Elfchen im Neunten: Liegende Nattern-Acht

Was ich mir zum Geburtstag wünsche, fragten mich meine beiden Töchter, mit denen ich zwei Urlaubs-Wochen in der Bretagne verbrachte. Ich wünsche mir nichts, was ich nach Köln mitschleppen muss, antwortete ich, eine Flasche Rotwein wäre nicht schlecht, denn die kann ich austrinken. Aber am meisten freue ich mich über etwas, das ihr am Strand findet, eine Feder wiegt ja nicht viel. Wenn es etwas ist, das man nicht mitnehmen sollte, ein schöner Stein vielleicht, der dort hingehört, wo ihr ihn entdeckt habt, dann fotografiert ihn für mich.

Als meine Töchter eines vormittags aufgeregt vom Joggen zurückkamen, kurz vor meinem Geburtstag, hatten sie mit ihren Smartphones Fotos gemacht. In dem Moment wusste ich, was ich mir gewünscht hatte.

Weit

und breit

keine Anakonda, nur

eine sich wärmende satte

Natter

Sonnenbad einer entspannten Barrenringelnatter… Ort: Sandweg oberhalb des unbewachten Plage de Trez Cao, Finistère, Bretagne, 25.8.2023

Zwei Tage zuvor (23.8.2023) waren meine jüngere Tochter und ich auf dem Wanderweg zwischen dem Plage de Trez Cao und dem Dorf St Philibert einer Schlingnatter begegnet. Der angenehm schattige Weg verläuft oberhalb eines nur wenige Kilometer langen namenlosen Bachs, der sich auf der Westseite des Plage Trez Cao an die Felsen drückt, von Meerwasser gespeist verdickt und ins Meer mündet. Die kleine Würge-Schlange, die sich wie eine Blindschleiche bewegte, schien uns zu kennen, denn sie kroch direkt vor uns langsam, sehr langsam über den Weg und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

Suchbiild mit Schlingnatter:

Die Digitalisierungsfalle: Wie der Kölner Amtsschimmel munter wiehernd hineintrabt

Im Jahr 2022 wurde das auf fünf Jahre angelegte Projekt #wirfürdiestadt beendet, Teil einer umfassenden Kölner “Verwaltungsreform”. “Wir haben viel geschafft”, so das Resümee der Oberbürgermeisterin Henriette Reker nach fünf Jahren. “Aber zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir auch noch viel vor uns haben.https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/24696/index.html

Was heißt das, was sollen wir mit dieser Aussage anfangen? Weiter sagt OB Reker: “Ich habe immer gesagt, diese Reform macht uns zur modernsten Verwaltung Deutschlands. Heute muss ich feststellen, dass wir uns noch nicht so nennen können. Aber diese Reform war der notwendige und erfolgreiche Anstoß auf unserem Weg zur modernsten Verwaltung Deutschlands!” (s.o.)

Eine hübsche Idee, doch war das eigentliche (auch bundespolitische) Ziel nicht Modernisierung, sondern Abbau der Bürokratie? Gestern wurde auf web.de Klaus-Heiner Röhl zitiert, Forscher am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Er erklärt, warum der Bürokratieabbau nicht zustande kommt: “Es kommen zwei Dinge zusammen. Zum einen der politische Gestaltungswille, der zu immer neuen Gesetzen führt. Und zum anderen die Tendenz von Verwaltungen, sich selbst auszudehnen, also immer mehr Verwaltung zu schaffen.”

Auch die Kölner Stadtverwaltung hat sich in den letzten Jahren noch einmal deutlich ausgedehnt. Im Personalbericht 2021 der Stadt Köln heißt es: “Die Kölner Stadtverwaltung ist im Jahr 2021 erneut gewachsen: 21.623 Mitarbeitende zählt das Stammpersonal der Gesamtverwaltung (Stichtag: 31. Dezember 2021) – 465 Personen mehr als im Vorjahr. Das erklärt sich zu einem großen Teil durch die Bewältigung der Corona-Pandemie.”

Aus Sicht von Bürgerinnen und Bürgern agiert die Stadt-Verwaltung nach der “Pandemie” schwerfälliger denn je. Dass die Stadt Köln eine Innovations-Plattform vorweisen kann (https://www.innovative-stadt.koeln/), dürfte den meisten von uns ebenso entgangen sein wie die Einrichtung eines Büro(s) für Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Köln, das im Referat für Strategische Steuerung bei der Oberbürgermeisterin angesiedelt ist.

Selbst wenn man “Ausdehnung” und Modernisierung gutheißt: Was haben wir von der modernsten Verwaltung Deutschlands, wenn die Stadt immer mehr verkommt? Nicht nur die Kölner Straßen und öffentlichen Gebäude sind in einem erbärmlichen Zustand.

Würden Sie diesem Briefkasten einen Liebesbrief anvertrauen?

Ganz lässt er sich trotz fortgeschrittener Digitalisierung nicht abschaffen: Der Briefkasten. Der Transport von Schriftstücken via Post ist ein alter Kommunikationsweg, der (immer noch) erstaunlich gut funktioniert. Tatsächlich gehen nur wenige Briefe verloren. Dabei sehen die Briefkästen aus wie Abfalleimer. Während die Stadtverwaltung modernisiert und mit den neuesten Computern ausgestattet wird, sind die wenigen noch übrig gebliebenen Kölner Briefkästen in einem beklagenswerten Zustand. Dass man diesen Briefkasten (Agnesviertel Köln, Krefelder Straße, Sommer 2023) verrotten lässt, ist Ausdruck von Arroganz und Geringschätzung. Zwar ist für die Pflege vermutlich die Deutsche Post zuständig, aber die Stadt Köln (“die Oberbürgermeisterin”) sollte sich dafür verantwortlich fühlen, dass die Stadt nicht völlig vergammelt.

Henriette Reker, die bei Amtsantritt vor acht Jahren schon knapp 60 Jahre alt war, tut alles dafür, nicht als die wahrgenommen zu werden, die sie ist: Eine Bürokratin. Das macht sie empfänglich für die Modernisierungs- Versprechen der PR- Berater.

Im Prozess der von Frau Reker angestrebten Modernisierung (insbesondere durch Digitalisierung) kam und kommt dem jungen, optisch attraktiven Alexander Vogel (FDP), den die OB bei öffentlichen Auftritten gerne an ihrer Seite hat, eine zentrale Aufgabe zu. Passend zur Idee der innovativen Stadt nennt die PR- Branche Vogel nicht “Pressesprecher”, sondern “Kommunikator” (was ähnlich kraftvoll rüberkommen soll wie etwa “Terminator”).

In der glatten, mit Anglizismen aufgemotzten Sprache der PR- und Kommunikationsprofis klingt das so: “Der Kommunikator sollte in seiner neuen Funktion die Strukturen des Amtes auf den Prüfstand stellen. Das war 2018. Was darauf folgte, war ein Change-Prozess. Heute, fast vier Jahre später, ist das Team von 35 auf 52 Personen gewachsen. Ein Newsroom wurde etabliert, ein neues Corporate Design gelauncht und die sozialen Kanäle wurden aus dem Dornröschenschlaf geholt. Das Newsroom-Konzept verwandelte die kanalgesteuerte in eine themenfokussierte Kommunikation, so dass im vergangenen Jahr rund 156.000 Menschen durch die sozialen Kanäle auf der Homepage der Stadt landeten. Im Jahr 2022 hatte die Seite insgesamt etwas mehr als 16 Millionen Visits mit knapp über 37 Millionen Seitenansichten.https://www.kom.de/organisiert-im-newsroom/

Es ist äußerst bedenklich, dass man den “Erfolg” des “Change-Prozesses” an einer Art “Einschaltquote” misst. Solche Zahlen (16 Millionen Visits mit knapp über 37 Millionen Seitenansichten) blenden. Denn die Zahlen sind kein Beleg für einen lebendigen Austausch zwischen Verwaltung und Bürger, sondern -im Gegenteil- Ausdruck einer völlig verfilzten Kommunikation. Die vielbeschworene “digitale Erneuerung” hat den telefonischen Warteschleifen unzählige digitale Einbahnstraßen, Kreisverkehre ohne Ausfahrt und Sackgassen hinzugefügt. Ich selber musste im Jahr 2021 viele Amtsangelegenheiten erledigen und bin -was die “Visits” betrifft- gefühlt tausendmal auf der Homepage der Stadt gelandet.

Was aber, wenn sich die Stadt Köln an uns Bürgerinnen und Bürgern wendet? Um zu erfahren, was die Stadt Köln uns mitzuteilen hat, habe ich vor ein paar Jahren den Newsletter der Stadt Köln abonniert, ein kostenloses digitales Info-Blatt, das einmal im Monat herauskommt.

Während der “Pandemie” ist der Newsletter zum Sprachrohr der rigiden staatlichen, aber auch städtischen Corona-Politik mutiert. Am 16. April 2021 hat die Stadt Köln anlässlich der Ausgangssperre einen Sonder-Newsletter herausgegeben.

An dieser Stelle soll nicht interessieren, dass die Ausgangssperre einen maßiven Eingriff in die bürgerlichen Grundrechte darstellte. Ebensowenig soll hier diskutiert werden, ob nicht die Ausgangssperre (wie andernorts, etwa in ganz Bayern) vielleicht auch in Köln völlig unverhältnismäßig war.

Vielmehr interessiert die Ansprache der Stadt Köln an die “Leser*innen”, ein Text, der leider gravierende Fehler enthält, “Fehlel übel Fehlel”, wie der Dichter Ernst (“Entsetzt”) Jandl gesagt hätte.

Im Presseamt arbeiten 52 Personen. Warum wurde die Sonderausgabe des Newsletters nicht gründlich gegengelesen? Wahrscheinlich wurde der Text kontrolliert, nur haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht auf den Inhalt geachtet, sondern nur auf die korrekte Platzierung der Gender-Sternchen. Und tatsächlich ist der Newsletter gender-korrekt.

Hat Henriette Reker wirklich diesen Satz (s.u., letzte vier Zeilen) gesagt – oder hat man ihn der Oberbürgermeisterin in den Mund gelegt?

Man kann nicht mehr den kompletten Newsletter, wohl aber diese Ansprache der Stadt Köln noch im Internet finden. Bis heute (28.9.2023) ist niemand auf die Idee gekommen, die peinlichen Fehler zu korrigieren.
https://login.mailingwork.de/-viewonline2/20384/227/9195/nh6yjJAz/3iy4wkEXKr/1

Das Wort “Menschleben” (vorletzte Zeile) gibt es weder in der deutschen noch in irgendeiner anderen Sprache. Im DUDEN wird es nicht genannt, aber auch Jacob und Wilhelm Grimm (“Deutsches Wörterbuch”) ist das Wort “Menschleben” – anders als das Wort “Menschenleben”- unbekannt.

“Menschleben” ist eine tragikomische Verhunzung eines bedeutsamen deutschen Worts, denn das Wort “Menschenleben” betont, dass das Leben jedes einzelnen Menschen zwar Teil des Lebens aller Menschen, der Menschheitsgeschichte, aber doch ein besonderes ist.

Völlig missglückt ist der letzte Satz: “Und daher gehen wir in Köln ab Mitternacht entschlossen voran.” Wie, so frage ich, können wir ab Mitternacht entschlossen vorangehen, wo doch Ausgangssperre ist, und wohin?

Elfchen im Achten: Der Name ist Wahl-Programm

Wie hält eine Oberbürgermeisterin Bürgerinnen und Bürger auf Abstand, ohne sie zu verstimmen? Indem sie die Menschen in den großen Saal eines öffentlichen Gebäudes einlädt und mit kostenlosen Getränken und Häppchen bewirtet, ein paar Publikums-Fragen beantwortet, dann aber im Hintergrund verschwindet… Indem sie Mediatorinnen und Mediatoren ausschickt, die mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen, ihnen Stifte in die Hand drücken und sie lächelnd dazu ermuntern, Verbesserungsvorschläge und Kritik nicht für sich zu behalten, sondern -thematisch geordnet- eigens vorbereiteten, an Stellwände gehefteten Plakaten anzuvertrauen…

So geschehen (und persönlich erlebt) beim Siebten Stadtgespräch im Bezirksrathaus Nippes am 16. Februar 2017.

In einem Interview mit dem Kölner Express hat die “parteilose” Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker kurz vor der Wahl 2015 (und nur zwei Tage vor der brutalen Messerattacke auf einem Kölner Wochenmarkt, bei der sie lebensgefährlich verletzt wurde) folgendes gesagt: “Ich habe immer betont, dass ich mit allen demokratischen Fraktionen im Rat zusammenarbeiten will – auch mit der SPD. Es geht mir um die beste Idee und nicht um die Frage, von wem sie kommt.https://www.express.de/koeln/henriette-rekers-mann-ehemann-perry-somers-ueber-ihre-deutsch-australische-liebesgeschichte-61388

Aber ist Henriette Reker wirklich so “parteilos”, wie sie sich gibt?

Als Oberbürgermeisterin steht sie im permanenten Kontakt und gedanklichen Austausch mit dem Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln. Dieses Amt, dessen Mitarbeiterzahl sich auf 52 erhöht hat (Stand: Frühjahr 2023), ist zuständig für Bürgeranfragen, Bürgerberatung und Bürgerinformation, vor allem aber für den Kontakt zu den Medien, also für die Öffentlichkeitsarbeit.

Leiter des Amts ist seit Anfang 2018 ein gebürtiger Kölner namens Alexander Vogel (39). Alexander Vogel ist nicht nur Amtsleiter, sondern zugleich Sprecher der Stadt und persönlicher Pressesprecher von Henriette Reker. Bevor er im Jahr 2017 zurück nach Köln kam, leitete Vogel, angeblich ein enger Vertrauter des im Jahr 2016 verstorbenen ehemaligen Außenministers Guido Westerwelle (FDP), als Generalsekretär die von Westerwelle gegründete Stiftung für internationale Verständigung. Wir ahnen: Alexander Vogel ist alles andere als parteilos. Ein Blick ins Internet verrät, dass Vogel FDP-Politiker ist. Bereits bei der Bundestagswahl 2009 kandidierte Vogel (damals 25) im Wahlkreis KÖLN I für die FDP.

Für Henriette Reker, die Vogel im Jahr 2017 nach Köln holte, war der FDP-Mann von Anfang an mehr als ein Pressesprecher. Der Kölner Express schrieb damals: “Offiziell trägt die neue Stelle den Titel „Redenschreiber“ in Rekers Büro. Tatsächlich gehen Vogels Aufgaben weit darüber hinaus. Sie beinhalten laut Stellenausschreibung etwa auch ausdrücklich den Zusatz Projektleitung „Konzeption und Umsetzung einer Kommunikationsstrategie“… Dahinter dürfte ein Ansinnen Rekers stecken, ihr Image langfristig aufzupolieren, und sich gegebenenfalls für eine erneute OB-Kandidatur 2020 zu wappnen.https://www.express.de/koeln/koelns-ob-reker-holt-westerwelle-vertrauten-alexander-vogel-in-ihr-team-30280 Erhellender, unbedingt lesenswerter Artikel!

