oft länger unterwegs, als ich mir vorgenommen hatte. Ohne Freki wüsste ich nicht, dass in der Nähe der Nippeser S-Bahn-Trasse einige Füchse leben, die spätabends auch durch die autofreie Siedlung streifen.

Die vierbeinigen Fressfeinde des Fuchses dürften kaum bis in die Siedlung vordringen, aber was ist mit denen, die fliegen können?

Nur dank Freki habe ich mitbekommen, dass im Sommer 2022 am Rand der autofreien Siedlung ein Uhu gelandet ist. Von dem außergewöhnlichen Besuch erzählte mir eines Abends ein Bekannter aus der Nachbarsiedlung Werkstattstraße, der hier allabendlich seinen Hund ausführt. Er zeigte mir die Stelle, wo er drei Tage zuvor eine “extrem große Eule” gesehen hatte. Sie saß auf einem Pfosten des Zauns hinter der KiTa “Lummerland”. (Interessanterweise waren Freki und ich an genau der Stelle einige Wochen zuvor einem grauen Jungfuchs begegnet.) Als mein Nachbar näher kam, ist der Vogel weggeflogen. Und dieses Abheben war beeindruckend, denn die Spannbreite der Flügel war enorm: “Es waren bestimmt anderthalb Meter”. “Ein Uhu?”, fragte ich. Mein Nachbar zuckte die Achseln. Dass er mitten in Köln-Nippes einem Uhu begegnet sein sollte, konnte er kaum glauben.

Als ich nach Hause kam, stellte ich gleich den Rechner an. Es gibt tatsächlich noch (oder wieder) Uhus im Kölner Raum! Vor ein paar Jahren haben der NABU Stadtverband Köln und die NABU Naturschutzstation Leverkusen Köln ein gemeinsames Projekt gestartet: „Eulen im Kölner Raum.“ Im Rahmen dieses Projekts sind wir Kölnerinnen und Kölner aufgerufen, alle Eulen, die wir bemerken, zu melden. “Wenn Sie nächtliche Rufe vernehmen oder lautlos ein Tier über sich fliegen sehen, schreiben Sie Ort, Datum, Uhrzeit und die Art der Eule bzw. die Beschreibung des Rufes auf und melden es uns …https://www.nabu-koeln.de/projekte/eulenprojekt/. Der Aufruf war erfolgreich, denn im Jahr 2020 sind neben anderen Eulen drei Uhus und im Jahr 2021 sogar vier Uhus “gesichtet” worden. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit darüber liegen.

Dass ein Uhu am Rand einer dicht gebauten Wohnsiedlung landet und eine ganze Weile auf einem vielleicht zweieinhalb Meter hohen Zaunpfosten hockt, kommt natürlich nur selten vor. Ich sehe den Besuch der großen Eule auch als warnenden Hinweis. Noch hat man die hier wild lebenden oder landenden Tiere nicht restlos vertreiben können. Doch sollte das von der Deutschen Bahn geplante Zuführungsgleis tatsächlich gebaut werden, dürfte es mit überraschenden, wundersamen Begegnungen zwischen Mensch und Tier wohl für immer vorbei sein.

Der Nippeser Uhu hat an dem Abend keinen Laut von sich gegeben, auch nicht den, nach dem er benannt ist. “Ebenso charakteristisch ist sein namensgebender Balzruf: Das dumpfe, bis zu einem Kilometer weit tragende “buhoo” des Männchens und das hellere “uhju” des Weibchens verraten seine Anwesenheit auch, wenn man ihn nicht zu Gesicht bekommt. Die Rufe werden im Acht- bis Zehnsekundentakt aneinandergereiht, dienen der Revierabgrenzung und sind ganzjährig zu vernehmen. In der Herbst- und Frühjahrsbalz hört man sie oft im Wechselgesang, nur selten dagegen während der Brutzeit.” https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/2005-uhu/02779.html.

Tiefe Laute der Liebe können auch Hunde ausstoßen. Einmal ist Freki -wenn auch nur zum Schein- Vater geworden. Soweit ich mich erinnere, war es im Frühsommer 2015. Freki war fünf Jahre alt. Hündin Mona (Name geändert), die damals noch in Stellwerk 60 lebte, war läufig und Freki nicht zu halten. Tagsüber hielt sich seine Sehnsucht in Grenzen, aber am Abend (alle, die jemals Liebeskummer hatten, kennen das) wurde Freki sehr traurig. Er winselte leise und seufzte. Eines Abends stellte sich Freki mitten in den Raum, hob die Schnauze, legte den Kopf in den Nacken und heulte mit tiefer Stimme: “Ohuuu…” Der Kopf kam kurz nach vorne, doch das Spiel begann von neuem: “Ohuuu”.

Ein paar Wochen später erzählte mir Monas Besitzer, dass die Hündin scheinträchtig war. Von wem, das traute ich mich nicht zu sagen. Mona musste Frekis Wolfsgeheul durch die zweifach verglasten Fensterscheiben hindurch gehört haben.

Das ist nicht Mona, sondern die Französin Colette (Name geändert), die im August 2021 in Perros-Guirec/Bretagne Urlaub machte. Freki und ich trafen Colette oberhalb vom Plage de Trestraou. Da Hunde in der Hauptsaison nicht an den Strand dürfen, was nicht unvernünftig ist, gingen Freki und ich -während sich unsere jungen Begleiterinnen am Strand amüsierten- spazieren. Leider konnte ich mich in keines der Cafés setzen, denn dann hätte ich geimpft, genesen oder (frisch) getestet sein müssen, was ich alles nicht war. Freki fand Colette doof und kokett, ich war entzückt. Ihre Besitzerin, die vermutlich permanent Anfragen bekommt, erlaubte mir, die fotogene Hündin zu fotografieren. Voilà!

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Anfang November ist auf unserer Terrasse an einem frühen Vormittag ein Turmfalke gelandet. Meine Tochter und ich bemerkten ihn durch die Fensterscheibe hindurch. Plötzlich schrie meine Tochter: “Der hat ja einen Vogel im Schnabel!” Sie riss die Terrassentür auf, aber der Falke ließ den piependen Vogel nicht los, sondern flog mit ihm davon. In dem Moment wussten wir, dass Freki, der schon sehr krank war, nicht mehr lange leben würde.

Maus im Bauch: Turmfalken-Weibchen Am Alten Stellwerk, Herbst 2019

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Freki musste am 7.11.2022 “eingeschläfert” werden. Dass man in der Tierheilkunde nicht davor zurückschreckt, die Prozedur “Euthanasie” zu nennen, wusste ich bis dahin nicht.

Wäre unser Garten größer, hätten wir die “sterblichen Überreste” dort begraben. So aber war die Einäscherung eine annehmbare Möglichkeit, den Körper vor der Entsorgung in der Tierbeseitigungsanlage zu bewahren. Am vergangenen Freitag wäre Freki 13 Jahre alt geworden. Meine Tochter und ich sind zum Rhein gefahren und haben in der Riehler Rheinaue, die Freki so sehr liebte, in dem Moment, als die Sonne sich kurz zeigte, einen Teil seiner Asche versenkt.

August 2018: Sennen Cove/Land’s End, Cornwall.

Elfchen im Zweiten: Gäbe es unsere Liebeslieder ohne die Regenwürmer?

Es gibt ein munteres Kinderlied, das modern klingt, aber schon über hundert Jahre alt ist: “Hörst du die Regenwürmer husten? Ahua, uha. Wie sie durchs dunkle Erdreich zieh’n. Wie sie sich winden und dann verschwinden, auf nimmer nimmer Wiederseh’n. Und wo sie waren, da ist ein Loch, Loch, Loch. Und wenn sie wiederkommen, ist es immer noch, noch, noch...”

Autor des Textes ist der evangelische Pfarrer und Dichter Georg Christian Dieffenbach (1822-1901). In der schmissig-heiteren Vertonung aus dem 20. Jahrhundert – nach der Melodie des Lieds Get Me to the Church On Time aus dem Musical My Fair Lady– wurde (und wird) das Lied nicht nur von Kindergartenkindern gesungen, sondern auch von marschierenden Bundeswehrsoldaten (und mittlerweile leider auch -innen), zu deren Repertoire zahlreiche Volks-, aber auch Kinderlieder gehören. Das Schuhwerk der Marschierenden ist so robust, dass der Regenwurm, dem die Uniformierten bei feuchter Witterung häufig begegnen, ihnen nichts anhaben kann.

Ich muss zugeben, dass mir Regenwürmer nicht ganz geheuer sind. Ich nehme die haarlosen, sich windenden Zwitter-Tierchen nicht gerne in die Hand, was ich aber manchmal tun muss, denn nach einem sommerlichen Regenschauer sind die Wege in der autofreien Siedlung in der Regel mit Regenwürmern übersät, die die Orientierung verloren haben.

