Die Masern-Impfpflicht ist wieder da – 50 Jahre nach Einführung in der DDR jetzt in ganz Deutschland!

Am 3.10.1990 ist die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland “beigetreten”, ein Vorgang, der auch als “Überrumpelung” durch den Westen interpretiert werden kann. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, das eigentlich nur ein “Provisorium” war, gilt seitdem für ganz Deutschland. https://stellwerk60.com/2019/10/13/das-ist-sooo-deutsch-unser-heimatministerium-veranstaltet-eine-dooofe-teure-imagekampage/

Mittlerweile denke ich aber, dass nicht nur die DDR der BRD beigetreten ist, sondern (inoffiziell) auch die BRD der DDR. Das JA zur DDR zeigt sich im selbstgerechten Gebaren der bundesdeutschen Obrigkeit, die sich -insbesondere in Gesundheitsbelangen- zunehmend bevormundend und respektlos verhält und immer weiter in die privaten Räume der Bürgerinnen und Bürger (und in die Bürgerin und den Bürger selber) eindringt. Wir erleben eine bundesdeutsche Gesundheits-Politik, die autoritär agiert und sich die DDR-Gesundheitsfürsorge zum Vorbild nimmt.

Nun war die DDR, auch wenn die Bezeichnung “Deutsche Demokratische Republik” etwas anderes vormacht, kein demokratischer Staat. Es gab keine freien Wahlen, sondern ein Einparteiensystem. Eine knapp 1400 Kilometer lange, streng gesicherte innerdeutsche Grenze, der im Westen so genannte “Todesstreifen,” sorgte dafür, dass die Menschen das Land nicht verließen. Den Menschen, die einen Ausreiseantrag stellten, drohten schwere Sanktionen.

Manipulation und Kontrolle waren politischer Alltag. Dabei okkupierte das DDR-Regime nicht nur die Köpfe, sondern auch die Körper der Menschen. Hauptleidtragende der autoritären staatlichen Volkserziehungs-Maßnahmen und der grenzüberschreitenden Gesundheitsfürsorge waren die Kinder. Schließlich gelingt eine umfassende Leibes-Kontrolle der Menschen am besten dann, wenn sie früh anfängt. Bei Verwandtenbesuchen in Leipzig Anfang der 1980er Jahre bekam ich mit, dass Kinder, die in der Krippe betreut wurden, bereits mit zehn Monaten, kaum konnten sie sitzen, “erfolgreich” aufs Töpfchen “gingen”, was für die Erwachsenen natürlich praktisch war. Solcherart kleine “Wunder” waren in der DDR “Normalität” und Produkt einer autoritären Reinlichkeitserziehung, die wiederum Teil einer allgegenwärtigen Gesundheitsfürsorge war.

Im Deutschland-Archiv der Bundeszentrale für Politische Bildung findet sich ein interessanter Text der Psychiaterin und Psychoanalytikerin Agathe Israel, der ganz alltägliche Situationen der DDR-Kinderbetreuung in ihrer Drastik anschaulich beschreibt. Agathe Israel benennt dabei die dramatischen Folgen einer Erziehung, deren Ziel es war, bereits aus Kleinstkindern sozialistische Persönlichkeiten zu formen: “Es eröffnete sich ein Konflikt, der zwar gefühlt, jedoch kaum gedacht und schon gar nicht öffentlich diskutiert werden konnte: Die autoritär-kontrollierende Strategie, Mündigkeit, Empathie und Verantwortung von früher Kindheit anzuerziehen, behinderte die Entwicklung eben dieser Eigenschaften. Dieses Entwicklungsmilieu im „nazifreien“ Teil Deutschlands erzeugte Autoritätsgebundenheit. Sie ist ein wesentliches Kennzeichen des „totalitären Charaktertyps“.” https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/259587/fruehe-fremdbetreuung-in-der-ddr/

Gleichzeitig enthält der Artikel eine Fülle erhellender Fakten. Ich bekam viele Informationen, die neu für mich waren, etwa die, dass DDR-Gesundheitsbürokratie und Kindertagesstätten eng miteinander verzahnt waren: “Die Kinderkrippen in der DDR unterstanden dem Ministerium für Gesundheit, das über ein hierarchisch gegliedertes System mit Bezirksärzten und deren Fachreferaten die fachliche und politische Aufsicht und Kontrolle ausübte.” (ebd.)

Zwar unterstehen unsere Kitas nicht dem Bundes-Gesundheitsministerium, aber die bundesdeutschen Gesundheitsbehörden haben unter der Kanzlerschaft der Physikerin Dr. Angela Merkel (CDU), geboren in Westdeutschland, aufgewachsen in der DDR, deutlich an Macht und Einfluss gewonnen. Dass die bundesdeutsche Gesundheitsfürsorge so weit in den persönlichen Alltag vordringen darf, verdankt sich vor allem der kontinuierlichen Zusammenarbeit der Kanzlerin mit der sittenstrengen, hochdisziplinierten CDU-Politikerin Dr. med. Ursula von der Leyen.

Die Politikerin und Ärztin, geboren in Ixelles/Elsene (Brüssel), Belgien, Mutter von sieben Kindern und leidenschaftliche Dressurreiterin (Pferde), kann eine glänzende politische Vita und eine lückenlose Laufbahn (insbesondere unter Merkel) vorweisen: Sie war von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Kabinett Merkel I ), von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales (Kabinett Merkel II ) und von 2013 bis 2019 Bundesministerin für Verteidigung (Kabinett Merkel III und IV, bis 17. Juli 2019). Am 16. Juli 2019 wurde von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Dieses auf fünf Jahre befristete Amt hat sie seit Ende 2019 inne.

Frau von der Leyen, attraktiv, zielstrebig und durchsetzungsfähig, ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Verordnungen, die die Entscheidungsfreiheit von Eltern einschränken und den Staat dazu ermächtigen, Kinder und ihre Familien ärztlich zu überwachen, in Deutschland vorangetrieben und durchgesetzt wurden. Von der Leyens besonderes Augenmerk galt dabei den “kostenlos” angebotenen “Kinderfrühuntersuchungen”, die im Jahr 1971 in Westdeutschland eingeführt wurden. Sinn und Zweck dieser “U-Untersuchungen” ist die mit einem peinlichen Unwort tatsächlich so genannte “Kinderfrüherkennung”. https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/

Unter Familienministerin Ursula von der Leyen wurde die “Kinderfrüherkennung” intensiviert, verschärft und ein verbindliches Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen auf den Weg gebracht. Es ist sozusagen Ursula von der Leyens familienpolitisches Vermächtnis, denn kurze Zeit später sollte sie als Ministerin ins Bundesministerin für Arbeit und Soziales wechseln. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Kernaussage einer Pressemitteilung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (holpriges Kürzel für die Behörde: BMFSFJ) aus dem Jahr 2009 zitieren. Die Pressemitteilung mit dem Titel Ursula von der Leyen: “Wir haben das Niveau des Kinderschutzes in Deutschland spürbar erhöht(.) steht nach wie vor auf der offiziellen BMFSFJ– Internet-Seite:

“Fast alle Bundesländer haben ein verbindliches Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen eingeführt … Zentral sind dabei stets Einladungssysteme mit Rückmeldemechanismen. Wenn Familien nicht zu Untersuchungsterminen beim Kinderarzt erscheinen, wird systematisch nachgehakt. Notfalls schaut das Jugendamt zuhause nach dem rechten.https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/ursula-von-der-leyen-wir-haben-das-niveau-des-kinderschutzes-in-deutschland-spuerbar-erhoeht–87356

Darf der Staat “zum Wohle des Kindes” in private Wohnungen eindringen, nur weil die Familien nicht zu den “empfohlenen” Untersuchungsterminen (und dadurch auch nicht zu den entsprechenden Impfterminen) erscheinen? Stellt so nicht der Staat die Eltern unter den unzulässigen Generalverdacht, ihre Kinder zu vernachlässigen oder sie zu misshandeln? Warum misstraut die Politik den Bürgerinnen und Bürgern? Meines Erachtens ist der “Hausbesuch” des Jugendamts unter den genannten Umständen ein Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes. Zur Erinnerung: “Die Wohnung ist unverletzlich.” (Artikel 13 GG, Absatz 1)

Würde man Frau Dr. med. Ursula von der Leyen darauf hinweisen, dass das verbindliche Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen möglicherweise gegen Artikel 13 des Grundgesetzes verstößt, würde sie (lächelnd) auf den ergänzenden Absatz 7 hinweisen: “Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.” (Fettungen von mir)

Tatsächlich kann Artikel 13 des Grundgesetzes je nach politischem Gutdünken unterschiedlich interpretiert und leider auch missbraucht werden, nicht nur zum Schutze gefährdeter Jugendlicher. Im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen mussten unbescholtene Bürgerinnen und Bürger erleben, dass der private Raum nicht mehr unverletzlich ist – ebenso wenig wie der eigene Körper.

Meine Töchter (damals 25 und 22) und ich (damals knapp 63) mussten, nachdem die ältere im Juli 2021 an der Delta-Variante erkrankt war, nicht nur eine zweiwöchige Quarantäne erdulden, sondern auch den Hausbesuch einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamt zulassen, die zur Bekämpfung von Seuchengefahr nach telefonischer Vorankündigung am 23.7.2021 bei uns vorbeikam. Sie übertrat zwar nicht die Tür-, wohl aber die Körperschwelle, um bei mir und meiner jüngeren Tochter den amtlich angeordneten PCR-Test vorzunehmen. Die Frau tat ihre Pflicht, das heißt, sie drang mit dem Teststab durch unsere Nasen hindurch bis an die jeweilige Rachenhinterwand vor.

“Rachenhinterwand” ist ein Bereich meines Körpers, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn habe, aber ich hatte, sonst hätte ich mich erst recht verdächtig gemacht. Was dann kam, war sehr unangenehm, vor allem für meine Tochter, die eine Schockstarre simulierte und sich nicht bewegte. Ich weiß noch, dass ich während der Prozedur langsam, ganz langsam vor dem Teststab zurückwich, was clever war, denn die Frau traute sich nicht, “die Verfolgung aufzunehmen”, vermutlich aus Angst zu stolpern. Und was dann passiert wäre, will ich mir gar nicht ausmalen.

Entwürdigende und grenzüberschreitende PCR-Tests, wie sie damals üblich waren – nur zur Bekämpfung von Seuchengefahr -, hätten so brutal, wie wir sie erlebt haben und wie sie allerorts vorgenommen wurden, niemals durchgeführt werden dürfen, insbesondere nicht bei Kindern. https://stellwerk60.com/2022/06/30/in-dem-moment-als-karl-lauterbach-mit-dem-aufzug-steckenblieb-bekam-ich-corona/

(Doch nicht nur die deutsche Gesundheitspolitik hat damals überreagiert. Als meine ältere Tochter im Juni 2021ihre Schwester besuchte, die für zwei Erasmus-Semester nach Durham/UK gezogen war, wurde sie -aus Deutschland anreisend- in die Kategorie “Amber” eingestuft. Das bedeutete: Online-Anmeldung, COVID-19-Test vor Einreise, 2 weitere Tests vor/am Tag 2 und am/nach Tag 8 nach Einreise, häusliche Quarantäne von 10 Tagen mit Möglichkeit einer Freitestung (immerhin “nur” per kostenpflichtigem Selbsttest) am Tag 5 nach Einreise. In der Quarantäne erlebte sie, dass ein Mitarbeiter des NHS (National Health Service) völlig überraschend vorbeikam und ihre Anwesenheit kontrollierte.)

Vergessen scheint, dass Artikel 13 niemals dazu gedacht war, staatliche Übertretungen zu legitimieren. Im Gegenteil: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland war und ist eine Replik auf die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten. “Die Wohnung ist unverletzlich(.)” (Artikel 13) ist eine Antwort auf Totalitarismus und Terror im NS-Deutschland. “Die Wohnung ist unverletzlich(.)” ist ein klarer, ein leiser Satz, aber ein unbedingtes “Nie wieder!“. Artikel 13 erinnert an die totale Überwachung in der NS-Zeit, an die Razzien der GESTAPO, an die systematische Durchforstung und Auslöschung von Privatwohnungen und an die Deportationen. Der Satz kommt so zart daher, dass man ihn ganz leicht ignorieren kann, wegpusten. Er ist so zerbrechlich, wie der Mensch selber zerbrechlich ist.

Um zu verstehen, warum die damalige Familienministerin, die nie Bundesgesundheitsministerin war, als Gesundheitskontrolleurin auftritt und dermaßen unerbittlich agiert, sollte man sich ihren Lebenslauf genauer anschauen. Ursula von der Leyen, Tochter des CDU-Politikers Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachen in den Jahren 1976 bis 1990, ist zusammen mit sechs Geschwistern in protestantisch-großbürgerlichen, fast schon feudal zu nennenden Verhältnissen aufgewachsen.

In einem anschaulich geschriebenen Cicero-Artikel aus dem Jahr 2013 gibt uns Constantin Magnis Einblicke in einen von Standesdünkel und Arroganz geprägten, streng durchgetakteten Familienalltag. Der Artikel bezieht sich auf die Zeit nach 1971, als die Familie nicht mehr in Brüssel lebte, sondern in Burgdorf-Beinhorn nahe Hannover. Der berufliche Wechsel von Familienvater Ernst Albrecht, der von 1970 bis 1990 Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag war und in den Jahren 1971 bis 1976 einer von fünf stellvertretenden Geschäftsführern des Gebäckherstellers Bahlsen, hatte den Umzug notwendig gemacht.

Ursula ist der Liebling des Vaters. “Trotzdem“, so schreibt Magnis, “wird auch sie zu eiserner Disziplin erzogen. In der Schule wird maximaler Fleiß erwartet, ein Studium ist selbstverständlich, die Promotion erwünscht. Heidi Adele Albrecht erzählt der Bild, wie sie ihren Sohn Harald einmal zur Strafe ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken schickt. Fernsehen, berichten Nachbarn, durften die Kinder kaum, Micky Maus lesen auch nicht. Spielkameraden erinnern sich, dass die Albrecht-Buben Kalender hatten, in die sie Termine zum Spielen notierten.Ungewöhnlich wird bald auch das Leben im Dorf um Tundrinsheide herum. Als Schutz vor der RAF wird in Beinhorn ein eigenes Polizeirevier installiert. Zwölf Beamte und zwei Autos patrouillieren die Straßen, die Kinder werden im Streifenwagen zur Schule gefahren, der Ort wird zur Burg der Albrechts.https://www.cicero.de/innenpolitik/portraet-von-ursula-von-der-leyen-planet-roeschen/56367 (Fettungen von mir. Ich nehme an, dass das, was Constantin Magnis schreibt, gewissenhaft recherchiert ist und der Wahrheit entspricht. Eigentlich ist das, was ich lese, so un-heimelich, dass ich es kaum glauben kann.)

Ursula Albrecht wächst auf als Kind einer Vorzeige-Familie. Mit ihrem Umzug nach Deutschland werden sie und ihre Geschwister Teil einer medialen Inszenierung. Hauptdarsteller ist der vor der Kamera stets strahlende Ernst Albrecht, der sich gerne als Familienvater inszeniert. Albrecht, ab dem Jahr 1976 Ministerpräsident von Niedersachsen, ist der smarte, sportliche Typ. Einmal posiert er zusammen mit zwei Söhnen für den “Kicker“- im Fußballtrikot. https://www.spiegel.de/politik/ernst-albrecht-a-a114c50b-0002-0001-0000-000014327668 Nach Vorbild prominenter US-amerikanischer Politiker-Clans schmückt sich Albrecht mit der großen Familie, die, siehe wikipedia, schillernde Vorfahren vorweisen kann. Tochter Ursula knüpft später da an, durch die Heirat mit dem Mediziner Heiko von der Leyen im Jahr 1986 beschert sie der Familie den noch fehlenden Adelstitel – und wird als Politikerin noch erfolgreicher als ihr Vater.

Doch ist eine Familie unter diesen Bedingungen noch ein warmer, heimeliger Ort, ein Schutzraum? Robert Habeck sagte im Jahr 2018 in einem Interview mit dem dänischen Magazin GRÆNSEN: “Ich habe mal gelesen: Heimat ist da, wo man doof sein kann. Das klingt komisch, aber ich finde es genau richtig: Mit Menschen zusammen zu sein, wo man nicht erklären muss, wer man ist.https://www.nordschleswiger.dk/de/deutschland-suedschleswig/ich-bin-nicht-nur-da-zuhause-wo-meine-muttersprache-gesprochen-wird. Man kann es auch einfacher sagen: Heimat ist da, wo man so doof sein kann, wie man ist.