Frau Reker, die als ein wenig spröde gilt, schmückt sich gerne mit dem smarten jungen Mann, der aus seiner Homosexualität keinen Hehl macht. Als Alexander Vogel am 11.12. 2021 seinen Lebensgefährten heiratete, den Juristen Dr. Patrick Esser, mittags im Standesamt und nur eine Stunde später in der direkt an der Einkaufsstraße Schildergasse gelegenen evangelischen Antoniterkirche, war auch Henriette Reker geladen. Bei der anschließenden Feier im Hotel Wasserturm gehörte sie zu den “handverlesenen” Gästen, deren Zahl Corona-bedingt auf nur fünfzig beschränkt war. Wer wissen will, welche Kölner Kommunalpolitikerinnen und wer von der FDP dabei war: https://www.express.de/koeln/koeln-ob-sprecher-alexander-vogel-heiratet-lebensgefaehrten-82446

Nun hat sich Henriette Reker durch die ungewöhnlich enge Zusammenarbeit mit dem FDP-Nachwuchspolitiker Vogel meines Erachtens parteipolitisch klar positioniert. Das ist schon deshalb ein wenig “pikant”, da die FDP im Rat der Stadt keine große Rolle spielt. Hinzu kommt, dass die FDP bei der Oberbürgermeisterwahl im Jahr 2020 anders als noch 2015 Frau Reker nicht unterstützt hat und bei der OB-Wahl 2025 sogar einen eigenen Kandidaten aufstellen will.

Von daher wäre es fair, wenn auf der Internetseite der Stadt die (aktive) Parteizugehörigkeit des Amtsleiters zumindest kurz erwähnt würde. Nebenbei gesagt, empfinde ich als Kölner Bürgerin den Internet-Auftritt der Stadt als Affront. Zwar werden die Ansprechpartnerinnen und -Partner im Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kurz (und oberflächlich) vorgestellt, aber die Seite wendet sich ausschließlich an die Medien. https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/team/index.html Für uns Bürgerinnen und Bürger gibt es bei der Stadt nicht einmal Ansprechpartner, sondern lediglich Kontaktformulare.

Erschrocken war ich, als ich sah, dass Henriette Reker als eine der Erstunterzeichnerinnen ihren Namen (nicht als Privatperson, sondern in ihrer Rolle bzw. “Funktion” als OB!) unter das sogenannte “Manifest für Freiheit” hat setzen lassen, eine Stellungnahme, mit der zwei ehrgeizige Jungpolitiker, Franziska Brandmann, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (FDP-Jugendorganisation), und Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union (CDU-Jugend), am 24.2.2023 eine Petition gestartet haben. Diese Petition ist eine Gefälligkeitspetition für die Bundespolitik und die plumpe Antwort auf einen Text, der jetzt schon als historisch bedeutsam einzustufen ist, das “Manifest für Frieden” vom 10. Februar 2023, eine Petition von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer.

Bei Wagenknecht/Schwarzer, die ein sofortiges Ende der Waffenlieferungen fordern, heißt es klar und unmissverständlich: “Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.”

Im “Manifest für Freiheit” hingegen wird die reale Bedrohung ignoriert und letztendlich verdrängt. Ich weiß nicht, ob Henriette Reker das FDP/CDU-initiierte Manifest aus eigener Überzeugung und/oder in Absprache mit ihrem Sprecher Alexander Vogel unterzeichnet hat. So oder so ist es unverzeihlich. Seit der heimtückischen Messer-Attacke kurz vor der OB-Wahl 2015, bei der sie von einem psychisch schwer gestörten Mann lebensgefährlich am Hals verletzt wurde, weiß Henriette Reker, wie schnell Gewalt eskalieren kann.

Nippes, Neusser Straße, 25.12.2020. Die rigiden, staatlich verordneten Corona-Maßnahmen werden in Köln -wie überall in Deutschland- mit aller Härte umgesetzt. Dennoch finde ich das kleine Maskenattentat -insbesondere vor dem Hintergrund des brutalen Angriffs auf Frau Reker in Jahr 2015- weder klug noch komisch.

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Jahreswechsel 2022/23, Bushaltestelle Zonser Straße: Plakat ohne Oberbürgermeisterin bzw. Angriffsfläche

So rätselhaft es auch sein mag: Oft charakterisiert der Familienname den Namensträger. Die beiden Kölner Weihbischöfe, die im Zusammenhang mit der Kölner Missbrauchsaffäre wegen Pflichtverletzungen (Verschweigen) beurlaubt worden waren, hören auf die Namen Puff und Schwaderlapp. Auch der Name Reker offenbart, wenn man ihn sich genauer anschaut, Erstaunliches.

Viele halten Frau Reker für eine Frau ohne politisches Rückgrat. Ob das so stimmt, weiß ich nicht. Aber man kann den Namen der Oberbürgermeisterin von links nach rechts, aber auch von rechts nach links lesen. Wie man den Namen auch dreht, wie man ihn auch wendet, der Name RekeR fängt an, wie er endet. Oder, auf kölsch gesagt:

Vun

links noh

rechs gelesen ov

verkeht eröm: Reker bliev

rekeR

Eine Reise mit Coronatestfußfessel – Ein abendliches Treffen mit der Frau Keuner

“Hömma Lisa, du kannst ja braten”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner, und stopft sich eine halbe Bulette ins Maul. “Aber wat isst du so langsam?”

“Ich will einfach nicht mehr so viel Fleisch essen.”

“Dann lass dir Zeit”, sagt die Frau Keuner. “Ich mach dat schon.”

Abends ist die Frau Keuner mit paar Flaschen Kölsch vorbeigekommen, und ich hab auf ihren Wunsch Buletten gebraten. Viele, weil ich damit gerechnet hab, dass die Frau Keuner viel essen kann. Die Frau Keuner spießt eine weitere Bulette auf. “Ich wollte dir den Appetit nicht völlig verderben, Lisa, aber die Wahrheit sagen. In dieser Bulette ist nicht nur das Fleisch von einem Rind und einem Schwein, sondern zerkleinertes Fleisch von unzähligen Rindern und Schweinen, denn das wird in riesigen Bottichen zermanscht. Aber sach, willst du nicht mehr?”

Ich kann mich erinnern, dass mein großer Bruder vor gefühlt 55 Jahren einmal aus Futterneid vor den Augen seiner hungrigen, entsetzten Schwestern in eine Schüssel mit köstlichem Essen gespuckt hat, und zwar ausgiebig, aber was die Frau Keuner hier macht, das ist schlimmer, das ist Psycho-Spucken.

“Das Fleisch ist bio”, sage ich leise.

“Dann is dat eben Hackfleisch von unzähligen artgerecht gehaltenen Bio-Schweinen und Bio-Rindern. Deine Buletten sind echt lecker, aber noch verbesserungsfähig. Die Zwiebeln könnten feiner geschnitten sein. Ich komm jetzt einmal die Woche vorbei und kontrolliere deine Fortschritte. Das nächste Mal bitte mit Salat.”

“Kartoffelsalat?”

“Jau”, sagt die Frau Keuner. “Buletten können wir noch essen, wenn wir überhaupt keine Zähne mehr haben. Aber jetzt pack mir bitte die restlichen Buletten in einen Tuppertopf. Die ess ich morgen in aller Ruhe, und zwar alleine, du störst ja nur.” Ich räume den Tisch ab und geh mit feuchtem Lappen und anschließend mit trockenem Geschirrtuch über die Platte, denn die Frau Keuner braucht fettfreien Platz für die Computerausdrucke.

Die Frau Keuner pickt ein paar übersehene Fleischkrümel vom Tisch und breitet die Ausdrucke aus. “Lisa, du musst mal langsam lernen, dich zu wehren. Du bist viel zu freundlich, aber die Gesellschaft ist das schon lange nicht mehr. Freundliche Menschen werden nicht ernst genommen. Die Demokratie ist nur noch ein Alibi. Die Politiker wollen deine Stimme, aber nach den Wahlen wollen sie dich ganz schnell wieder loswerden. Die sind an unserer Arbeit und an unserem Geld interessiert, aber nicht an unserer Meinung, denn das bringt nur Ärger. Wir sind denen lästig. Vielleicht erinnerst du dich: Vor zwei Jahren hast du gesagt, mit dem Jens Spahn würdest du gerne mal ein Gespräch unter vier Augen führen. Nur leider redet der Jens Spahn nicht mit dir. Aber das ist gut so, sonst wäre das Gesagte unter euch geblieben. Wozu hast du deinen Blog? Da kannst du aufschreiben, was du ihm gerne persönlich gesagt hättest. Schreib, was passiert ist, schreib über Jens Spahn. Der Mann hat uns viel angetan”.

“Das kann man doch so nicht sagen”, sage ich leise und räume die Teller in die Spülmaschine. “Der Jens Spahn hat im Jahr 2020 einen FDP-Vorschlag abgelehnt und sich klar gegen die Leihmutterschaft ausgesprochen, und das rechne ich ihm hoch an.”

“Du musst den Spahn jetzt nicht noch in Schutz nehmen”, sagt die Frau Keuner. “Im selben Jahr hat der Jens Spahn die Widerspruchslösung für “Organspenden” vorgeschlagen, so, wie es die schon in der DDR gab. Damit ist er ja zum Glück nicht durchgekommen. Der Jens Spahn ist ein Karriererist, der ist schon mit 15 in die Junge Union eingetreten. Dann war er ausgemustert und hat eine Banklehre gemacht. Der Jens Spahn ist schon früh auf die schiefe Geldbahn geraten. Eigentumswohnung mit Anfang 20, zwei fette Kredite. Die mussten natürlich abbezahlt werden. Und was macht man, wenn man Geld braucht? Geschäfte. So empfiehlt man sich heutzutage für die Politik. Was in der Steinzeit die fette Beute war, sind heute die dicken Geschäfte… Aber wir reden ja jetzt über Corona. Corona hat gezeigt, wie autoritär unsere Politiker ticken, wie groß ihre Angst ist, Macht und Privilegien zu verlieren. Gehen wir mal zwei Jahre zurück. Also… Bundesgesundheitsminister Spahn muss beweisen, dass er alles im Griff hat. Denn in Deutschland regt sich Widerstand, Impf-Widerstand.”

Ich setze mich wieder zu der Frau Keuner, die mir einen Zettel mit Zitat zuschiebt mit der Bitte, laut vorzulesen: “‘Innerhalb der EU wird das Reisen voraussichtlich nicht von der Impfung abhängig sein’, sagte Spahn der ‘Rheinischen Post’ in der Samstagsausgabe (08.05.2021). `Auch mit den Testungen wird man sich europaweit gut bewegen können’, ergänzte er. Spahn selbst werde seinen Urlaub in Deutschland verbringen. ‘In dieser hoffentlich letzten Phase der Pandemie würde ich keine großen Fernreisen planen, Nordsee statt Südsee quasi’, sagte der CDU-Politiker.https://www.fr.de/politik/jens-spahn-urlaub-bundesrat-lockerungen-geimpfte-genesene-entscheidung-gesetz-deutschland-sommerferien-zr-90497261.html

“Das ist sowas von autoritär”, sagt die Frau Keuner. “Und wieder einmal wird das schöne Wort “Hoffnung” missbraucht. Hör dir das an: “Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) macht Hoffnung auf den Sommerurlaub in EU-Staaten.” Da stilisiert sich der Spahn auch noch zum Überbringer der Frohen Botschaft. Das ist gönnerhaft. Doch mittlerweile wissen wir, dass nicht nur beim Maskenkauf einige Milliarden Euro Steuergelder verschwendet wurden, sondern auch bei der Beschaffung von Tests. Das war nur zu unserem Schutz, wie die behauptet haben, das ist nicht mal nachgeprüft worden.” https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/pcr-tests-111.html

Die Frau Keuner öffnet sich die frische Flasche Kölsch, die ich ihr aus dem Kühlschrank geholt hab. “Die unbrauchbaren Tests müssen jetzt auch alle vernichtet werden, genauso wie die abgelaufenen Impfstoffe und die unbrauchbar gewordenen Masken. Aber der Olaf Scholz wird sich, sobald der angepasste Corona-Impfstoff da ist, trotzdem ein fünftes Mal impfen lassen. Aus Treue zur Pharmaindustrie und aus Rechthaberei.” Die Frau Keuner trinkt einen Schluck. “Der Scholz wird noch mal so richtig auf die Schnauze fallen… Sach mal, Lisa, heulst du?” Sie reicht mir die Serviette, mit der sie sich vorhin den Mund abgewischt hat.

“Brauch ich nicht”, sage ich leise. “Ich habe nur immer die Bilder im Kopf. Ende August 2021 sind wir nach Frankreich gefahren. Wir mussten uns per Internet anmelden. Und dann brauchten meine jüngere Tochter und ich noch einen negativen Anti-Gen-Test, also waren wir am Tag vor der Abreise in der Test-Station gegenüber vom alten Schlachthof. Ich konnte mich nicht auf den Urlaub freuen. Wie soll man sich in die Vorfreude fallen lassen, wenn man nicht weiß, ob man nicht auf den letzten Drücker doch noch positiv ist. Vor mir war eine ungeimpfte Frau, ein paar Jahre älter als ich. Wenn man älter ist, zeigt man ja nicht mehr so gerne die Zähne, und man reißt man nicht gerne den Mund auf, vor allem nicht in einer Test-Baracke gegenüber vom alten Schlachthof. Die Frau hat geschrien und gelacht. Krampfhaft. Aber irgendwann hat sie dann doch den Mund aufgemacht.”

“Du hast doch den Spahn gehört”, sagt die Frau Keuner und grinst. “Du konntest froh und dankbar sein, als Ungeimpfte überhaupt ins Ausland zu dürfen. Ich war schon lange nicht mehr verreist. Welche Rentnerin kann sich das denn noch leisten? Den Leuten mit der kleinen Rente bringt die Rentenerhöhung nicht viel. Was sind 5% Rentenerhöhung, wenn du nur 600 Euro Rente kriegst? Aber komm jetzt nicht auf die Idee, mich beim nächsten Mal einzuladen. Wie du Urlaub machst, das ist mir einfach zu spießig. Du machst das, was du auch in Köln machst, du mietest für dich und deine Töchter eine bezahlbare Ferienwohnung und bestückst die mit euren Kölner Plörren. In Paimpol angekommen, gehst du nicht direkt zum Hafen, sondern in den Intermarché. Aber auch nur deshalb, weil es da keinen REWE gibt. Am nächsten Tag fahrt ihr drei zum Plage de Behec, aber der Strandtag fühlt sich an wie ein Tag in der Riehler Rheinaue.”

“2021 hat es sich wirklich so angefühlt”, sage ich leise. “Aller Zauber war weg.”

“Ich verschick übrigens Urlaubsfotos”, sagt die Frau Keuner. “Wenn du mir sagst, ich soll dir welche schicken, dann setz ich mich vor meine Fototapete und mach Selfies.”

“Was ist das denn für eine Fototapete?”