Wir Menschen bringen Würmer mit Tod und Verwesung in Verbindung und nicht mit Leben und Blüte. Vor den Maden, den Larven der Fliegen, ekeln wir uns. Maden sind gefräßig. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich bis ins späte 19. Jahrhundert das Vorurteil hielt, dass Regenwürmer Schädlinge sind und Pflanzen anfressen. Die meisten Menschen konnten nicht glauben, dass die Regenwürmer für die Fruchtbarkeit des Ackerbodens unerlässlich sind. Warum war ausgerechnet der schnöde Regenwurm wichtig, und warum sollten ausgerechnet seine Ausscheidungen für das Gedeihen und den Ertrag der Pflanzen von elementarer Bedeutung sein?

Selbst der Gott der Bibel ist nicht vorurteilsfrei. Im Gegenteil: Er redet abschätzig über “alles Gewürm des Erdbodens”. “Füllet die Erde“, sagt er zu Adam und Eva (mit Menschen!), “und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.” (Gen 1,28, Luther-Bibel, https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/)

Gottes Geringschätzung gegenüber den Kriechtieren kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Schlange zum kriechenden Tier degradiert: “14Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. 15Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/GEN.3/1.-Mose-3

Schlangen bewegen sich lautlos und sind Meisterinnen im Sich-Verbergen. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu stammen. Schlangen nehmen Schallwellen wahr, aber auch feinste Boden-Vibrationen. Dass sie Sinne haben, über die wir Menschen nicht verfügen und für die wir keinen Namen haben, macht sie uns unheimlich. Auch dass Schlangen keine Beine brauchen, um sich am Boden (elegant!) fortzubewegen.

Den Menschen, die lebten, als die Texte der Genesis verfasst wurden, dürfte nicht entgangen sein, dass Schlangen gut klettern können, insbesondere die Äskulapnatter, die sich in der griechischen Mythologie um den Wanderstab des Gottes der Heilkunde windet, Asklepios (Äskulap”). Die Äskulapnatter, heute noch Symboltier für den ärztlichen Beruf, liebt es, sich auf Bäumen zu verbergen. Auch das ist uns Menschen nicht ganz geheuer. So ist es nicht verwunderlich, dass der Gott der Genesis die Schlange vom Baum holt.

In der Paradies-Geschichte ist die Schlange das Böse schlechthin, die Lügnerin, die Verführerin. Doch Gottes Furor richtet sich nicht gegen ein einzelnes Tier, sondern gegen die Unberechenbarkeit der Natur, die sich in der geheimnisvollen, vieldeutigen Schlange manifestiert. “Die Schlange ist ein Ursymbol”, schreibt Ingrid Olbricht (1935-2005), “… in fast allen Kulturen spielt sie in Mythen und im Brauchtum eine große Rolle. So bedeutete die Schlange einerseits Leben, Erneuerung, Verjüngung, Häutung, Auferstehung und andererseits Tod, Gift und Zerstörung. Sie symbolisierte die schöpferische Kraft der Erde. Sie war Begleiterin der Großen Mutter, geheimnisvoll wie sie, rätselhaft, intuitiv, eine unkontrollierbare, undifferenzierte, unerschöpfliche Lebenskraft. Weiterlesen: https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/wp-content/uploads/2015/07/Symbol_der_Schlange.pdf (unbedingte Lese-Empfehlung!)

Abgestreiftes “Natternhemd”: Eine Freundin meiner älteren Tochter lebt in den Tessiner Bergen. Im Frühjahr 2022 hat sie direkt unter ihrem Fenster eine Schlangenhaut gefunden, die vermutlich, wie an der “Kopfbekleidung” zu erkennen ist, von einer Ringelnatter stammt. Bei der Schlange dürfte es sich um ein älteres Weibchen handeln, denn die abgestreifte Haut ist über einen Meter lang. Anders als etwa bei den Äskulapnattern ist bei den Ringelnattern das weibliche das wesentlich größere Tier. Das Bild ist der Ausschnitt eines Fotos, das meine Tochter, die zufällig dort war, mit dem Smartphone gemacht hat.

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Wenn auch zahnlos und weniger vieldeutig, so ist der “Gemeine Regenwurm” ebenfalls ein altes Symboltier: “In den frühen Epochen unserer Geschichte glaubte man, dass der Regenwurm über besondere Heilkräfte verfüge. Im Schamanismus galt er als Krafttier, das für Erneuerung und Heilung stand. Er diente als Orakel und beliebte Zutat für Zaubereien und Rituale. Im alten Ägypten wurde der Regenwurm sogar heiliggesprochen und stand unter dem Schutz von Königin Cleopatra.http://www.regenwuermer.info/regenwurm/bedeutung-bodenverbesserung.php

Die ersten Hinweise auf den großen praktischen Nutzen der Regenwürmer stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der englische Schriftsteller und Naturforscher Gilbert White (“The Natural History and Antiquities of Selborne, 1789″) stellte dar, auf welche Weise der Regenwurm den Ackerboden lockert und somit die Entwicklung der Pflanzen fördert. Wissenschaftlich untermauert wurde die Bedeutung der Regenwürmer aber erst im 19. Jahrhundert, und zwar insbesondere durch Charles Darwin, der von White beeinflusst und beeindruckt war.

Der bekannte englische Naturforscher Charles Darwin hielt bereits 1837 vor der Geologischen Gesellschaft von London einen Vortrag über die Bedeutung der Regenwürmer bei der Bodenbildung („On the Formation of Mould“). Aber erst 1881 veröffentlichte er seine langjährigen und umfangreichen Beobachtungen in dem Buch „The Formation of Vegetable Mould through the Action of Worms, with Observations of their Habits“ (deutsch: „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer”), das von Biologen und Bodenkundlern als Grundlagenwerk der Bodenbiologie gewürdigt wird (vgl. GRAFF 1983, S. 30/31).https://hypersoil.uni-muenster.de/1/02/49.htm

Darwin sollte, nachdem er von seiner mehrjährigen Reise mit der Beagle zurückgekehrt war, England nie mehr verlassen. Doch auch das Leben der hier heimischen Lebewesen ist Teil einer universalen Naturgeschichte. So beobachtete Darwin seine unmittelbare Umgebung und studierte die Evolution sozusagen im eigenen Garten, wobei der englische Regen seinen Studien zugute kam.

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Wenn der stille, gehörlose, lediglich leicht schmatzende Regenwurm (wissenschaftlicher Name: Lumbricus terrestris) auch im Erd-Reich verschwindet, kommt er dennoch immer wieder ans Licht, dann nämlich, wenn es regnet und er in seinen unterirdischen Höhlen und Gängen zu ertrinken droht. Jetzt aber begegnet er einem Tier, das nicht nur Regen mag.

Die Regenwürmer haben einen Fressfeind, den ich zum Lauschen gerne hab. Singvögel, die im Laufe der Evolution komplexe Melodien entwickelt haben, existieren seit 33 Millionen Jahren. Wir Menschen lauschen ihnen nicht nur, sondern ahmen seit jeher ihren Gesang nach. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir unsere Liebeslieder auch den Regenwürmern verdanken.

Amsel

Drossel, Fink

und Star, unsere

Liebeslieder waren vor uns

da

Sommer 2022: Dieses Amselmännchen widersteht dem Impuls, die Rosine direkt zu verzehren. Es wartet so lange, bis das Jungtier auch eine Rosine aufgepickt hat. Dieser “Ästling” wurde schon als “Nestling” mit (ungeschwefelten) Rosinen gefüttert, die wir auf die Terrasse gestreut hatten, deshalb mag er sie sehr. Im letzten Sommer habe ich mehrmals beobachtet, wie das fütternde Amselmännchen zusätzlich zum Regenwurm, den es im Schnabel hatte, noch Rosinen aufgepickt hat. Ein Balanceakt!

Dieses Jungtier hat zwar vor etwa zwei Wochen das Nest verlassen, braucht seine Eltern aber immer noch. Doch mittlerweile kriegt es das Futter nicht mehr einfach so in den offenen Schnabel gestopft. Her zeigt ihm sein Vater, wie eine Amsel es macht.

Wenn eine Jung-Amsel eigenständig ist, verlöscht das Interesse der Eltern an ihr. Dennoch werden die Eltern wieder Eltern sein und in Zukunft wieder gemeinsam brüten. Amseln leben überwiegend monogam und bleiben über mehrere Brutperioden zusammen. Die Jung-Amsel ist Vater und Mutter gleichermaßen zugeneigt. Bei uns Menschen ist das anders. Da die Mutter das Kind austrägt, zur Welt bringt und stillt, ist im Idealfall die körperliche Symbiose zwischen Mutter und Kind so tief, wie sie zwischen Vater und Kind nie sein kann – und auch nie sein sollte.