Die Albrecht-Kinder dürfen nie einfach nur doof sein, sondern müssen fleißig sein, zielstrebig und gehorsam. Schließlich schaut man auf sie. Sie dürfen sich nicht frei bewegen und werden von der Polizei zur Schule kutschiert. Die ersten Male mag das ja noch aufregend sein, aber dann? Wer will mit 15 noch zur Schule gebracht werden? Wie können Eltern bewaffneten Polizisten, die ständig um ihr eigenes Leben fürchten müssen, ihre Kinder anvertrauen? Personenschutz für Kinder, das hätte Ernst Albrecht bewusst sein müssen, erregt erst recht Aufmerksamkeit. Die bewachte Fahrt zur Schule gefährdet nicht nur Mitschülerinnen und Mitschüler, sondern macht die Sicherheitskräfte selber zur Zielscheibe – und das auf Kosten der Allgemeinheit..

Ernst Albrecht muss tatsächlich große Angst vor der RAF gehabt haben. Nicht ohne Grund, denn Albrecht war nicht zimperlich, was die Terrorabwehr betraf. So waren er und die damalige CDU-Landesregierung in einen -wie sich später herausstellen sollte- vom Verfassungsschutz fingierten Anschlag eingeweiht. “Als Celler Loch wurde die Aktion Feuerzauber[1] des niedersächsischen Verfassungsschutzes bekannt, bei der am 25. Juli 1978 ein Loch mit rund 40 Zentimeter Durchmesser in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle gesprengt wurde. Damit wurde ein Anschlag zur Befreiung von Sigurd Debus vorgetäuscht, der als mutmaßlicher Terrorist der Rote Armee Fraktion (RAF) im Celler Hochsicherheitsgefängnis einsaß.” https://de.wikipedia.org/wiki/Celler_Loch Ernst Albrecht hätte, um seine Kinder tatsächlich zu schützen und ihnen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen, vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten müssen, spätestens im Jahr 1986, als der Journalist Ulrich Neufert die wahren Hintergründe der “Aktion Feuerzauber” aufgedeckt hat.

Doch Albrecht bleibt hart. Würde er seine Mit-Schuld eingestehen, würden auch die eigenen Kinder den Respekt vor ihm verlieren. So aber spielen die Kinder mit. Ihnen ist nicht zu verdenken, dass sie den Prominenten-Status genießen, denn die totale Kontrolle ist mit allerlei Annehmlichkeiten verknüpft. Sie beißen in den sauren Apfel und machen sich vor, dass er süß schmeckt.

Fotos der jungen Ursula Albrecht zeigen ein bildhübsches, selbstbewusstes Mädchen. Ursula vergöttert den Vater. “„Röschen“ hockt nachmittags auf der Haustreppe und wartet, bis ihr Vater nach Hause kommt.” Sie interessiert sich für alles, was den Vater interessiert, sogar für Landespolitik. “Während die Brüder bei Besprechungen rausgeschickt werden, erleben Besucher, wie Ursula unterm Schreibtisch ihres Vaters sitzen bleiben darf.” (cicero.de/ s.o.)

In Erziehungsfragen ist Albrechts Ehefrau Heidi Adele seine Verbündete. Vermutlich heißt er es gut, dass sie Sohn Harald ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken lässt. Als sozial engagierte “Landesmutter” hat Heidi Adele Albrecht eine gute Presse. Da wird man schnell leutselig und plappert aus, was man am besten für sich behält. Dass sie ausgerechnet der BILD-Zeitung von ihrer demütigenden Erziehungsmaßnahme erzählt, vermutlich sogar als kleine Anekdote, wundert mich allerdings sehr. Ich gebe “ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken Strafe” in die Suchmaschine ein und werde von einem Ergebnis überrascht, das mich nachdenklich stimmt.

Im Rahmen der Online-Ausstellung “Verfolgung von Jugendlichen im Nationalsozialismus”, die die Lebensläufe von Jugendlichen aus ganz Europa aufzeichnet, “die in der Zeit von 1933 bis 1945 von den Nationalsozialisten aus »rassischen«, politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt und teilweise sogar ermordet wurden…”,  wird auch die Geschichte der 1925 in  Łódź /Polen geborenen Widerstandskämpferin und Auschwitz-Überlebenden Batsheva Dagan erzählt. Die Jüdin Batsheva Dagan wurde im Jahr 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie Zwangsarbeit verrichten musste, unter anderem im “Brennnessel-Kommando”.

Bei ihrer ersten Arbeit im »Brennnessel-Kommando« musste Batsheva mit bloßen Händen, ohne Handschuhe, Brennnesseln pflücken, aus denen »Kaffee« für die Häftlinge gekocht wurde. Bei dieser schmerzhaften Arbeit wurden die Zwangsarbeiterinnen von einer jungen Aufseherin bewacht: Irma Grese. Diese hatte einen abgerichteten Hund, den sie auf die Häftlinge hetzte, wenn sie ihrer Meinung nach zu langsam arbeiteten. Auch schlug sie die Frauen zur Strafe ins Gesicht.https://www.verfolgung-von-jugendlichen-im-ns.de/index.php/biographies/batsheva-dagan

Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die promovierte Germanistin Heidi Adele Albrecht gewiss niemals mit den Nazis sympathisiert hat. Die Taten der KZ-Aufseherin Irma Grese lassen sich nur entfernt mit der Erziehungsmaßnahme von Frau Albrecht vergleichen. Während Irma Grese die jungen Zwangsarbeiterinnen systematisch und tagtäglich quälte, war die Bestrafung des Albrecht-Sohns eine Einzelaktion. Dennoch verurteile ich diese Aktion, bei der Sohn Harald nicht nur zu Gehorsam erzogen und bestraft, sondern vermutlich auch abgehärtet werden sollte. In keinem Fall hätte Heidi Adele Albrecht die Erziehungsmaßnahme öffentlich machen dürfen, denn als “Landesmutter” war sie eine einflussreiche Person und für viele Eltern ein Vorbild.

Der autoritäre Umgangston innerhalb der Familie und das permanente Streben nach öffentlicher Anteilnahme und Anerkennung war gewiss auch eine Reaktion auf einen schweren familiären Schicksalsschlag. Nur wenige Jahre zuvor war die heile Welt für eine Weile zusammengebrochen, als Ursula Albrecht im Alter von 13 Jahren ihre jüngere Schwester Benita-Eva verlor. Diese traumatische Erfahrung ist gewiss eine Ursache für die harte Gesundheitspolitik, die Ursula von der Leyen nach Verabschiedung aus der Bundespolitik als Vorsitzende der EU-Kommission weiter vorantreibt.

Moralisch bedenklich ist allerdings, auf welche Weise Ursula von der Leyen ihre persönliche Lebensgeschichte heranzieht, um als Vorsitzende der EU-Kommission dem Krebs in Europa den Kampf anzusagen. “Mit dem Hinweis auf ihre eigene Familiengeschichte hat die neue EU-Kommissionschefin dem Krebs in Europa den Kampf angesagt. „Als ich als Mädchen in Brüssel lebte, starb meine kleine Schwester im Alter von elf Jahren an Krebs“, sagte die 61-Jährige. „Ich erinnere mich an die enorme Hilflosigkeit meiner Eltern, aber auch der medizinischen Betreuer, die sich so liebevoll um sie kümmerten.“ ” https://www.aerzteblatt.de/archiv/211174/EU-Kommission-Von-der-Leyen-sagt-Krebs-den-Kampf-an Es sind rührselige Worte. mit denen sich von der Leyen zum Opfer stilisiert: Als ich ein kleines Mädchen war…

Der Tod eines Kindes ist so furchtbar, dass er das Leben der betroffenen Familie(n) vollkommen auf den Kopf stellt. Ich selber habe miterlebt, wie Anfang der 1960er Jahre meine damals zweijährige Großkusine Susanne binnen kürzester Zeit an Leukämie starb, was insbesondere für Susannes Schwester, aber auch für mich und meine Geschwister entsetzlich war. Wir hatten Angst, selber zu erkranken. Gleichzeitig waren wir eifersüchtig auf unsere Kusine, die in der Nachbarstadt lebte, denn unsere Mutter fuhr jeden Tag zu ihr. Für sie gab es in diesen traurigen Wochen nur ein Kind: Susanne.

Leukämie war Anfang der 1960er Jahre noch nicht behandelbar. Susannes Vater, selber Arzt, hat damals lebensverlängernde Maßnahmen wie Bluttransfusionen abgelehnt, um seiner Tochter weiteres Leid zu ersparen. Obwohl er der Krankheit gegenüber machtlos war, hat ihn wohl niemand (auch kein Erwachsenener) als “hilflos” empfunden- so wie Ursula Albrecht ihren “Übervater” Ernst Albrecht.

Vermutlich hat Ursula Albrecht ihren Vater bis zum Zeitpunkt des Todes ihrer Schwester für allmächtig gehalten. Jetzt bekommt das Bild einen Kratzer.

Ich halte die Generalmobilmachung gegen Krankheiten, und sei es gegen die von uns allen gefürchtete Krankheit Krebs, für gefährlich. Es führt schnell dazu, dass die Gesundheits-Politik allzu schwere Geschütze auffährt.

Das allzu schwere Geschütz ist in diesem Fall das totale Screening. “Mit einem neuen Ansatz für das Krebsscreening will die EU-Kommission die Mitgliedstaaten bei der Krebsvorsorge unterstützen. Ziel ist es, bis 2025 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der EU, die für Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs-Screenings infrage kommen, ein solches Screening anzubieten. Das populationsbezogene systematische Krebsscreening soll zudem auf Lungen-, Prostata- und unter bestimmten Umständen auch auf Magenkrebs ausgeweitet werden.https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de#verbesserung-der-fr%C3%BCherkennung-von-krebs

Ich bin erleichtert, dass ich wenigstens eines der anvisierten Organe, die Prostata, nicht besitze. Dennoch bin ich alarmiert. Der “Sound” dieser Verlautbarung erinnert mich doch sehr an das “verbindliche Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen“, Ursula von der Leyens familienpolitisches Vermächtnis aus dem Jahr 2009 (s.o.). Gewiss wird das Gesundheitsamt bei mir zuhause “nach dem rechten” schauen, wenn ich nicht zu den Untersuchungsterminen erscheine.

Frau Dr. med. Ursula von der Leyen empfehle ich, einmal Tempo und Verve zu drosseln und gründlich zu recherchieren. Denn es hat vor mehr als zwanzig Jahren eine großangelegte Studie gegeben, bei der im Rahmen der Früherkennung des Neuroblastoms nicht nur in Deutschland Millionen Kleinstkinder per Urin-Windeltest untersucht wurden. Die Folgen waren für einige der Kinder katastrophal. Da aber niemand von einer Katastrophe und nicht einmal einem medizinischen Skandal redet, werde ich es demnächst an dieser Stelle nachholen…

Natürlich ist die Krebsfrüherkennung, wenn sie nicht überspannt wird, vernünftig. Auch Impfungen sind sinnvoll, solange maßvoll geimpft wird und man den Menschen, der ja über große Selbstheilungskräfte verfügt bzw. sie als Heranwachsende/r erst noch ausbilden muss, nicht entmündigt. Denn Impfungen sind (auch) eine wirksame Möglichkeit, den Menschen körperlich und seelisch zu manipulieren. In der DDR war die Impfung der Massen (und insbesondere der Heranwachsenden) ein zentrales Mittel der Machtausübung. Unter der Losung “Der Sozialismus ist die beste Prophylaxe” setzte die DDR seit den 1950er Jahren “eine gesetzliche Impfpflicht durchdie immer umfassender wurde: gegen Pocken, Kinderlähmung, Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Tuberkulose und ab den 1970er-Jahren auch gegen die Masern. Empfohlen wurde, wie auch heutzutage, eine Grippe-Impfung. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr bekamen Heranwachsende insgesamt 20 Schutzimpfungen – staatlich verordnet.” https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/gesundheit/impfen-impfpflicht-polio-epidemie-kinderlaehmung-100.html

Seit dem 1. März 2020 gilt in Deutschland das “Masernschutzgesetz”. Wie früher einmal in der DDR, wo die Masern-Impfpflicht Anfang der 1970er Jahre eingeführt wurde, ist sie jetzt in ganz Deutschland Pflicht. Das bedeutet, dass die Eltern aller Kinder, die über ein Jahr alt sind und eine Gemeinschaftseinrichtung wie KiTa, Kinder-Tagesgruppe oder Schule besuchen oder besuchen wollen, nachweisen müssen, dass die Kinder gegen Masern geimpft sind. Indirekt jedoch verpflichtet diese Impfung auch zur Mumps- und Rötelnimpfung, denn der Masern-Impfstoff ist in Deutschland nur in Kombination mit dem gegen Mumps und Röteln erhältlich.

Wie zu befürchten und nicht anders zu erwarten war, wurden alle Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht zurückgewiesen. Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale sind die wesentlichen Inhalte einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. August 2022 gut zusammengefasst:

Das Bundesverfassungsgericht hat Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht für Kinder zurückgewiesen und sie für verfassungsgemäß erklärt. Demnach stellt die Impfpflicht zwar einen Eingriff in das Elternrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit dar. Diese Grundrechtseingriffe seien aber zumutbar und verhältnismäßig, um besonders gefährdete Menschen vor einer Infektion zu schützen. “Angesichts der sehr hohen Ansteckungsgefahr bei Masern und den … verbundenen Risiken eines schweren Verlaufs besteht eine beträchtliche Gefährdung … Dritter”, heißt es in der Urteilsbegründung.” https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/alles-zur-masernimpfpflicht-das-muessen-sie-jetzt-wissen-76370

Die Masern sind eine nicht zu unterschätzende Kinderkrankheit. Ich habe meine beiden Töchter (Jahrgang 1999 und 1995) auch deshalb gegen Masern impfen lassen, weil ich einen jungen Mann kannte, dessen Hörvermögen nach einer Masern-Erkrankung im frühen Kindesalter eingeschränkt ist. Leider wurden die beiden bei der Gelegenheit -weil es so üblich war- per Mehrfachimpfstoff (MMR) auch gegen Röteln und Mumps geimpft. Ich war vertrauensvoll und naiv. Mehrfachimpfungen sind lukrativ.

Wer sich (aus medizinischer Perspektive) ein umfassendes Bild von der Unvernunft der Masern-Impfpflicht machen will, dem sei folgende Internet-Seite dringend empfohlen: https://individuelle-impfentscheidung.de/aktuelles/masern-impfpflicht/seite-3.html?view=category&cHash=298e1393af328bb62820f2bb85752344

Das Bundesministerium für Gesundheit klärt auf:

Big Brother takes care of you.

Eine allgemeine Impflicht, wie es sie seit 2020 gibt, ist unverhältnismäßig. Selbst das Bundesverfassungsgericht räumt ein, dass die Impfpflicht einen “Eingriff in das Elternrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit” darstellt. Doch ist nicht der Impfakt selber unter Umständen ein Angriff auf die körperliche (und seelische!) Unversehrtheit des Kindes?

Kurz vor der “Pandemie” begegnete ich einem Nippeser Bekannten. Er war in großer Sorge um seine Tochter, die im Sommer 2020 eingeschult werden sollte. Das Mädchen, so erzählte er mir, habe eine so schwere Allergie, dass im Falle einer Masern-Impfung mit einem allergischen Schock zu rechnen sei. Man habe ihm gesagt, dass man das Mädchen dennoch impfen müsse. Aber die Familie könne beruhigt sein. Das Mädchen werde im Krankenhaus geimpft, da stünden im Notfall die Experten bereit. Außerdem könne das Kind im Krankenhaus nach der Impfung weiter beobachtet werden.

Was er mir erzählte, war so entsetzlich, dass ich es kaum glauben mochte. Ein allergischer Schock verletzt den Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Wie kann man unter dem Vorwand, ein Kind schützen zu wollen, in Kauf nehmen, dass es möglicherweise großes Leid erfährt? Unter diesen Umständen wird dem Kind physisch und psychisch Gewalt angetan. Und wenn es schon eine Impfpflicht gibt, wäre dann nicht die Herdenimmunität dazu da, Kindern wie der Tochter meines Bekannten die Impfung zu ersparen und sie vor den unzumutbaren Begleitumständen der “Schutzimpfung” zu schützen?

Später habe ich im Internet einen Text mit den immer noch gültigen Empfehlungen des RKI gefunden, der bestätigt, was mein Bekannte mir erzählt hat. “Ausschließlich Kinder mit klinisch sehr schwerer Hühnereiweißallergie (z.B. anaphylaktischer Schock nach Genuss von geringsten Mengen von Hühnereiweiß) sollten unter besonderen Schutzmaßnahmen und anschließender Beobachtung (ggf. im Krankenhaus) geimpft werden.” https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ10.html

Leben wir noch in einer Demokratie? Die Empfehlungen des RKI sind, wie ich finde, nicht nur undemokratisch, sondern menschenverachtend.

Ich denke, es ist (aus vielerlei Gründen) höchste Zeit für eine Aufhebung der Masern-Impfpflicht. Ein Gerichtsurteil aus dem Sommer 2022, das ermöglicht, dass ein dreijähriges Kind nach Impfung mit einem Einfach-Impfstoff, der in der Schweiz besorgt wurde, in den Kindergarten gehen darf, ist ein Armutszeugnis für die deutsche Gesundheitspolitik, aber dennoch ein kleines Hoffnungszeichen. https://individuelle-impfentscheidung.de/aktuelles/detail/eilantrag-einzelimpfstoff-aus-der-schweiz.html Aber es sollte (und wird hoffentlich) andere Wege geben als den Rechtsweg.