“Raufaser”, sagt die Frau Keuner. “Weiß, leicht vergilbt. Aber ich sag dir was. Du hast noch Glück gehabt. Andere Ungeimpfte mussten zu Hause bleiben, nur weil der Test positiv war. Aber negativ war auch nicht viel besser. Hör dir Spahns Satz noch mal genau an. Auch mit den Testungen wird man sich europaweit gut bewegen können – Das ist nicht nur gönnerhaft, sondern richtig böse. Und jetzt setz die Wörter “auch die Ungeimpften” ein, denn die sind ja gemeint. Also… Mit den Testungen werden sich auch die Ungeimpften europaweit gut bewegen können. Woran erinnert dich das?”

Ich ahne, worauf die Frau Keuner hinauswill. “An die elektronische Fußfessel?”

“Genau”, sagt die Frau Keuner. “Und dabei legt man die elektronische Fußfessel nur entlassenen Schwerverbrechern an, vor allem Sexualstraftätern. Das ist durchaus logisch. Aus Sicht der Bundesregierung waren ja alle Ungeimpften Straftäter. Aber sach, hast du die Coronatestfußfessel für einen Moment vergessen?”

“Nein, die Coronatestfußfessel war zwar unsichtbar, aber die hing mir wie ein Klotz am Bein.” Doch jetzt gibt es kein Halten mehr, es bricht aus mir heraus: “Warum haben die mich und meine jüngere Tochter gezwungen, uns testen zu lassen? Wir war doch beide nachweislich immun. Meine ältere Tochter hatte Delta, hohe Virenlast, und wir beide haben mit aller Kraft versucht, uns bei ihr anzustecken, aber es hat nicht geklappt. In der Nachbarschaft ist ein junger Mann krank geworden, obwohl er geimpft war. Der hat die ganze Familie angesteckt, obwohl oder weil die auch alle geimpft waren. Die haben es richtig heftig bekommen. Warum gab es kein großes I für immun. Wozu soll ich mich testen lassen, wenn ich immun bin? Ich konnte und kann alles bezeugen. Und in Frankreich durften wir ohne aktuellen negativen Test nicht einmal ins Café. Und das, obwohl wir immun waren. Ich hatte sogar das positive Testergebnis meiner älteren Tochter und unsere negativen dabei und den Beleg für die zweiwöchige Quarantäne.”

Die Frau Keuner lacht: “Was sollen denn die Franzosen mit Kölner Beweismaterial? Außerdem war General Macron doch genauso rigide. Die Franzosen haben mit der Testung von Touristen richtig viel Knete gemacht. Lisa, du bist ein Störfall.”

“Das weiß ich doch”, sage ich. “Aber etwas in mir hat darauf gehofft, dass der Dr. Nießen vom Kölner Gesundheitsamt auf mich zukommt und mich beglückwünscht, dass er mich fragt, wie ich als Frau über 60 es geschafft habe, mich nicht mit der gefährlichen Delta-Variante zu infizieren.”

“Hömma, Lisa, du bist dermaßen naiv. Du stellst die Zwangsmaßnahmen in Frage und erwartest auch noch Beifall. Aber jetzt mach ich einen Test mit dir. Wessen Haaransatz ist das?”

“Spahn? Beide Male?”

“Und jetzt vergleich mal die beiden Urlaubsbilder von Spahn und Ehemann aus den Jahren 2021 und 2023 miteinander. Im Sommer 2021 war der Spahn noch so doof, ein Selfie zu veröffentlichen. Beide tragen keine Sonnenbrille, auch der Spahn nicht, dabei ist der Spahn Bundesgesundheitsminister. Und jetzt kommt’s. Sein Ministerium hat im Frühjahr des selben Jahres ein Heft seiner kostenlosen Werbebroschüre “Im Dialog” herausgegeben. In Heft 6/April 2021 geht es fast nur um die Impfung, aber auf der Kinderseite (S.34) wird ausdrücklich vor zu viel Sonne gewarnt. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Broschueren/BMG_Dialog_1-2021_bf.pdf

Der Jens Spahn hat für die Broschüre sogar das Vorwort geschrieben. Doch warum hat er die Warnungen seines eigenen Ministeriums nicht ernst genommen? Guck dir noch einmal das Selfie an. Gesundheitsminister Jens Spahn hat Sonnenbrand, knallrote Stirn, knallroter Hals und knallrote Nase. Dat geht doch gar nicht. Wahrscheinlich wollten Spahn und Mann den Beleg dafür liefern, dass es auch in Bayern schön sonnig sein kann, aber doch bitte nicht so. Das sind Top-Fotos für den Pschyrembel.”

“Ein Sonnenbrand kann doch jedem passieren”, sage ich leise.

“Ja, aber doch nicht dem Bundesgesundheitsminister. Der Mann ist doch ein Vorbild, was eine gesunde Lebensweise angeht.”

“Ich kann das so aber nicht in meinen Blog setzen.”

“Zu Zwecken der Aufklärung”, sagt die Frau Keuner. “Als Diashow. Jetzt guck dir bitte das Foto von 2023 an. Das haben Profis gemacht. Mittlerweile hat der Spahn kapiert, dass man als Spitzenpolitiker nicht einfach ein Selfie schicken kann, nicht mit Sonnenbrand und schon gar nicht, wenn der Bundesrechnungshof auf der Matte steht. Das ist jetzt zwei Jahre her, niemand erinnert sich mehr. Sind ja zu viele verstrickt.” Die Frau Keuner trinkt noch einen großen Schluck Bier.

“Ich vermute, dass der Jens Spahn für das Selfie damals einen richtigen Anschiss gekriegt hat. Deshalb musste sich der Spahn einer Styling-Beratung unterziehen. Die Profis haben das Bild aus dem Jahr 2021 genau analysiert. Der Fotograf hat Spahn und Funke aus der prallen Sonne geholt und in den Halbschatten gestellt. Beide Männer tragen jetzt Sonnenbrillen. Das Bild ist auch nicht während einer Wanderung aufgenommen worden, sondern danach. Im Jahr 2023 haben sich die Jungs den Schweiß abgewaschen. Die Klamotten sind nicht mehr schweißgetränkt, sondern sauber. Man sieht, wie die Männer duften. Und da ist noch was.”

“Das Büschel auf Spahns Stirn? So kommt er seriöser rüber.”

“Das auch”, sagt die Frau Keuner. “Aber guck mal auf Spahns Hals. Genau da, wo der Spahn im Jahr 2021 Sonnenbrand hatte, ist zwei Jahre später der Hemdkragen hochgeklappt. Ganz schön schlau.”

“Jau.”

“Strammer Max für Markus” ODER “Aus Schnee von Vorgestern kann man keine g’führige Piste mehr bauen” – Eine Begegnung mit der Frau Keuner

“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. Ich bin gerade im Vor-Gärtchen, um Unkraut zu zupfen, da steht die da, hält sich am Gehwagen fest und grinst.

“Tach auch”, sach ich. “Aber ich hab unangekündigten Besuch nicht so gerne.”

“Da solltest du dich in deinem Alter aber langsam drauf einstellen”, sagt die Frau Keuner. “Watt kütt, dat kütt, und zwar oft ohne Anmeldung. Ich sach dir, die Marianne vom Bahnwärterweg, die hatte einen Infarkt. Wie die reanimiert wurde, da hat die sich gesacht: Ich kann noch nich gehen, wie sieht denn die Bude aus? Da is weder aufgeräumt noch geputzt, ich brauch noch wat Zeit. Und jetzt ist die gesund, hat aber einen Putzfimmel. Im Nachhinein sacht die sich: Der Tod hat nur angeklopft, um zu sagen: Marianne, lass deine Bude nich so vergammeln.”

“Welche Marianne vom Bahnwärterweg?”

Die Frau Keuner zuckt die Achseln. “Wurde mir so erzählt. Ich kenn die nicht persönlich. Könntest du mir bitte mal einen Sitzplatz anbieten? Sach mal, hast du die Stühlchen etwa schon für den Winter parat gemacht? Hömma, Lisa, du hast wohl Angst, dass sich eine Gruppe Öko-Touristen in die autofreie Siedlung verirrt und bei dir vorm Haus picknickt. Ich sach dir, die lassen sich nicht davon abhalten, auch wenn die Stühlchen zusammengeklappt sind.”

“Quatsch”, sage ich und klappe der Frau Keuner ein Stühlchen auf.

“Alles Männer, früher lief sowat unter Kegelverein.” Die Frau Keuner setzt sich leicht ächzend. “Da kannst du noch froh sein, dass es Öko-Touristen aus Baden-Württemberg sind, die nehmen ihre Abfälle wieder mit. Alles kann man natürlich nicht wieder mitnehmen. Irgendwann schellt einer aus der Gruppe an und fragt, ob er mal bei dir aufs Klo kann. Und du traust dich nicht, nein zu sagen. Leider hast du das Klo seit drei Wochen nicht mehr geputzt. Du kannst dem Öko-Touristen ja sagen, dass du nicht geputzt hast, weil du Wasser sparen wolltest. Da hat der Verständnis für. Und wat macht der Ökotourist? Zieht nicht ab. Könnte ja noch ein anderer aus der Gruppe aufs Klo wollen.” Kurze Redepause, sehr kurz.

“Und dann passiert ein Malheur”, sagt die Frau Keuner. “Einer aus der Gruppe hat Durchfall und schafft es gerade noch so aufs Klo. Und du, du bist so freundlich, dem anzubieten, bei dir zu duschen. Du hättest sogar ein sauberes Handtuch für ihn. Doch leider hört der Mann nicht auf dich, denn er ist ein Anhänger von Winfried Kretschmann. Du kennst doch den Kretschmann?”

“Natürlich kenn ich den. Der Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg und hat mit dem Markus Söder zusammen schon im November 2021 für die allgemeine Corona-Impfpflicht plädiert. Und das zu einem Zeitpunkt, als allmählich klar wurde, dass es eine neue, harmlosere Corona-Variante gibt, gegen die in keinem Fall massengeimpft werden dürfte. Seitdem weiß ich, wie gut CSU und GRÜNE zusammenpassen. Wenn der Kretschmann redet, hör ich nicht mehr hin.”

“Nicht hinhören ist ein Fehler”, sagt die Frau Keuner. “Für jüngere GRÜNE ist der olle Kretschmann ein Öko-Vorbild, auch für den Habeck. Ich sage dir, wenn du gelesen hättest, was der Kretschmann zum Energiesparen gesagt hat, wärest du gewarnt gewesen. Der Kretschmann hat ein Elektroauto und auf seinem Dach eine riesige Fotovoltaikanlage. Seit die Kinder aus dem Haus sind, heizen die Kretschmanns in der Regel nur noch ein Zimmer. Duschen tun die auch nicht so oft.”

“Das ist doch nicht unvernünftig”, wende ich ein.

“Der Kretschmann ist ein Saubermann”, sagt die Frau Keuner. “Und weißt du, was der Kretschmann wörtlich gesagt hat? … ‘Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung.’ Klingt schlau. Das Problem ist nur, dass ein gebrauchter Waschlappen gründlich gewaschen werden muss. Im Waschlappen bleibt hängen, was beim Duschen im Abfluss verschwindet. Lisa, du wirst doch irgendwo noch einen Waschlappen haben.“

“Für den Ökotouristen?”, frage ich leise.

“Der hat eigene dabei”, sagt die Frau Keuner. “Das Problem ist nur, dass der Ökotourist die Waschlappen nicht feucht in den Rucksack packen kann. Also lässt er sie da, und zwar für deine nächste 60°-Wäsche. Seine olle Unterbuxe kommt auch noch dazu, denn er hat frische Wechselwäsche dabei. Kann eine Weile dauern, bis die Maschine voll ist, aber der Öko-Tourist ist ein alleinstehender Rentner mit Senioren-Bahncard und 49-Euro-Ticket. Der kommt wieder. Ich sach dir, Turteln ist ziemlich unromantisch, wenn man über 60 is.”

“Turteln?”, sage ich leise. “Auch das noch.” Ich klappe einen zweiten Stuhl auf und setze mich..

“Lisa,” fängt die Freu Keuner wieder an, “sei froh, dass du keine wichtige Person bist und nur ein ömmeliges Reihenhaus hast. Als der Jens Spahn noch in seiner Dahlemer Villa gewohnt hat, standen ständig die Gaffer vorm Haus. Ich meine, wie konnte der Mann so naiv sein zu meinen, dass die Leute Beifall klatschen, wenn sich der Bundesgesundheitsminister im Sommer 2020 eine Fünf-Millionen-Euro-Villa für den Luxus-Lockdown kauft, während sich die Menschen in ihren kleinen Wohnungen auf der Pelle hängen. Und wie kann der Jens Spahn so doof sein, ein Paket anzunehmen, wo kein Absender draufsteht. Da kann doch nur Kacke drin sein.”

“Bah!”

“Genau”, sagt die Frau Keuner. “Aber im Wahlkampf machen die Politiker dann auf Piep, piep, piep – Wir haben uns alle lieb. Wie der Jens Spahn vor zwei Jahren. Da hat er mitten im Bundestags-Wahlkampf auf Instagram ein Urlaubs-Selfie gepostet, und zwar vom Tegernsee. Guck es dir im Internet an, im Vordergrund sieht man Jens Spahn und Mann und im Hintergrund eine Berglandschaft. Die Schlagzeile auf rtl.de war, Moment… ” Die Frau Keuner kramt einen Zettel aus der Jackentasche. “Also, die Schlagzeile war: Jens Spahn (CDU) schickt Grüße aus dem Liebesurlaub in den Bergen. Ist das nicht promi-primitiv? Ich sach dir, im Anschluss an die Nachricht vom Liebesurlaub in den Bergen hat der Spahn noch mehr Pakete ohne Absender gekriegt. Ich schick dir den Link, denn den brauchst du noch.” https://www.rtl.de/cms/jens-spahn-sendet-urlaubsgruesse-gesundheitsminister-mit-ehemann-am-tegernsee-4809772.html

“Wieso brauch ich den Link?”

“Für den Blog-Beitrag, den du schreibst”, sagt die Frau Keuner. “Ich bin übrigens für die gleichgeschlechtliche Ehe. Das Problem ist nur, dass die gleichgeschlechtlichen Promi-Ehepaare in aller Regel genauso spießig sind wie die heterosexuellen. Vor allem die von der CDU. Ich sehe da eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Pärchen Jens und Daniel und dem Pärchen Hannelore und Helmut. Die Kohls sind ja auch immer in die Berge gefahren. An den Wolfgang-See in Österreich, und der Helmut Kohl wollte nie mit der Familie alleine sein, der wollte die Presse immer dabei haben… Hömma, Lisa, wat sitzt du da die ganze Zeit so doof rum? Hast du wohl mal bitte ein Kissen für mich?”

