*3.3.2010

Vor etwa drei Jahren hat mich am Eingang der Siedlung einmal ein freundlicher Radfahrer angesprochen. Er stellte sich als Sozialarbeiter der Stadt Köln vor. Seine Aufgabe war es, sich vor Ort ein Bild vom sozialen Klima in der autofreien Siedlung zu machen. Konkret wollte er wissen, ob es abendliche Ruhestörungen gäbe, denn bei der Stadt gingen immer wieder Meldungen ein. Mich sprach er an, weil sich, wie er sagte, niemand so gut in einem Wohnumfeld auskenne wie die Menschen, die mit Hunden zusammenleben. Schließlich müssen Hunde zu verschiedenen Tageszeiten ausgeführt werden, auch am späten Abend.
Allzu viel konnte ich zu den Ruhestörungen nicht sagen. Am späten Abend mache ich einen Bogen um die zwei Tischtennisplatten in der Nähe der KiTa, wo manchmal fiese, angespannte Männer rumhängen, denen nichts Besseres einfällt, als Bierflaschen zu zerdeppern. Schlägereien habe ich aber nie mitgekriegt. Freki war mir da ähnlich, er ist möglichen Beißereien von vornherein aus dem Weg gegangen und wurde nur böse, wenn man ihn bedroht hat. Manchmal hat er schon von weitem Hunde angeknurrt, mit denen “etwas nicht stimmte”. Unser verspielter Hund wurde dann mit einem Mal starr und angespannt. Er hatte -wie viele Hütehunde- ein sicheres Gespür für scharf gemachte, von Menschen abgerichtete Artgenossen. Deren für mich kaum wahrnehmbare latente Beißbereitschaft muss Freki “gerochen” haben. Wenn Gefahr droht, bemerken das die sensiblen Hunde oft eher als wir.
Manchmal konnte ich mich abends kaum noch dazu aufraffen, mit Freki eine Runde zu drehen. Aber wenn ich dann einmal draußen war, war ich oft länger unterwegs, als ich mir vorgenommen hatte. Ohne Freki wüsste ich nicht, dass in der Nähe der Nippeser S-Bahn-Trasse einige Füchse leben, die spätabends auch durch die autofreie Siedlung streifen.
Die vierbeinigen Fressfeinde des Fuchses dürften kaum bis in die Siedlung vordringen, aber was ist mit denen, die fliegen können?
Nur dank Freki habe ich mitbekommen, dass im Sommer 2022 am Rand der autofreien Siedlung ein Uhu gelandet ist. Von dem außergewöhnlichen Besuch erzählte mir eines Abends ein Bekannter aus der Nachbarsiedlung Werkstattstraße, der hier allabendlich seinen Hund ausführt. Er zeigte mir die Stelle, wo er drei Tage zuvor eine “extrem große Eule” gesehen hatte. Sie saß auf einem Pfosten des Zauns hinter der KiTa “Lummerland”. (Interessanterweise waren Freki und ich an genau der Stelle einige Wochen zuvor einem grauen Jungfuchs begegnet.) Als mein Nachbar näher kam, ist der Vogel weggeflogen. Und dieses Abheben war beeindruckend, denn die Spannbreite der Flügel war enorm: “Es waren bestimmt anderthalb Meter”. “Ein Uhu?”, fragte ich. Mein Nachbar zuckte die Achseln. Dass er mitten in Köln-Nippes einem Uhu begegnet sein sollte, konnte er kaum glauben.
Als ich nach Hause kam, stellte ich gleich den Rechner an. Es gibt tatsächlich noch (oder wieder) Uhus im Kölner Raum! Vor ein paar Jahren haben der NABU Stadtverband Köln und die NABU Naturschutzstation Leverkusen Köln ein gemeinsames Projekt gestartet: „Eulen im Kölner Raum.“ Im Rahmen dieses Projekts sind wir Kölnerinnen und Kölner aufgerufen, alle Eulen, die wir bemerken, zu melden. “Wenn Sie nächtliche Rufe vernehmen oder lautlos ein Tier über sich fliegen sehen, schreiben Sie Ort, Datum, Uhrzeit und die Art der Eule bzw. die Beschreibung des Rufes auf und melden es uns …” https://www.nabu-koeln.de/projekte/eulenprojekt/. Der Aufruf war erfolgreich, denn im Jahr 2020 sind neben anderen Eulen drei Uhus und im Jahr 2021 sogar vier Uhus “gesichtet” worden. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit darüber liegen.