Elfchen im Ersten: Der Schneid’ge mit der Scher’

Der

Schneid’ge mit

der Scher’ kommt

heut’ mit der Impfspritz’

daher

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Bachem, Winter 1957/58

Das Foto, das ich mir angucke, zeigt einen nackten kleinen Jungen, der etwa ein halbes Jahr alt ist. In Ermangelung eines Eisbärenfells hat man das Kind auf ein feines Kissen gelegt. Der Junge liegt auf dem Bauch und hebt den Kopf, was ihm noch ein bisschen schwer fällt. Das Kind ist mein späterer Mann Manfred. Es gibt nicht viele Fotos von ihm, aber diese wenigen erzählen viel.

!!!Achtung, der Junge auf dem Foto unten ist nicht “Manfred”. Ich habe mir Bild und Baby nur “ausgeliehen”, d.h. aus dem Internet abfotografiert. Das Foto ist knapp 50 Jahre älter, stammt aus dem Jahr 1909 und zeigt den Vater einer Fotografin namens Monika Paar. Der wache, knuffige Junge, der meinem Mann ähnlich sieht, war damals schon im Krabbelalter und konnte -anders als der kleine Manfred- wegkrabbeln, was er im nächsten Moment wohl auch gemacht hat. https://www.fotocommunity.de/photo/schon-1909-monika-paar/2190985 Sobald ich “mein” Foto gefunden habe, werde ich es gegen dieses Bild austauschen!!!

Es war einmal: Das Glück, nackt auf dem Bauch zu liegen und nicht damit rechnen zu müssen, verletzt zu werden.

Winter 1957/58: Mein späterer Mann, ein zweitgeborener Sohn, hat seiner Mutter eine gute Geburt beschert. Sie hat ihn einige Wochen lang gestillt und findet es selbstverständlich, dass er kräftig und robust ist. Schließlich ist er ihr Sohn.

Seine Eltern sollten ihm -wie auch den anderen beiden Söhnen- nie Angst machen oder mit Strafe drohen. Eine glückliche Kindheit: So, wie man ist, angenommen werden. Geliebt werden, weil man da ist, nicht zurechtgebogen, nicht belogen, nicht für blöd verkauft werden. Manfred ist schon als Dreijähriger alleine nach draußen gegangen, um mit anderen Kindern zu spielen. Das war damals noch möglich, denn der Autoverkehr hielt sich in Grenzen und das Teilstück der A1 bei Bachem sollte erst gebaut werden, als die Familie nach Frechen-City gezogen war. Manfred wollte nicht in den Kindergarten, obwohl seine Eltern es ihm angeboten hatten. Unter den Frechener Jungs war es verpönt, in den Kindergarten zu gehen. Der Kindergarten war was für Doofe – und für Mädchen.

Allem Fortschritt zum Trotz haben die heutigen Babys die gleichen Bedürfnisse wie die Babys der Steinzeit. Sie wollen es warm haben, wollen in den Arm genommen werden, getröstet, gefüttert, unterhalten, getragen. Ein Menschen-Kind wird mit einer wunderbaren Eigenschaft geboren: Urvertrauen. Als Nesthocker weiß es noch lange nicht, was gut für es ist, es kann sich nicht wehren, wenn man es verletzt. Ein Rest “gesunder Tierverstand” (Friedrich Nietzsche) lässt die meisten Eltern das Richtige tun: Sie kümmern sich um ihr Kind und passen auf, dass niemand ihm wehtut.

In den frühen menschlichen Gesellschaften haben vermutlich fast ausschließlich Frauen die neugeborenen Kinder versorgt und beschützt. Wir müssen uns vorstellen, dass die Frauen vor der Sesshaftwerdung des Menschen innerhalb ihrer zahlenmäßig überschaubaren “Gesellschaft” machtvoll waren, jedoch nicht im heutigen, landläufigen Sinne. Sie hatten keine Macht über andere Menschen, sondern waren das Zentrum ihrer Gruppe. Ihre Macht war nicht angemaßt, sondern naturgegeben. Schließlich waren sie es, die das Kind neun Monate in sich trugen, es unter Todesgefahr zur Welt brachten und via Geburt das einzige für Neugeborene “bekömmliche” und das Überleben des Menschen sichernde Nahrungsmittel produzierten: Muttermilch.

Was die Macht der Frauen (auch für das Selbstbewusstsein der Männer) bedeutete, brachte der humorbegabte US-amerikanisch-deutsche Tübinger Forscher Nicholas Conard im Jahr 2009 auf den Punkt: „Bei mobilen Jäger und Sammlern ist das Schlimmste, was passieren kann, dass Frauen in den reproduktiven Jahren sterben oder gesundheitliche Probleme… Wenn ein paar Männer verschwinden, ist es nicht schlimm. Aber eine gesunde Frau, die Nachwuchs produzieren kann, ist für die Existenz der Gruppe in der Eiszeit sehr wichtig.“ https://www.deutschlandfunkkultur.de/vor-zehn-jahren-erstmals-praesentiert-die-venus-vom-hohle-100.html (Fett-Markierung von mir).

Doch der tiefe Respekt vor der Frau hatte mehr als nur praktische Gründe. Denn “was hat die steinzeitliche Welt so lange in der Balance gehalten? Warum hat der Gebrauch von Werkzeugen und Waffen nicht zur Selbstzerstörung geführt? … Entscheidend war die Liebe zum Leben: Das Gespür für Natur, die Ehrfurcht vor der weiblichen Gebärfähigkeit und die Einbettung des menschlichen Daseins in den göttlichen Kosmos…“ https://stellwerk60.com/2022/07/09/elfchen-im-siebten-schoepfungswonne/ Als Gebärende bekommt die Frau eine Ahnung von der allem Lebendigen innewohnenden Schöpfungskraft. Der Schlüssel zur Wahrnehmung dieses Vermögens, das das Gegenteil ist von simpler (männlicher) Muskelkraft, sind die Geburts-Wehen, ein Potential, das in jeder Frau “schlummert”, ob sie ein Kind zur Welt bringt oder nicht.

Es war den Jägern und Sammlerinnen bewusst, dass wir Menschen mit allen Kreaturen verwandt und Teil der Natur sind. Sie wussten, dass der Wechsel der Jahreszeiten die Fruchtbarkeit sicherstellt. Sie lebten in den relativ ruhigen Zeiten vor sich häufenden “Extremwetterereignissen”, vor “Lichtverschmutzung” und “Lichtsmog”. Der wolkenlose Nachthimmel war klar und der Zusammenhang zwischen Mondrhythmus und Menstruationszyklus unübersehbar.

Die besondere Nähe der Frau zur Natur war offenbar. Die frühen Menschen erfuhren Natur in ihrer Grausamkeit (Erdbeben, Hungersnöte, Mütter- und Kindersterblichkeit u.u.), aber auch in ihrer mannigfaltigen Schönheit und ihrem zyklischen Wiedererwachen. Und eines lernten die Menschen von den wilden Tieren: Um die “Natur nicht zu erzürnen” und um diese Welt in Balance zu halten, darf sich jede Kreatur nur so viel von der Natur nehmen, wie sie zum Überleben braucht.

Wenn man von einer “Ursünde” reden will, dann ist es die, dass Männer die Macht ergriffen und der Natur den Krieg erklärten. Mit des Vatergottes Segen machten sie sich die Erde untertan und versuchten, die Natur zu kontrollieren und restlos zu beherrschen. Sie kreierten den “Feind” und erfanden Waffen, die nicht mehr der Verteidigung gegen wilde Tiere dienten oder der Jagd, sondern der Tötung von Artgenossen, der Vernichtung von Mitmenschen. Was die gegenwärtige Welt mehr als notdürftig “zusammenhält”, ist das Gegenteil einer natürlichen Balance: Das Gleichgewicht des Schreckens. Die feigste, perfideste und erbärmlichste Drohgebärde ist die Drohung mit der Atombombe.

Die Natur ist nicht paradiesisch. Auch wir Menschen einer technisierten Welt werden immer wieder daran erinnert, dass wir sterblich sind. Geburt, Krankheit und Tod lassen sich -trotz aller wissenschaftlichen Bestrebungen- nicht abschaffen.

Die medizinische Wissenschaft hat viel Gutes bewirkt, schlägt aber immer mehr über die Stränge. Frauen müssen heutzutage keine Angst mehr davor haben, bei der Geburt zu sterben. Der Notkaiserschnitt ist eine große medizinische Errungenschaft. Doch die Option Kaiserschnitt hat ihren Preis, denn das ärztliche Versprechen einer “sicheren Geburt” geht einher mit einer engmaschigen Gesundheitskontrolle. Das jedoch öffnet nicht nur der Medizin, sondern auch der Gesundheitspolitik Tür und Tor.

Wir erleben eine immer weiter fortschreitende Entmündigung der Frau und eine Medizinisierung des Lebens, insbesondere da, wo es beginnt. Die Räume einer genuin weiblichen Erfahrung -wie Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt- sind längst von der Medizin in Besitz genommen worden. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge wird die Frau Objekt der Gynäkologie. Ihr Blut wird auf mögliche Anomalien hin untersucht, ihr Bauch ausgeleuchtet, ihr Fötus vermessen. Der Mutterleib ist nicht mehr dunkler, primärer Schutzraum, sondern sein Gegenteil: Durchleuchteter “öffentlicher Ort” (Barbara Duden).

Jede Geburt ist nicht nur ein Hervorbringen, sondern auch eine Trennung. Nach der Abnabelung lernen sich “Mutter” und “Kind”, die keine Einheit mehr sind, sondern zwei verschiedene Menschen, überhaupt erst kennen. Um im Anschluss an die Zweieinigkeit im Mutterleib eine Symbiose aufbauen zu können, muss die Mutter, nachdem sie ihr Kind geboren hat, es zu sich holen, sich mit ihm anfreunden. Dieses elementare Wiederfinden, die Ur-Versöhnung, die ihre Zeit braucht, aber in aller Regel gelingt -insbesondere über das Stillen-, wird zunehmend gestört. Die moderne Medizin okkupiert die Leiber und treibt -anders kann ich es leider nicht sagen- einen Keil zwischen Mutter und Kind.

Kaum ist ein Kind abgenabelt, wird es von der Gynäkologie zur Kinderheilkunde weitergereicht. https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/ Die “kostenlosen”, meines Erachtens übertriebenen und in ihrer Maßlosigkeit grenzüberschreitenden Kinderuntersuchungen 1-9, die alle in die Vorschul-Zeit fallen, enthalten nicht nur “Vorsorgeuntersuchungen”, sondern sind mit immer zahlreicher werdenden “kostenlosen” Impfungen und Auffrischimpfungen verknüpft, vor allem, aber längst nicht nur gegen Kinderkrankheiten. Und welche Eltern sagen schon NEIN, wenn eine Organisation mit dem Ehrfurcht einflößenden Namen “Ständige Impfkommission” (STIKO) eine Impfung empfiehlt? Was die Kinder bei den U-Untersuchungen erwartet (ihnen “blüht”), wird in einem “Patienten”(!)-Flyer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) anschaulich beschrieben. https://www.kbv.de/media/sp/Patientenflyer_Frueherkennungsprogramm_Kinder_final.pdf

In den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Bayern ist die Teilnahme der Kinder an allen U-Untersuchungen Pflicht. Doch auch in den anderen Bundesländern lassen sich die Kindertagesstätten, wenn Eltern ihr Kind anmelden, nicht nur einen Impfpass mit Nachweis der verpflichtenden Masernimpfung, sondern oft auch ein Heft vorlegen, das die Teilnahme des Kindes an den U-Untersuchungen dokumentiert. Im “Frei”staat Bayern ist darüber hinaus die Teilnahme an der J1 Pflicht. “Art. 14 GDVG verpflichtet Eltern, die Teilnahme ihrer Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen („U-Untersuchungen“ U1 bis U9, J1) sicherzustellen.”  https://www.stmas.bayern.de/kinderschutz/praevention/index.php

J1 meint eine Untersuchung für Jugendliche von 12 bis 14 Jahren, die im Jahr 1998 eingeführt wurde. Im Rahmen der J1 wird der “Impfstatus” überprüft und mittlerweile auch die “kostenlose” Impfung gegen HPV (Humane Papillomaviren) empfohlen. Wenn sich die Jugendlichen zur Untersuchung angemeldet haben, bekommen sie einen Frage-Bogen in die Hand gedrückt. Den Fragebogen gibt es in verschiedenen, mehr oder minder indiskreten Fassungen. Hier ein Auszug aus der Version von http://www.kinderaerzte-im-netz.de:

Hast du Sexualprobleme?” – Angesichts von so viel ärztlichem “Interesse” sehen viele Jugendliche rot. Kein Wunder, dass nicht einmal 30% aller deutschen Dreizehnjährigen zur J1 gehen. Ich finde diesen nassforsch-lässig das “Du” benutzenden Aus-Fragebogen scham- und respektlos.

(Kleine Ergänzung 16.3.2023: Gerade habe ich gelesen, dass im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung namens U Null neuerdings bereits Föten in der Kinderarztpraxis vorstellig werden können! “Die U0, eine neue Vorsorgeuntersuchung am Ende der Schwangerschaft, ist ein Angebot für werdende Mütter ab der 28. Schwangerschaftswoche bzw. Eltern, sich beim Pädiater vor der Geburt zu wichtigen Themen der Babygesundheit informieren zu lassen. Sie wird ab dem 1.1.2023 von bestimmten Krankenkassen kostenlos angeboten.” https://www.kinderaerzte-im-netz.de/mediathek/u0-vorsorge/)

Babys sind noch nicht in der Lage, ein Kreuz in einen Kringel zu malen. Das schützt sie leider nicht davor, geimpft zu werden, auch gegen eine Krankheit, die ihnen kaum etwas anhaben kann und die sie nicht einmal übertragen. Seit Ende Oktober 2022 wird die Corona-Impfung mit dem Impfstoff von BionTech von der STIKO auch für vorerkrankte Kinder ab sechs Monaten empfohlen, wobei “vorerkrankt” so weit ausgelegt werden kann, dass bis zu 10% der Kinder ab sechs Monaten darunter fallen.

Hiermit unterwirft sich die deutsche der rigiden und riskanten US-Gesundheitspolitik. “Es gibt Länder wie Schweden, Dänemark, die Schweiz, Großbritannien, die empfehlen Kindern unter zwölf gar keine Impfung, also auch keinen Babys oder Kleinkindern. Der Nutzen sei einfach nicht groß genug. Ganz anders die USA: Dort raten die CDC zur Impfung für alle Babys und Kleinkinder, die Weltgesundheitsorganisation sieht das ähnlich.” https://www.deutschlandfunk.de/wie-wichtig-sind-corona-impfungen-fuer-vorerkrankte-kleinkinder-100.html

Indirekt gibt es in Deutschland die Baby-Impfung schon länger. Seit September 2021 empfiehlt die STIKO sowohl stillenden als auch schwangeren Frauen die Corona-Impfung. Ziel der Impfung ist nicht nur der Schutz der Mutter vor einer Corona-Infektion, sondern der Schutz des neugeborenen bzw. ungeborenen Kindes. Die stillenden bzw. werdenden Mütter sollen via Muttermilch bzw. Mutterkuchen Antikörper an ihr Kind weitergeben und so den “Nestschutz” optimieren.