Ich gehe ins Haus und hole ihr eins. “Für die Hannelore Kohl muss das entsetzlich gewesen sein”, sagt die Frau Keuner. “Wo sie doch unter einer Lichtallergie litt. Licht ist aggressiv, wenn es zu viel wird, vor allem das Licht der Öffentlichkeit… Aber da will ich gar nicht dran denken.” Die Frau Keuner seufzt, aber dann lächelt sie und singt: “Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein…” Summt, guckt selig. Das Summen geht in ein Brummen über und dann in ein leises Schnarchen.

“Frau Keuner?”

“Schon gut”, sagt die Frau Keuner und gähnt. “Wo war ich noch. Also… Erinnerst du dich noch an die weltweite Reisewarnung vom Auswärtigen Amt, als sie wegen Corona die Grenzen dichtgemacht haben? Das war im Frühjahr 2020. Da hatte der Markus Söder Angst, dass der bayrische Tourismus zusammenbricht. Der Söder hat damals einen kernigen Satz gesagt, der auch noch lustig sein sollte, von oben herab, der Söder kennt ja nur die eine Richtung… Moment, ich muss den noch zusammenkriegen… Also: “Wer Österreich genießen will, der kann das auch in Bayern tun.” Wäre ich eine österreichische Hotelkraft, wäre ich schwer bedient gewesen, aber die Österreicher haben sich angeblich geschmeichelt gefühlt. Is ja klar, jedes Land will heute Genießerland sein. Is ja auch lecker da. Kennst du Frittatensuppe?” Ich schüttele den Kopf.

“Du kannst in Bayern keinen Österreich-Urlaub machen”, fährt die Frau Keuner fort. “Doch bei der Frittatensuppe geht das, die kannst du auch in Bayern kochen, sogar vegetarisch. Aber einer wie der Söder wird unruhig, wenn er kein Fleisch kriegt. Der braucht ein ordentliches Stück Fleisch im Bauch. Das sättigt nicht nur, das macht stark. Fleisch ist angeblich auch gut für die Wehrkraft. Deshalb hat der Markus Söder im Frühjahr 2022 ein großes Weißwurst-Frühstück für US-amerikanische Soldaten veranstaltet. Moment, ich kann den Twitter-Text nicht auswendig.”

Die Frau Keuner holt einen weiteren Spick-Zettel aus der Jackentasche und faltet ihn auseinander: “Ich muss mich jetzt zusammenreißen, denn ich esse dermaßen gerne Weißwürste. Wenn ich beim Reden kurz pausiere, liegt das daran, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft.” Die Frau Keuner stockt, schluckt und redet dann weiter. “Aber die Weißwürste, die man in Köln kaufen kann, haben keine richtige Pelle mehr. Dat beißt sich nicht nur wie Bockwurst, dat bricht sich auch wie Bockwurst.” Die Freu Keuner seufzt. “Die Pelle von der echten Weißwurst ist so derb, dass man die Wurst nur biegen kannst.”

Die Frau Keuner stockt, schluckt und redet dann weiter. “Also, auf dem offiziellen Twitter-Account vom Markus Söder steht am 11. März 2022: ‘Größtes Weißwurst-Frühstück in Bayern: US-Soldaten verteidigen unsere Demokratie auf der ganzen Welt. Dafür danken wir herzlich mit bayerischen Spezialitäten auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Wir sind verlässliche Partner und stehen vereint zusammen für Frieden und Freiheit.` Das war nur wenige Wochen nach Beginn des Kriegs in der Ukraine, die USA hatten schon mächtig viel Geld in den Irrsinn gepumpt.”

“In der Weißwurst, die man hier kaufen kann, ist kaum noch Petersilie drin”, sage ich leise.

“Darf auch nicht zu viel drin sein”, sagt die Frau Keuner. “Auf Twitter kannst du dir die Fotos vom Weißwurst-Frühstück angucken, da steht der Söder für Weißwürste an, natürlich an vorderster Front. Und er trägt eine FFP2-Maske, was in dem Zusammenhang schon ein bisschen unpassend ist. Nach dem Motto: Ungeschützt im Schützengraben? Nie wieder! Ich versteh aber schon, dass der Söder maskiert war.”

“Warum?”

“Ich würde auch eine Maske tragen, wenn ich Politiker wäre und meine Ehefrau wäre nicht nur seit Ende 2020 Schirmherrin über die berittenen Einheiten der Bayerischen Polizei, sondern auch eine erfolgreiche bayrische Unternehmens-Erbin und Unternehmerin, die versucht hat, mit Corona-Masken zu handeln. Die Frau Baumüller-Söder hat ja angeblich beste China-Kontakte. Da gab es einen erhellenden Artikel im Merkur. Moment… Ich geb dir den Link. Aber die Karin Baumüller-Söder hat immer betont, dass sie mit der Masken-Beschaffung keine Geschäfte machen wollte, sondern nur helfen. Is dat nich lieb?” Ich nicke. https://www.merkur.de/bayern/nuernberg/ehefrau-karin-baumueller-corona-masken-deals-ffp2-csu-bayern-soeder-91483544.html

Die Frau Keuner lacht. “Lisa, lies bitte die Kommentare, die unter dem Artikel stehen. Manche sind ja kritisch, aber andere… Verstehst du die Sprache? Weißt du, was eine g’führige Piste ist? Was sagst du zu diesem Kommentar? Aus Schnee von Vorgestern kann man keine g’führige Piste mehr bauen…

“Was das Skifahren angeht, bin ich leider unsportlich”, antworte ich.

“Nicht nur, was das Skifahren angeht”, sagt die Frau Keuner. “Ich hab dich kürzlich an der Tischtennis-Platte gesehen. Schon mal wat von Rückhand gehört?”

“Aber das war ich nicht! Ich spiele schon seit Jahren kein Tischtennis mehr.”

“Dann war das eben deine Doppelgängerin”, sagt die Frau Keuner. “Je älter man wird, desto mehr Doppelgängerinnen hat man. Aber du solltest wirklich an deinem Outfit feilen. Guck dir den Söder an, der sieht immer gut aus, nicht nur wegen der Landtagswahl im Oktober. Und er hat einen gesunden Appetit. Kennst du den Hashtag #Söderisst?” Ich schüttele den Kopf.

“Söders Lieblingsgerichte sind Nürnberger Rostbratwürste und Kalbskopf mit Kartoffelsalat”, sagt die Frau Keuner. “Den Kalbskopf hat die Mutter Söder immer für den Markus gekocht. Für den Hashtag macht er die Fotos selber, auch die vom Kalbskopf, aber an die eigene Visage lässt er nur Profis ran. Da gab es jetzt diesen Skandal. Der Söder ist ja wirklich fotogen, volle Haare, gute Figur, stattliche Erscheinung, markante Züge, grimmiger Blick. Dass der Bayrische Ministerpräsident fotografiert wird, ist ja normal, aber während seiner Amtszeit haben sich die Ausgaben für Fotos vervielfacht. Dat sind Steuergelder, geht gar nicht.” https://www.welt.de/politik/deutschland/article246678732/Markus-Soeder-Fotos-von-Bayerns-Ministerpraesident-kosten-Steuerzahler-220-000-Euro.html

“Lisa, magst du Strammer Max?”

“Ja”, sage ich. “Wenn der nicht ganz so stramm ist, ohne Schinken, mein ich.”

“Ohne Fleischteil ist dat aber nach Meinung von Markus Söder kein Strammer Max mehr”, sagt die Frau Keuner. “Ende April 2022 war auf #Söderisst ein kompletter Strammer Max abgebildet, mit Käse und Schinken. Und wie nennt der Söder das Tellergericht, das er serviert kriegt? Strammer Max für Markus. Kannst du so in die Suchmaschine eingeben. Da redet ein Ministerpräsident von sich selber in der dritten Person. Ist das nicht peinlich? Die Food-Fotos hat der Söder alle selber geknipst. Aber guck dir mal Strammer Max für Markus an: Ich sage dir, die Spiegeleier waren definitiv zu lange in der Pfanne, das Eiweiß ist porös und leicht angebacken, das Häutchen über dem Eigelb ist schon ledrig, der Schinken ist billiger Pressschinken und der Käse abgepackter Allgäuer Emmentaler, und dann steht im Hashtag nicht einmal, wo der Söder das fotografiert hat.” Die Frau Keuner hält mir ihr Smartphone hin.

“Viel sehe ich ohne Lesebrille nicht”, sage ich. “Aber dieser Stramme Max für Markus sieht kaltgeworden aus. Geht schnell bei Ei.”

“Sach, Lisa, du kennst dich doch ein bisschen aus. Woher kommt der Ausdruck Strammer Max?” Ich zucke die Achseln, aber die Frau Keuner gibt Strammer Max bei Wikipedia ein, fängt an zu lachen, prustet, grunzt. “Dat darf doch nicht wahr sein.”

“Was steht denn da?”, will ich wissen, geh ins Haus und schnapp mir die Lesebrille. “Kann ich wohl mal gucken?”

Die Frau Keuner reicht mir ihr Smartphone: “… Der Ausdruck Strammer Max wurde um 1920 im Sächsischen mit der Bedeutung „erigierter Penis“ gebildet und anschließend auf das Gericht übertragen, wohl weil es ein besonders „kräftigendes“ belegtes Brot ist…” https://de.wikipedia.org/wiki/Strammer_Max

“Jetzt tut mir der Markus Söder fast schon wieder leid”, sage ich.

“Der muss dir nicht leid tun”, sagt die Frau Keuner. “Der Söder betrachtet Bayern als sein persönliches Familienunternehmen.”

“Aber das darf doch nicht passieren. Warum sagt ihm das denn keiner?”

Die Frau Keuner grinst: “Dass Strammer Max eigentlich Strammer Schwanz heißt? Es ist, wie es ist. Der Söder hat Strammer Schwanz für Markus bestellt.”

“Pst”, jammere ich. “Der Markus Söder muss Strammer Max für Markus sofort von seinem Hashtag #Söderisst? runternehmen. Der macht sich doch lächerlich.”

“Der Markus Söder soll sich ruhig so zeigen, wie er ist und frisst, denn so geht das nicht weiter. Was bildet sich der Mann eigentlich ein? Wer Österreich genießen will, der kann das auch in Bayern tun... Das erinnert mich an die DDR-Staatsführung. Weißt du, was die damals zu den DDR-Bürgern gesagt haben? ‘Wenn es euch auch nach Italia zieht, dann seid ihr mit Eforie Nord doch viel besser bedient.’ Die SED-Elite war eine geschlossene Gesellschaft. Die Bonzen waren damals schon so schlau, fernab vom Massentourismus auf der Ostsee-Insel Vilm Nobel-Urlaub zu machen. Das Volk ist währenddessen zum Schwarzen Meer gefahren und hat in den Trabis geschlafen. Gardinen vorm Autofenster. Die Hotels waren für die Westdeutschen reserviert. Die hatten ja West-Mark. Wenn ich DDRlerin gewesen wäre, hätte ich die Wessis dermaßen gehasst.”

“Ich hätte uns nicht gehasst, aber fürchterlich gefunden”, sage ich.

“Die haben uns damals schon gegeneinander ausgespielt”, sagt die Frau Keuner. “Und wie gehen die Politiker mit unserem Geld um? Als der Jens Spahn im Jahr 2021 seinen Liebesurlaub gemacht hat, stand der schon sehr unter Druck. Der hatte ja ohne Ende auf dicke Hose gemacht und vom Bundesrechnungshof einen Anschiss gekriegt. Die haben dem Gesundheitsministerium Geldverschwendung vorgeworfen, du erinnerst dich vielleicht, da ging es um die Beschaffung von Schutzmasken. Spahns Ministerium hatte viel zu viele Masken bestellt und dann nicht bezahlt. Das ist so primitiv, dass da keiner drauf kommt.”

Die Frau Keuner macht eine kurze Pause und redet dann weiter. “Schon im Frühjahr 2021 hatte der Unternehmer Walter Kohl, CDU, Sohn vom Helmut Kohl, CDU, das Bundesgesundheitsministerium verklagt. Der Skandal ist ja nicht nur, dass die Masken nicht bezahlt wurden, sondern dass ausgerechnet der Sohn vom Kohl den Großauftrag hatte. Und jetzt gib bitte bei Google “Maskendeals” ein. Dann siehst du, wer da alle beteiligt war. Eine einzige Vettern- und Ehegattenwirtschaft. Die meisten aus dem Umkreis von CDU/CSU. Alfred Sauter und Georg Nüßlein, Andrea Tandler, Tochter vom ehemaligen CSU-Generalsekretär Gerold Tandler u.u.u. Die Burda GmbH hat mehr als eine halbe Million FFP2-Masken an das Bundesgesundheitsministerium verkauft. Und wer leitet die Burda-Repräsentanz in Berlin? Daniel Funke, der Ehemann von Jens Spahn.”

“Ich hab noch paar Masken übrig”, sage ich. “Rosa”.

“Die kannst du wegschmeißen”, sagt die Frau Keuner. “Angeblich taugen die alle nicht mehr. Im Juni habe ich gelesen, dass 755 Millionen Schutzmasken vernichtet werden müssen. Dabei haben sie von Anfang an versucht, den Maskenkonsum ankurbeln, um die teuer bezahlten Dinger irgendwie loszukloppen. Das war dermaßen primitiv. Und wie sie die älteren Menschen veräppelt haben. Weißt du noch, da haben alle gesetzlich Krankenversicherten über 60 einen Brief von der Bundesregierung gekriegt, im Januar 2021. Vielleicht erinnerst du dich, dieses Schreiben, wo stand, dass alle über 60 ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Die Bundesregierung hat behauptet, dass sie uns schützen will. Und dann hat da gestanden, dass man bis zum 6. Januar drei Masken mit hoher Schutzwirkung kostenlos kriegt. Der Brief war undatiert, und da stand nicht einmal ein Neujahrsglückwunsch drunter. Das hat mich stutzig gemacht. Das Schreiben war halbseiden und primitiv, die Absende-Adresse war München-Flughafen.”

Für mich gibt es kein Halten mehr. Ohne Rücksicht auf Baden-Württemberger Ökotouristen oder andere Passanten tanze ich im Sitzen, ich bewege mich wie blöd und und singe eine Melodie, die mir einfach so kommt. Da Da Da Da Da …. Da Da Da Daaaaa.

Die Frau Keuner strahlt und reckt den Daumen. “Boah, Lisa, dat ist aus den späten 60ern und die alte Erkennungsmelodie von… Wie hieß die Sendung noch?”

Aktenzeichen XY… ungelöst“, sage ich. “So heißt die immer noch.”

“Dieser Fall ist längst gelöst”, sagt die Frau Keuner. “Nur hat das keine Konsequenzen. Die Masken-Deals gelten als Kavaliersdelikte. Sauter und Nüsslein dürfen sogar ihre fetten Provisionen behalten. Die sahnen ab, aber für uns gibt es nicht einmal den versprochenen Trostpreis. Knausrig waren die auch noch. Der Brief von der Bundesregierung ist erst Mitte Januar angekommen, da waren die kostenlosen FFP2-Masken längst weg. Wenn es die je gegeben hat. So lockt man die älteren Menschen in die Apotheke. Leider war ich so wütend, dass ich den Brief weggeschmissen hab.”

