Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
aus Liebe zu ihrer Stadt sind -wenn es Not tut- viele Kölnerinnen und Kölner (beinahe) zu allem bereit. Derzeit erleben wir den starken Auftritt von Bürgerinitiativen, die sich für den Schutz des öffentlichen Lebensraums einsetzen, insbesondere der historischen Grüngürtel-Anlagen. In Lindenthal wehrt sich “Grüngürtel für alle” gegen Expansionsbestrebungen der 1.FC Köln GmbH & CO. KG. Mitten im Äußeren Grüngürtel sollen zur Förderung des Profi-Nachwuchses Kunstrasenflächen mit Umzäunungen und Flutlichtanlagen sowie Gebäude errichtet werden: Eine tiefgreifende Landschaftszerstörung auf Kosten des Breitensports und der Naherholung.
In Nippes erregt die “Grüne Lunge Köln” Aufsehen. Am Rand des 60-Viertels wehren sich Mitglieder des Vereins Flora gegen die drohende Bebauung einer großen Fläche des Inneren Grüngürtels und den damit verbundenen Abriss der historischen, denkmalgeschützten Kleingartenanlage mit 322 intensiv genutzten Parzellen. Mit der Bewirtschaftung ihrer Kleingärten leisten hier Menschen aus verschiedenen Kulturen und aller Altersstufen Naturschutz und lebendige Denkmalpflege. Die Abriss-Drohung hat den Zusammenhalt vertieft und kreative Energien freigesetzt. Bewährte politische Aktionsformen wie Plenum und Infostände sichern die Arbeit vor Ort. Per E-Mail und Facebook geht man an die Öffentlichkeit und knüpft überdies direkten Kontakt zur Politik. Die Zusammenarbeit läuft zügig und effektiv: Die Bezirksvertretung Nippes sowie die Ratsfraktionen von CDU und Grünen stehen bereits hinter der Initiative. Innerhalb weniger Wochen wurden per Online-Petition fast 16.000 Unterschriften gesammelt.
Es geht um die Rettung einer für das städtische Klima in mehrfacher Hinsicht bedeutsamen Grünfläche. Wir alle kennen den berühmten Satz von Martin Luther: “Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen.” Allerdings stellt sich gegenwärtig nicht mehr die Frage, ob ich ein Bäumchen pflanze, sondern: Wohin?
Nicht nur für die Bewirtschafter der Kleingärten, sondern für viele Kölner sind diese Pläne ein Alptraum. Warum will die Stadt ausgerechnet den Inneren Grüngürtel bebauen, der doch zu Köln gehört wie der Dom? Der Grund sind die günstige Lage und eine fragwürdige Zahl. Das Statistische Landesamt NRW prognostiziert einen Anstieg der Kölner Einwohnerzahl auf über 1.200000 im Jahr 2040. Bis zum Jahr 2029 sollen 66.000 neue Wohnungen her.
Köln braucht neue Wohnungen, aber gewiss nicht in diesem Umfang. Andere Berechnungen prognostizieren ein deutlich geringeres Bevölkerungswachstum. Doch wie kommen die überspannten Zahlen zustande?
Die Statistiker des Landesamtes arbeiten nach der sogenannten Komponentenmethode, einem schlichten, abstrakten Verfahren. Das Bevölkerungswachstum wird ermittelt, indem man bestimmte Komponenten berücksichtigt: Alter und Geschlecht der Ausgangsbevölkerung, zu erwartende alters- und geschlechtsspezifische Trends der Fruchtbarkeit, Sterblichkeit, Zu- und Fortzüge. Auf Grundlage der ermittelten Daten wird hochgerechnet.
Diese Prognosen sind ortsfremd und wirklichkeitsfern. Dass sie sogar fahrlässig sind, zeigt ein Blick ins Ruhrgebiet. Hier sollen laut Landesamt-Berechnungen selbst die kreisfreien Städte massiv schrumpfen. Die Einwohnerzahl der Stadt Oberhausen fiele demnach im Jahr 2040 unter die Marke von 200.000. Die Stadt Bottrop (deren Arbeitslosenquote im Mai 2016 mit 7,6% deutlich unter der von Köln lag!) wird laut Statistik im Jahr 2040 8,8% weniger Einwohner haben. Die Prognose missachtet, dass es sich im Neu-Land an der Emscher mittlerweile wunderbar leben lässt, insbesondere für junge Familien. Würde die Kommunalpolitik des Ruhrgebiets auf die Landesamt- Statistik vertrauen, müsste sie zukunftsweisende Projekte wir Innovation City und das grandiose Jahrhundert-Vorhaben Emscher-Renaturierung massiv herunterfahren. So überraschend es klingen mag: Ausgerechnet im durch den Steinkohle-Abbau schwer in Mitleidenschaft gezogenen Ruhrgebiet arbeitet die Politik nicht nur (viel zu bescheiden!) an der Verbesserung des Images, sondern höchst erfolgreich an der Neu-Schaffung und Sicherung von etwas, das es in Köln bald vielleicht gar nicht mehr gibt: Luft zum Atmen und öffentliches Grün.