Diese Empfehlung ist angesichts der Tatsache, dass Babys kaum an Corona erkranken, meines Erachtens inakzeptabel. Völlig missachtet wird, dass die Mutter nicht nur Antikörper, sondern auch Chemikalien sowie mögliche Langzeit-Nebenwirkungen der Impfung an das Kind weitergibt. Die Empfehlung der STIKO ist schon deshalb fahrlässig, da das Blut von neugeborenen Kindern ohnehin schwer mit Schadstoffen belastet ist. Im Jahr 2021 wurde das Ergebnis einer Studie publik. Ein US-amerikanisches Forscherteam konnte “109 verschiedene Chemikalien im Blut der Babys und der Mütter nachweisen. 40 davon stammen aus Weichmachern, 29 aus Medikamenten, 28 aus Kosmetikprodukten und 25 aus typischen Haushaltsmitteln. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler 23 Pestizide, sieben polyfluorierte Alkylverbindungen und drei Flammschutzmittel.” https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/109-industriechemikalien-im-blut-neugeborener-babys-13374840

Alarmierende Meldungen wie diese verschwinden schnell aus den Schlagzeilen, denn sie stellen die gängige Impf-Praxis (Impfen! Impfen! Impfen!) in Frage. Außerdem -so ist zu befürchten- will man sich weder das Geschäft vermiesen noch den Spaß verderben lassen. Kinder impfen dürfte manchen Ärzten tatsächlich Spaß machen! Anders kann ich mir Karl Lauterbachs Elan nicht erklären, jene freudvolle Inbrunst, mit der er Ende 2021 Kinder impfte. vgl.:https://stellwerk60.com/2021/12/28/wie-suess-oezlem-tuereci-biontech-malt-ein-kleines-herzchen-in-das-goldene-buch-der-stadt-koeln-gedanken-zum-fest-der-unschuldigen-kinder/

In meinem Blogbeitrag zum Dreifach-Elfchen im Elfchen schrieb ich: “Ich denke, dass die fotorealistische Darstellung der Impfung eines Kindes die Phantasien pädophil gestörter Männer… anregt. Dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der Impf-Werbung diese Bilder in Umlauf bringt bzw. bringen lässt, ist meines Erachtens verwerflich.https://stellwerk60.com/2022/11/30/dopp-elfchen-im-elften-kinder-die-was-wollen/

Besonders ekelhaft finde ich die Impf-Bilder dann, wenn der Spaß-Faktor hinzukommt. So wurde im Zusammenhang mit der Baby-Impfung in einem Beitrag des SWR ein “lustiges” Foto veröffentlicht. (Foto: IMAGO, imago/pantherMedia/Norbert Schäfer) https://www.swr.de/wissen/usa-biontech-coronaimpfung-fuer-unter-fuenfjaehrige-100.html

Der Arzt als Kinderschreck…

***

Das Elfchen im Ersten zum Zweiten:

Der

Schneid’ge mit

der Scher’ kommt

heut’ mit der Impfspritz’

daher

***

Doch was ist an dem Foto so schrecklich? Ich denke nach…

Wahrscheinlich finde ich es deshalb so schrecklich, weil es (indirekt) die hoch umstrittene Corona-Baby-Impfung banalisiert und dabei auch noch lustig daherkommt. Vermutlich bringt der erschrockene Gesichtsausdruck des nichtsahnenden Kindes viele Leute zum Schmunzeln. Wir kennen den untergründig fiesen Humor aus einer Urschrift der “Schwarzen Pädagogik” (Begriff: Katharina Rutschky), dem “Struwwelpeter”.

Das Buch, das der Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann für seinen dreijährigen Sohn schrieb und illustrierte, fanden damals viele Menschen lustig. So hieß die Erstausgabe im Jahr 1845 noch nicht “Struwwelpeter”, sondern erschien unter dem Titel Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3–6 Jahren.” Nun, so “drollig” ist es nicht, auch wenn der Titel den Leuten sagt, dass sie lachen dürfen.

Der Erwachsene ist immer stärker als das Kind. Er hat die Macht, es physisch oder psychisch zu verletzen. Das geht leicht, Kinder sind unendlich verletzlich. Vor allem kann man Kindern mit den einfachsten Tricks Angst einjagen. Der “Struwwelpeter” arbeitet mit simplen Tricks. Wenn die Kinder nicht gehorchen, drohen die schlimmsten Strafen, bis hin zu Verstümmelung oder Tod. Und diese Strafen -das erzählt uns der “Struwwelpeter”- haben sich die Kinder auch noch selber eingebrockt.

Erwachsene lachen über den “Struwwelpeter”, denn die Geschichten provozieren ein allzu menschliches Gefühl: Schadenfreude. Gegenüber Kindern (und seien es deren literarische Pendants) Schadenfreude zu empfinden, finde ich feige und schäbig.

Hoffmann selber muss eine sadomasochistische Freude daran gehabt haben, sich das Zufügen der Schmerzen und das Leid der Kinder auszumalen, denn das Buch ist auf ekelhafte Weise “gelungen”. Dabei wählt er das literarische Mittel der Übertreibung. Erwachsene wissen: Kein Kind wird sterben, wenn es die Suppe, die man ihm vorsetzt, nicht isst. Keinem Kind wird ein Schneider mit der Scher‘ die Daumen abschneiden, weil es am Daumen lutscht. Kleine Kinder wissen das noch nicht. Sie glauben den Erwachsenen alles.

Die Geschichten, die ganz alltäglich daherkommen, machen den Kindern Angst, die eindringlichen bunten Bilder schleichen sich in ihr Unbewusstes und verursachen Alpträume. Und was tun die Kinder? Aus Angst, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte wie Paulinchen, Konrad oder Robert, laufen sie zu den Erwachsenen über und tun das, was Sigmund Freuds jüngstes Kind, die Psychoanalytikerin Anna Freud, in den 1930er Jahren “Identifikation mit dem Aggressor” genannt hat.

So verkneifen sich die Kinder jegliches Mitgefühl, denn das würde wehtun. Sie zeigen mit dem Finger auf den ungepflegten Struwwelpeter, mit dessen weltberühmt gewordenem Bild das Buch beginnt, und lachen ihn aus: “Sieh einmal, hier steht er, Pfui! der STRUWWELPETER!”

***

In den über hundert Jahren, die zwischen den beiden Bildern (Quellen: s.o.) liegen, sind weltweit immer mehr Hemmschwellen gefallen- nicht nur im Krieg.

Dreifach-Elfchen im Elften: Kinder, die was wollen

Kinder,

die was

wollen: MamaBaba,

Challah, Kinder, die nicht

schlafen

wollen,

wenn sie

sollen, und was

auf die Bollen kriegen

könnten,

was

sie nicht

mehr sollen, kriegen

jetzt was in die

Bollen

***

In Artikel 20 des Grundgesetz(es) für die Bundesrepublik Deutschland heißt es:

“… (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt ...” Zitiert nach wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_20_des_Grundgesetzes_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland

Tatsächlich ist unsere Möglichkeit, mitzuentscheiden oder auch nur mitzusprechen, begrenzt. Alle Jahre wieder gehen wir ein Wahllokal und dürfen ein Kreuz in einen Kringel malen, zwischen den Wahlen dürfen wir nicht einmal das.

Immerhin können wir beim “Gang zur Wahlurne” ausdrücken, mit wem wir sympathisieren. Vor dem Kringel steht der Name einer Kandidatin, eines Kandidaten oder einer Partei. Aber können wir diesen Personen vertrauen? Zur Erinnerung: Olaf Scholz hatte im Wahlkampf 2021 das Versprechen abgegeben, dass es keine Impfpflicht geben werde -und sollte dieses Versprechen brechen, noch bevor er am 8.12. 2021 zum Kanzler gewählt wurde.

Ich habe in naiver alter Treue DIE GRÜNEN gewählt- und bin Annalena Baerbock auf den Leim gegangen. Die spätere Außenministerin warb auf großformatigen Plakaten mit dem alten GRÜNEN-Grundsatz, der auch im aktuellen Wahlprogramm stand: “Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete”. Doch der große Leit-Gedanke verkümmerte im Wahlkampf zur hohlen Werbe-Parole. Mit den Waffen- und Panzerlieferungen an die Ukraine wurde nicht nur ein Wahlkampf-Versprechen gebrochen, sondern ein politisches Credo verramscht.

Nun ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, uns, die wir nicht mitentscheiden können, über die Bundespolitik zu informieren. “Am 2. März 1977 unterstrich das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit: Sie muss die Bürgerinnen und Bürger über entscheidende Sachfragen umfassend informieren. Nur so kann jede Einzelne und jeder Einzelne die getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschläge richtig beurteilen, sie billigen oder verwerfen (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 44, 125 (164)).” https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/bundespresseamt/recht-auf-information-460940

Das klingt erst einmal gut. Allerdings sind die Informationen, die etwa das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (“Bundespresseamt”) herausgibt, mehr als nur dürftig. Damit unsere Gedanken ausgewertet und verwertet werden können, werden sie eingeebnet und in vorgefertigte Bahnen gelenkt. Unsere Meinung hat zwar keinen Wert mehr, aber einen Mehrwert im Zusammenhang mit Meinungsumfragen, an denen wir teilnehmen können, um unsere Meinung zu sagen.

Vor Menschen, die sich nicht verblöden lassen, hat die Polit-Spitze Angst. Was für autoritäre Personen gilt, gilt auch für latent labile autoritäre Systeme: Die Nerven liegen blank. Man reagiert, indem man die Kritiker ins Unrecht setzt und sich selber ins Recht – und draufhaut. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953, der blutig und brutal niedergeschlagen wurde, hat Bertolt Brecht in seinem ironischen, hochaktuellen Gedicht dem arrogant-totalitären Regime der DDR eine “Lösung” vorgeschlagen, wie sie sich das Volk vom Hals halten kann: “… Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”

Das klingt verlockend, auch in den Ohren autoritär strukturierter Ampel-Politiker, doch die Sache hat einen Haken. Die Bundesregierung braucht uns. Schließlich sind wir -das Volk- diejenigen, die das Wohlleben der Polit- und Medienprominenz finanzieren, die Steuern zahlen, Rundfunk- und Energiegebühren etc., und das in einer Höhe, die wiederum von der Politik festgelegt wird. “Die Prominenten leben in ihrer wohltemperierten Blase und haben Angst, dass die Blase, die immer dicker wird, platzt”, sagte einmal meine Nachbarin, die Frau Keuner. “Irgendwann wird sie das. Die Demokratie, das sind wir.https://stellwerk60.com/2021/04/20/fur-den-franz-josef-straus-waren-die-kritischen-menschen-weder-wutburger-noch-verschworungstheoretiker-sondern-ratten-und-schmeisfliegen-weiter-gehts-mit-der-frau-keuner/

Weil sie genau das fürchtet und ahnt, greift die Bundesregierung immer tiefer in die Trickkiste primitiver und zunehmend aggressiver Werbung. Wir -das Volk- werden für doof verkauft und müssen das noch teuer bezahlen. Mit sachlicher Information bzw. Aufklärung hat die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung spätestens seit der “Pandemie” nichts mehr zu tun.

Schon Ende 2020 wies die FAZ darauf hin, dass die Bundesregierung ihre Werbeausgaben im Jahr 2020 deutlich erhöht hat. “Den größten Anstieg verzeichnete demnach das Gesundheitsministerium. Die Bruttowerbeausgaben des Spahn-Ministeriums sind von etwa 3 Millionen im Vorjahr auf 60 bis 70 Millionen Euro angewachsen. Größter Kostenpunkt ist mit 35 Millionen Euro die Kampagne „Zusammen gegen Corona“.” https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/regierung-gibt-viel-mehr-fuer-werbung-aus-17058924.html Die Werbeausgaben des Bundesgesundheitsministeriums haben sich demnach innerhalb eines Jahres mehr als verzwanzigfacht! Und dabei waren im Jahr 2020 die Impf-Werbekampagnen gerade erst angelaufen.

Im Jahr 2021 haben sich die Werbeausgaben des Gesundheitsministeriums im Vergleich zu 2019 sogar verfünfzigfacht. Auf kress.de schrieb Marvin Oppong im März 2022: “Die Bundesregierung hat seit Beginn der Pandemie ihre Werbeausgaben drastisch gesteigert, um die Ausbreitung von Covid-19 zu bremsen und die Menschen zum Impfen zu animieren. Allein das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gab im vergangenen Jahr 144,6 Millionen Euro im Zusammenhang mit dem Coronavirus aus, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht.” https://kress.de/news/detail/beitrag/149100-ueberraschender-geldsegen-fuer-die-medien-so-viele-millionen-gaben-spahn-und-lauterbach-fuer-ihre-corona-kampagnen-aus.html

Es ist kein gutes Zeichen für den Gesundheits-Zustand einer Demokratie, wenn die Volksvertretung nicht mehr auf Dialog und Aufklärung setzt, sondern auf Manipulation. In Deutschland war nicht Auflösung des Volkes die Lösung, sondern dessen Entmündigung und Verblödung. Schließlich waren die staatlichen Corona-Maßnahmen von Beginn an mehr als fragwürdig und stellten einen massiven Eingriff in unsere Grundrechte dar.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verlor mit der “Pandemie” vollends seine Glaubwürdigkeit. Hier hatte die Bundesregierung ihre zentrale Plattform für die Gesundheitsaufklärung. Ihre volle Wirkung konnte die Werbung aber nur deshalb entfalten, weil die TV- Und Radiospots, die für Maßnahmen und Impfung warben, von vermeintlich objektiven Beiträgen flankiert wurden. Doch gerade dort, wo -wie wir alle glauben sollen- sachlich und gewissenhaft aufgeklärt wird, in den Wissenschaftssendungen, mutierte die Moderation zur Hofberichterstattung.

Nicht nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach verdankt der “Pandemie” einen Karrieresprung, sondern auch viele Expertinnen und Experten, etwa die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die bereits Anfang 2019 im Vorfeld von Corona und im Auftrag des WDR einen tapferen Selbstversuch unternahm. Nur ein Jahr vor Beginn der Corona-“Pandemie” streifte Mai Thi Nguyen-Kim für “Quarks” das Jäckchen ab und ließ sich vor laufender Kamera eine Spritze in den Arm stechen bzw. gegen die Grippe impfen, und zwar, um die Glaubwürdigkeit der Angelegenheit zu unterstreichen, von einem wissenschaftlich anerkannten Impfexperten, dem Leiter des Leber- und Infektionszentrums Düsseldorf an der Universitätsklinik, Professor Dieter Häussinger. Den Selbstversuch unternahm Mai Thi Nguyen-Kim, wie es im Begleittext des WDR heißt, “… Um den Geheimnissen des Impfens auf die Spur zu kommen…” https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-mai-thi-laesst-sich-gegen-grippe-impfen-100.html Zwar ist das, was Mai Thi erfährt und uns erklärt, allgemein bekannt und wenig geheimnisvoll, aber niedlicher und verharmlosender kann ein Werbefilm für die Grippeimpfung kaum daherkommen. “Das hat jetzt wirklich nur kurz gepiekst”, sagt Mai Thi nach der Impfung. Süß.

Knapp drei Jahre später plädiert Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem Youtube-Kanal maiLab für eine Corona-Impflicht und richtet in einem flapsig-jugendlichen Ton einen flammenden Appell an die Bundesregierung, die sich doch endlich für eine Impfpflicht stark machen möge. Der Vortrag wirkt gekünstelt, die beliebte Wissenschaftsjournalistin hochnervös und marionettenhaft.

Doch warum wirkt ihr mädchenhaft-neckischer Charme mit einemmal unecht und aufgesetzt?

Der Beitrag ist vom 14. November 2021. Längst war durchgesickert, dass sich in Südafrika eine harmlosere Corona-Variante entwickelt hatte, die man später Omikron nannte. Es war eine Frau, die Anfang November 2021 als erste Medizinerin auf die neue Variante und die mit der neuen Variante einhergehenden deutlich leichteren, die Lunge verschonenden Krankheitsverläufe aufmerksam gemacht hatte: Die Allgemeinmedizinerin und Vorsitzende der South African Medical Association (SAMA), Angelique Coetzee.

Anfang 2022 erzählt Angelique Coetzee in einem Interview, dass man ihr verboten habe, die Wahrheit zu sagen. “Angesicht des milderen Verlaufs hätten Regierungen „definitiv überreagiert“, meint Coetzee im Interview mit WELT. Doch zunächst sollte die Nachricht der leichteren Krankheit gar nicht in den Umlauf gelangen. „Mir wurde gesagt, ich solle öffentlich nicht erklären, dass es eine milde Erkrankung sei. Ich wurde gebeten, von derartigen Äußerungen Abstand zu nehmen und zu sagen, es sei eine ernste Erkrankung. Das habe ich abgelehnt.“ https://www.merkur.de/welt/omikron-entdeckerin-corona-variante-afrika-milder-leichterer-verlauf-zr-91341362.html

Um die Verläufe beobachten zu können, so Angelique Coetzee weiter, “müssten Wissenschaftler auch immer die Basis, die Erfahrungen der Ärzte zu einer Variante, miteinbeziehen. „Bei den Hausärzten, die täglich Erkrankte behandeln, muss nachgefragt werden, was sie erleben, wie sich das Krankheitsbild darstellt“, so die Medizinerin. „Das ist hier nicht passiert.“ ” (s.o.)

Vermutlich haben weltweit Wissenschaftler (nebst -innen) bewusst weggehört, denn Omikron stellte nicht nur die Autorität der tonangebenden Wissenschaft in Frage, sondern auch die Weiterführung rigoroser Corona-Maßnahmen sowie die Massenimpf- Politik. Ich vermute, dass die Hardlinerin Mai Thi Nguyen-Kim, als das Video erschien, längst im Bilde war und sich mit dem Gesundheitsministerium abgesprochen hatte. Doch wie reagieren Mächtige, die sich verrannt haben und mit dem Rücken zur Wand stehen? Nicht besonnen, sondern mit doppelter Härte.