Elfchen im Ersten: Der Schneid’ge mit der Scher’

Der

Schneid’ge mit

der Scher’ kommt

heut’ mit der Impfspritz’

daher

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Bachem, Winter 1957/58

Das Foto, das ich mir angucke, zeigt einen nackten kleinen Jungen, der etwa ein halbes Jahr alt ist. In Ermangelung eines Eisbärenfells hat man das Kind auf ein feines Kissen gelegt. Der Junge liegt auf dem Bauch und hebt den Kopf, was ihm noch ein bisschen schwer fällt. Das Kind ist mein späterer Mann Manfred. Es gibt nicht viele Fotos von ihm, aber diese wenigen erzählen viel.

!!!Achtung, der Junge auf dem Foto unten ist nicht “Manfred”. Ich habe mir Bild und Baby nur “ausgeliehen”, d.h. aus dem Internet abfotografiert. Das Foto ist knapp 50 Jahre älter, stammt aus dem Jahr 1909 und zeigt den Vater einer Fotografin namens Monika Paar. Der wache, knuffige Junge, der meinem Mann ähnlich sieht, war damals schon im Krabbelalter und konnte -anders als der kleine Manfred- wegkrabbeln, was er im nächsten Moment wohl auch gemacht hat. https://www.fotocommunity.de/photo/schon-1909-monika-paar/2190985 Sobald ich “mein” Foto gefunden habe, werde ich es gegen dieses Bild austauschen!!!

Es war einmal: Das Glück, nackt auf dem Bauch zu liegen und nicht damit rechnen zu müssen, verletzt zu werden.

Winter 1957/58: Mein späterer Mann, ein zweitgeborener Sohn, hat seiner Mutter eine gute Geburt beschert. Sie hat ihn einige Wochen lang gestillt und findet es selbstverständlich, dass er kräftig und robust ist. Schließlich ist er ihr Sohn.

Seine Eltern sollten ihm -wie auch den anderen beiden Söhnen- nie Angst machen oder mit Strafe drohen. Eine glückliche Kindheit: So, wie man ist, angenommen werden. Geliebt werden, weil man da ist, nicht zurechtgebogen, nicht belogen, nicht für blöd verkauft werden. Manfred ist schon als Dreijähriger alleine nach draußen gegangen, um mit anderen Kindern zu spielen. Das war damals noch möglich, denn der Autoverkehr hielt sich in Grenzen und das Teilstück der A1 bei Bachem sollte erst gebaut werden, als die Familie nach Frechen-City gezogen war. Manfred wollte nicht in den Kindergarten, obwohl seine Eltern es ihm angeboten hatten. Unter den Frechener Jungs war es verpönt, in den Kindergarten zu gehen. Der Kindergarten war was für Doofe – und für Mädchen.

Allem Fortschritt zum Trotz haben die heutigen Babys die gleichen Bedürfnisse wie die Babys der Steinzeit. Sie wollen es warm haben, wollen in den Arm genommen werden, getröstet, gefüttert, unterhalten, getragen. Ein Menschen-Kind wird mit einer wunderbaren Eigenschaft geboren: Urvertrauen. Als Nesthocker weiß es noch lange nicht, was gut für es ist, es kann sich nicht wehren, wenn man es verletzt. Ein Rest “gesunder Tierverstand” (Friedrich Nietzsche) lässt die meisten Eltern das Richtige tun: Sie kümmern sich um ihr Kind und passen auf, dass niemand ihm wehtut.

In den frühen menschlichen Gesellschaften haben vermutlich fast ausschließlich Frauen die neugeborenen Kinder versorgt und beschützt. Wir müssen uns vorstellen, dass die Frauen vor der Sesshaftwerdung des Menschen innerhalb ihrer zahlenmäßig überschaubaren “Gesellschaft” machtvoll waren, jedoch nicht im heutigen, landläufigen Sinne. Sie hatten keine Macht über andere Menschen, sondern waren das Zentrum ihrer Gruppe. Ihre Macht war nicht angemaßt, sondern naturgegeben. Schließlich waren sie es, die das Kind neun Monate in sich trugen, es unter Todesgefahr zur Welt brachten und via Geburt das einzige für Neugeborene “bekömmliche” und das Überleben des Menschen sichernde Nahrungsmittel produzierten: Muttermilch.

Was die Macht der Frauen (auch für das Selbstbewusstsein der Männer) bedeutete, brachte der humorbegabte US-amerikanisch-deutsche Tübinger Forscher Nicholas Conard im Jahr 2009 auf den Punkt: „Bei mobilen Jäger und Sammlern ist das Schlimmste, was passieren kann, dass Frauen in den reproduktiven Jahren sterben oder gesundheitliche Probleme… Wenn ein paar Männer verschwinden, ist es nicht schlimm. Aber eine gesunde Frau, die Nachwuchs produzieren kann, ist für die Existenz der Gruppe in der Eiszeit sehr wichtig.“ https://www.deutschlandfunkkultur.de/vor-zehn-jahren-erstmals-praesentiert-die-venus-vom-hohle-100.html (Fett-Markierung von mir).

Doch der tiefe Respekt vor der Frau hatte mehr als nur praktische Gründe. Denn “was hat die steinzeitliche Welt so lange in der Balance gehalten? Warum hat der Gebrauch von Werkzeugen und Waffen nicht zur Selbstzerstörung geführt? … Entscheidend war die Liebe zum Leben: Das Gespür für Natur, die Ehrfurcht vor der weiblichen Gebärfähigkeit und die Einbettung des menschlichen Daseins in den göttlichen Kosmos…“ https://stellwerk60.com/2022/07/09/elfchen-im-siebten-schoepfungswonne/ Als Gebärende bekommt die Frau eine Ahnung von der allem Lebendigen innewohnenden Schöpfungskraft. Der Schlüssel zur Wahrnehmung dieses Vermögens, das das Gegenteil ist von simpler (männlicher) Muskelkraft, sind die Geburts-Wehen, ein Potential, das in jeder Frau “schlummert”, ob sie ein Kind zur Welt bringt oder nicht.

Es war den Jägern und Sammlerinnen bewusst, dass wir Menschen mit allen Kreaturen verwandt und Teil der Natur sind. Sie wussten, dass der Wechsel der Jahreszeiten die Fruchtbarkeit sicherstellt. Sie lebten in den relativ ruhigen Zeiten vor sich häufenden “Extremwetterereignissen”, vor “Lichtverschmutzung” und “Lichtsmog”. Der wolkenlose Nachthimmel war klar und der Zusammenhang zwischen Mondrhythmus und Menstruationszyklus unübersehbar.

Die besondere Nähe der Frau zur Natur war offenbar. Die frühen Menschen erfuhren Natur in ihrer Grausamkeit (Erdbeben, Hungersnöte, Mütter- und Kindersterblichkeit u.u.), aber auch in ihrer mannigfaltigen Schönheit und ihrem zyklischen Wiedererwachen. Und eines lernten die Menschen von den wilden Tieren: Um die “Natur nicht zu erzürnen” und um diese Welt in Balance zu halten, darf sich jede Kreatur nur so viel von der Natur nehmen, wie sie zum Überleben braucht.

Wenn man von einer “Ursünde” reden will, dann ist es die, dass Männer die Macht ergriffen und der Natur den Krieg erklärten. Mit des Vatergottes Segen machten sie sich die Erde untertan und versuchten, die Natur zu kontrollieren und restlos zu beherrschen. Sie kreierten den “Feind” und erfanden Waffen, die nicht mehr der Verteidigung gegen wilde Tiere dienten oder der Jagd, sondern der Tötung von Artgenossen, der Vernichtung von Mitmenschen. Was die gegenwärtige Welt mehr als notdürftig “zusammenhält”, ist das Gegenteil einer natürlichen Balance: Das Gleichgewicht des Schreckens. Die feigste, perfideste und erbärmlichste Drohgebärde ist die Drohung mit der Atombombe.

Die Natur ist nicht paradiesisch. Auch wir Menschen einer technisierten Welt werden immer wieder daran erinnert, dass wir sterblich sind. Geburt, Krankheit und Tod lassen sich -trotz aller wissenschaftlichen Bestrebungen- nicht abschaffen.

Die medizinische Wissenschaft hat viel Gutes bewirkt, schlägt aber immer mehr über die Stränge. Frauen müssen heutzutage keine Angst mehr davor haben, bei der Geburt zu sterben. Der Notkaiserschnitt ist eine große medizinische Errungenschaft. Doch die Option Kaiserschnitt hat ihren Preis, denn das ärztliche Versprechen einer “sicheren Geburt” geht einher mit einer engmaschigen Gesundheitskontrolle. Das jedoch öffnet nicht nur der Medizin, sondern auch der Gesundheitspolitik Tür und Tor.