In Köln-Nippes ist längst einiges aus der Balance geraten. Hier zeigt sich, welche Folgen eine überhöhte Verdichtung haben kann. Allein durch die beiden Neubausiedlungen auf der alten Eisenbahnausbesserungsanlage ist die Einwohnerzahl im letzten Jahrzehnt um einige Tausend gewachsen. Aber gerade der erhoffte Kinderreichtum wird derzeit zum Problem: Schon Grundschulkinder, darunter viele aus den neuen Siedlungen, müssen auf die Schulen der Nachbarstadtteile ausweichen.
Aber es gibt noch einen weiteren, zwingenden Grund, warum man Nippes nicht weiter großmaßstäbig bebauen darf: Das Wasser, das “Prinzip aller Dinge”, das zum Problem werden kann. Große Gebiete unseres Rhein-nahen Stadtteils (auch das Bau-Gelände der ehemaligen Gummifabrik Clouth!) sind hochwassergefährdet. Zudem kann das bestehende Kanalisations-System weitere Abwässer kaum aufnehmen. In Zukunft müssen wir (wie in diesen Tagen!) vermehrt mit Klimaextremen rechnen. Im Sommer 2014 brachte ein Unwetter im wahrsten Sinne des Wortes mitten in Nippes das Fass zum Überlaufen: Bei Starkregen-Fällen im Juli 2014 sind (während der Sommerferien!) in der autofreien Siedlung Stellwerk 60 zahlreiche Keller vollgelaufen. Das Rückstaubecken am östlichen Siedlungseingang konnte die Mengen an Wasser nicht fassen. Statt in den alten Ortsteil abzufließen, staute sich das Wasser und verursachte neben ideellen Verlusten einen Versicherungsschaden, der in die Hunderttausende ging.
Die “Grüne Lunge Köln” hat noch einen zweiten, untergründig mitschwingenden Namen, den Sprecherin Barbara Burg, Grande Dame der Bewegung, für die Initiative geprägt hat: “Adenauers Erbe(n)”. Denn der Innere Grüngürtel ist Teil eines historischen städtebaulichen Projekts. Mit Blick auf die Zukunft der Kommune entstanden in den Zwanzigerjahren unter Oberbürgermeister Konrad Adenauer der Innere und der Äußere Grüngürtel auf dem Gebiet ehemaliger Festungsanlagen. Adenauer hat schon vor bald hundert Jahren vorausschauend auf die Balance geachtet: Man kann kein Städtewachstum planen ohne die zeitgleiche Planung von Freiflächen.
Dieses Erbe gilt es – auch in Verantwortung für zukünftige Generationen- zu schützen und zu bewahren. So überraschend es klingen mag: Konrad Adenauer, Katholik und Konservativer, erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, hat in weiser Voraussicht bereits Anfang der 1920er Jahre den Grundstein für eine ökologisch orientierte Kommunalpolitik gelegt. Was Adenauer 1955 sagte, klingt noch und gerade im 21. Jahrhundert brennend aktuell: “In unserem Jahrhundert der Technik ist der Zusammenhalt der Kräfte, die sich noch der Erde und den sichtbaren Schöpfungen Gottes verpflichtet fühlen, von besonderer Bedeutung.”
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, als aus dem Ruhrgebiet stammende Wahl-Nippeserin habe ich in Stellvertretung vieler Kölner Bürgerinnen und Bürger einen Vorschlag zu machen: Analog zum Weltkulturerbe möge die Stadt Köln ein Stadtkulturerbe/Stadtnaturerbe einrichten. In Verbindung von Kultur und Natur gehört das Kölner Grüngürtel-System auf den ersten Platz einer noch einzurichtenden Liste.
Der Masterplan nennt den Inneren Grüngürtel “Central Park für die Kölner Bürger”. Im Nippeser Teilstück, dem zukünftigen “Bürgergarten”, bilden laut Masterplan neben den Sportflächen die Kleingärten die Kernelemente des Raums.
Ich bitte Sie, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, die Bebauung des Bürgergartens und die damit einhergehende Versiegelung einer der letzten noch vorhandenen Versickerungsflächen nicht zuzulassen.
Beim Wohnungsbau – so sagten Sie am 2.9.2015 bei der Veranstaltung “Baukulturelle Prüfsteine zur OB-Wahl”- ist es zudem unumgänglich, die Folgen des Klimawandels zu berücksichtigen: “Wir müssen allerhöchsten Wert darauf legen, dass wir die Frischluftschneisen erhalten… und dass wir die Gebiete, die uns im Masterplan gezeigt werden, schützen.”
Liebe Frau Reker, ich freue mich, Sie als Oberbürgermeisterin zu haben.
Herzliche Grüße,
Lisa Wilczok
Stadtschreiberin der Autofreien Siedlung Stellwerk 60, Köln-Nippes