So erfüllte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende November 2021 der beliebten Mai Thi ihren großen Wunsch, vergaß sein Wahlversprechen, dass es keine Impfpflicht geben werde, und kreierte stattdessen eine Drohung, die er -psychologisch clever- auch noch als Geschenk verpackte, als ein neues “Versprechen”, ein sogenanntes “Impfpflichtversprechen”. “… Scholz hatte Ende November im ZDF gesagt, eine allgemeine Impfpflicht solle „ab Anfang Februar, Anfang März“ für alle in Deutschland gelten. – um endgültig die Pandemie zu überwinden...” https://www.tagesspiegel.de/politik/scholz-kann-impfpflicht-versprechen-nicht-halten-4776553.html

Es empfiehlt sich, sich den Beitrag mit dem banalisierenden Titel “Impfpflicht ist OK” ein Jahr später noch einmal anzugucken. Mittlerweile habe ich die nötige Ruhe dazu. Jetzt, wo die Impfpflicht-Drohung längst passé ist und endlich auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht zum Jahresende “ausläuft”, erleben wir eine Phase, die hoffentlich mehr ist als nur eine “Verschnaufpause”.

Doch im Allgemeinen sind es nicht einmal Lügen, die man uns auftischt. Manipuliert werden wir insbesondere durch die gezielte Verbreitung von Halbwahrheiten, und das mit dem Segen der “Wissenschaft”. Erwachsene schaffen es immer noch, Fernseher oder Radio auszuschalten. Kinder können das schlecht, sie bleiben dran, vor allem dann, wenn DIE MAUS kommt. https://stellwerk60.com/2021/09/27/wie-man-kindern-halbwahrheiten-einimpft-die-fragwuerdigen-werbeauftritte-der-oeffentlich-rechtlichen-maus/

August 2021: Ich bin mit einigen alten Schulfreundinnen verabredet. Seit über 40 Jahren treffen wir uns alle paar Jahre, diesmal bei Pia in Mönchengladbach. Wir versuchen, das Thema “Corona” auszuklammern, was nicht ganz einfach ist. Betty, Kinderärztin mit eigener Praxis, befürwortet die Corona-Impfung, die nur wenige Tage später von der STIKO für alle 12-17jährigen empfohlen werden sollte. Ich schweige.

Doch Betty ist nicht nur eine Kinderärztin, die -wie ich finde- allzu gerne impft, sondern ein nachdenklicher, moralischer Mensch. Kürzlich, so erzählt sie, habe eine Mutter filmen wollen, wie ihr Baby geimpft wird. Betty war entsetzt. “Ich muss Ihrem Kind jetzt wehtun”, hat sie zu der Mutter gesagt. “Das können Sie doch nicht filmen.”

Das Anliegen der Mutter überrascht mich nicht. Sie hat sich nichts dabei gedacht zu filmen, wir ihr Kind geimpft wird. Schließlich hat man im Rahmen der Schwangerenvorsorge ihr Kind schon fotografiert oder sogar gefilmt, als es noch gar nicht geboren war. Außerdem bekam die Frau -wie wir alle- überall per Werbefoto oder Film “abwechslungsreich” vorgeführt, wie Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und unterschiedlicher Hautfarbe geimpft wurden.

Doch was macht eigentlich eine Impfung per Spritze so heikel?

Mit einer Hohlnadel durchsticht Medizinerin oder Mediziner die Haut, dringt in den Muskel ein und spritzt eine Flüssigkeit in den Muskel. Das muss nicht unbedingt schmerzhaft sein, ist aber eine Grenzüberschreitung. Aus juristischer Sicht sind Injektionen gemäß § 223 StGB grundsätzlich eine Körperverletzung. Zudem ist die Injektionsspritze -mehr noch als das Stethoskop- Symbol ärztlicher Macht. Darüber hinaus hat das Verabreichen einer Spritze aggressiv-sexuelle Momente. Medizinisch sind Injektionen vielfach unumgänglich, sie gehören zum ärztlichen Alltag. Ärzte realisieren jedoch viel zu selten, dass das, was für sie Alltag ist, für den Patienten eine unangenehme Ausnahme bedeutet. Insbesondere bei der Behandlung von Kindern ist äußerste Vorsicht geboten. Vgl: https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/

Am 17. September 2021 schrieb ich in meinem Blog-Beitrag zu “Karlimpf in allen Gassen”: “Medizinische Maßnahmen als Mittel zur Unterwerfung einzusetzen, ist verwerflich. Seinen entsetzlichen Höhepunkt hatte dieser Wahnsinn in den 1950er und 60er Jahren, als Heimkinder, die keine schützenden Eltern hatten, vielerorts in Deutschland systematisch gequält, ruhig gestellt, misshandelt und (auch für pharmazeutische Studien und Experimente) missbraucht wurden. Zum Einsatz kam hierbei medizinisches Gerät, insbesondere die handliche Injektions-Spritze. „In einer Art Verteidigungsschrift an den Essener Caritas-Direktor bestritt Strehl zwar die Anwendung solcher „Kotzspritzen“, doch zeigen die Quellen ein anderes Bild. Neben den zeitgenössischen Unterlagen berichteten auch verschiedene Heimbewohner über die Verabreichungspraxis solcher Spritzen, die Strehl bei Stationsvisiten offenbar immer bei sich trug, um renitente Kinder bei Bedarf direkt sedieren zu können.” https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMI17-20.pdf

Dringend verboten werden müsste die öffentliche Zurschaustellung des Impfakts – insbesondere zu Werbezwecken. Die Vorführung stellt nicht nur den Menschen in seiner Verletzlichkeit bloß, sondern verhöhnt das ärztliche Ethos.

Wie in einer Wiederholungsschleife werden und wurden wir -insbesondere auf dem Höhepunkt der Corona-Impfeuphorie- selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Darstellungen von Impfungen konfrontiert. Auf diese Weise wird eine unserer primitivsten Gefühlsregungen genährt, der Voyeurismus. Mit Aufklärung hat das nichts mehr zu tun.

Anders als Kinderärztin Betty dürften es manche ihrer Kollegen in Ordnung finden, beim Impfen gefilmt zu werden. Irgendwoher müssen die Filme und Bilder, die wir angesichts der Corona-Impfung zu sehen kriegen und die immer häufiger die Kinderimpfung zeigen, ja stammen.

Auf der Internetseite des Bundeskriminalamts (BKA) heißt es: „Kinderpornografie ist die fotorealistische Darstellung des sexuellen Missbrauchs einer Person unter 14 Jahren (Kind).” Ich denke, dass die fotorealistische Darstellung der Impfung eines Kindes die Phantasien pädophil gestörter Männer ebenfalls anregt. Dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der Impf-Werbung diese Bilder in Umlauf bringt bzw. bringen lässt, ist meines Erachtens verwerflich.

Zu (verdeckt) kinder-pornografischer Werbung im öffentlichen Raum siehe auch: https://stellwerk60.com/2021/07/25/unser-bester-schutz-die-aktuelle-hansaplast-werbung-durfte-gestorte-manner-zum-konsum-von-kinderpornos-ermuntern/

Unannehmbar finde ich, dass im Zusammenhang mit der in Deutschland gerade angelaufenen Kleinkind-Impfung Bilder von Baby-Impfungen gezeigt werden. Unten stehendes Bild erschien am 17.11.2021 auf web.de. Dass das Baby eine Windel trägt, dass es festgehalten wird und die impfende Person den Muskel zusammendrückt, erhöht vermutlich den yoyeuristischen Kitzel.

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Mich hat das mehr als fragwürdige Werbebild zu meinem (diesmal Dreifach-) Elfchen des Monats inspiriert, das ich an den Anfang meines Beitrags gestellt hatte, aber hier noch einmal wiederhole:

Kinder,

die was

wollen: Mama, Baba,

Challah, Kinder, die nicht

schlafen

wollen,

wenn sie

sollen, und was

auf die Bollen kriegen

könnten,

was

sie nicht

mehr sollen, kriegen

jetzt was in die

Bollen

***

Gerade das Internet ist voller verdeckt pornografischer Einsprengsel und “Botschaften”. Daher möchte ich meinen unten abgebildeten “Schnappschuss” vom 2.11.2021 ein zweites Mal veröffentlichen. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/11/30/elfchen-im-elften-the-great-health-dictator/

Schnappschuss vom 2.11.2021. Ich halte meine Kamera auf die Internetseite boerse.de. Was ich fotografiere, ist nicht eine einzelne Werbeanzeige, sondern sind zwei verschiedene Anzeigen, die für kurze Zeit (wie zufällig) nebeneinander auf dem Bildschirm erscheinen. Die moderne Internetwerbung ist weitaus wirkungsvoller als die klassische Werbung in den Printmedien, denn sie arbeitet gezielt mit Zusammenschnitten und beweglichen Bildern – und spielt dabei mit den mehr oder weniger bewussten Phantasien der User.  Hier sehen wie eine Altherren-Phantasie im 21. Jahrhundert: Ein kleines kokettes Mädchen mit einem Sparschweinchen unterm Arm. Rührend, nicht wahr? Das Mädchen trägt ein Flügelhemd, dessen Ärmel man, wenn es geimpft wird, ganz leicht hochheben kann. Als wir kleine Mädchen waren, wurde uns gesagt, dass wir von fremden Männern nichts annehmen dürften. Doch Bill Gates ist kein fremder Mann, und die Millionen kleiner Mädchen impft er nur in Gedanken… Aber warum finde ich das kleine Mädchen kokett? Ich gucke mir das Bild noch einmal genauer an. Was ich unbewusst aufgenommen hatte, nehme ich jetzt bewusst wahr: Das Mädchen spitzt nicht nur den Mund, sondern drückt ihr Kinn so zusammen, dass es aussieht, als berühre sie ihre Schamlippen. Ich fürchte, der Fotograf hat ihr genau gesagt, wie sie sich anzufassen hat. Diese Werbeanzeige, die seit Wochen auf der Internet-Seite boerse.de für den “Boerse.de-Weltfonds” wirbt, oberste Zielgruppe: Wohlhabende Rentner, ist meines Erachtens ein Fall von Kinderpornografie. Der Zusammenschnitt beider Werbeanzeigen jedoch (Foto: boerse.de, 2.11.2021) ist nicht nur pornografisch, sondern der Gipfel der Schamlosigkeit.

Villa Woelki im Beichtstuhl-Outfit: Eine neue Lachnummer der Katholischen Kirche im Erzbistum Köln

Im Sommer 2016 hatte der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki einen bemerkenswerten Auftritt. Nachdem immer mehr Details über Gewalt in den (überwiegend) katholischen Kinderheimen der Nachkriegsjahrzehnte publik geworden waren und der öffentliche Druck immer größer wurde, hatte die Katholische Kirche keine andere Wahl, als öffentlich um Verzeihung zu bitten. Bei der “Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit” sagte Woelki am 23.6.2016 in Berlin: „Als Vorsitzender der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz sage ich ausdrücklich, dass ich die damals in den katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie ausgeübte physische, psychische und sexuelle Gewalt zutiefst bedauere und die Betroffenen dafür um Entschuldigung bitte. Kirchliche Organisationen und Verantwortliche haben in diesen Fällen dem christlichen Auftrag, Menschen mit Behinderung und psychiatrisch Erkrankte in ihrer Entwicklung zu fördern und ihre Würde zu schützen, nicht entsprochen.https://www.erzbistum-koeln.de/news/Gewaltx_Missbrauch_und_Leid_an_Behinderten_zwischen_1949_und_1975/

Mit seinem Vortrag nahm Woelki Bezug auf eine Studie, die die Katholische Kirche bzw. der Deutsche Caritasverband mit seinem Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) in Auftrag gegeben hatte: „Heimkinderzeit”. In der Studie kommen überlebende Betroffene zu Wort- und erzählen unabhängig voneinander Entsetzliches. Die Studie bringt ans Licht, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung in der Zeit zwischen 1945 -1975 in den überwiegend katholischen westdeutschen Heimen massiven Gewalterfahrungen ausgesetzt waren und Missbrauch sowie psychisches und physisches Leid erfahren mussten. Für Projektleiterin Prof. Dr. Annerose Siebert war der Alltag der Heimkinder “durchzogen von Unterordnung, Isolation und Gewalt” (zitiert nach spiegel.de). Brutalität war nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wenn es in den Einrichtungen auch immer wieder einzelne Erwachsene gab, die die Kinder in Schutz genommen und ihnen geholfen haben.

Nach dem Schuldeingeständnis von Seiten der Katholischen Kirche musste gehandelt werden. Die überlebenden Betroffenen wurden als Gewaltopfer anerkannt und konnten ihre Ansprüche auf eine (beschämend geringe) finanzielle Entschädigung von 9.000€ geltend machen, die von der “Stiftung Anerkennung und Hilfe” (Bund, Länder, Katholische und Evangelische Kirche) getragen wurde. “Heimkinderzeit” war nicht nur eine zentrale und bedeutende Aufklärungsleistung, sondern gab den Anstoß für weitere Studien und Forschungsarbeiten. Und doch erzählt “Heimkinderzeit” nicht die ganze Wahrheit.

Denn an anderer Stelle war längst weiter geforscht worden. Dem Mut, der Klugheit und Beharrlichkeit der Pharmazeutin Sylvia Wagner haben wir zu verdanken, dass noch eine weitere entsetzliche Variante der Misshandlung ans Licht kam: Der körperliche und seelische Missbrauch mit den Mitteln der Medizin. Im Rahmen ihrer Dissertation im Jahr 2016 entdeckte Sylvia Wagner zahlreiche Hinweise auf medizinisch-pharmazeutische Experimente an Heimkindern. Noch vor Fertigstellung ihrer Doktorarbeit gab Sylvia Wagner Ergebnisse an die Öffentlichkeit weiter, so dass kritische Medien berichten konnten.

Einen Einblick in die Abgründe gibt ein Interview mit Sylvia Wagner (Interviewerin: Valerie Höhne), das am 2.11.2016 auf taz.de erschien. https://taz.de/Pharmazeutin-ueber-Arzneitests-im-Heim/!5350110/ Ich habe mir erlaubt, zentrale Passagen vom Bildschirm abzufotografieren:

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Wer war für diese Tests verantwortlich?
Die Behörden, die Pharmaunternehmen, die Heime und die Ärzte. Diese Experimente geschahen bundesweit, zum Beispiel für Berlin, München, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen…taz.de s.o.) Wir müssen davon ausgehen, dass Verantwortliche der Kirche diese entsetzlichen Versuche damals “abgesegnet” haben.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Rahmen einer Pressemitteilung Kardinal Woelkis Rede vom 23.6.2016 als pdf ins Internet gestellt, so dass man sie genau studieren kann. https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2016/2016-113a-Vortrag-Kard.Woelki.pdf

In der Anrede erfahren wir, wer bei dem Vortrag zugegen war, nicht nur Projektleiterin, Kirchenvertreter und Betroffene, sondern auch hochrangige Politikerinnen und Politiker: “Meine sehr verehrten Damen und Herren aus allen Ebenen des Deutschen
Caritasverbandes, sehr geehrte Frau Prof. Siebert, sehr geehrte Vertreterinnen
und Vertreter der Bundesregierung, der Ministerien und dem Parlament, sehr
verehrte, liebe Damen und Herren, um die es heute geht…”

Vertreter der Pharmaindustrie waren aus gutem Grund nicht eingeladen worden. In Woelkis Vortrag sind die medizinisch-pharmazeutischen Experimente überhaupt kein Thema. Dabei gab es schon Anfang (!) 2016 eindeutige Hinweise, denen die entsprechenden kirchlichen Aufklärungs-Gremien unbedingt hätten nachgehen müssen. Unter anderem hatte spiegel online am 2.2.2016 einen erhellenden Artikel veröffentlicht.

In diesem Beitrag (Autorin: Daniela Schmidt-Langels) ist bereits von den pharmazeutisch-medizinischen Misshandlungen die Rede. Unter der Anordnung des NS-Arztes Hans Heinze, der während der NS-Zeit als Gutachter des Euthanasie-Mordprogramms T4 agierte, “mussten Anfang der Sechzigerjahre Heimkinder über längere Zeit die Arznei Encephabol mit dem Wirkstoff Pyritinol schlucken. Der Versuch fand in Kooperation mit der herstellenden Pharmafirma Merck statt. Der Darmstädter Konzern brachte das Medikament 1963 auf den deutschen Markt, es wird heute als Antidemenzmittel verkauft. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte Heinze in einer medizinischen Fachzeitschrift – einer der wenigen bisher bekannten Belege für Medikamententests mit Heimkindern.” https://www.spiegel.de/gesundheit/iagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html

Daniela Schmidt-Langels ist übrigens auch Autorin eines Films, der am 3.2.2020 in der ARD erstausgestrahlt wurde: “Versuchskanichen Heimkind”. In diesem Film, der mich tief berührt und wütend gemacht hat, kommen Betroffene zu Wort. https://www.fernsehserien.de/filme/versuchskaninchen-heimkind

An einer Aufklärung im Sinne einer umfassenden, schonungslosen Wahrheitsfindung kann die Katholische Kirche nicht interessiert sein, denn die Aufdeckungen rütteln am Firmament der großen Kirchen, die trotz alledem immer noch als moralische Instanz gelten. Einen Bezug zur Gegenwart stellt Woelki ebenfalls nicht her, auch nicht den naheliegenden zum sexuellen Missbrauch (insbesondere) in der Katholischen Kirche.