Wir erleben eine immer weiter fortschreitende Entmündigung der Frau und eine Medizinisierung des Lebens, insbesondere da, wo es beginnt. Die Räume einer genuin weiblichen Erfahrung -wie Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt- sind längst von der Medizin in Besitz genommen worden. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge wird die Frau Objekt der Gynäkologie. Ihr Blut wird auf mögliche Anomalien hin untersucht, ihr Bauch ausgeleuchtet, ihr Fötus vermessen. Der Mutterleib ist nicht mehr dunkler, primärer Schutzraum, sondern sein Gegenteil: Durchleuchteter “öffentlicher Ort” (Barbara Duden).

Jede Geburt ist nicht nur ein Hervorbringen, sondern auch eine Trennung. Nach der Abnabelung lernen sich “Mutter” und “Kind”, die keine Einheit mehr sind, sondern zwei verschiedene Menschen, überhaupt erst kennen. Um im Anschluss an die Zweieinigkeit im Mutterleib eine Symbiose aufbauen zu können, muss die Mutter, nachdem sie ihr Kind geboren hat, es zu sich holen, sich mit ihm anfreunden. Dieses elementare Wiederfinden, die Ur-Versöhnung, die ihre Zeit braucht, aber in aller Regel gelingt -insbesondere über das Stillen-, wird zunehmend gestört. Die moderne Medizin okkupiert die Leiber und treibt -anders kann ich es leider nicht sagen- einen Keil zwischen Mutter und Kind.

Kaum ist ein Kind abgenabelt, wird es von der Gynäkologie zur Kinderheilkunde weitergereicht. https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/ Die “kostenlosen”, meines Erachtens übertriebenen und in ihrer Maßlosigkeit grenzüberschreitenden Kinderuntersuchungen 1-9, die alle in die Vorschul-Zeit fallen, enthalten nicht nur “Vorsorgeuntersuchungen”, sondern sind mit immer zahlreicher werdenden “kostenlosen” Impfungen und Auffrischimpfungen verknüpft, vor allem, aber längst nicht nur gegen Kinderkrankheiten. Und welche Eltern sagen schon NEIN, wenn eine Organisation mit dem Ehrfurcht einflößenden Namen “Ständige Impfkommission” (STIKO) eine Impfung empfiehlt? Was die Kinder bei den U-Untersuchungen erwartet (ihnen “blüht”), wird in einem “Patienten”(!)-Flyer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) anschaulich beschrieben. https://www.kbv.de/media/sp/Patientenflyer_Frueherkennungsprogramm_Kinder_final.pdf

In den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Bayern ist die Teilnahme der Kinder an allen U-Untersuchungen Pflicht. Doch auch in den anderen Bundesländern lassen sich die Kindertagesstätten, wenn Eltern ihr Kind anmelden, nicht nur einen Impfpass mit Nachweis der verpflichtenden Masernimpfung, sondern oft auch ein Heft vorlegen, das die Teilnahme des Kindes an den U-Untersuchungen dokumentiert. Im “Frei”staat Bayern ist darüber hinaus die Teilnahme an der J1 Pflicht. “Art. 14 GDVG verpflichtet Eltern, die Teilnahme ihrer Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen („U-Untersuchungen“ U1 bis U9, J1) sicherzustellen.”  https://www.stmas.bayern.de/kinderschutz/praevention/index.php

J1 meint eine Untersuchung für Jugendliche von 12 bis 14 Jahren, die im Jahr 1998 eingeführt wurde. Im Rahmen der J1 wird der “Impfstatus” überprüft und mittlerweile auch die “kostenlose” Impfung gegen HPV (Humane Papillomaviren) empfohlen. Wenn sich die Jugendlichen zur Untersuchung angemeldet haben, bekommen sie einen Frage-Bogen in die Hand gedrückt. Den Fragebogen gibt es in verschiedenen, mehr oder minder indiskreten Fassungen. Hier ein Auszug aus der Version von http://www.kinderaerzte-im-netz.de:

Hast du Sexualprobleme?” – Angesichts von so viel ärztlichem “Interesse” sehen viele Jugendliche rot. Kein Wunder, dass nicht einmal 30% aller deutschen Dreizehnjährigen zur J1 gehen. Ich finde diesen nassforsch-lässig das “Du” benutzenden Aus-Fragebogen scham- und respektlos.

(Kleine Ergänzung 16.3.2023: Gerade habe ich gelesen, dass im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung namens U Null neuerdings bereits Föten in der Kinderarztpraxis vorstellig werden können! “Die U0, eine neue Vorsorgeuntersuchung am Ende der Schwangerschaft, ist ein Angebot für werdende Mütter ab der 28. Schwangerschaftswoche bzw. Eltern, sich beim Pädiater vor der Geburt zu wichtigen Themen der Babygesundheit informieren zu lassen. Sie wird ab dem 1.1.2023 von bestimmten Krankenkassen kostenlos angeboten.” https://www.kinderaerzte-im-netz.de/mediathek/u0-vorsorge/)

Babys sind noch nicht in der Lage, ein Kreuz in einen Kringel zu malen. Das schützt sie leider nicht davor, geimpft zu werden, auch gegen eine Krankheit, die ihnen kaum etwas anhaben kann und die sie nicht einmal übertragen. Seit Ende Oktober 2022 wird die Corona-Impfung mit dem Impfstoff von BionTech von der STIKO auch für vorerkrankte Kinder ab sechs Monaten empfohlen, wobei “vorerkrankt” so weit ausgelegt werden kann, dass bis zu 10% der Kinder ab sechs Monaten darunter fallen.

Hiermit unterwirft sich die deutsche der rigiden und riskanten US-Gesundheitspolitik. “Es gibt Länder wie Schweden, Dänemark, die Schweiz, Großbritannien, die empfehlen Kindern unter zwölf gar keine Impfung, also auch keinen Babys oder Kleinkindern. Der Nutzen sei einfach nicht groß genug. Ganz anders die USA: Dort raten die CDC zur Impfung für alle Babys und Kleinkinder, die Weltgesundheitsorganisation sieht das ähnlich.” https://www.deutschlandfunk.de/wie-wichtig-sind-corona-impfungen-fuer-vorerkrankte-kleinkinder-100.html

Indirekt gibt es in Deutschland die Baby-Impfung schon länger. Seit September 2021 empfiehlt die STIKO sowohl stillenden als auch schwangeren Frauen die Corona-Impfung. Ziel der Impfung ist nicht nur der Schutz der Mutter vor einer Corona-Infektion, sondern der Schutz des neugeborenen bzw. ungeborenen Kindes. Die stillenden bzw. werdenden Mütter sollen via Muttermilch bzw. Mutterkuchen Antikörper an ihr Kind weitergeben und so den “Nestschutz” optimieren.

Diese Empfehlung ist angesichts der Tatsache, dass Babys kaum an Corona erkranken, meines Erachtens inakzeptabel. Völlig missachtet wird, dass die Mutter nicht nur Antikörper, sondern auch Chemikalien sowie mögliche Langzeit-Nebenwirkungen der Impfung an das Kind weitergibt. Die Empfehlung der STIKO ist schon deshalb fahrlässig, da das Blut von neugeborenen Kindern ohnehin schwer mit Schadstoffen belastet ist. Im Jahr 2021 wurde das Ergebnis einer Studie publik. Ein US-amerikanisches Forscherteam konnte “109 verschiedene Chemikalien im Blut der Babys und der Mütter nachweisen. 40 davon stammen aus Weichmachern, 29 aus Medikamenten, 28 aus Kosmetikprodukten und 25 aus typischen Haushaltsmitteln. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler 23 Pestizide, sieben polyfluorierte Alkylverbindungen und drei Flammschutzmittel.” https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/109-industriechemikalien-im-blut-neugeborener-babys-13374840

Alarmierende Meldungen wie diese verschwinden schnell aus den Schlagzeilen, denn sie stellen die gängige Impf-Praxis (Impfen! Impfen! Impfen!) in Frage. Außerdem -so ist zu befürchten- will man sich weder das Geschäft vermiesen noch den Spaß verderben lassen. Kinder impfen dürfte manchen Ärzten tatsächlich Spaß machen! Anders kann ich mir Karl Lauterbachs Elan nicht erklären, jene freudvolle Inbrunst, mit der er Ende 2021 Kinder impfte. vgl.:https://stellwerk60.com/2021/12/28/wie-suess-oezlem-tuereci-biontech-malt-ein-kleines-herzchen-in-das-goldene-buch-der-stadt-koeln-gedanken-zum-fest-der-unschuldigen-kinder/