“Ich hab den Brief auch erst Mitte Januar gekriegt”, sage ich. “Das war auch zu spät fürs Lockangebot. Aber ich hab den Brief aufbewahrt. Für meinen Blog.”

“Hui”, macht die Frau Keuner. “Ich bin jetzt mal kurz weg. Aber heute Abend komm ich wieder. Und du hast bis dahin Kölsch besorgt und kalt gestellt. Und brat mir bitte paar Buletten. Dass du das Beweismaterial noch hast, dieses unseriöse Schreiben von der Bundesregierung.”

Ich wusste nicht, dass sie dazu in der Lage ist, aber die Frau Keuner lächelt. “Lisa, ich liebe dich.”

Elfchen im Siebten: Was machst du mit dem Knie, lieber Jens?

In dIesem Jahr ist der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn nicht in die deutschen Berge gefahren, sondern nach Südtirol. In einem Artikel auf rtl.de lautet die Schlagzeile: Sonnige Grüße mit Lederhosen: Jens Spahn teilt privaten Urlaubsschnappschuss

Abgebildet ist ein Foto, das Spahn auf Instagram gepostet hat. Jens Spahn und Ehemann Daniel Funke zeigen sich -wie schon beim Oktoberfest im Jahr 2018- in feschen Lederhosen. Ein Bild-Ausschnitt:

Die Jungs, mit denen ich Ostern 1965 eingeschult wurde, spielten immer dasselbe Spiel. In den Pausen näherten sie sich uns Mädchen von hinten, hoben uns den Rock hoch und riefen laut (damit alle es mitkriegten): “Deckel hoch, der Kaffee kocht.” Anders als die altklug-coolen Mädchen von heute fanden wir die Jungs nicht sexistisch oder frauenfeindlich, sondern einfach nur nervig.
Wir Mädchen guckten uns die Jungs natürlich auch an, aber weniger plump. Da sie im Sommer alle in kurzen Lederhosen (die man weder waschen musste noch konnte) rumliefen, bekamen wir ihre drahtigen Beine zu sehen. Den Rest konnten wir uns denken. Da wir zu den geburtenstarken Jahrgängen gehörten, hatten die meisten von uns Brüder und kannten sich aus.
Ich finde Männer-Knie nach wie vor erotisch. Diese hier sprechen meine Betrachtungsfreude an. Vor allem die Knie links im Bild haben es mir angetan. Doch who is who? Welche Knie gehören zu wem, können wir Jens Spahn an seinen Knien erkennen? Wer die Lösung wissen und das ganze Foto sehen will, möge folgenden Link anklicken: https://www.rtl.de/cms/jens-spahn-urlaub-in-lederhosen-politiker-teilt-privaten-schnappschuss-mit-seinem-mann-5052702.html

Während ich die Knie betrachte, kommt mir ein bekanntes Lied in den Sinn. Den Refrain kennen die älteren unter uns auswendig. Was machst du mit dem Knie, lieber Hans, mit dem Knie, lieber Hans, beim Tanz… Gleich kommt mir die Idee für ein Elfchen. Der Tanz wird zum Tänzchen, Hans zum Hänschen, das reimt sich auf JensCHEN.

Was machst du mit….

… dem

Knie, lieber

Jens, mit dem

Knie, lieber Jens, beim

Dance…

Das Lied, dessen Refrain ich hier nur leicht variiere, ist fast hundert Jahre alt: Was machst du mit dem Knie, lieber Hans, beim Tanz (1925) …. Aus der Perspektive der Geliebten erzählt das Lied mit leisem Spott von Hans, der beim Tanzen eine große Leidenschaft entwickelt, sich aber, wenn sie mit ihm alleine ist, als langweilig entpuppt. Hans will gesehen werden, er braucht Publikum.

So porträtiert Autor Fritz Löhner-Beda (Bedřich Löwy) den eitlen Gockel, der sich permanent zur Schau stellen muss: Man sieht mich, also bin ich (lebendig). Im VIP-Zeitalter hat sich die Lage zugespitzt. Heutzutage ist die politische und mediale Bühne bevölkert von egozentrischen Sebstdarstellern. Jens Spahn ist einer von ihnen.

Abgedruckt ist das Lied unter anderem im Internet- Volksliederarchiv des Bremer Verlags Müller-Lüdenscheidt. https://www.volksliederarchiv.de/schlager/was-machst-du-mit-dem-knie-lieber-hans/ Dieses Archiv (eine Fundgrube!) stellt die Lieder nicht nur vor, sondern liefert Hintergrundinformationen. Eine zentrale Frage ist die nach Ursprung und Urheberschaft: Wo und wann ist das Lied entstanden, wer hat das Lied getextet bzw. komponiert?

Genauigkeit ist schon deshalb wichtig, weil das Internet -gerade was die Urheberschaft betrifft- zahlreiche Fehlinformationen enthält. So wird als Schöpferin des Lied Was machst du… gerne Brigitte Mira genannt, die das Lied allerdings nur interpretiert hat, schön, aber ein bisschen zu schön. Aber warum kommt mir das Lied in Brigitte Miras Interpretation glatt und gefällig vor?

Ich höre mir die Mira-Version auf verschiedenen You-Tube-Kanälen an und bekomme die Antwort. Brigitte Miras Vortrag endet bereits mit der sechsten Strophe:

Warum wippst du mit den Schultern so sehr?
Und was hüpfst du wie ein Floh hin und her?
Und was machst, ja was machst du
mit dem Knie, lieber Hans, beim Tanz?

Dass Brigitte Mira das Lied verkürzt, ist ärgerlich, denn in den letzten vier Strophen, die sie ausspart, entfaltet das Lied seinen tiefgründigen Humor.

Hans hat Angst, mit der Geliebten alleine zu sein, und flieht ins Büro:

Sind wir allein einmal beim Wein
in unserm Zimmer
dann musst du immer
gleich ins Büro

Doch in Gesellschaft bin ich dir
ganz unersetzlich
da zwickst du plötzlich
mich a propos.
(Strophen 7 und 8)

Schade, aber es gibt die Gelegenheit, sich das großartige Lied in ungekürzter Fassung anzuhören. Ich persönlich empfehle trotz angekratzter Tonqualität die Interpretation von Franzi Ressel aus dem Jahr 1925. Mit ihrem schnellen Gesang und den leichten Kieksern in der sich immer wieder überschlagenden Stimme bringt Franzi Ressel die spöttische Gereiztheit der Geliebten ganz wunderbar zum Ausdruck. https://www.youtube.com/watch?v=Emt_JKm2RFk

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Zur Lebensgeschichte der Juden Bedřich Löwy (Autor) und Richard Fall (Komponist):

Bedřich Löwy wurde am 24. Juni 1883 in Wildenschwert, Böhmen geboren. Der Wiener Librettist, Schlagertexter und Schriftsteller gehörte zu den populärsten deutschsprachigen Lieddichtern seiner Zeit. Er veröffentlichte dabei meist unter dem Namen „Beda“ bzw. Fritz Löhner-Beda. Zu seinen größten Erfolgen gehören Operetten-Libretti wie „Land des Lächelns“ oder „Ball im Savoy“ und natürlich Lieder wie „Ausgerechnet Bananen“, „In der Bar zum Krokodil“, „Du schwarzer Zigeuner“,  „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“, „Rosa wir fahrn nach Lodz“ und „Dein ist mein ganzes Herz“. Aus seiner Feder stammt ebenfalls das „Buchenwaldlied“. Am 4. Dezember 1942 wurde er im KZ Auschwitz III Monowitz ermordet.https://www.volksliederarchiv.de/lexikon/loehner-beda/ Die Seite zitiert auch einen Brief an den Spiegel aus dem Jahr 1974, der beschreibt, auf welch grauenvolle Weise Bedřich Löwy ermordet wurde.

Richard Fall, Komponist des Liedes, geboren am 3. April 1882 in GewitschÖsterreich-Ungarn, wurde, nachdem er im Jahr 1938 nach Frankreich geflohen war, “am 20. November 1943 vom Sammellager Drancy aus in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert,[1] wo er Anfang 1945, vor der Befreiung des KZ, ermordet wurde.” https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Fall

“Es war, als könnten wir über das Wasser laufen, ohne unterzugehen” – Eine kleine Geschichte über das Wunder der Immunität

In einer kleinen Siedlung lebte vor langer Zeit eine Gruppe Menschen. Meistens waren sie unter sich, denn die nächste Siedlung lag einen halben Tagesmarsch weit entfernt. Sie ernährten sich von dem, was sie fanden, von Beeren, Nüssen, Pilzen und den Körnern wilder Getreide. Der nahe Fluss war voller Fische. Das Klima war gemäßigt, die Winter waren mild und die Sommer regenreich, aber auch sonnig.

In den Wäldern gab es so viel Wild, dass die Wölfe keinen Grund hatten, in die Siedlungen der Menschen einzudringen. Die Nattern, die sich über den Boden schlängelten und die Blicke der Menschen in ihren Bann zogen, waren nicht angriffslustig.

Um die Götter nicht zu erzürnen, gingen die Männer nur ab und an auf die Jagd. Die Felle und Häute der erlegten Tiere ließen sich zu Kleidung verarbeiten. Ihr Fleisch wurde über dem Feuer gebraten und aufgeteilt. Die besten Stücke bekamen die jungen, fruchtbaren Frauen. Die Götter wollten es so. Die alten Frauen achteten streng darauf, dass der Wille der Götter respektiert wurde.

Irgendwann jedoch begehrten die Männer auf. “Es ist ungerecht, dass ihr Frauen bevorzugt werdet”, sagte der Anführer der Männer. “Glaubt nur nicht, dass ihr was Besonderes seid, nur weil ihr die Kinder zur Welt bringt. Es mag ja sein, dass ihr diesem Kampf viel Blut verliert, es mag auch sein, dass manchmal eine Frau während der Geburt stirbt, aber ich sage euch, der Kampf gegen die wilden Tiere ist der eigentliche, der noch blutigere Kampf. Der Kampf gegen die Bestie ist ein Kampf auf Leben und Tod.”

Die Frauen konnten den Anführer der Männer nicht ganz ernst nehmen. Eine Geburt war zwar heftig und riskant, aber kein Kampf. Wenn sie in den Wald gingen, um Beeren, Nüsse und Pilze zu sammeln, sahen die Frauen hin und wieder Wölfe, aber noch nie waren sie einer Bestie begegnet. Die Frauen waren gelassen, sie nahmen sich das, was die Natur hergab, sie kannten die Lichtungen, wo die besten Beeren reiften, sie lehrten die Kinder, zwischen unreif und reif, nicht essbar und essbar und zwischen giftig und ungiftig zu unterscheiden. Und irgendwann hatten sie herausgefunden, wie man Beeren und Pilze trocknen und für den langen Winter haltbar machen konnte.

Die Männer jedoch waren unzufrieden. Um Fische zu fangen, musste man schnell sein und mit der Harpune umgehen können, doch die Fische waren so kühl wie das Wasser, in dem sie schwammen, und die Jagd auf sie forderte nicht den ganzen Mann. “Wozu”, fragten sich die Männer, “sollten uns die Götter mit dieser großen Kraft ausgestattet haben, wenn wir nicht auserkoren wären, den Kampf aufzunehmen gegen die wilden, warmblütigen Tiere ?”

Die Männer versammelten sich, um Pläne zu schmieden. “Wir brauchen mehr Hirschfelle”, sagte der Anführer der Männer. “Die Winter werden härter werden.” Die Männer nickten. “Wir müssen Schweine jagen”, sagte ein anderer Mann, “im Wald leben zu viele davon. Das bringt die Wölfe auf die Idee, sich hemmungslos zu vermehren. Und dann haben wir ein Problem.” Ein dritter Mann schaltete sich ein: “Das erste Fleisch werden in Zukunft nicht mehr die Frauen bekommen. Wir müssen sie beschützen, denn das Fleisch könnte vergiftet sein. Aber die Frauen brauchen keine Angst zu haben, denn wir Männer werden das Fleisch vor ihnen probieren. Erst wenn wir Männer die Mutprobe überlebt haben, sind die Frauen dran.” Jetzt jubelten alle.

Von nun an gingen die Männer häufiger jagen. Ihre Jagdlust wurde alleine dadurch gebremst, dass die alten Frauen, die nicht mehr gerne Fleisch aßen und deren Zähne brüchig geworden waren, weiterhin darauf achteten, dass die jungen Frauen die besten Fleischstücke bekamen.

Wenn sie in den Wald gingen, nahmen die Frauen die Kinder mit. Die jüngsten wurden getragen und abgesetzt, die älteren halfen beim Sammeln. Vor allem die süßen Beeren schmeckten den Kindern. So gehörten in jedem Frühjahr die ersten Walderdbeeren ausschließlich ihnen. Alle Kinder, die schon laufen konnten, durften ohne die Erwachsenen in den Wald und Erdbeeren essen, so viele sie wollten. Sie sollten keine Erdbeeren nach Hause mitbringen, aber darauf achten, dass alle Kinder zusammenblieben. Die Erwachsenen vertrauten die kleineren Kinder den älteren an, die schon gut zählen konnten. Es waren 23 Kinder, die an einem milden, sonnigen Tag losgezogen waren, um Erdbeeren zu pflücken. Dass sie am Waldrand die Kinder aus der Nachbarsiedlung getroffen und mit ihnen gespielt und Erdbeeren gegessen hatten, erzählten sie nur den Müttern.

Ein paar Tage später waren die Kinder krank. Als die Menschen sich zur allmorgendlichen Begrüßung trafen, war die Haut der wenigen Kinder, die gekommen waren, voller Pusteln. “Kommt mir nur nicht zu nahe”, schrie ein Mann.

“Das sind die Erdbeeren”, rief ein anderer. “Die Kinder werden nie mehr alleine in den Wald gehen.”

“Ihr Frauen seid schuld, wenn sie sterben”, sagte ein dritter. “Ihr verzärtelt die Kinder und lasst sie viel zu lange eure süße Milch trinken.”

“Beruhigt euch”, sagte die alte Mimi. “Kein Kind wird sterben.”

“Geht, Männer”, rief eine jüngere Frau. “Was versteht ihr Männer schon von den Kindern? Verschwindet!”

“Wir wollten ohnehin gehen”, sagte der Anführer der Männer. “Vor uns liegt ein gefahrvoller Weg. Wir brechen auf, um den Großen Heiler zu finden und ihn um eine Medizin zu bitten, die die Kinder wieder gesund macht, eine Medizin, die ihnen hilft und die das Böse, das von ihnen Besitz ergriffen hat, endgültig besiegt. Wer von euch Männern hat keine Angst, den Gefahren, die auf dem Weg lauern, ins Auge zu sehen, wer ist dabei?!”

Die Männer jubelten, bis auf die alten Männer schlossen sich alle an. Sie bewaffneten sich mit Pfeilen, mit Äxten, mit Schleudern. Der Anführer der Männer kam noch einmal zurück und überreichte Mimi eine Steinschleuder.