Vor diesem Hintergrund empfinde ich Woelkis vermeintlich anteilnehmende Sätze vom 23.6.2016 als heuchlerisch und sentimental: “…Wir haben heute gehört, welches Leid schutzbefohlene junge Menschen in katholischen Einrichtungen (der Behindertenhilfe und Psychiatrie) erfahren haben. Als Bischof schmerzt mich jede einzelne dieser Erzählungen sehr. Und dabei ahne ich all die unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen – gebe Gott, dass diese Erfahrungen nicht dem Vergessen preisgegeben sind...” War Woelki damals wirklich nur umwölkt von “Ahnungen”?

“Behindertenhilfe und Psychiatrie” habe ich bewusst in Klammern gesetzt, denn Misshandlungen von Schutzbefohlenen fanden und finden auch in anderen Räumen der Kirche statt. Und wenn einer mehr als nur eine Ahnung hat von den “unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen”, dann ist es Erzbischof Kardinal Woelki.

Selbst wenn Woelki zurücktritt, was längst überfällig ist, wird das die Katholische Kirche kaum retten. Denn der Muff sitzt nicht nur in den Talaren, sondern steckt in den völlig verhärteten Strukturen. Sogar die vorsichtigen, aber unbedingt notwendigen Reformen des Synodalen Wegs sind kaum umsetzbar. Doch wie soll es weitergehen? In ihrer jetzigen Form schadet die Kirche nicht nur sich selber, sondern uns allen.

Die großen deutschen Kirchen besitzen riesige Vermögen. Wir wissen, dass die Kirchen zwar Steuern einziehen, aber als als gemeinnützige, wohltätige beziehungsweise kirchliche Organisationen keine zahlen. Weniger bekannt ist, dass die Kirchen große staatliche Geldsummen erhalten – noch über die Zahlungen für Arbeit im sozialen Sektor hinaus. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ Welche politischen Befugnisse die Kirche hat , erläutert der erfrischend unsentimentale Politologe Christian Frerk 2015 in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Die Vertreter der Kirchen, so Freyk, “haben einen Sonderstatus im deutschen Bundestag. Sie können ein und ausgehen, wie es ihnen beliebt. Die Kirchen sagen selbst, dass sie in allen Stadien wichtiger Gesetzesprozesse involviert sind. Selbst in der gerade erst gegründeten Atomkommission, die eine Lösung für die Finanzierung des Atomausstiegs finden soll, finden sich zwei Bischöfe. Hier findet christliche Einflussnahme statt, ohne dass es hierfür eine gesellschaftsrechtliche Grundlage gibt.https://www.wiwo.de/politik/deutschland/carsten-frerk-ueber-die-privilegien-der-kirchen-der-staat-macht-sich-zum-devoten-deppen/12559868-all.html

Macht und Geld interessieren ein “Engelchen” nicht.
1964: Eine Hochzeit in der Bottroper St. Elisabeth- Kirche. Meine Zwillingsschwester und ich sind als “Engelchen” engagiert.
Nach der Hochzeit (rechtes Bild): Während meine Schwester (rechts) diszipliniert die Hände faltet, kann ich kaum noch ruhig stehen, weil ich nur noch an die Bälle denke, die wir zur Belohnung gekriegt haben. Die Taschen unserer Kleidchen sind verdächtig ausgebeult, denn bei der Kaffeetafel (s. Tischkärtchen) gab’s nicht nur Kuchen, sondern auch Süßigkeiten.
Die großen katholischen Feste hatten zur Freude der Christen immer auch lebensfrohe heidnische Momente. Dass “Engelchen” (oder auch “Blumen-Mädchen”) Blüten streuen, über die die Eheleute dann laufen “müssen”, geht auf einen heidnischen Fruchtbarkeits-Brauch zurück. Die gestreuten Blüten bescheren den Brautleuten einen reichen Kindersegen. Es heißt, dass der Duft der Blüten die Fruchtbarkeitsgöttinnen anlockt.
Der Auftritt sollte nicht unser einziger bleiben. Man lud uns gerne zu Hochzeiten ein, denn als Zwillinge standen wir mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen in enger Verbindung.
Mittlerweile hat sich einiges verändert: Im Jahr 2019 wurde die Bottroper St. Elisabeth-Kirche, wo wir später auch zur Kommunion gegangen sind, entweiht – wie viele andere Kirchen.
Die Geburt von Zwillingen haben wir heutzutage nicht mehr nur dem Zufall oder der guten Laune heiterer Fruchtbarkeitsgöttinnen zu verdanken, sondern immer häufiger dem kalten Instrumentarium der Reproduktionsmedizin.

Wie eng verfilzt Staat und Kirche sind, brachte die “Pandemie” zu Tage. Wr erlebten groteske Auswüchse, wie etwa digitale Gottesdienste inklusive digitalem Klingelbeutel (!) oder Heilige Messen im Autokino. Dabei kamen die Corona-Abstandsregeln der klerikalen Berührungsscheu verkrampfter Geistlicher durchaus entgegen. Ich möchte noch einmal an Woelkis öffentlichen Brief an die „Schwestern und Brüder“ vom 19. März 2020 erinnern. Darin schrieb er: „Selbst in Kriegszeiten sind die Gottesdienste nicht ausgefallen, doch nun haben wir uns nach sehr ernsthaften Diskussionen dazu entschlossen, die körperlichen Versammlungen von Christen auszusetzen… ” Vgl.: https://stellwerk60.com/2020/04/09/fake-news-erzbischof-kardinal-woelki-wird-heute-den-menschen-die-fuesse-waschen/

Dass im Kölner Dom an Heiligabend geimpft wird, wird uns dieses Jahr hoffentlich erspart bleiben.

Derweil gilt es, den Schönen Schein zu wahren. Das “Haus der Kirche” in Köln-Nippes wird nicht nur das Pfarrbüro von St. Marien beherbergen, sondern auch das Caritas-Zentrum sowie Wohnungen und eine Arztpraxis. Es ist während der “Pandemie” gebaut worden, also während Woelki -was allgemein bekannt war- den Bericht zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln weiter vor sich herschob. Ich denke, etwas mehr Bescheidenheit in der Namensgebung wäre da durchaus angemessen gewesen.

Beim Bau des Hauses ist zu meiner Genugtuung ein Fauxpas passiert. In diesem Fall sitzt der Teufel im Detail, hämisch lachend hockt er in der Außen-Fassade.

Das in die bronzenen Metall-Abdeckungen eingestanzte Muster (kleine Kreuze bzw. Blüten) kam mir bekannt vor. Genau dieses Muster haben manchmal die Gitter in den Beichtstühlen katholischer Kirchen. Doch warum haben Beichtstühle überhaupt Gitter? Wikipedia gibt Aufschluss: “Eingeleitet durch die Synode von Fritzlar (1244) entwickelte sich das (doppelte) Gitterfenster als Trennwand zwischen Priester und Beichtendem. Die Gitter sollten Berührungen in beide Richtungen verhindern und somit auch eventuellem sexuellem Missbrauch vorbeugen.[4] Dennoch kam es häufig zu verbalen Übergriffen seitens des Beichtvaters, die sich außerhalb des Beichtstuhls fortsetzen konnten, wie zum Beispiel bei der Beichtstuhl-Affäre der Jahre 1871/72 in Linz. Die zuvor übliche Absolution durch Handauflegen wurde seitdem abgelöst durch das segnende Kreuzzeichen.” https://de.wikipedia.org/wiki/Beichtstuhl

Sexuellen Missbrauch von Seiten Geistlicher gibt es also sehr viel länger, als man meinen sollte. Jetzt lacht der Teufel noch lauter – und empfiehlt mir ein erhellendes Interview mit dem Kirchenhistoriker Claus Arnold von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz: https://www.sueddeutsche.de/kultur/missbrauch-katholische-kirche-vatikan-sexuelle-gewalt-1.4342244

“Meine” drei Männer (mein Vater, mein Bruder, mein Mann) waren in ihrer frühen Jugend Messdiener. Sie sind zu sanften, verantwortungsbewussten Männern herangewachsen: Freundlich, nur ein bisschen zu sehr, vom Schlag derer, die, wenn man sie ohrfeigt, dem Angreifer noch die zweite Wange hinhalten.

Aber ich glaube und wünsche mir, dass alle drei zu der Gruppe mutiger, kluger Ministranten (und -innen) gehört hätten, die während einer Messe am 3.10.2022 im Rahmen ihrer Wallfahrt nach Rom von ihren Plätzen aufgestanden sind und Erzbischof Kardinal Woelki, der die Messe hielt, den Rücken zugedreht haben.

Ich danke euch.

Elfchen im Zehnten: DEINE APOTHEKE IMPFT

Damit

niemand mit

dir schimpft: DEINE

APOTHEKE IMPFT. Komm nur

herein…

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Schaukasten vor der alteingesessenen Adler-Apotheke in Köln-Nippes.

Um mit den Internet-Apotheken konkurrieren zu können, setzen die Apotheken vor Ort zunehmend auf den direkten, persönlichen Kontakt zu den Menschen. Hierbei bekommen sie Rückendeckung von der Bundesregierung. Bereits im Sommer 2019 wurde das “Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken” auf den Weg gebracht. In der Pressemitteilung des BMG wird der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zitiert: „Die Apotheke vor Ort ist für viele Menschen ein Stück Heimat – und eine wichtige Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten. Darum erhalten Apothekerinnen und Apotheker künftig mehr Geld für neue Dienstleistungen. Wir sorgen für einen fairen Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken. Künftig gilt der gleiche Preis für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei der Abgabe an gesetzlich Versicherte. So sichern wir die Arzneimittelversorgung in der Stadt und auf dem Land.“ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2019/3-quartal/staerkung-der-vor-ort-apotheken.html

Um die neuen Privilegien und die guten Beziehungen nicht zu gefährden, haben sich die Apotheken von Beginn an hinter die staatlichen Corona-Maßnahmen gestellt. Im Frühjahr 2020 startete die apothekeneigene Unternehmensgruppe NOVENTI die „Initiative gegen Corona“, die das Ziel verfolgt, “zur Aufklärung der breiten Bevölkerung mit aufmerksamkeitsstarken Motiven beizutragen.” Plakate wurden entworfen und an alle Apotheken verschickt. Eine erste Plakat-Botschaft von NOVENTI und Medienpartner BILD: “Bring Corona nicht zur Oma”. Diese Aufforderung, die mit “Aufklärung” allerdings herzlich wenig zu tun hat, richtete sich an Angehörige, die einen großen Bogen um ältere Familienmitglieder machen sollten.

Mit Corona, so schrieb ich vor zwei Jahren an dieser Stelle, hat die die Gesundheitswerbung, was alte Menschen betrifft, eine vermeintliche Kehrtwende gemacht. “Nachdem in den letzten Jahren wissenschaftliche Studien herausfanden, was der gesunde Menschenverstand ohnehin wusste, dass nämlich Berührungen der Gesundheit zuträglich sind, wurde im Jahr 2019 von der Krankenkasse DAK körperliche Nähe zu alten Menschen propagiert. Im Befehlston hieß es da: „Geht Omas drücken!“ Ab März war (und ist!), gerade was ältere Menschen betrifft, überall Distanz angesagt. Schnoddrig-lässig heißt es unrein gereimt von oben herab: „Bring Corona nicht zur Oma.“… Von älteren oder alten Frauen generell als von „Omas“ zu reden, ist respektlos. Die Anrede „Oma“ diffamiert, wenn es nicht die eigene ist. Wenn wir Skat oder Doppelkopf spielen und so gute Karten bekommen, dass wir gar nicht anders können als zu gewinnen, haben wir ein „Oma-Blatt“ auf der Hand. „Oma“ ist lieb, aber ein bisschen beschränkt, dümmer als „Opa“, falls es den noch gibt.” https://stellwerk60.com/2020/10/19/elfchen-im-zehnten-was-ist-mit-unserer-gesellschaft-geschehen-wenn/

Im Frühjahr 2020 war noch keine Impfung auf dem Markt, auch nicht für die bedrohte Oma, aber es wurde bereits fieberhaft daran gearbeitet. Auch am guten Verhältnis der Apotheke zu Oma, denn Oma ist Stammkundin, misstraut den neuen Medien und würde ihre Rezepte niemals im Internet einreichen.

Eine ausgesprochen gute Kundin ist Oma schon deshalb, weil sie in der Regel an verschiedenen chronischen Krankheiten bzw. Beschwerden leidet und die entsprechenden ihr verschriebenen, aber auch frei verkäufliche Medikamente einnimmt. “Bei rund 42 % der über 65-jährigen gesetzlich Versicherten liegt nach dem Versorgungs-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) Polypharmazie (fünf oder mehr Wirkstoffe) vor.” Polypharmazie, d.h. die gleichzeitige und andauernde Einnahme verschiedener Medikamente, verbessert Omas Befinden allerdings nicht unbedingt, im Gegenteil: https://www.aerzteblatt.de/archiv/182151/Polypharmazie-Tendenz-steigend-Folgen-schwer-kalkulierbar

Herbst 2022: Der Schaukasten der Nippeser Adler-Apotheke ist neu bestückt. Die Metallplatte unter dem Kasten ist frisch poliert, das Graffiti entfernt. Man gibt sich seriös, denn “DEINE APOTHEKE IMPFT”. Ein weiteres, transportables Schild im Eingang der Apotheke verrät, dass “wir” nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Grippe impfen. Das ist möglich, weil der deutsche Bundestag im Mai 2022 das Pflegebonusgesetz verabschiedet hat. Im Zusammenhang mit dem Gesetz hat man auch den Weg frei gemacht “für die Grippeimpfung in der Apotheke – sie wird nun Teil der Regelversorgung und damit unabhängig von Modellprojekten bundesweit möglich.” https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/05/19/bundestag-gibt-gruenes-licht-fuer-regelhafte-grippeimpfungen-in-den-apotheken

 

Oma darf längst wieder auf die Straße gehen, auch in die Apotheke, wo sie ihre Medikamente bekommt. In der Apotheke fragt man Oma nach ihrem Impfstatus. Oma ist es unangenehm, sagen zu müssen, dass sie sich noch nie gegen Grippe hat impfen lassen. Um die Apothekerin für sich einzunehmen, sagt sie: “Bitte nicht schimpfen.” Doch die freundliche Apothekerin schimpft nicht, sondern lächelt. Aber sie macht Oma darauf aufmerksam, dass die Ständige Impfkommission den über 60jährigen beide Impfungen empfiehlt, die gegen Grippe und die gegen Corona. Selbstverständlich seien beide Impfungen auch in der Apotheke kostenlos. Aber Oma solle sich Zeit lassen, es gäbe ja noch Termine im November und im Dezember. Dann will die Apothekerin noch wissen, ob Oma als gesetzlich versicherte Person über 60 Jahre Post vom Gesundheitsminister erhalten habe. Der Brief von Karl Lauterbach enthalte leider einen Fehler, denn es werde nicht erwähnt, dass man sich auch in der Apotheke impfen lassen könne.

“Der Brief enthält nicht nur Fehler, sondern ist ein Fehler”, sagt Oma und lacht. “Diesen Jammerlappen kann ich leider nicht mehr ernst nehmen. Das Schreiben ist eine als persönlicher Brief getarnte Werbepost. Da sind mir die Wurfsendungen von Kaufland oder REWE lieber, da wird der Preis, den ich zahlen muss, offen genannt.”

“Aber die Impfung ist kostenlos.”

“Ja eben,” sagt Oma. “Man muss immer skeptisch sein, wenn ein Geschäftsmann einem was schenkt. Vor allem als alter Mensch.”

“Aber unser Bundesgesundheitsminister ist doch kein Geschäftsmann”, sagt die Apothekerin.

“So wenig, wie Sie eine Geschäftsfrau sind”, entgegnet Oma. “Außerdem enthält der Brief Halb-Wahrheiten. Für den neuen BA.5- Impfstoff gibt keine klinischen Studien, seine Wirkung wurde nur in Tierversuchen belegt, und in Europa ist der Impfstoff nur deshalb zugelassen, weil angeblich immer noch ein Notfall vorliegt. Und dabei liegt der Schutz vor einer Ansteckung vermutlich bei nicht einmal zehn Prozent.”

“Ich würde Ihnen die Impfung übrigens dringend empfehlen”, sagt die Apothekerin. “Dringend.”

“Sie wissen doch, wie viele Medikamente ich einnehme”, sagt Oma. “Da muss ich nicht noch geimpft werden. Ich habe gerade noch einen Artikel über Medikamentenmissbrauch bei alten Menschen gelesen.”

“Sie sind aber eine ganz Schlaue”, piepst die Apothekerin. “Und woher meinen Sie die Informationen über die Impfung zu haben?”