In meinem Blogbeitrag zum Dreifach-Elfchen im Elfchen schrieb ich: “Ich denke, dass die fotorealistische Darstellung der Impfung eines Kindes die Phantasien pädophil gestörter Männer… anregt. Dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der Impf-Werbung diese Bilder in Umlauf bringt bzw. bringen lässt, ist meines Erachtens verwerflich.https://stellwerk60.com/2022/11/30/dopp-elfchen-im-elften-kinder-die-was-wollen/

Besonders ekelhaft finde ich die Impf-Bilder dann, wenn der Spaß-Faktor hinzukommt. So wurde im Zusammenhang mit der Baby-Impfung in einem Beitrag des SWR ein “lustiges” Foto veröffentlicht. (Foto: IMAGO, imago/pantherMedia/Norbert Schäfer) https://www.swr.de/wissen/usa-biontech-coronaimpfung-fuer-unter-fuenfjaehrige-100.html

Der Arzt als Kinderschreck…

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Das Elfchen im Ersten zum Zweiten:

Der

Schneid’ge mit

der Scher’ kommt

heut’ mit der Impfspritz’

daher

***

Doch was ist an dem Foto so schrecklich? Ich denke nach…

Wahrscheinlich finde ich es deshalb so schrecklich, weil es (indirekt) die hoch umstrittene Corona-Baby-Impfung banalisiert und dabei auch noch lustig daherkommt. Vermutlich bringt der erschrockene Gesichtsausdruck des nichtsahnenden Kindes viele Leute zum Schmunzeln. Wir kennen den untergründig fiesen Humor aus einer Urschrift der “Schwarzen Pädagogik” (Begriff: Katharina Rutschky), dem “Struwwelpeter”.

Das Buch, das der Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann für seinen dreijährigen Sohn schrieb und illustrierte, fanden damals viele Menschen lustig. So hieß die Erstausgabe im Jahr 1845 noch nicht “Struwwelpeter”, sondern erschien unter dem Titel Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3–6 Jahren.” Nun, so “drollig” ist es nicht, auch wenn der Titel den Leuten sagt, dass sie lachen dürfen.

Der Erwachsene ist immer stärker als das Kind. Er hat die Macht, es physisch oder psychisch zu verletzen. Das geht leicht, Kinder sind unendlich verletzlich. Vor allem kann man Kindern mit den einfachsten Tricks Angst einjagen. Der “Struwwelpeter” arbeitet mit simplen Tricks. Wenn die Kinder nicht gehorchen, drohen die schlimmsten Strafen, bis hin zu Verstümmelung oder Tod. Und diese Strafen -das erzählt uns der “Struwwelpeter”- haben sich die Kinder auch noch selber eingebrockt.

Erwachsene lachen über den “Struwwelpeter”, denn die Geschichten provozieren ein allzu menschliches Gefühl: Schadenfreude. Gegenüber Kindern (und seien es deren literarische Pendants) Schadenfreude zu empfinden, finde ich feige und schäbig.

Hoffmann selber muss eine sadomasochistische Freude daran gehabt haben, sich das Zufügen der Schmerzen und das Leid der Kinder auszumalen, denn das Buch ist auf ekelhafte Weise “gelungen”. Dabei wählt er das literarische Mittel der Übertreibung. Erwachsene wissen: Kein Kind wird sterben, wenn es die Suppe, die man ihm vorsetzt, nicht isst. Keinem Kind wird ein Schneider mit der Scher‘ die Daumen abschneiden, weil es am Daumen lutscht. Kleine Kinder wissen das noch nicht. Sie glauben den Erwachsenen alles.

Die Geschichten, die ganz alltäglich daherkommen, machen den Kindern Angst, die eindringlichen bunten Bilder schleichen sich in ihr Unbewusstes und verursachen Alpträume. Und was tun die Kinder? Aus Angst, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte wie Paulinchen, Konrad oder Robert, laufen sie zu den Erwachsenen über und tun das, was Sigmund Freuds jüngstes Kind, die Psychoanalytikerin Anna Freud, in den 1930er Jahren “Identifikation mit dem Aggressor” genannt hat.

So verkneifen sich die Kinder jegliches Mitgefühl, denn das würde wehtun. Sie zeigen mit dem Finger auf den ungepflegten Struwwelpeter, mit dessen weltberühmt gewordenem Bild das Buch beginnt, und lachen ihn aus: “Sieh einmal, hier steht er, Pfui! der STRUWWELPETER!”

***

In den über hundert Jahren, die zwischen den beiden Bildern (Quellen: s.o.) liegen, sind weltweit immer mehr Hemmschwellen gefallen- nicht nur im Krieg.

Biblische WONDER WOMEN: Die wundersamen Schwangerschaften der unfruchtbaren Elisabeth und der Jungfrau Maria

Die Wunder Jesu, die uns das Neue Testament erzählt, waren einmal spektakulär. Zu den bekanntesten gehören die Heilung eines Mannes, der von Geburt an blind ist, die Speisung der Viertausend mit fünf Broten und zwei Fischen und der Gang über den See Genezareth.

Doch als Menschen des 21. Jahrhunderts wissen wir, dass sich Wunder fingieren lassen. Mit der Erfindung von Comic-Superhelden wie Batman, Superman und dem weiblichen Pendant Wonder Woman sowie der Entwicklung filmischer Tricksequenzen haben die Wunder Jesu endgültig an Überzeugungskraft verloren. Selbst Theologen stellen sich die Frage, ob die Wunder Jesu tatsächlich stattgefunden haben, schon lange nicht mehr. “Dass die Wunder eins zu eins so passiert sind, wie es in der Bibel steht, schließen die meisten Theologen heute aus. Die Erzählungen sind nicht vom Einfluss anderer Geschichten zu trennen und auch nicht von dem, was die Gläubigen nach Jesu Tod als Ausschmückung dazuerzählten. Bis die Evangelien aufgeschrieben wurden, vergingen Jahrzehnte. Keiner der Evangelisten hat Jesus persönlich kennengelernt.https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/sind-die-wunder-wirklich-geschehen-20727

Da ist es umso verwunderlicher, dass die Wunder Jesu immer noch eins zu eins ernstgenommen werden, wenn auch als Vorlage für Wissenschafts-Ulk. Jack Pop (MDR Wissen) versucht in einem YouTube-Auftritt zu Ostern 2020, die “Wunder” aus Sicht der Wissenschaft zu entlarven. In welche Trickkiste, so der Tenor des Beitrags, könnte Jesus gegriffen haben? Hat er etwa bei der Verwandlung von Wasser in Wein in Wirklichkeit das Wasser nur rot eingefärbt und dafür zu Kamin gegriffen, einem Extrakt aus der Schildlaus? Pops Sprache ist aufgesetzt lässig. Um sich bei der Zielgruppe “Junge Erwachsene” beliebt zu machen, spricht er eine saloppe “Jugendsprache”. Wortwörtlich: “Was, wenn der Heiland nur ein krasses Wissenschaftsgenie war?”

Nun finde ich es höchst fragwürdig, wenn man die Wunder Jesu “wissenschaftlich” beleuchtet und auf diese Weise veralbert. Schließlich handelt es sich bei der Bibel nicht um irgendein Buch. Die Bibel ist ein voluminöses Grundlagenwerk und hat nicht nur unser Menschen-, Gottes- und Weltbild nachhaltig geformt, sondern war wegweisend und tonangebend für die moderne Menschheitsgeschichte. Die Bibel ist das meistverkaufte Buch der Welt und, das wage ich zu sagen, das wirkmächtigste Propagandawerk aller Zeiten.

Ich persönlich finde die Bibel gefährlich, weil uns die Heilige Schrift auf den einen Vater-Gott einschwört, unsere Spiritualität absorbiert, unsere Sehnsucht kanalisiert und unsere Hoffnung auf ein Paradies in enge, patriarchale Bahnen lenkt. Doch was war und ist die eigentliche Mission der Bibel?

Der Sohn Gottes, so erzählt es das Neue Testament, sei auf die Erde gekommen, um die Trennung zwischen Mensch und Gott aufzuheben und den Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies wieder an Gott zu binden. Doch die “Versöhnung” hat ihren Preis, denn eine andere Trennung wird zementiert, die zwischen Mensch und Natur. Jesus -und das ist fatal- besiegt die Natur. Mit seinen “Wundern” überwindet er die Schwerkraft, die Elemente, er besiegt unheilbare Krankheiten, und am Ende dann besiegt er, indem er wiederaufersteht, sogar den Tod. An diesen Gott sollen wir glauben. Der Lohn, der uns versprochen wird, falls wir gehorchen, ist ein Leben nach dem Tod und die Aufnahme in das Paradies Gottes.