“Die könnt ihr wohl nicht mehr tragen”, sagte die alte Mimi und lachte.

Die Alten, die Frauen und die Kinder machten sich eine gute Zeit. Manchmal stieg in der Ferne über dem Wald Rauch auf.

Als die Männer nach ein paar Wochen mit leeren Händen zurückkamen, waren die Felle, die sie trugen, beschädigt. Arme und Beine zerschrammt. Aufgeregt liefen ihnen die Kinder entgegen.

“Die Pusteln sind weg”, sangen die Kinder und tanzten. “Die fiesen, fiesen Pusteln sind weg.”

“Schau mich an”, sagte der Anführer der Männer zu seiner Tochter. “Was haben wir nicht alles auf uns genommen, um den Großen Heiler zu finden und an die Medizin zu kommen.”

“Freust du dich denn nicht?”, fragte das Mädchen leise. “Ich bin gesund und die anderen Kinder auch.”

“Warum hast du nicht auf mich gewartet?”, fragte der Anführer der Männer. “Jetzt bist du nicht mehr meine Tochter.”

Das Mädchen fing an zu weinen. Ihr Vater lächelte und nahm sie in den Arm. “Das war nicht so gemeint,” sagte er. “Aber wir müssen abwarten. Wahrscheinlich kommt die Krankheit zurück. Ihr habt den Großen Heiler erzürnt. Doch wenn wir erst einmal die Medizin haben, wird die Krankheit nicht einmal mehr den Versuch machen, euch anzugreifen.”

Er ging zu den Frauen, die ein bisschen abseits zusammenstanden. “Wie habt ihr das gemacht, habt ihr die Kinder mit einer eurer seltsamen Tinkturen eingerieben? Bildet euch bloß nicht ein, ihr hättet die Kinder geheilt.”

“Wir haben die Kinder nicht geheilt”, sagte die Frau des Anführers der Männer. “Wir haben nur darauf geachtet, dass sie es warm haben und genug trinken. Sie sind aus eigener Kraft gesund geworden. Es war schön, wir Frauen sind gesund geblieben. Vielleicht sind wir gesund geblieben, weil wir die Krankheit schon hatten, damals, als wir Kinder waren. Du übrigens auch.”

“Was unterstellst du mir, ich soll diese scheußlichen Pusteln gehabt haben?!”

“Frag Mimi”, sagte die Frau. “Doch was wir jetzt erlebt haben, war wie ein Wunder. Die Krankheit konnte uns Frauen nichts anhaben. Lach mich bitte nicht aus, aber es war, als könnten wir über das Wasser laufen, ohne unterzugehen.”

“Du redest wirr”, sagte der Anführer der Männer. “Nur der Große Heiler kann über das Wasser laufen, ohne unterzugehen.”

Jetzt musste die Frau des Anführers der Männer lachen, und weil Lachen nun mal ansteckend ist, fielen alle ein, die Frauen, die Kinder, aber auch einzelne Männer.

Das gutgestimmte Windpocken-Kind.
Karneval im Jahr 2000. Eine Wieverfastelovend-Feier in der städtischen KiTa Ottostraße in Köln-Neuehrenfeld wird zum “Super-Spreader-Event”. Fast alle Kinder bekommen die Windpocken, später auch die Geschwisterkinder, die noch nicht in die KiTa gehen. Schön sieht die kleine Schwester mit ihren Windpocken nicht aus, aber neun Monate alte Babys gucken zum Glück noch nicht in den Spiegel.
Ich weiß, wie unangenehm die Gürtelrose ist, eine Krankheit, die man bekommen kann, wenn man als Kind die Windpocken hatte – Zwei nahe Verwandte waren (fast zu gleichen Zeit, aber räumlich getrennt) daran erkrankt. Und doch bin ich froh, dass meine beiden Töchter neben dem Drei-Tage-Fieber die Windpocken hatten. Die Windpocken sind nach wie vor der beste Schutz gegen die von der STIKO empfohlene Windpockenimpfung.

Am Abend, der ungewöhnlich mild war, wurde in der Siedlung ein Fest gefeiert. Die Kinder waren irgendwann schlafen gegangen, aber die Erwachsenen saßen noch um das Feuer herum. Die Männer jammerten ein bisschen, doch die Frauen waren heiter gestimmt, versorgten die Wunden der Männer und sangen die Lieder, die sie sonst nur den Kindern vorsangen. Hier und da wurden erste zarte Küsse ausgetauscht. Es würde eine lange Nacht werden.

Auch die alten Menschen sollten noch lange wach bleiben “Ich mache mir große Sorgen”, sagte der alte Dado. “Warum lassen sich die Frauen immer wieder von den Männern bezirzen?”

“Ihr Männer seid beschränkt, aber wir lieben euch”, sagte die alte Mimi.

“Irgendwann”, sagte Dado, “werden die Männer eine Steinschleuder bauen, deren Steine so groß sind wie Berge, so gigantisch, dass sie alle Tiere des Waldes auf einen Schlag töten können.”

“Ach was.” Mimi lachte. “Steine, die so groß sind wie Berge, lassen sich doch gar nicht bewegen. Und wer alle Tiere auf einen Schlag tötet, zerstört alles.”

“Das ist ihnen egal”, antwortete Dado. “Die Männer werden die große Schleuder vielleicht nicht einmal benutzen, aber immer damit drohen, dass sie es tun. Und sie werden die Boote mit Flügeln ausstatten und versuchen, zu den Gestirnen zu fliegen und den Mond vom Himmel zu holen.”

“Ach was”, sagte Mimi und und legte den Arm um Dado. “Die Männer sind wie kleine Jungs. Sie wollen nur spielen.”

“Sie sind aber keine kleinen Jungs”, sagte Dado. “Manchmal sehe ich die Männer in den Kampf gegen die Menschen anderer Siedlungen ziehen. Und irgendwann werden die Frauen Seite an Seite mit ihnen marschieren.”

“Warum sollten die Frauen das tun? Das ist doch gegen unsere Natur.”

“Aus Liebe”, sagte Dado.

***

Hinzufügung 23. Juli:

Am vergangenen Mittwoch (19.7.2023), fünf Tage nach Veröffentlichung des oben stehenden Beitrags, wurde mein selten gelesener Beitrag vom 17.5.2021 aufgerufen, ein Geheimtip: https://stellwerk60.com/2021/05/17/als-rotkappchen-vor-dem-oster-besuch-bei-der-grosmutter-in-die-vorquarantane-ging-und-was-dann-passierte/

In dieser Geschichte erfahren wir, wie Rotkäppchens Großmutter mitten in der “Pandemie” zum Entsetzen ihrer Familie eine Ehe mit dem Wolf eingeht und bei der Gelegenheit fünf Wolfskinder adoptiert. Damals geschah etwas Seltsames: Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Beitrags wurde -während der nächtlichen Corona-Ausgangssperre- in der Nähe der autofreien Siedlung Stellwerk 60 ein Wolf gesichtet.

In der Nacht, nachdem der Blog-Beitrag aufgerufen wurde (Nacht zum 20.7.2023), tauchte in Kleinmachnow bei Berlin ein Tier auf, das man aufgrund eines Passanten-Videos als Löwin identifizierte. Nachdem man die Umgebung in Alarmbereitschaft gesetzt und bis zum Freitagvormittag vergeblich nach dem Tier, das kaum Spuren hinterließ, gesucht hatte, gab es Entwarnung: Bei dem Tier dürfte es sich um ein Wildschwein gehandelt haben.

Das wiederum korrespondiert mit meiner kleinen Geschichte über das Wunder der Immunität. Die Männer der kleinen Siedlung dämonisieren nicht nur die Windpocken. Sie suchen einen Grund, jagen zu gehen, und warnen vor gefährlichen Raubtieren, die noch nie jemand gesehen hat.

Seltsam ist das schon, doch werte ich das Zusammenkommen der Sonderbarkeiten als reinen Zufall.

Elfchen im Sechsten: WAT FOTT ES…

Szene einer kölschen Ehe: Am Valentinstag (der -nebenbei gesagt- im Jahr 2024 ausgerechnet mit dem Aschermittwoch zusammenfällt) hat SIE mit den roten Rosen, die ER ihr geschenkt hat, eine viel zu schmale Vase bestückt und auf den Boden gestellt. “Die kippt um”, sagt er.

“Tut sie nit”, sagt sie und lächelt. Er: “Liebchen, dat macht misch nervös.” Sie: “Misch nit.”

“Wenn isch dir sach, die kippt, dann kippt die”, sagt er. “Musste nur touchieren.” Er touchiert, nimmt einen Abfallsack, stopft Scherben und Blumen hinein und bringt die Abfälle zum Mülleimer, während sie das Wasser aufwischt.

“Dat ging ävver flott”, sagt sie, als er zurückkommt.

“Et kütt, wie et kütt”, sagt er. “Und wat fott es, es fott.”

Sie nimmt ihn in den Arm: “Wat können die Blömscher doför?”

“Isch mochte die nit”, flüstert er.

“Isch doch auch nit.”

**

“Et kütt, wie et kütt” und “Wat fott es, es fott” sind zwei von insgesamt elf mundartlichen rheinischen Redensarten, die der Bonner Kabarettist Konrad Beikircher, ein cleverer Mann und gebürtiger Südtiroler, zusammengestellt und “Rheinisches” bzw. “Kölsches Grundgesetz” genannt hat. Das entsprechende Buch (“Et kütt wie et kütt – Das Rheinische Grundgesetz“) wurde im Jahr 2001 im Kölner Verlag Kiepenheuer&Witsch veröffentlicht.

Zum “Kölschen Grundgesetz”, mit dem mittlerweile zahlreiche Merchandise-Artikel bedruckt sind, heißt es locker-flockig auf koeln.de, der digitalen Service und Werbe- “Plattform für Köln im Auftrag der Stadt Köln“:

Fünfe auch mal gerade sein lassen, leben und leben lassen – und dabei immer dem Motto treu bleiben: Man kennt sich, man hilft sich. In Kölle wird seit der Römerzeit kräftig geklüngelt, getanzt und gebützt. Welche 11 Regeln aber wirklich das Kölsche Grundgesetz ausmachen, zeigt euch unsere Auflistung.https://www.koeln.de/koeln/das-koelsche-grundgesetz-die-11-regeln-der-domstadt_1121331.html

Zwar bedient das “Kölsche Grundgesetz” Klischees, aber nach 46 Jahren Köln am Stück kann ich bestätigen, dass “der Kölner” wirklich so tickt, dass er die Redewendungen nicht nur ausspricht, sondern dass er sie lebt. Ich sage “der”, denn es ist ein ER. Er ist ein vom Aussterben bedrohter, “schon wat älterer” großer Junge, gesellig, in der Regel immer noch katholisch und Mitglied im Karnevalsverein. Er tanzt, er bützt und klüngelt, er trinkt Kölsch, solange man ihn lässt. Bei sich zu Hause ist er ein kleiner Patriarch bzw. Patri-Arsch, wie er sich selber augenzwinkernd nennt. Im Alltag dienen ihm die “Paragraphen” des “Kölschen Grundgesetzes” dazu, kleine Missetaten zu vertuschen und faule Ausreden zu finden. Und dennoch: Ich kann nicht anders, ich mag den Kölner – solange er mir nicht zu nahe kommt.

“Wat fott es, es fott”… Wie interpretiert die digitale Plattform koeln.de Paragraph 4 des “Kölschen Grundgesetzes”?

Wat fott es es fott: Jammere den Dingen nicht nach… Alles hat ein Ende – und die schönsten Dinge meist zu früh. Wir Kölner trösten uns allerdings schnell über Verluste hinweg und sind offen für Neues – denn wir wissen: Wo gestern ein Kultladen wie das Underground in Ehrenfeld dicht machte und verschwand, da gibt es heute schon einen Nachfolger wie das Helios 37.https://www.koeln.de/koeln/das-koelsche-grundgesetz-die-11-regeln-der-domstadt_paragraph-4_L1121331_1121323.html (Fettung von mir)

Betont lässig redet die Werbe-Plattform, die ja immerhin im Auftrag der Stadt Köln erstellt wird, das “Verschwinden” einer Kölner “Location” schön. Dabei ist das “Verschwinden” des “Underground” kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer fortschreitenden Kommerzialisierung und kommunalen Verödung, die nicht nur Kultläden betrifft, sondern alteingesessene Gaststätten, Reparaturwerkstätten und Geschäfte.

In Nippes machte Ende letzten Jahres der türkische Lebensmittelmarkt “Andaluo Pazari” in der Wilhelmstraße dicht “und verschwand”. Das ist schon deshalb bitter, weil “Andalou Pazari” -wie mir türkische Bekannte einmal erzählten- in den 1960er Jahren einer der ersten türkischen Lebensmittelmärkte in Köln war, wenn nicht der erste überhaupt. Dass das Geschäft schließen musste, hängt vermutlich damit zusammen, dass es in kaum 200 Metern Entfernung seit Anfang des Jahres “schon einen Nachfolger” gab, der größer und moderner ist und mit einer überdimensionierten Fleischtheke protzt, “Karadag”, Filiale einer expandierenden Kölner Supermarktkette.

Hier schreit es nach Abriss und mehrgeschossiger “Lückenbebauung”.

Herbst 2019:

Unten abgebildete Fotos, die den “Flora-Grill” so zeigen, wie er vor der “Pandemie” aussah, habe ich am frühen Morgen des 13.10.2019 aufgenommen. Eigentlich wollte ich damals nur den Deutschland-Dackel fotografieren. Vgl.: https://stellwerk60.com/2019/10/13/das-ist-sooo-deutsch-unser-heimatministerium-veranstaltet-eine-dooofe-teure-imagekampage/ Die Biertische sind übrigens nicht Teil einer Außengastronomie, sondern ein (frühmorgens noch nicht mit Wasser-Bechern bestückter) Erfrischungsstand für die Läufer des Köln-Marathons, der an dem Tag stattfand.

2023:

Unten abgebildete Fotos habe ich im Frühjahr 2023 aufgenommen. In das Ladenlokal im Eckhaus ist, nachdem der Secondhand-Händler “Humana” die Nippeser Filiale aufgegeben hat, der Supermarkt “Karadag” eingezogen. Zum Jahreswechsel 22/23 hat dann “der gute alte Metzgerladen” Stock dichtgemacht, eine alteingesessene Nippeser Metzgerei, die insbesondere nicht mehr ganz zeitgemäße Schweinefleisch-Spezialitäten im Angebot hatte. Metzger Christoph Stock, der mehrmals für seine feine geräucherte Kölner Leberwust ausgezeichnet wurde, war im Karneval 2018 Bauer im Dreigestirn, ein teurer Spaß, aber die Top-Werbung für ein kölnisches Metzger-Geschäft.

Der FLORA GRILL wurde zwischenzeitlich noch renoviert, die Außenfassade modernisiert, aber die Mieten an der Neusser Straße sind so hoch, dass sich kleinere Läden kaum halten können. Dass aber ausgerechnet Lukas Poldoski, mit dem ich sympathisiere, am Nippeser Teilstück der Neusser Straße in nur zweihundert Metern Entfernung zur ersten eine zweite Filiale seiner immer weiter expandierenden, garantiert schweinefleischfreien “Mangal”-Dönerstuben-Kette aufgemacht hat, finde ich ärgerlich.

