Die Beklommmenheit in der Arztpraxis: Angstvoll, wie in einer Art abgefederter Schockstarre in einem Wartezimmer sitzen und auf etwas warten, das man eigentlich nicht haben will, in der stillen Hoffnung, dass der Zahnarzt, kurz bevor man aufgerufen wird, zusammenbricht, wissend, dass der vereiterte Backenzahn dann erst recht keine Ruhe gibt – dieses Unbehagen, das wir alle kennen, konnte niemand so gut beschreiben wie der Österreicher Ernst Jandl.
Ernst Jandl:
fünfter sein
tür auf
einer raus
einer rein
vierter sein
tür auf
einer raus
einer rein
dritter sein
tür auf
einer raus
einer rein
zweiter sein
tür auf
einer raus
einer rein
nächster sein
tür auf
einer raus
selber rein
tagherrdoktor
Derzeit wird uns zugemutet, tagtäglich, wenn wir Einkaufen gehen, 1 bis 2 Meter Abstand haltend in Warteschlangen zu stehen. Eine fiese Beklommenheit macht sich breit. Wir reden kaum miteinander, sondern schweigen und atmen Desinfektionsmittel ein. Die Welt wird zum Wartezimmer. In der Kölner Bäckerei Merzenich, wo morgens immer viel los ist, sagten die Verkäuferinnen bis vor kurzem: “Wer ist jetzt dran?” Heute wird man aufgerufen mit: “Der nächste bitte.”
Aushang am DM in Köln-Nippes, Neusser Straße:
Das brachte mich auf die Idee, einen kleines, von Ernst Jandl inspiriertes Gedicht zu schreiben:
irgendwann dran
wann dran?
3 vor dir
1 Kunde raus, 1 Kunde rein
wann dran?
2 vor dir
1 Kunde raus, 1 Kunde rein
wann dran?
1 vor dir
1 Kunde raus, 1 Kunde rein
wann dran?
1 Kunde raus, du rein
fein
Sehr schön :)! Ich finde das Einkaufen neuerdings schrecklich. Ich meine, ich war noch nie Hobby-shopperin. Aber es hat mir oichts ausgemacht, es gehörte halt dazu; irgendwas muss ja in den Kühlschrank. Jetzt ist´s wie Spießrutenlaufen. Man getraut sich kaum zu reden, als käm Gift aus den Mündern.