So untermauert das Neue Testament einen autoritären Grundsatz aus dem sehr viel älteren Alten Testament. Schon im Schöpfungsbericht, noch während er dabei ist, die Erde zu erschaffen, erteilt Gott den Menschen den Auftrag, die Natur zu beherrschen: „Macht euch die Erde untertan.“ (Gen 1,28) Manch einer wird den markigen Appell in der modernen “Einheitsübersetzung”, die die Katholische Kirche benutzt, vergeblich suchen, denn hier findet sich stattdessen die Formulierung “Unterwerft sie euch”. In der Luther-Übersetzung (Aktuelle Fassung von 2017) heißt es aber nach wie vor: “Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.” https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/

Der berühmte Appell ist, seit wir wissen, dass der “Klimawandel” menschengemacht ist, in Verdacht geraten. Doch der Appell lässt sich, auch wenn er so formuliert ist, dass man ihn kaum wieder erkennt, nicht zum Verschwinden bringen, denn die Aufforderung zur Naturbeherrschung durchdringt die gesamte Bibel.

Indem Gott Adam und Eva segnet, bekommt auch die Naturbeherrschung Gottes Segen: “Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.Gen 1,28, EÜ, zitiert nach: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen2.html

Nun wirkt der Appell Macht euch die Erde untertan bis heute nach. Auch Naturwissenschaft und Politik haben ihn sich auf ihre Fahnen geschrieben. So findet sich sein sprachliches Echo im hymnischen Leitsatz einer deutsch-französischen Wissenschaftskooperative: “Make Our Planet Great Again.” Was für eine Anmaßung, die Erde “wieder großartig” machen, sie (nach den Vorgaben der Wissenschaft?) umgestalten zu wollen! Und was wäre eine “wieder großartige” Erde?

Der französische Präsident Emmanuel Macron, Kofürst von Andorra, ein Rationalist, der die Etikette hochhält, hätte, als er am 2. Juni 2017 eine “persönliche Botschaft” an die Weltöffentlichkeit vorlas, fast zu weinen begonnen, vermutlich aus Erschütterung über sich selber. Schlusswort seiner Klima-Botschaft war die Parole Make Our Planet Great Again. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/09/11/elfchen-im-neunten-make-our-planet-great-again-macht-euch-die-erde-untertan/

Adam und Eva versündigen sich, indem sie Gott und die Aufforderung, die Natur zu beherrschen, nicht ernst nehmen. Im 3. Buch der Genesis lässt sich Eva von der listigen Schlange dazu verführen, Gottes Verbot zum Trotz einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen. Anschließend verführt sie Adam dazu, es ihr gleichzutun. Jetzt erst realisieren sie, dass sie nackt sind, Mann und Frau. Sie bemerken nicht ohne Entzücken den Unterschied zwischen den Geschlechtern, ahnen, dass man Menschen weder aus Ackererde formt noch aus Rippen schnitzt. Adam und Eva empfinden nicht nur Scham, sondern bekommen eine Ahnung von etwas Schönem: Der leiblichen Liebe.

Indem sich Adam und Eva als Naturwesen erfahren, entscheiden sie sich -ohne es beabsichtigt zu haben- gegen Gott. Denn der erbarmungslose, rigorose Vater-Gott duldet nur ein Entweder-Oder. Er macht seine Drohung wahr, bestraft Adam und Eva mit dem Schicksal, sterblich zu sein, und definiert die Natur, in die er sie stößt, als Ort des Schreckens. Gott vertreibt die Menschen aus dem Paradies, das sich bei näherem Hinschauen als Unort entpuppt: Als sauberer, allzu schöner, bis in den letzten Winkel durchstrukturierter Raum, den Gott allein nach seinen Vorstellungen gestaltet und mit Lebewesen bestückt hat: Künstlich und unisex. Er pflanzt den Menschen Angst ein, Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Die moderne politische Propaganda, die mit unserer Todesangst spielt, hat hier ihre Wurzeln.

Gottes Furor richtet sich insbesondere gegen die Frau. Nicht ohne Grund, denn die Frau ist seine Konkurrentin. Sie ist diejenige, die den Menschen zur Welt bringt und mit jeder Geburt die Erschaffung des Menschen aus Ackerboden und Männer-Rippe in Frage stellt. So missachtet Gott die weibliche “Schöpfungswonne” und reduziert Schwangerschaft und Geburt auf Mühsal und Schrecken: Zur Frau sprach er: “Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder…” (Gen 3,16, LU) Gleichzeitig bestraft er Adam und Eva für die aufkeimende gegenseitige Liebe, treibt einen Keil zwischen Mann und Frau und zementiert die leibliche Liebe als Gewalt- und Herrschaftsverhältnis: “ / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen.” (Gen3,16, LU)

Mit der Erschaffung des Menschen installiert der Gott der Genesis ein Herrschaftsverhältnis. Adam und Eva bilden ein patriarchales Ur-Paar, denn von Beginn an herrscht Adam über Eva. Doch gleichzeitig -und darin zeigt sich die Genialität der wirkmächtigen Bibel- macht der Gott der Genesis Adam und Eva zu Komplizen. Ausgerechnet die Frau, deren Leiblichkeit uns in aller Ambivalenz daran erinnert, dass wir Teil der Natur sind, soll sich Seite an Seite mit dem Mann die Erde und alle irdischen Kreaturen untertan machen, die Natur beherrschen. Als seine Assistentin, versteht sich. Schließlich lautet der berühmte Appell nicht Mach dir, sondern Macht euch die Erde untertan. Die Gleichschaltung der Geschlechter, die in unserer Gegenwart mit dem “Wehrdienst” von Frauen ihren brutalen Höhepunkt erreicht hat, nimmt hier ihren Anfang.

Kann ich Christin sein, ohne dem Gott der Bibel, den ich als kalt empfinde, Glauben zu schenken?

Ein christliches Volks- und Wallfahrtslied aus dem 19. Jahrhundert erzählt von einem göttlichen Naturwunder, das nicht in der Bibel steht. Das Lied wagt einen Perspektivwechsel, denn es rückt nicht den Mann Jesus, sondern die mutterleibliche Zweieinigkeit von Jesus und Maria in den Mittelpunkt. Noch ist Jesus nicht auf der Welt. Er ist noch lange nicht der erwachsene, bewusst agierende Mann, sondern das Wesen im Mutterleib. Der ungeborene Jesus ist noch Teil von Maria und eins mit der Natur.

In einem schönen Text (auch als Podcast zu hören) erklärt uns Doris Blaich, was es mit dem Lied, das so alt nicht ist, wie es scheint, auf sich hat: “Uralt wirkt dieses Lied und die Geschichte, die es erzählt: die schwangere Maria geht durch einen Wald. Er ist völlig verdorrt: überall nur Dornengestrüpp. Doch als Maria den Wald betritt, verwandelt sich diese Wüste…” https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/maria-durch-ein-dornwald-ging-swr2-weihnachtslieder-100.html

Maria durch ein Dornwald ging

Maria durch ein Dornwald ging
Kyrie eleison
Maria durch ein Dornwald ging
Der hat in sieben Jahr’n kein Laub getragen
Jesus und Maria

Was trug Maria unter ihrem Herzen
Kyrie eleison
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen
Das trug Maria unter ihrem Herzen
Jesus und Maria

Da haben die Dornen Rosen getragen
Kyrie eleison
Als das Kindlein durch den Wald getragen
Da haben die Dornen Rosen getragen
Jesus und Maria

Das Lied ist schlicht und zart und kommt ohne Superlative aus. Es speist sich aus einem Gefühl, das in der Genesis fehlt: Liebe. Marias Gang durch den Dornwald spiegelt Schwangerschaft (und Geburt) in ihrer Ambivalenz. Maria nimmt einen beschwerlichen Weg auf sich – wie jede werdende Mutter. Es gibt keine Schwangerschaft ohne Beschwerden und keine Geburt ohne Schmerzen. Alles braucht seine Zeit. Aber Schwangerschaft und Geburt münden in eine Erlösung, die so tief ist, wie eine Erlösung nur sein kann. Hierfür stehen die Hoffnung spendenden Rosen. Jede Geburt ist ein Neuanfang.

Ich bin Christin, weil ich zwar nicht den erwachsenen Mann Jesus Christus, aber das ungeborene Kind liebe. Auch ein Kind Gottes -das erzählt die Bibel- muss geboren werden. Für mich ist Jesus Christus Teil der Natur und Teil eines Göttlichen, das größer ist als Gott Vater. Das ungeborene Kind Jesus Christus vollbringt keine Wunder. Es ist die Natur selber, die die Rosen zum Blühen bringt.