“Aus einem Interview mit Alexander Kekulé”, antwortet Oma. “Auf t-online.de. Ein kluger Mann. Da kommt der Lauterbach nicht mit. Der Lauterbach denkt viel zu gradlinig, um unsere aus den Fugen geratene Welt noch zu begreifen. Und er macht ständig doofe Fehler. Der hat tatsächlich vergessen, den Brief persönlich zu unterschreiben. Dadurch wirkt das Schreiben stocksteif, was im Fall von Lauterbach natürlich auch wieder authentisch ist. Ich meine, eine Kopie der Unterschrift hätte ja auch gereicht. Der einzige Farbtupfer ist der schwarz-rot-gelbe Streifen im Briefkopf. Aber was überhaupt nicht geht, ist, dass das Datum fehlt. Wahrscheinlich will Lauterbach den Brief im nächsten Jahr wiederverwenden. Aber ich muss jetzt.”

“Auf Wiedersehen”, sagt die Apothekerin.

“Auf Wiedersehen”, sagt Oma. “Und Frohes Neues Jahr.” Tänzelnden Schrittes verlässt sie die Apotheke.

Elfchen im Neunten: Liebe Lärmschutzriegel-Bewohnende

Vor gut 20 Jahren hat man damit begonnen, das innenstadtnahe Gelände der ehemaligen Köln-Nippeser Eisenbahn-Ausbesserungsanlage mit Wohnhäusern zu bebauen, mit Mehrfamilien-, aber auch mit Einfamilienreihenhäusern. Nach Abschluss der Bauarbeiten leben hier insgesamt über 5000 Menschen, etwa 1500 davon in der autofreien Siedlung Stellwerk 60.

Die autofreie Siedlung liegt genau in der Mitte des bebauten Areals. Was die Siedlung auszeichnet, ist, dass sie wirklich eine ist. Unser großer gemeinsamer Nenner ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Auto. Dass die nachbarschaftliche Kooperation über den Gartenplausch hinaus gelingt, ist vor allem dem Nachbarschaftsverein Nachbarn 60 zu verdanken, dessen aktive Mitglieder seit mittlerweile 15 Jahren unermüdlich organisieren, koordinieren, anleiern, Ideen entwickeln und überhaupt viel Arbeit in das Projekt stecken. Der Gemeinschaftsgarten muss gepflegt werden, die Kettcars, Tandems, Einräder, Biertische und Transportkarren, die alle Vereinsmitglieder in der Mobilitätsstation (“Mobi”) kostenlos ausleihen können, müssen regelmäßig gewartet werden, junge Bäume gegossen, Flohmarkt, Sommerfest und Lebendiger Adventskalender organisiert werden u.u.u….

Das Besondere an Stellwerk 60 ist die Familien- und Kinderfreundlichkeit. Die Kinder stören sich nicht daran, dass die Siedlung dicht bebaut ist. Auch die geringe Breite der Reihenhäuser (oft weniger als fünf Meter), die vielen Erwachsenen die Luft zum Atmen nimmt, vor allem dann, wenn man den Nachbarn nicht riechen kann, ist ganz nach dem Geschmack von Kindern. Wo in der Siedlung sie auch wohnen: Die Kinder gehen raus und treffen Kinder. Ihr Draußen wird nicht durch parkende Autos verstopft. Die asphaltierten “Hauptstraßen”, die nur von Müllabfuhr und Notarztwagen befahren werden dürfen, laden ein zum Rollschuhlaufen, Einradfahren, Skateboarden, der autofreie Raum zum Spielen, Raufen und Austoben. Wo Kinder sind, gibt es kein Abstandhalten.

Manchmal bin ich ziemlich genervt, wenn ich einem großen Kettcar ausweichen muss, auf dem fünf kreischende Kinder sitzen. Aber dann erinnere ich mich an die “Pandemie” mit ihren volkserzieherischen “Sicherheits”-Maßnahmen, ich erinnere mich daran, wie gespenstisch still es selbst in der autofreien Siedlung war, als die Kinder, denen das Virus nie viel anhaben konnte, zu einer Art soldatischem Gehorsam gezwungen wurden, als sie sich nicht einmal zu Hause mit mehreren Freunden treffen konnten, nicht einmal die Kettcars ausleihen und kaum Spaß haben durften. Und wenn ich mir klarmache, wie autoritär, wie lust- und lebensfeindlich die “Gesundheitsschutz”- Maßnahmen waren (und zum Teil noch sind!), dann bin ich erleichtert, dass die Kinder nicht verstummt sind – und kann ihr Gekreische ertragen. Ach was, ich freue mich daran!

Ein Archivfoto aus dem Jahr 2016:

Besuch des Koreanischen Fernsehens in der autofreien Siedlung Stellwerk 60. Die beiden, die hier -gesittet und ohne zu kreischen- auf dem Kettcar sitzen, sind Filmemacherin Chi-Suk Kim und Siedlungs-“Bürgermeister” Hans-Georg Kleinmann; Foto: Nachbarn60.  https://stellwerk60.com/2016/07/17/der-film-ist-da-stellwerk-60-im-koreanischen-tv/

Es ist abwechslungsreich und angenehm, in der autofreien Siedlung zu leben – wenn nur die Bahn nicht so nah wäre. Natürlich ist es grundsätzlich vorteilhaft, in der Nähe zweier S-Bahnhöfe zu wohnen. Auch hält sich die Lärmbelastung innerhalb der autofreien Siedlung in Grenzen. Doch was den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht nur von Stellwerk 60, sondern aller Nippeser Siedlungen zwischen den S-Bahnhöfen Nippes und Geldernstraße droht, ist nicht mehr angenehm, sondern so alptraumhaft, dass man es kaum glauben kann. Wie viele andere hatte auch ich versucht zu verdrängen, was uns seit Jahren “nur” droht, jetzt aber real werden könnte: Der Bau eines Zuführungsgleises und damit einhergehend die Zerstörung großer Teile des letzten Grüns diesseits der S-Bahn-Linie, eine jahrelange Großbaustelle in unmittelbarer Siedlungsnähe und -nach Beendigung der Bauarbeiten- ein stetiger nächtlicher S-Bahn-Verkehr (“Geisterzüge”).

Die Pläne der DB für das Zuführungsgleis sind nicht neu, und die entsprechenden “Planfeststellungsverfahren” laufen schon seit 2007. Wegen zahlreicher Einwendungen und erheblicher Bedenken, vor allem wegen des zu erwartenden Lärms, musste die Bahn ihre Pläne bereits mehrere Mal aktualisieren. Dass die Deutsche Bahn ihr Vorhaben noch nicht hat durchsetzen können und weiterhin “nachbessern” muss, ist insbesondere der Anwohnergemeinschaft Nippes (AWG) zu verdanken, deren Mitglieder über die Jahre hinweg das Vorhaben nicht verdrängt, sondern sich der Bedrohung gestellt haben. Bei allen “Planfeststellungsverfahren” erhob die AWG (nicht zu verwechseln mit dem Verein Nachbarn 60) immer wieder Einspruch und holte vor Jahren bereits ein Gutachten ein, das belegt, dass das Zuführungsgleis nicht nötig ist und es eine menschenfreundliche, wenn auch teurere Alternative gibt. Laut Gutachten könnten S-Bahnen auch auf einem anderen Weg in die mittlerweile in Betrieb genommenen Abstellanlage einfahren.

Was genau droht, erzählt plastisch dieser Aushang der AWG, der Ende Juli im Grünstreifen diesseits der S-Bahn aufgehängt wurde und sich vor allem auf das erste Teilstück hinter dem S-Bahnhof Nippes bezieht:

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Mich persönlich hatte bereits Anfang des Jahres eine Nacht-und-Nebel-Aktion in Alarmbereitschaft versetzt. In einer Mensch und Tier überrumpelnden Blitz-Maßnahme wurden im Frühjahr 2022 Tatsachen geschaffen, bereits “Vorbereitungen” getroffen für die von der Deutschen Bahn geplante Bebauung. Entlang der Bahntrasse wurde gerodet, kleinere Bäume wurden gefällt, Sträucher komplett zurückgeschnitten. Das Gelände wurde -wie es aussieht- für einen Eingriff präpariert, der in keinerlei Hinsicht gebilligt ist. Wer den Kahlschlag in Auftrag gegeben und wer ihn durchgeführt hat, ist nicht bekannt.

Besonders augenfällig ist der Kahlschlag dort, wo er städtischen Grund berührt. Während ein wenige Meter breiter Geländestreifen neben der S-Bahntrasse der Deutschen Bahn gehört, ist ein kleines Wäldchen, das nach dem Willen der DB komplett plattgemacht werden soll, Eigentum der Stadt Köln. Noch scheitert das Bauvorhaben u.a. an diesem kleinen städtischen Wäldchen – und am Widerstand der Stadt Köln, die jedoch im Falle einer Bau-Bewilligung enteignet werden kann.

Ich habe das schwer beschädigte Wäldchen jetzt im September von verschiedenen Seiten fotografiert. Das Wäldchen wurde bei der Aktion unbegehbar gemacht. Abgesägte Äste wurden auf die Wege gekippt und der zentrale Zugang durch einen Baumstamm versperrt.

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Fünf sanfte letzte Kurven und ein Hauch von Central Park. “Wo jetzt in dieser Mini-Oase die Blätter rauschen und ein kühles Lüftchen im Sommer angenehm kühlt, sollen S-Bahnen aus ganz NRW nachts zu einem “Parkplatz” mit 18 Gleisen hin und zurück rollen.” (AWG)

Da die klugen Köpfe der AWG in ständiger Alarmbereitschaft sind, hatten sie mitbekommen, dass die Deutsche Bahn erneut ein “Planfeststellungsverfahren” angestrengt hat. Anfang Juli informierte die AWG uns Nippeser Nachbarinnen und Nachbarn sowie den Nachbarschaftsverein der autofreien Siedlung und lud zu einer Info-Veranstaltung mit Begehung des betroffenen Gebietes ein. http://www.awg-nippes.de

Vielleicht muss man vor Ort gewesen sein und sich mit den Betroffenen unterhalten haben, um sich das Ausmaß der geplanten Bau-Maßnahme vorstellen zu können. So war bei der gut besuchten Info-Veranstaltung am 6.8.2022 glücklicherweise Journalist Bernd Schöneck vom Kölner Stadtanzeiger anwesend. In seinem “Kommentar zum Gleisvorhaben in Köln-Nippes” vom 10.8.2022 mit dem Titel “Es bliebe fast nichts, wie es ist” stellt Schöneck fest, dass das “Vorhaben wie ein Damoklesschwert über der Nippeser Eisenbahnsiedlung” schwebt. Weiter schreibt Schöneck, dass man sich des Verdachts nicht erwehren könne, “dass das Vorhaben bereits beim Siedlungsbau geplant war – und das wäre ein Skandal. Denn die Bewohner des Veedels wären bezüglich der Nutzung des Areals im Dunkeln gelassen worden. Zugleich zeigt sich leider erneut, dass das Wohl der Anlieger, vorsichtig gesagt, bei der Bahn nicht an allererster Stelle steht.” https://www.ksta.de/koeln/kommentar-zum-gleisvorhaben-in-koeln-nippes-es-bliebe-fast-nichts–wie-es-ist-39868530 Aufschlussreich auch: https://www.ksta.de/koeln/nippes/umstrittene-bahn-plaene-fuer-koeln-nippes–das-waere-eine-gefahr-fuer-leib-und-leben–39866080 (Beide Artikel konnte ich auch ohne Abo nach Anmeldung kostenlos lesen.)

Ich bin Bernd Schöneck dankbar für seinen engagierten Kommentar und auch dafür, dass endlich jemand den “Skandal” zur Sprache bringt. Was die autofreie Siedlung betrifft, spricht einiges dafür, dass der Bauträger Kontrola im Bilde gewesen sein dürfte. Als wir im Jahr 2007 unser Reihenhaus kauften, wurden wir während des ausführlichen Verkaufsgesprächs nicht über die Pläne der Bahn informiert. Wachgerüttelt wurden wir erst im Sommer 2008, als die Mitglieder der AWG anlässlich der ersten Offenlegung zum Protest aufriefen.

Hätte der Stellwerk 60– Bauträger und Projektentwickler Kontrola im Wissen um die Pläne mit offenen Karten gespielt, wäre es schwierig gewesen, die Häuser und Eigentumswohnungen zu verkaufen, zumal -während die Siedlung noch in der Bauphase war- mit der Finanzkrise 2008 der Verkauf ins Stocken geriet. Ohnehin war der Verkauf eine kaufmännische Herausforderung, denn vor 15 Jahren war es keineswegs sicher, ob sich Häuser ohne Stellplatz gut verkaufen lassen.

So aber wurde neben den Häusern in den anderen Bereichen der Eisenbahner-Siedlung ausgerechnet das Vorzeigeobjekt “autofreie Siedlung” auf ein Verschweigen gebaut. Dabei hatte Kontrola im Jahr 2007 gleich zwei Auszeichnungen entgegengenommen. Stellwerk 60 war nicht nur „Ort im Land der Ideen“, sondern wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der „Qualitätsoffensive für Familien in Städten und Gemeinden“ ausgezeichnet. 

Leider schützen solche Preise die Bewohnerinnen und Bewohner nicht und schon gar nicht vor Willkür-Maßnahmen, sondern dienen lediglich den Bauunternehmen zu Werbezwecken. Nachfolge-Bauträger BPD wirbt heute noch mit dem Kontrola– Projekt “Stellwerk 60” und wurde vor wenigen Jahren mit dem Bau einer „Klimaschutzsiedlung“ in Köln-Lind betraut. (Allerdings liegen in Großstädten wie Köln die Flächen, auf denen noch ganze Siedlungen gebaut werden können, oft in heikler Nähe zur Autobahn, so auch hier. Diese Siedlung erfüllt zwar die Vorgaben des Leitfadens “100 Klimaschutzsiedlungen Nordrhein-Westfalens”, entsteht aber wenige Kilometer weit weg vom Flughafen Köln-Bonn in unmittelbarer Nähe des Lärmschutzwalls vor der Autobahn A59. Ich weiß nicht, ob es schon Straßennamen gibt. Mein Vorschlag: Am Linder Lärmschutzwall)

Immerhin ist der Linder Lärmschutzwall unübersehbar, während das Nippeser Zuführungsgleis mitsamt seinen landschaftszerschneidenden Lärmschutzwänden lediglich auf dem Papier exisitiert. Und das, was droht, ist so unglaublich, dass es die meisten verdrängen. In der autofreien Siedlung wurden in den letzten Jahren bereits einige Häuser von ahnungslosen Besitzern an ahnungslose Käufer überteuert verkauft. Auf diese Weise jedoch wird der Bauträger-Skandal, wird das Verschweigen weiter getragen. Der “Marktwert” ist reine Fiktion. Die permanente Drohung eines Zuführungsgleises senkt nicht nur den ideellen, sondern den tatsächlichen Wert der Immobilien meines Erachtens erheblich – auch den unseres Hauses.

Nachdem wir uns informiert hatten, bildeten fünf Mitglieder des Vereins Nachbarn 60 eine Arbeitsgruppe, um – angeregt von der AWG – eine Einwendung zu formulieren und Unterschriften gegen den Ausbau zu sammeln. Das war nicht einfach, da die Zeit drängte und man den “Abgabetermin” bei der Bezirksregierung auf den 15.8. gelegt hatte. Viele Nachbarinnen und Nachbarn waren in Urlaub, andere gerade zurück gekommen. Doch da die Sommerferien in diesem Jahr schon am 9.8. endeten, waren die meisten gerade noch rechtzeitig wieder vor Ort. Meistens halte ich mich bei Siedlungsaktivitäten zurück, aber diesmal gab es für mich kein Halten.

Gaby hatte der Arbeitsgruppe die wichtigsten Punkte der Planungsunterlagen vorgestellt, und Beate, die nicht nur ein außergewöhnliches politisches Gespür, sondern die Gabe hat, auch in äußerst angespannten Situationen besonnen zu bleiben, hatte die Einwendung verfasst. Sie opferte mehrere Urlaubs-Tage, um den kaum lesbaren Text durchzuarbeiten, ein Konvolut, das bis zum 15.7. im Internet öffentlich auslag und so umfangreich ist, dass es sich nicht per Mail-Anhang verschicken lässt.

So saßen wir fünf einander abwechselnd in der Mobilitätsstation, wo wir zwischen dem 8.8. und dem 13.8. an fünf Abenden Unterschriften sammelten. Von insgesamt knapp 1000 Unterschriften im gesamten betroffenen Bereich sammelten wir 280 von Bewohnerinnen und Bewohner der autofreien Siedlung, was etwa 20% entspricht. Der gemeinsame Tenor: Wir unterstützen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, aber so bitte nicht!

Interessant war es, auf diese Weise mit den Nachbarn der Nachbarsiedlungen ins Gespräch zu kommen, darunter auch Menschen aus den ganz nahe an die bestehende Bahntrasse herangebauten Mehrfamilienhäusern “Am Ausbesserungswerk”. Ein Bewohner erzählte, dass sich der Estrich in seiner Wohnung durch die permanenten Boden-Erschütterungen so weit gesenkt hat, dass man -sehr zur Freude seiner beiden kleinen Söhne- Matchbox-Autos unter den Zimmertüren hin- und herflitzen lassen kann. Ein anderer erzählte, dass Menschen, die dort eine Wohnung neu beziehen, jetzt schon per Unterschrift zusichern müssen, dass sie, falls das Zuführungsgleis gebaut wird, die Miete nicht mindern.