Dass ein Uhu am Rand einer dicht gebauten Wohnsiedlung landet und eine ganze Weile auf einem vielleicht zweieinhalb Meter hohen Zaunpfosten hockt, kommt natürlich nur selten vor. Ich sehe den Besuch der großen Eule auch als warnenden Hinweis. Noch hat man die hier wild lebenden oder landenden Tiere nicht restlos vertreiben können. Doch sollte das von der Deutschen Bahn geplante Zuführungsgleis tatsächlich gebaut werden, dürfte es mit überraschenden, wundersamen Begegnungen zwischen Mensch und Tier wohl für immer vorbei sein.
Der Nippeser Uhu hat an dem Abend keinen Laut von sich gegeben, auch nicht den, nach dem er benannt ist. “Ebenso charakteristisch ist sein namensgebender Balzruf: Das dumpfe, bis zu einem Kilometer weit tragende “buhoo” des Männchens und das hellere “uhju” des Weibchens verraten seine Anwesenheit auch, wenn man ihn nicht zu Gesicht bekommt. Die Rufe werden im Acht- bis Zehnsekundentakt aneinandergereiht, dienen der Revierabgrenzung und sind ganzjährig zu vernehmen. In der Herbst- und Frühjahrsbalz hört man sie oft im Wechselgesang, nur selten dagegen während der Brutzeit.” https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/2005-uhu/02779.html.
Tiefe Laute der Liebe können auch Hunde ausstoßen. Einmal ist Freki -wenn auch nur zum Schein- Vater geworden. Soweit ich mich erinnere, war es im Frühsommer 2015. Freki war fünf Jahre alt. Hündin Mona (Name geändert), die damals noch in Stellwerk 60 lebte, war läufig und Freki nicht zu halten. Tagsüber hielt sich seine Sehnsucht in Grenzen, aber am Abend (alle, die jemals Liebeskummer hatten, kennen das) wurde Freki sehr traurig. Er winselte leise und seufzte. Eines Abends stellte sich Freki mitten in den Raum, hob die Schnauze, legte den Kopf in den Nacken und heulte mit tiefer Stimme: “Ohuuu…” Der Kopf kam kurz nach vorne, doch das Spiel begann von neuem: “Ohuuu”.
Ein paar Wochen später erzählte mir Monas Besitzer, dass die Hündin scheinträchtig war. Von wem, das traute ich mich nicht zu sagen. Mona musste Frekis Wolfsgeheul durch die zweifach verglasten Fensterscheiben hindurch gehört haben.

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Anfang November ist auf unserer Terrasse an einem frühen Vormittag ein Turmfalke gelandet. Meine Tochter und ich bemerkten ihn durch die Fensterscheibe hindurch. Plötzlich schrie meine Tochter: “Der hat ja einen Vogel im Schnabel!” Sie riss die Terrassentür auf, aber der Falke ließ den piependen Vogel nicht los, sondern flog mit ihm davon. In dem Moment wussten wir, dass Freki, der schon sehr krank war, nicht mehr lange leben würde.

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Freki musste am 7.11.2022 “eingeschläfert” werden. Dass man in der Tierheilkunde nicht davor zurückschreckt, die Prozedur “Euthanasie” zu nennen, wusste ich bis dahin nicht.
Wäre unser Garten größer, hätten wir die “sterblichen Überreste” dort begraben. So aber war die Einäscherung eine annehmbare Möglichkeit, den Körper vor der Entsorgung in der Tierbeseitigungsanlage zu bewahren. Am vergangenen Freitag wäre Freki 13 Jahre alt geworden. Meine Tochter und ich sind zum Rhein gefahren und haben in der Riehler Rheinaue, die Freki so sehr liebte, in dem Moment, als die Sonne sich kurz zeigte, einen Teil seiner Asche versenkt.