Marias Wanderung bezieht sich auf eine Begegnung, von der auch Bibel erzählt: Die Heimsuchung. Die Jungfrau Maria, seit kurzem erst schwanger, besucht ihre Kusine Elisabeth, die ebenfalls ein Kind erwartet, aber schon in drei Monaten entbinden wird. Maria wird bis kurz vor der Geburt bei Elisabeth bleiben, um sie zu unterstützen. Dass Elisabeth schwanger ist, ist verwunderlich, denn Elisabeth, Gattin des Zacharias, war in all ihren Ehe-Jahren unfruchtbar und ist jetzt längst nicht mehr im gebärfähigen Alter.

Superlative der Fruchtbarkeit kennen wir bereits aus dem Buch Genesis. Da sind es vor allem “auserwählte” Männer, Adam und seine Nachfahren, die noch im hohen Alter Kinder zeugen. Nachdem sie zunächst Väter von Söhnen werden, zeugen sie im Verlauf von mehreren hundert Jahren zahlreiche weitere Kinder. Hier ist allerdings die Phantasie mit den Autoren durchgegangen, und die protzigen Bibel-Passagen hören sich an wie Comic-Geschichten:

Adam war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie sein Abbild, und nannte ihn Set. Gen 5,3, EÜ. Nach der Geburt Sets lebte Adam noch achthundert Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,4, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Adams betrug neunhundertdreißig Jahre, dann starb er. Gen 5,5, EÜ. Set war hundertfünf Jahre alt, da zeugte er Enosch. Gen 5,6, EÜ. Nach der Geburt des Enosch lebte Set noch achthundertsieben Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Gen 5,7, EÜ. Die gesamte Lebenszeit Sets betrug neunhundertzwölf Jahre, dann starb er. Gen 5,8, EÜ.

Auch von einer Frau, die im hohen Alter noch ein Kind zur Welt bringt, erzählt das Alte Testament. 90 Jahre alt muss Abrahams Frau Sara der Bibel nach werden, bevor sie (mit Gottes übernatürlicher Hilfe) endlich schwanger wird. “Abraham und Sara waren schon alt; sie waren in die Jahre gekommen. Sara erging es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt.Gen 18,11, EÜ.

Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Soll ich wirklich noch Kinder bekommen, obwohl ich so alt bin? Gen 18,13, EÜ. Ist beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. Gen 18,14, EÜ.

(“Ist beim Herrn etwas unmöglich?” Mit leichtem Schrecken bemerke ich, dass sich die moderne Auto-Werbung auch bei der Bibel bedient: “Nichts ist unmöglich: TOYOTAhttps://www.youtube.com/watch?v=tkIqeI0wZ7c)

Das Neue Testament knüpft mit Elisabeths Schwangerschaft genau da an. Auch sie ist schon in einem Alter, das man heutzutage “Rentenalter” nennt. Wieder einmal setzt die Macht Gottes die naturgegebenen weiblichen Rhythmen außer Kraft. Es ist der Erzengel Gabriel, “Marias Engel”, der Zacharias den ersehnten Sohn verheißt. Doch anders als Johannes der Täufer wird der Sohn Gottes nicht von einer unfruchtbaren alten Ehe-Frau ausgetragen, sondern von einer fruchtbaren jungen Frau, der Jungfrau Maria.

Unübersehbar ist der Bezug zur Gegenwart. Medizintechnisch ist es möglich, Frauen jenseits der Wechseljahre, die keinen Eisprung mehr haben, befruchtete Eizellen einzupflanzen. Manchmal sind werdende Mütter gleichzeitig werdende Großmütter, dann nämlich, wenn sie sich die befruchteten Eizellen ihrer Töchter einpflanzen lassen und als Leihmütter ihre Enkelkinder austragen.

Tatsächlich spielen Wissenschaftler Gott, doch nur den Einen, den Gott der Bibel. Und wie die keimzellenfreie Befruchtung in der Bibel hat die keimfreie künstliche Befruchtung Gottes Segen.

Mittlerweile dringen die reproduktionsmedizinischen Eskapaden bis in unseren Alltag vor.

Ich kenne eine jüngere verheiratete Frau, die keinen Eisprung hat und daher unfruchtbar ist. Vor ein paar Jahren hat Lena (wie ich sie nenne) ein Mädchen zur Welt gebracht. Die leiblichen Eltern sind ihr Ehemann und eine Eizell-Spenderin unbekannter Herkunft. In einer spanischen Fruchtbarkeitsklinik hat sich Lena eine mit dem Sperma ihres Mannes befruchtete Eizelle der Spenderin in ihre Gebärmutter einpflanzen lassen. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es tiefenpsychologisch so ist, als sei Lena gezwungen, die Frucht eines Seitensprunges ihres Mannes auszutragen. “Gesund” für die Seele ist das nicht. Die Zukunft wird zeigen, wie das Kind damit umgeht. Lena hatte ein blondes, blauäugiges Kind bestellt, hat aber ein dunkelhaariges mit braunen Augen bekommen. Das Kind ist “entzückend”.

Der einzige Trost, den der Wahnsinn, unser Leben an die Reproduktionsmedizin zu verkaufen, parat hält, ist die Tatsache, dass die Kinder, die der In-vitro-Fertilisation entspringen, trotz alledem ganz normale, süße, liebe Kinder sind.

Elfchen im Zwölften: Der Weihnachtsmann der DEUTSCHEN BAHN beschenkt Nippeser Pänz!

Im September hatte ich über das Bau-Vorhaben der Deutschen Bahn in Köln-Nippes berichtet. Die Pläne der BAHN sind so brutal und lebensfeindlich, dass sie uns irreal erscheinen. Wir Menschen, die in der Nähe der Nippeser S-Bahn leben, können und wollen nicht glauben, dass die Vertreter der BAHN es nicht gut mit uns meinen. Von einem Privatunternehmen erwartet man profitorientiertes Kalkül, aber die Deutsche Bahn ist kein Privatunternehmen, sondern ein bundeseigener “Mobilitäts- und Transportkonzern”, der der Bundesrepublik Deutschland gehört, also sozusagen uns allen.

Die Bahn weckt nostalgische Gefühle in uns, denn sie ist Teil unserer Kindheit: “Zuch zuch zuch zuch Eisenbahn, wer will mit nach Kölle fahr’n? Kölle ist geschlossen, Schlüssel ist gebrochen…” Dieses kleine Lied habe ich Anfang der 1960er Jahre im Kindergarten gesungen. Es weckte meine Neugier auf Kölle und ist -so bekloppt sich das anhört- nicht ganz unschuldig daran, dass ich seit 1977 hier lebe. Das Lied gibt es noch heute, allerdings in freundlicheren Versionen ohne gebrochenen Schlüssel. Meine Kinder haben es vor zwanzig Jahren so gesungen: “Tuff tuff tuff tuff Eisenbahn, wer will mit in’ Urlaub fahr’n? Alleine reisen mag ich nicht, da nehm’ ich mir die Oma mit…

Nebenbei gesagt: Kindische Männer singen das Liedchen auch noch, wenn sie erwachsen sind, dann aber eher in der albernen Blödelversion von Wigald Boning und Olli Dittrich (“Die Doofen”): “Tuff, Tuff, Tuff ( Wir fahren in den Puff )” https://www.youtube.com/watch?v=ctmlV2ZzelQ, einer Art Vorläufer-Liedchen des diesjährigen Ballermann-Tophits Layla.

Doch der aktuelle Plan der Deutschen Bahn ist, was Köln-Nippes angeht, nicht einmal mehr schön blöd, sondern gar nicht mehr schön, denn was man uns androht, ist der “Bau eines Zuführungsgleises und damit einhergehend die Zerstörung großer Teile des letzten Grüns diesseits der S-Bahn-Linie, eine jahrelange Großbaustelle in unmittelbarer Siedlungsnähe und -nach Beendigung der Bauarbeiten- ein stetiger nächtlicher S-Bahn-Verkehr („Geisterzüge“).https://stellwerk60.com/2022/09/27/elfchen-im-neunten-liebe-laermschutzriegel-bewohnende/

Mitglieder des Vereins Nachbarn 60 der autofreien Siedlung hatten -wie berichtet- Ende Juli eine Arbeitsgruppe gebildet, um eine gemeinsame Einwendung zu formulieren und Unterschriften gegen den Ausbau zu sammeln. Wir -ich war mit dabei- standen nicht nur unter leichtem Schock, sondern unter ziemlichem Zeitdruck, denn der Abgabetermin bei der Bezirksregierung war der 15.8.2022. Wir hatten erst spät realisiert, dass ein erneutes Planfeststellungsverfahren läuft, denn erst durch Mails und Aushänge der Anwohnergemeinschaft Nippes (AWG) waren wir (mitten in den NRW-Sommerferien, aber gerade noch rechtzeitig!) wachgerüttelt worden. https://www.awg-nippes.de/grossbaustelle-bahn-in-koeln-nippes-verfahren-geht-wieder-los-einwendungen-bis-15-08-2022-moeglich/

Wir machten die Erfahrung, dass es sehr schwer es ist, eine Nachricht innerhalb der ganzen Siedlung zu verbreiten, noch dazu eine höchst unangenehme. Die Mitglieder des Vereins Nachbarn60 sind zwar über einen Mail-Verteiler miteinander verbunden, aber nicht alle Bewohner sind im Nachbarschaftsverein. Viele Nachbarn konnten und wollten die Sache nicht ernst nehmen. Auch ich hätte mich gerne doof gestellt, was mir aber mit zunehmendem Alter kaum noch gelingt. Dennoch schafften wir es, unsere gemeinsame Einwendung noch rechtzeitig abzugeben und allein in der autofreien Siedlung 280 Unterschriften zu sammeln, was etwa 20% aller Bewohnerinnen und Bewohner entspricht.