Junge Menschen heißen diese “Neuerungen” willkommen. Erst kürzlich hörte ich, wie eine junge Frau einer anderen zurief: “Ich geh mir jetzt beim Poldi n Döner holen. Kommste mit?”

Was aber ist mit den älteren und alten Menschen, für die Trennungen und Abschiede schwerer wiegen als für die Jungen und die sich kaum noch über Verluste -und sei es der Verlust der alteingesessenen Metzgerei oder Bäckerei- hinwegtrösten können und wollen?

Auf dem Weg zwischen S-Bahn Nippes und autofreier Siedlung begegne ich einem Fußgänger. Ich habe gerade drei ältere Menschen fotografiert, die mit dem Rücken zur S-Bahn am Picknicktisch sitzen. Sollte das DB-Zuführungsgleis gebaut werden, wird ein Großteil der Grünanlage verschwinden und niemand mehr dort sitzen.

“Kein schöner Platz”, sagt der Mann.

“Je älter ich werde, desto mehr schätze ich Picknicktische”, sage ich.

“Dat olle Ding muss weg”, sagt der Mann, der sich als ne fiese Möpp entpuppt. “Ich bin offen für Neues.”

Er kommt mir nahe und flüstert mir ins Ohr: “Das ist wirklich schade, doch…

Ov

et dut

es ov kapott:

Wat fott es, es

fott…”

“Im Namen der Bundesrepublik, der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche… ICH BITTE SIE UM VERGEBUNG UND ENTSCHULDIGUNG” – Eine kleine Sternstunde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Im Sommer 2016 hatte der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki einen bemerkenswerten Auftritt. Nachdem immer mehr Details über Gewalt in den (überwiegend) katholischen Kinderheimen der Nachkriegsjahrzehnte publik geworden waren und der öffentliche Druck immer größer wurde, hatte die Katholische Kirche keine andere Wahl, als öffentlich um Verzeihung zu bitten. Bei der “Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit” sagte Woelki am 23.6.2016 in Berlin: „Als Vorsitzender der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz sage ich ausdrücklich, dass ich die damals in den katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie ausgeübte physische, psychische und sexuelle Gewalt zutiefst bedauere und die Betroffenen dafür um Entschuldigung bitte. Kirchliche Organisationen und Verantwortliche haben in diesen Fällen dem christlichen Auftrag, Menschen mit Behinderung und psychiatrisch Erkrankte in ihrer Entwicklung zu fördern und ihre Würde zu schützen, nicht entsprochen.” https://www.erzbistum-koeln.de/news/Gewaltx_Missbrauch_und_Leid_an_Behinderten_zwischen_1949_und_1975/

Mit seinem Vortrag nahm Woelki Bezug auf eine Studie, die die Katholische Kirche bzw. der Deutsche Caritasverband mit seinem Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) in Auftrag gegeben hatte: „Heimkinderzeit”. In der Studie kommen überlebende Betroffene zu Wort- und erzählen unabhängig voneinander Entsetzliches. Die Studie bringt ans Licht, dass Kinder und Jugendliche (nicht nur) mit Behinderung in der Zeit zwischen 1945 -1975 in den überwiegend katholischen westdeutschen Heimen massiven Gewalterfahrungen ausgesetzt waren und Missbrauch sowie psychisches und physisches Leid erleben mussten. Für Projektleiterin Prof. Dr. Annerose Siebert war der Alltag der Heimkinder “durchzogen von Unterordnung, Isolation und Gewalt” (zitiert nach spiegel.de). Brutalität war nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wenn es in den Einrichtungen auch immer wieder einzelne Erwachsene gab, die die Kinder in Schutz genommen und ihnen geholfen haben.

Nach dem Schuldeingeständnis von Seiten der Katholischen Kirche musste gehandelt werden. Die überlebenden Betroffenen wurden als Gewaltopfer anerkannt und konnten ihre Ansprüche auf eine (beschämend geringe) finanzielle Entschädigung von 9.000€ geltend machen, die von der Stiftung “Anerkennung und Hilfe” (Bund, Länder, Katholische und Evangelische Kirche) getragen wurde. “Heimkinderzeit” war nicht nur eine zentrale und bedeutende Aufklärungsleistung, sondern gab den Anstoß für weitere Studien und Forschungsarbeiten. Und doch erzählt “Heimkinderzeit” nicht die ganze Wahrheit.

Denn an anderer Stelle war längst weiter geforscht worden. Dem Mut, der Klugheit und Beharrlichkeit der Pharmazeutin Sylvia Wagner haben wir es zu verdanken, dass noch eine weitere entsetzliche Variante der Gewalt ans Licht kam: Der körperliche und seelische Missbrauch von Schutzbefohlenen mit den Mitteln der Medizin. Im Rahmen ihrer Dissertation im Jahr 2016 entdeckte Sylvia Wagner zahlreiche Hinweise auf medizinisch-pharmazeutische Experimente an Heimkindern, die unter dem Vorwand, psychisch krank zu sein und behandelt werden zu müssen, in die Psychiatrie kamen. Noch vor Fertigstellung ihrer Doktorarbeit gab Sylvia Wagner Ergebnisse an die Öffentlichkeit weiter, so dass kritische Medien berichten konnten.

Bereits am 2.2.2016, also einige Monate vor der Veranstaltung, auf der Woelki seinen großen Auftritt hatte, veröffentlichte spiegel online einen Artikel, der im besten Sinne aufklärt und sich auf die Forschungsergebnisse von Sylvia Wagner beruft. Den eindeutigen Hinweisen auf den schweren Missbrauch mit den Mitteln der Medizin hätten die entsprechenden kirchlichen und staatlichen Aufklärungs-Gremien im Vorfeld der “Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit” unbedingt und unverzüglich nachgehen müssen, was offenbar nicht geschehen ist.

Daniela Schmidt-Langels, Autorin des Spiegel-Artikels, beschreibt, wie eng und unselig Anstalten und schwer belastete Ärzte mit den Pharmaunternehmen kooperierten: “Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf war bis Anfang der Sechzigerjahre Hans Heinze, ein skrupelloser Arzt mit Nazivergangenheit. Während der NS-Zeit war er Gutachter des Euthanasie-Mordprogramms T4, bezeichnete unzählige Kinder als “lebensunwert” und schickte sie in den Tod. Nach 1945 konnte er seine Karriere in Wunstorf fortsetzen. Unter seiner Leitung mussten Anfang der Sechzigerjahre Heimkinder über längere Zeit die Arznei Encephabol mit dem Wirkstoff Pyritinol schlucken. Der Versuch fand in Kooperation mit der herstellenden Pharmafirma Merck statt. Der Darmstädter Konzern brachte das Medikament 1963 auf den deutschen Markt, es wird heute als Antidemenzmittel verkauft. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte Heinze in einer medizinischen Fachzeitschrift – einer der wenigen bisher bekannten Belege für Medikamententests mit Heimkindern.https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html

Einen Einblick in die Abgründe gibt ein Interview mit Sylvia Wagner (Interviewerin: Valerie Höhne), das neun Monate später, -am 2.11.2016- auf taz.de erschien. https://taz.de/Pharmazeutin-ueber-Arzneitests-im-Heim/!5350110/ Da Valerie Höhne kluge und genaue Fragen stellt, die von Sylvia Wagner entsprechend präzise und offen beantwortet werden, habe ich mir erlaubt, zentrale Passagen vom Bildschirm abzufotografieren:

Wir müssen davon ausgehen, dass auch Verantwortliche der Kirche diese entsetzlichen Versuche damals “ab-gesegnet” haben.

Daniela Schmidt-Langels ist übrigens auch Autorin eines Films, der vier Jahre nach Erscheinen des Spiegel-Artikels am 3.2.2020 in der ARD erstausgestrahlt wurde: “Versuchskanichen Heimkind”. In diesem Film kommen Betroffene zu Wort, die durch die medizinisch-pharmazeutischen Versuche so tief verletzt wurden, dass ihr weiteres Leben schwer beeinträchtigt bzw. zerstört wurde. https://www.fernsehserien.de/filme/versuchskaninchen-heimkind

Mit düsteren Bildern, untermalt mit unheilvoller Musik, lässt uns der Film die leidvollen Erfahrungen der Kinder nachempfinden. Das erste Bild ist eine Luftaufnahme des alten Backstein-Gebäudes der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf. Von oben nähert sich die Kamera dem Gebäude und bewegt sich auf das alte Portal zu. Während wir dem Eingang näher kommen, wird der rote Backstein grau, verliert der Film die Farbe, wird schwarzweiß. Die Kamera nimmt uns mit in den Innenraum. Alles ist in ein kaltes Blau-Grau getaucht. Wir sehen einen Jungen, der Pillen schluckt. Die Räume sind abgedunkelt, die Flure kalt. Später sehen wir ein Mädchen, das auf einem Tisch sitzt, sie trägt einen weißen Umhang und beugt sich nach vorne, ihr Rücken ist für die Punktion freigemacht, wir sehen einen Mann im weißen Kittel, medizinisches Instrumentarium.

Für Manfred Kappeler, emeritierter Professor für Sozialpädagogik, kommen die neuen Ergebnisse nicht überraschend. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Situation der Heimkinder: “Die Kinder und Jugendlichen in den Heimen, um die sich keiner kümmerte, die waren eine ideale Population, um an ihnen Medikamente ausprobieren zu können. Sie konnten sich nicht wehren, sie waren vollständig ausgeliefert… Und wenn es in einem Heim zu einer Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie kam, dann gab es niemanden, der das von außen hätte kontrollieren können. Also, man war davon überzeugt, an diesen Kindern und Jugendlichen, wie vorher an den KZ-Häftlingen, kann man ausprobieren, was für den medizinischen Fortschritt gut ist.” (Versuchskaninchen Heimkind, min.11.15 bis 11.57)

Der Film porträtiert drei Menschen, die als Kinder bzw. Jugendliche Opfer des medizinischen Missbrauchs wurden. Wolfgang Wagner, geboren 1959, wird als uneheliches Kind seiner Mutter weggenommen und ins Säuglingsheim gesteckt. Als Achtjähriger erhält er die Diagnose “schwachsinnig”. Er wird in die Essener katholische Behinderteneinrichtung Franz-Sales-Haus abgeschoben und mit Neuroleptika ruhig gestellt. Hier erlebt er die brutalen Erziehungsmethoden des ehemaligen Wehrmachts-Arztes Waldemar Strehl (“Kotzspritze”), der noch bis 1969 als leitender Arzt in der Einrichtung tätig war. Strehl war ein Sadist, der die Injektionsspritze anstelle von Rohrstock und Peitsche. gezielt einsetzte. Zur Zweckentfremdung medizinischer Instrumente als Hilfsmittel brutal-autoritärer Erziehung vgl.: https://stellwerk60.com/2021/09/17/groko-stoppen-teil-2-der-titel-schuetzt-vor-torheit-nicht-impfarzt-prof-auflauerbach/ Wolfgang Wagner, der nie “schwachsinnig” war, wird insgesamt zwölf Jahre im Franz-Sales-Haus festgehalten, wo man über all die Jahre verschiedene Medikamente in unterschiedlichen Dosierungen an ihm ausprobiert.

Marita Kirchhof, geboren 1953 als uneheliches Kind, wird von ihrer Mutter ins Säuglingsheim abgegeben und wächst im städtischen Kinderheim Hildesheim auf. Hier gilt sie irgendwann als “renitent und abnorm”. Daher bringt man sie zur Begutachtung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf. Hier muss sich die achtjährige Marita einer Rückenmarks-Punktion unterziehen. Dabei wird mit einer Spritze Gehirnflüssigkeit aus dem Wirbelkanal abgesaugt. Eine schmerzhafte und gefährliche Prozedur, nach der Marita tagelang im Bett liegt. Marita sträubt sich gegen den Eingriff, aber die Einwilligung in die Prozedur -so wird ihr erzählt- ist die einzige Chance, nach einem halben Jahr wieder ins Kinderheim zurück zu können.

Doch nicht nur Heimkinder wurden als “psychisch krank” stigmatisiert und in den psychiatrischen Einrichtungen Opfer medizinisch-pharmazeutischer Tests sowie sadistischer Übergriffe. So beschäftigt sich der Film mit dem Fall des heutzutage schwerkranken Jörg Weidauer, der sich als hochintelligentes Kind in der Schule langweilt und “verhaltensauffällig” wird. Der Schulleiter, der den unbequemen Schüler loswerden will, stellt die Mutter vor die Alternative: Förderschule oder Max-Planck-Institut. So kommt Jörg Weidauer im Jahr 1977 als achtjähriger Grundschüler in die damalige Kinder- und Jugendpsychiatrie des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, wo man ihn ein halbes Jahr lang stationär behandelt und zweieinhalb Jahre ambulant.

An Jörg werden verschiedene Neuroleptika getestet. Doch nicht nur das. “Eines Tages wurden wir durch diesen langen Gang geführt. Auf der rechten Seite war eine große Tür, durch die wir gingen, und wir mussten uns dann nacheinander ausziehen und wurden fotografiert… Woran ich mich noch sehr deutlich erinnere: Ich bekam so eine Art EEG-Kappe aufgesetzt. Da wurden auch irgendwelche Spritzen in die Kopfhaut gemacht. Und da bin ich also teilweise nachts geweckt worden. Und dann saß ich vor einem Computer und habe da Reaktionsspiele machen müssen. Das ging dann also wirklich stundenlang, bis ich also wirklich unter Schlafentzug litt. Und unter diesen Symptomen und der Erschöpfung wurden dann diese Tests weitergemacht. Welchen Sinn das gehabt hat – Keine Ahnung.”

Jörg Weidauer hat keinen Anspruch auf ein noch so geringes “Schmerzensgeld”. Von der “Stiftung Anerkennung und Hilfe” werden nur diejenigen “entschädigt”, die bis Ende 1975 Opfer von Gewalt wurden. Dabei belegt seine Geschichte, dass es auch über das Jahr 1975 hinaus Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit den Mitteln der Medizin gegeben hat, und das unter dem Deckmantel der Fürsorge und Hilfeleistung. Was Jörgs Fall zusätzlich bitter macht, ist die Tatsache, dass ausgerechnet seine Mutter (wenn auch wider besseres Wissen) der Einweisung in die Psychiatrie zugestimmt hat. Was sich Jörg Weidauer dennoch erhofft, ist eine Aufklärung über das, was passiert ist, und eine Entschuldigung derjenigen, die ihn physisch und psychisch so schwer verletzt haben.

Anders als Jörg Weidauer konnten diejenigen, die als Opfer anerkannt wurden, immerhin eine Entschuldigung erwarten. “Konnten” schreibe ich deshalb, weil die Frist für den Antrag zum 30.6.2021 abgelaufen ist. Menschen, die sich später gemeldet haben oder jetzt erst melden, haben nicht einmal den Anspruch auf eine Entschuldigung. So werden viele Opfer des medizinisch-pharmazeutischen Missbrauchs darüber hinaus Opfer einer kalt und hyperkorrekt agierenden Bürokratie. Ein Skandal, wie ich finde, auch in Anbetracht des riesigen Geld- und Grundbesitzvermögens der Kirchen.

Doch gab es Entschuldigungen von Seiten des Staates und der Kirche. Es ist großartig, dass Daniela Schmidt-Langels in ihrem Film den bewegenden Moment einer solchen Entschuldigung festgehalten hat. Wir Zuschauerinnen und Zuschauer werden Augenzeugen: Eine Vertreterin der Stiftung “Anerkennung und Hilfe” (links im Bild) entschuldigt sich bei Marita Kirchhof.

(Versuchskaninchen Heimkind, min. 39.40 bis 40.40)

De Film wurde am 3.2.2020 zu einer denkbar ungünstigen Sendezeit erstausgestrahlt, an einem Montag im Nachtprogramm um 23.30 Uhr. Die meisten Menschen dürften zu dieser Zeit schon geschlafen und den Film verpasst haben. Glücklicherweise ist er in der ARD-Mediathek bis Ende 2025 abrufbar und auch auf Youtube verfügbar.

Versuchskaninchen Heimkind ist schockierend gut gelungen, weil er uns nachempfinden lässt, was passiert ist – Und weil seine Bilder uns nicht mehr loslassen. Meiner Meinung nach müsste dieser Film fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts an unseren Schulen sein.

Es ist richtig, dass Schülerinnen und Schüler nach Auschwitz fahren und die KZ-Gedenkstätte besuchen. Das Problem ist nur, dass die Exkursion zu einer Pflichtübung wird, die man abhakt. Die Jugendlichen sind zwar für den Moment betroffen, aber sie stellen keinen Bezug zur Nachkriegszeit bzw. ihrer Gegenwart her.

Der Schulunterricht gibt -gerade was die Aktualität des Nationalsozialismus betrifft- viel zu einfache Antworten. Es ist wichtig, dass die Schüler für rechtsradikale Parteien sensibilisiert werden. Doch reicht es nicht, die Jugendlichen gegen die AFD zu “immunisieren”, was ja in aller Regel gelingt. Zwar ist das Gedankengut der Nationalsozialisten in den rechtspopulistischen Parteien lebendig, aber als “Gedankengut” ist es nur die Spitze des Eisbergs, denn Brutalität, Menschenverachtung und Gleichgültigkeit wirken an anderer Stelle fort. Die von der Euthanasie faszinierten Nazi-Ärzte der Nachkriegszeit waren bestens getarnt, kaum jemand war so dumm, in die NPD einzutreten.

Zurück zu Kardinal Woelki. In seinem Vortrag sind die medizinisch-pharmazeutischen Experimente kein Thema. Auf dieses Weise verharmlost Woelki das tatsächliche Grauen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Rahmen einer Pressemitteilung Kardinal Woelkis Rede vom 23.6.2016 als pdf ins Internet gestellt, so dass man sie genau studieren kann. Dieser Vortrag dient leider der Selbstreinwaschung. kann. https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2016/2016-113a-Vortrag-Kard.Woelki.pdf

In der Anrede erfahren wir, wer bei dem Vortrag zugegen war. Es waren nicht nur Projektleiterin, Kirchenvertreter und Betroffene, sondern auch hochrangige Politikerinnen und Politiker: “Meine sehr verehrten Damen und Herren aus allen Ebenen des Deutschen Caritasverbandes, sehr geehrte Frau Prof. Siebert, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung, der Ministerien und dem Parlament, sehr verehrte, liebe Damen und Herren, um die es heute geht…” (s.o.)

Vertreter der Pharmaindustrie waren offenbar nicht zugegen. Vermutlich waren sie nicht eingeladen worden. Ihr Schuldeingeständnis von Vertretern der Pharmaunternehmen hätte den feierlichen Rahmen gesprengt und die tatsächlichen Dimensionen der gegenseitigen Verstrickungen offengelegt. Auf Anfragen reagierten die Pharma-Unternehmen mit selbstgerechter, gewissenloser Gleichgültigkeit.

Die involvierten Konzerne lehnen auf Anfrage jedoch jede Verantwortung für die damaligen Studien ab. Merck etwa verweist auf die damals andere Gesetzeslage zur Dokumentation von Medikamententests: ‘Wir können uns nicht für etwas entschuldigen, was nicht in unserer Verantwortung lag. Sollten sich Dritte nicht entsprechend Gesetzeslage verhalten haben, bedauern wir das selbstverständlich.'” s.o.: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html

Zwar war es bis in die 1970er Jahre rechtens, dass man an Kindern ohne deren Einwilligung bzw. die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter medizinische Tests durchführen konnte, doch diese Untersuchungen waren ein mehrfacher Verstoß gegen das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere gegen Paragraf 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. aber auch gegen Paragraf 2: Niemand darf einen anderen töten oder verletzen.

Und wie ist es um die Gesetzgebung bestellt, wenn sie die schutzbedürftigen Kinder nicht schützt, sondern den medizinischen Übergriffen ausliefert? Spätestens als Contergan 1962 vom Markt genommen wurde, hätte die Politik aufhorchen und das Arzneimittelgesetz ändern müssen.

An einer Aufklärung im Sinne einer umfassenden, schonungslosen Wahrheitsfindung kann die Katholische Kirche nicht interessiert sein, denn die Aufdeckungen rütteln am Firmament der großen Kirchen, die trotz alledem immer noch als moralische Instanz gelten. Einen Bezug zur Gegenwart stellt Woelki ebenfalls nicht her, auch nicht den naheliegenden zum sexuellen Missbrauch (insbesondere) in der Katholischen Kirche.

Vor diesem Hintergrund empfinde ich Woelkis vermeintlich anteilnehmenden Sätze vom 23.6.2016 als heuchlerisch und sentimental: “…Wir haben heute gehört, welches Leid schutzbefohlene junge Menschen in katholischen Einrichtungen (der Behindertenhilfe und Psychiatrie) erfahren haben. Als Bischof schmerzt mich jede einzelne dieser Erzählungen sehr. Und dabei ahne ich all die unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen – gebe Gott, dass diese Erfahrungen nicht dem Vergessen preisgegeben sind...” War Woelki damals wirklich nur umwölkt von “Ahnungen”?

“Behindertenhilfe und Psychiatrie” habe ich bewusst in Klammern gesetzt, denn Misshandlungen von Schutzbefohlenen fanden und finden auch in anderen Räumen der Kirche statt. Und wenn einer mehr als nur eine Ahnung hat von den “unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen”, dann ist es Erzbischof Kardinal Woelki.

Noch tritt Woelki nicht zurück. Derzeit befindet er sich im Sommerloch, denn hier in NRW haben die Sommerferien begonnen. Doch an der Basis, wo vielerorts gute Arbeit geleistet wird, regt sich Widerstand. Unlängst wurde Woelki, gegen den mittlerweile auch wegen Meineides ermittelt wird, daran gehindert, eine Messe zu halten. In Aachen fand im Rahmen der sogenannten Heiligtumsfahrt eine große Open-Air-Messe statt, die Woelki leiten sollte. Doch im Mädchenchor des Aachener Doms gab es heftige Diskussionen. Mehr als die Hälfte der 120 Sängerinnen weigerte sich, mit Woelki, der die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche weiterhin verschleppt, zusammen auf der Bühne zu stehen.

Elfchen im Fünften: Das Recht weiblicher Papageien auf die besten Leckereien

Für uns Menschen sind die weiblichen Rotkehlchen kaum von den männlichen zu unterscheiden. Auch bei Meisen, Spatzen und Elstern sehen sich Weibchen und Männchen sehr ähnlich – um nur einige der Vögel zu nennen, die tagtäglich in unsere Gärten kommen. Die Rotkehlchen selber haben damit kein Problem. Um das Männchen zu erkennen, braucht das Weibchen weder Augen noch Ohren. Und sollte sich einmal ihr gegenüber eine Rotkehlchen-Frau als Männchen ausgeben und so laut singen, wie es sonst nur die männlichen Rotkehlchen tun, sollte also wirklich einmal ein Trans-Kehlchen um ihre Kralle anhalten, ließe sich das Rotkehlchen nichts vormachen: Du bist ein schmucker Mann, doch leider nur zum Schein, gemeinsam können wir nicht Eltern sein.

Das Rotkehlchen wird getrieben von einer unerschöpflichen Lebens-Energie. Würde man die Fortpflanzung als Sinn seines Lebens bezeichnen, hätte es gewiss nichts dagegen. Es selber stellt sich solche Menschen-Fragen nicht, schon aus Zeitmangel. Als Teil der Natur, als instinktiv handelndes Naturwesen hinterfragt es nicht, sondern agiert – und braucht weder Ratschläge noch Richtlinien noch Gebote.

Auch uns Menschen ist die Fortpflanzungsfreude (inklusive Nähren und Versorgen) angeboren, nur müssen wir sie verdrängen und kontrollieren, denn sie erinnert uns daran, dass wir nicht nur Verstandeswesen, sondern Teil der Natur sind. Das hören wir nicht gerne, denn als Naturwesen sind wir sterblich. In einer Welt, in der Gott (bzw. das Göttliche) nur noch als Schatten seiner selbst überlebt, ist der Gedanke an den Tod unerträglich.

Durch die weltweite Veränderung des Klimas sind wir Menschen der Gegenwart jetzt schon schwer traumatisiert. Die Medien füttern unsere Angst, indem sie uns tagtäglich mit Katastrophenbildern konfrontieren, die wir nicht mehr verarbeiten können. Dabei sind es nicht nur “Extremwetter-Ereignisse”, die uns tief verängstigen. Durch Flutkatastrophen zerstörte Orte und Landschaften lassen sich, wenn auch unter erheblichen Verlusten, in der Regel wieder aufbauen.

Anders ist es mit den schleichenden Veränderungen, die die Erderwärmung hervorruft. Wir erleben, dass der Winter ausbleibt, dass sich die Jahreszeiten einander angleichen und die Unterschiede verflachen. Hierauf reagieren wir mit diffuser Angst und einem tiefen “Heimweh nach dem Schnee”, denn altangestammte, elementare Orientierungen gehen verloren. Früheste Kindheitserfahrungen verschwimmen.

So verlieren die Menschen nicht nur den Halt, sondern Intuition und Gespür. Das macht sie anfällig für Heils- und Glücksversprechungen. In der Silicon Society (David Lyon) vertrauen sie nur noch dem Schein. Die Menschen mutieren zu Karikaturen. Was ist männlich, was weiblich?

Es gehört zu den größten Irrtümern und Täuschungsmanövern der modernen Medizin, dass sie uns vormacht, man könne via Chirurgie und Hormontherapie aus einem Mann eine Frau und aus einer Frau einen Mann machen.

Das Rotkehlchen handelt instinktsicher, es macht keinen Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, wohl aber den zwischen Männchen und Weibchen. Rotkehlchen spielen genau die Rolle, die ihr Geschlecht ihnen vorgibt. Würde das Rotkehlchen seine Geschlechter-Rolle hinterfragen, würde es diskutieren, wer wann wo für’s Brüten verantwortlich ist, würde es aussterben.

Es lebe der Unterschied…

Amseln und Halsbandsittiche haben einen ausgeprägten Geschlechterdimorphismus, was meint, dass sich die Geschlechter optisch klar voneinander unterscheiden. So bin selbst ich in der Lage, den Unterschied zu erkennen. Dass ich die Vögel auseinanderhalten kann, macht die Betrachtung spannend, denn als “Männchen” bzw. “Weibchen” werden diese Vögel zu “Personen”, zu eigenständigen Akteurinnen und Akteuren. Sie leben ihr Vogelleben – und führen uns Tag für Tag ein Spiel über das Leben vor.

Ihre Geschichten kommen uns bekannt vor, denn es sind Liebes- und Familiengeschichten. Die Themen der Halsbandsittiche sind unsere Themen: Liebe, Eifersucht und Zärtlichkeit, Essen, Arbeitsteilung, Trinken, Verdauung und Futterneid. Doch genaugenommen sind diese Themen keine Menschen-, sondern Papageienthemen, denn die Papageien existieren schon viel länger als wir. Es ist nicht anzunehmen, dass sie uns Menschen kopieren.

Erwachsene Halsbandsittich-Weibchen haben ein schwach angedeutetes, blassgrünes “Halsband”. Bei den Männchen hingegen ist es stark ausgeprägt. Es beginnt schwarz an der Kehle und umspannt orangerot das Genick. Da der Unterschied eindeutig ist, konnte ich beobachten, dass im Frühjahr ausschließlich Weibchen in unseren Garten kamen, um Erdnüsse zu picken.

Das erstaunte mich nicht. Schließlich entwickeln sich die Eier, entsteht das Leben in IHR, nicht in IHM. Und daher braucht insbesondere das Weibchen gutes, nahrhaftes Futter. Halsbandsittich-Weibchen lachen, wenn hungrige Männchen ihnen was von “Gleichberechtigung” vorkrächzen. Warum sollten Halsbandsittich-Männchen fress-gleichberechtigt sein, wozu?

In aller Regel ist im Tierreich die Partnerwahl Sache des weiblichen Tieres: Female Choice. So auch bei den Halsbandsittichen. Darüber hinaus bestimmt SIE in der Brutperiode, wer welche Nahrung bekommt. Halsbandsittiche leben, wie ich gelesen habe, monogam. Dass die Sittiche ein Paar bilden und sich treu sind, heißt aber noch lange nicht, dass Weibchen und Männchen sich das Essen “gerecht” teilen. Es heißt auch nicht, dass das Weibchen dem Männchen was abgibt. Schon gar nicht heißt es, dass das Weibchen -wie wir Menschen es von den Familien der 1960er Jahre kennen- dem Männchen das Essen (die nahrhafte und leckere Extra-Portion) serviert. Im Gegenteil.

In der unten stehenden kleinen Foto-Geschichte bekommen wir zu sehen, wie sich ein friedlich pickendes Halsbandsittich-Weibchen (zu erkennen am zartgrünen Halsband) erfolgreich gegen ein futterneidisches Männchen (schwarz gefärbte Kehle, rosa Halsband) zur Wehr setzt:

Der Futterspender ist frisch gefüllt mit geschälten, unbehandelten Erdnüssen. Das Weibchen findet heraus, wie es ein Halsbandsittich anstellen muss, trotz relativ kräftigem Schnabel an die Erdnüsse heranzukommen. Das erregt die Neu-Gier eines männlichen Artgenossen.

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In

kraftzehrenden Zeiten

der Papagei’n-Paarung verteilen

die Papagei’n-Weibchen die Nahrung:

Geschlechtergerecht

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Hier führen zwei Halsbandsittich-Weibchen vor, wie man die Erdnüsse erfolgreich vor den Männchen verteidigt. Rundum den Futterspender knüpfen sie weibliche Futter-Bande.