Weder die Stadt Köln noch Die Bahn ist einer Informations- oder Aufklärungspflicht nachgekommen- weil es so etwas nicht gibt. Wir waren ahnungslos und sollten es bleiben. Aus “gutem” Grund sind Stadt und Bahn offenbar nicht daran interessiert, die Menschen aufzuklären, zu informieren und in die Planungen mit einzubeziehen. Obwohl (oder weil?) der Bau des Zuführungsgleises ein massiver Einschnitt wäre und obwohl (oder weil?) es menschenfreundlichere, wenn auch teurere Alternativen gibt, will man keine Einwände hören, vor allem kein klares NEIN. Man tut so, als würde uns unmittelbar Betroffene die Angelegenheit nichts angehen. Mit dem vielbeschworenen demokratischen Dialog hat das nichts mehr zu tun.

Darüberhinaus unterliegen mögliche Einwände einer bürokratisch verklausulierten Widerspruchs-Logik, die eigentlich unlogisch ist: Wer sich nicht bis zum 15.8.2022 formal korrekt ausdrücklich gegen das Zuführungsgleis ausgesprochen hat, ist rein rechtlich dafür. Mit anderen Worten: Später kann man zwar sagen, man sei gegen den Gleisbau gewesen, aber juristisch ist das belanglos. Zum Beispiel können Haus- und Wohnungsbesitzer, die sich nicht bis zum 15.8.2022 formal korrekt ausdrücklich gegen das Zuführungsgleis ausgesprochen haben, später nicht mehr die zu erwartende Wertminderung ihrer Immobilie einklagen. Doch wie soll man Widerspruch einlegen gegen ein Vorhaben, über das man nicht einmal informiert wurde? Das ist grotesk und zutiefst undemokratisch.

Nun ist das aktuelle Nippeser Planfeststellungsverfahren (in dessen Rahmen man derzeit die Einwände prüft) nicht das erste. Die Deutsche Bahn musste seit 2007 bereits mehrmals “nachbessern”, vor allem, was die Höhe der geplanten Lärmschutzwände angeht, denn der zu erwartende Bahnlärm wäre enorm. Ich habe noch einmal woanders hingeguckt, nicht auf die Höhe, sondern auf die Länge der zu erwartenden Lärmschutzwände.

Hier offenbart sich die tragikomische Seite sogenannter “Lärmschutz-Maßnahmen”. Was uns nämlich zusätzlich zum Zuführungsgleis droht, ist ein völlig unzureichendes und noch dazu potthässliches Lärmschutz-Ungetüm, eine “Neu-Nippeser Mauer” mit einer Höhe von zwei bis vier bzw. sechs Metern. Unter dem Vorwand, uns schützen zu wollen, sollen die “Lärmschutzwände” lang ausfallen, sehr lang, sehr sehr lang. Was die Länge betrifft, muss die Bahn nicht einmal mehr nachbessern. Westlich der Gleisanlagen (dem Stadtteil Bilderstöckchen zugewandt) wäre, so hat man errechnet, eine Lärmschutzwand mit rund 430 m Länge erforderlich. Östlich der Gleisanlagen (Nippes und den Eisenbahner-Siedlungen zugewandt) plant man im Bereich des Zuführungsgleises drei Lärmschutzwände. Die eine hat eine Länge von knapp 290 m, eine zweite soll 640 Meter lang sein und eine weitere rund 425 m. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, sind das insgesamt 1355 Lärmschutzmeter. Will man Lärmschutz-Rekorde brechen?

Abgesehen davon, dass die Bewohner oberer Stockwerke (insbesondere der Mehrfamilienhäuser “Am Ausbesserungswerk”) den Bahnlärm nach Fertigstellung der Gleisanlage auch bei einer Höhe von sechs Metern mit voller Wucht abkriegen würden, bedeutet eine 1355 Meter lange Lärmschutzwand einen erheblichen Eingriff in die Integrität des ohnehin schon schwer in Mitleidenschaft gezogenen Lebensraums aller hier beheimateter Lebewesen.

Um zu verdeutlichen, wie monströs die “Neu-Nippeser Mauer” wäre, veröffentliche ich hier noch einmal die Gegenüberstellung zweier Fotos aus meinem oben erwähnten Blog-Beitrag vom 27.9.2022. Wer in die Fotomontage der AWG (rechtes Bild) noch zusätzlich zur Bahn eine Lärmschutzwand hinein imaginiert, kann sich vielleicht vorstellen, wie irrwitzig die Pläne der Deutschen Bahn sind: Noch vor dem Zuführungsgleis soll in einer Länge von 425 Metern eine in diesem Bereich sechs Meter hohe “Lärmschutzwand” errichtet werden.

Kürzlich habe ich den Bereich “Am Ausbesserungswerk” noch einmal von der anderen, der Südseite aus fotografiert. In den schmalen Streifen zwischen bestehender Bahntrasse und Fußweg sollen zwei Gleise (denn hier ist das Zuführungsgleis zum Zwecke quetschender nächtlicher Wendemanöver zweigleisig geplant!) und die Lärmschutzwand nebeneinander hineingebaut werden.

Sooo deutsch ist eine bestehende Schilder-Allee: Aktuell weisen, ordentlich aufgereiht, insgesamt 15 rot umrahmte Schilder darauf hin, dass man für die Feuerwehr Platz lassen soll. Für die gäbe es allerdings -so hat man errechnet-, würde das Zuführungs-Gleis gebaut, kein ordnungsgemäßes Durchkommen mehr.

Ergänzung Juni 2023: Wie es nach einer Nacht- und Nebel- Aktion (“prophylaktischer Kahlschlag”) im Frühjahr 2022 hier bzw. wenige wenige hundert Meter weiter aussah, hat Bernd Schöneck vom Kölner Stadtanzeiger in einem Artikel vom 10.3.2022 festgehalten. https://www.ksta.de/koeln/nippes/koeln-nippes-baeume-am-bahndamm-gerodet-anwohner-ensetzt-159449

Male ich mir all das aus, fühle ich mich in keiner Weise geschützt, sondern der Willkür der Deutschen Bahn schutzlos ausgeliefert. Es ist, als seien wir Menschen kleine Spielfigürchen, vergleichbar mit denen, die jedermann beim Modellbau-Anbieter Faller bestellen kann. E

Apropos Faller: Der Weihnachtsmann der Deutschen Bahn hat -so wurde mir erzählt- auch in diesem Jahr in ganz Köln Geschenke verteilt. Aber die wirklich hochwertigen Geschenke, so soll der Weihnachtsmann der Deutschen Bahn augenzwinkernd betont haben, die gab es exklusiv für die Pänz aus Köln-Nippes.

Der

Weihnachtsmann der

BAHN kam nicht

mit leeren Händen, sondern…

Faller-Lämschutzwänden!

Bildschirmfoto 2022-12-26 um 17.40.56

Eine Lärmschutzwand im Mini-Format. Bestimmte Produkte sind laut Faller für Kinder unter drei Jahren wegen verschluckbarer Kleinteile nicht geeignet. Diese Faller-Lärmschutzwand ist ungefährlich für Kinder unter drei, könnte aber Kindern über drei Jahren Lust machen auf reale Kletterpartien. Meines Wissens fehlt bei dem Produkt der Zusatz “nicht geeignet unter 14 Jahren”. Wo er nicht fehlt, das sind die Faller-Strommasten, die man ebenfalls bestellen kann und die sich wunderbar mit der Lärmschutzwand kombinieren lassen. Abenteuerlustige Kinder bekommen sehr schnell heraus, dass sich Faller-Lärmschutzwände mit Faller-Figürchen beklettern lassen. Was die echten Lärmschutzwände betrifft: Da wird weiterhin “nachgebessert”, was die Höhe betrifft. Das freut die waghalsigen Kinder, denn Lärmschutzwände probiert aus, wem es im Frechener Chimpanzodrome zu langweilig ist.