Und ist das Gleis einmal fertig”, so schreibt Bernd Schöneck, “würden die Züge nur einige Meter entfernt von den Wohn- und Schlafzimmern der Häuserzeile am Ausbesserungswerk entlang rollen – dem „bewohnten Lärmschutzwall“, wie es recht zynisch hinter vorgehaltener Hand heißt.” (ksta.de, s.o.) Leider muss ich ergänzen, dass der “bewohnte Lärmschutzwall” nicht nur hinter vorgehaltener Hand so genannt wird, sondern bereits als ein solcher konzipiert worden ist. Im Stadtteilführer des “Archiv(s) für Stadtteilgeschichte Köln-Nippes e.V.” heißt es: “Aufsehen erregte vor allem ein direkt an der Bahnlinie liegender Gebäuderiegel, der als Lärmschutz für die rückwärtigen Gebiete an die Stelle der alten Wagenhalle treten sollte. Befürchtungen wegen Lärmbelastungen und einer geplanten Eisenbahntrasse unmittelbar vor den Häusern wurden mit dem Hinweis verworfen, die Bewohner würden vom Lärm nicht gequält, weil auf der Seite zur Bahntrasse nur Treppenhäuser und Küchen vorgesehen seien.” (“Loss mer jet durch Nippes jon”, 3. Auflage 2010, S.36)

Die AWG hat im Jahr 2017 eine Fotomontage kreiert, die leider schaurig realistisch ist. Ich habe mir erlaubt, sie von dem Flyer, wo sie abgedruckt ist, abzufotografieren. Hier wird simuliert, wie es “Am Ausbesserungswerk” aussähe, wenn…

Nun will die Deutsche Bahn -im wahrsten Sinne des Wortes- noch eins draufsetzen. An der Stelle, die ich, um den Kontrast zum Flyer zu zeigen, im Jetzt-Zustand fotografiert habe, soll nach den Plänen der Bahn zwecks Wendemöglichkeit das Zuführungsgleis sogar zweigleisig verlaufen. Und genau dort will man direkt vor den zwei Gleisen eine sechs (!) Meter hohe Lärmschutzwand errichten! Doch dieses Lärmabwehr-Ungetüm würde den Menschen im Erdgeschoss die Sicht und das Licht rauben und im vierten Stock nicht einmal den Lärm abhalten.

Mein Elfchen des Monats ist diesmal von der schamlosen FÜR EUCH- Werbekampagne der BILD – Zeitung inspiriert. Im Sommer 2019 startete BILD “… eine neue Werbekampagne, in deren Zentrum die Leser stehen. Die Kampagne „FÜR EUCH. BILD.“ stellt Menschen vor, die jeden Tag für andere im Einsatz sind, die Verantwortung übernehmen und die mehr Wertschätzung verdienen. Statt Situationen mit Schauspielern oder Models nachzustellen, zeigt die Kampagne BILD-Leser wie Krankenschwester Manuela, LKW-Fahrer Reinhold, Polizistin Mehtap oder Oma Lore in ihren Alltagssituationen.” https://www.axelspringer.com/de/ax-press-release/bild-startet-neue-werbekampagne-fuer-euch-bild

Wie schafft man es, Menschen, die eine knallharte Arbeit leisten, eine Arbeit, für die sich die meisten “zu schade sind”, Menschen, die permanent ihre physische und psychische Gesundheit FÜR UNS aufs Spiel setzen und die viel zu wenig verdienen, bei Laune zu halten? Indem man sie lobt, sich bei ihnen bedankt und sie prominent ins Bild setzt. In der Sprache der BILD nennt man das “Wertschätzung”.

Im darauffolgenden Jahr 2020 passte diese Kampagne wie von Jens Spahn bestellt zur bundesdeutschen Gesundheitspolitik. Jetzt machte die Kampagne nicht nur Werbung für die BILD-Zeitung, sondern für die staatlichen Corona-Maßnahmen – und die Corona-Maßnahmen waren wiederum eine Top-Werbung für die BILD. Während der “Pandemie” mussten die Plakatmotive nur entsprechend aktualisiert und um zusätzliche Motive ergänzt werden. Wir erlebten eine höchst erstaunliche Kooperation zwischen Boulevard-Zeitung und Bundesregierung.

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Wie aber hält man Menschen bei Laune, die einen Lärmschutzriegel bewohnen und dafür auch noch (Miete) bezahlen müssen?

Liebe

Lärmschutzriegel-Bewohnende, schenkt

der Deutschen Bahn

ein Lächeln. FÜR EUCH.

BALD.

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Das gönnerhafte Lob sozial Benachteiligter, die Stärkung der Arbeitsmoral und die Überredung zu eigentlich unzumutbarer Arbeit via Werbung sind nicht neu. Um Arbeitskräfte anzuheuern, wurde schon im 20. Jahrhundert eine ausgeklügelte Plakatwerbung eingesetzt, die mit psychologischen Tricks arbeitete. Die Zielsetzung: Den Menschen einen beschämend schlecht bezahlten und dazu noch gesundheitsgefährdenden Job schmackhaft machen.

Dieses Werbe-Plakat aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg richtet sich an junge Schulabsolventen, die nicht das Privileg haben, eine höhere Schule besuchen zu dürfen, sondern -im Gegenteil- schon früh zum Familieneinkommen beitragen müssen. Das Plakat appelliert an das Verantwortungsgefühl und packt die Jungen bei ihrem gerade erwachenden männlichen Stolz. Der Beruf des Bergmanns, so die Botschaft des Plakats, ist nichts für Weichlinge, die nicht zupacken können, sondern “Ein Beruf für ganze Kerle”. (Der Ausdruck “ganzer Kerl” ist heutzutage kaum noch gebräuchlich. Ein “ganzer Kerl” sein meint soviel wie “körperlich und mental topfit sowie moralisch integer”.)
Die Abbildung des Plakats habe ich von der Internet-Seite “deisterbergbau.de” abfotografiert und den “Absender” mithilfe vom Lesebrille und Lupe hoffentlich korrekt entziffert: “Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge der sowjetischen Besatzungszonen in Deutschland- Ausbildung und Umschulung – Berlin”                                                                                                    Schon mein Urgroßvater Leopold, geboren 1861 in Loslau/Oberschlesien, wurde gegen 1890 durch die Werbung der westdeutschen Bergbauunternehmen ins Ruhrgebiet gelockt. Für meinen Urgroßvater, der damals gerade geheiratet hatte, war die Arbeit unter Tage die vielleicht einzige Chance, eine große Familie -seine Frau Carolina sollte 12 Kinder zur Welt bringen- dauerhaft zu ernähren. Vermutlich hat es schon damals Werbeplakate in Form von Aushängen gegeben, auf denen bereits das noch Jahrzehnte später gegebene Versprechen (s.o.) stand: “Arbeit und Brot auf Lebenszeit”.                                                                                                                                                                   Im Nachhinein mutet diese Parole zynisch an,  denn die “Lebenszeit” der meisten, zu Beginn ihrer Arbeit noch gesunden Bergleute war begrenzt. Dass sie schwere und schwerste Schädigungen der Lunge davontrugen, gepflegt werden mussten und früh starben, dürfte insbesondere den Verantwortlichen in der SBZ längst bewusst gewesen sein. Erstaunlich ist auch, dass man ausgerechnet in der sowjetischen Besatzungszone mit der Plakat-Werbung im großen Maßstab ein zentrales Kommunikations- und Machtmittel des Kapitalismus einsetzte.                                                                          Mein Urgroßvater “erkrankte” schwer an der Staublunge und starb 1916 im Alter von 55 Jahren als Berginvalide. Sein Sohn Karl, mein Großvater, geboren 1898 in Bottrop, starb am 14.Juni 1946, dem Geburtstag des selbsternannten “Bergarbeiterfreundes” Donald Trump, im Alter vom 57 Jahren an Lungentuberkulose als Folgeerkrankung der Staublunge. Aber was bedeutet eigentlich “Staublunge”? Aufklärend: https://news.rub.de/wissenschaft/2018-08-28-bergbau-diagnose-staublunge

„Schafe sind so sympathische Tiere” – Wie man das Vertrauen der Tiere in uns Menschen für Werbezwecke missbraucht

Ploumanach, 26.8.2022: Ich beobachte, wie eine Hornisse eine Wespe “umarmt”. Die Wespe hat unseren Frühstückstisch angesteuert, den Käse ignoriert und sich auf der Leberpastete, die nur ich esse, niedergelassen. Die Wespe ist so sehr in “meine” Pastete vertieft, dass sie die von hinten sich nähernde Hornisse nicht bemerkt. Die Hornisse packt die Wespe, hält sie umklammert und trägt sie mit sich fort. Was aussieht wie ein romantisches Liebesspiel, ist keines. Hornissen fressen Wespen und zerrupfen sie angeblich sogar in der Luft. Vgl.: https://www.stern.de/gesundheit/gesundheitsnews/hornissen-sind-die-perfekte-waffe-gegen-wespen—und-viel-harmloser-als-ihr-ruf-8230068.html

Doch die Hornisse stillt nicht nur den eigenen Hunger: “Die Arbeiterinnen erlegen auch oft Insekten, sogar Wespen! Die verarbeiten sie zu Futterbrei, den sie in ihrem Kropf transportieren. Zurück im Nest würgen sie das Futter heraus und füttern damit die Larven und andere Arbeiterinnen.” https://www.kindernetz.de/wissen/tierlexikon/steckbrief-hornisse-100.html

Das klingt brutal, ist aber für die Hornisse überlebensnotwendig. Anders als die menschliche Aggressivität ist die Angriffslust der Tiere -solange man ihnen ihren Lebensraum lässt- in naturgegebener Balance. Anders als (gestörte) Menschen töten Tiere nie nur um des Tötens willen. Tiere führen keinen Krieg.

Mich erstaunt es immer wieder, wie freundlich sich die Tiere uns Menschen gegenüber verhalten. Sie wissen nichts von Massentierhaltung, Schlachthöfen und Tierversuchen. Es übersteigt ihr Vorstellungsvermögen, dass liebesfähige Lebewesen so kalt und grausam sein können. Tiere greifen uns nur dann an, wenn sie sich bedroht fühlen. Weil sie nicht hinterhältig sind, haben sie uns gegenüber auch keine bösen Hintergedanken.

Tiere sind nicht feige, anders als (gestörte) Menschen, die die Tiere in ihre Macht-Spiele einspannen und sich daran ergötzen, dass die Tiere keine andere Chance haben, als mitzuspielen und nach des Menschen Pfeife zu tanzen, etwa im Flohzirkus. https://stellwerk60.com/2022/03/31/elfchen-im-dritten-olaf-muss-niesen/

Ich finde es unerträglich, wenn Menschen Tiere zu etwas nötigen und dann noch behaupten, die Tiere würden kooperieren. Anfang 2022 setzten Impffreunde aus Niedersachsen eine fragwürdige PR-Idee um. Diese Aktion wurde von den Medien positiv aufgenommen, kritische Stellungnahmen habe ich nicht gefunden. So heißt es z.B. auf aerztezeitung.de: „Noch immer ist etwa jeder fünfte Impfberechtigte in Deutschland noch nicht gegen COVID-19 geimpftHunderte Schafe und Ziegen haben jetzt ein Zeichen gesetzt.https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Riesige-Spritze-Schafe-und-Ziegen-werben-fuer-Corona-Impfung-425778.html

Nun haben hier nicht Schafe und Ziegen “ein Zeichen gesetzt”, sondern Menschen, die die „sympathischen“ Tiere für ihre (Werbe-) Zwecke benutzt und dabei -wie ich finde- verhöhnt und lächerlich gemacht haben. Die dpa-Nachricht zur PR-Aktion am 3.1.2022 wurde von zahlreichen Medien unkritisch übernommen und nur leicht variiert, etwa auf ndr.de:

Mit rund 700 Schafen und Ziegen haben Schäfer in Schneverdingen im Heidekreis eine rund 100 Meter große Spritze dargestellt, um für Impfungen gegen das Coronavirus zu werben. Das Ganze richte sich an die noch Unentschlossenen, so Organisator Hanspeter Etzold. “Schafe sind so sympathische Tiere, vielleicht können die die Botschaft so besser überbringen”, sagte er. Schäferin Wiebke Schmidt-Kochan hatte die Aktion vorbereitet und mit ihren Tieren mehrere Tage dafür geübt. Der Trick dabei: Sie verteilte vorher Brotstücke in Form der Spritze auf dem Boden. Als die Tiere dann auf die Wiese gelassen wurden, stürzten sie sich auf das Fressen und standen somit perfekt für das Motiv.https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Volle-Ampulle-700-Schafe-posieren-fuer-Corona-Impfung,aktuelllueneburg6684.html

Diese Impf-Euphorie war zu dem Zeitpunkt erstaunlich, denn Anfang 2022 zeichnete sich längst ab, dass die sich rasch ausbreitende Corona-Variante Omikron leichtere Krankheitsverläufe mit sich bringen würde. Dadurch war allerdings -schon Monate vor der entwürdigenden Entscheidung über eine Impfpflicht im Deutschen Bundestag- Nutzen und Sinn der weiteren Corona-Massenimpfung grundsätzlich in Frage gestellt. Nur wollte das keiner wissen, schon gar nicht der unbremsbare Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Karlimpf in allen Gassen, der noch nach Auftreten der Omikron-Variante medienwirksam Schul-Kinder impfte und bereits im Wahlkampf als Impfarzt hatte agieren dürfen. https://stellwerk60.com/2021/09/17/groko-stoppen-teil-2-der-titel-schuetzt-vor-torheit-nicht-impfarzt-prof-auflauerbach/

Wir können dankbar sein, dass sich in Südafrika, einem Land mit relativ geringer Impfquote, Ende 2021 die deutlich harmlosere Variante herausbilden konnte, denn nicht die Massenimpfung, sondern Omikron brachte die Wende.

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Offenbar gilt auch für Schafe und Ziegen: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Am 3.1.2022 sind 700 ausgehungerte Schafe und Ziegen dem Corona-Impfaktivismus auf den Leim gegangen. Die ohnehin schon karge Winter-Wiese hatte man zuvor so kahl geschoren, dass kein Grashalm mehr die Tiere ablenken konnte.  Drohnen-Aufnahme, abfotografiert von: https://www.welt.de/vermischtes/article236005760/Corona-Impfungen-700-Schafe-und-Ziegen-werben-als-riesige-Spritze.html
Quelle: dpa/Philipp Schulze

Wie leicht man Tiere in die Falle locken kann, wussten die Vogelfänger: https://www.geo.de/geolino/redewendungen/8566-rtkl-redewendung-auf-den-leim-gehen&nbsp

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Der klebrig-fiesen Fliegenfalle ähnelt diese Ziegenfalle.                                                                      Drohnen-Aufnahme, abfotografiert von welt.de   Quelle: dpa/Philipp Schulze

Geschichte von den sieben jungen Geißlein und der klugen Wölfin – Die Zauberkraft der Ziegenmutterliebe

“Ich fürchte, die Tiere betrachten den Menschen als ein Wesen ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Tierverstand verloren hat…” (Friedrich Nietzsche, “Die fröhliche Wissenschaft”)

Erst kürzlich hat sich die Geschichte tatsächlich noch einmal zugetragen. Ganz in unserer Nähe, außerhalb eines alten Dorfes und doch in den Tiefen des Waldes, die es immer noch gibt. Dort lebten in Waldabgeschiedenheit eine Geiß und ihre sieben jungen Geißlein.

Die Geiß hatte ihren Kindern das Märchen einige Male erzählt, doch -so bitter es auch war- konnten die sieben jungen Geißlein nur glauben, was sie selber erlebt hatten. Daher hatten sie nichtsahnend den Wolf schon bei seinem allerersten Täuschungsversuch ins Haus gelassen.

Als die Geiß nach Hause kam, wusste sie sofort, was passiert war. Sie geriet nicht in Panik, sondern behielt einen klaren Kopf. Sie spürte, wie ihr Herz schlug, aber sie schrie nicht, sondern rief nacheinander die Namen ihrer sieben Geißlein. Keines gab ihr eine Antwort. Erst als das jüngste an der Reihe war, hörte sie aus dem Uhrkasten ein leises “Mama?”

Obwohl sie die Antwort kannte, ließ sie ihr Kind erzählen, was genau passiert war. Die Geiß weinte bitterlich, behielt aber einen klaren Kopf. Und weil sie ihr Nähzeug gut pflegte, Schere, Nadel und Faden immer für den Notfall parat lagen, schaffte sie es, ihre Kinder, die heil geblieben waren, zügig aus dem Wanst des schlafenden Wolfes zu befreien. Sie füllte seinen Bauch mit Wackersteinen, die die Kinder eilig gesammelt hatten, und nähte ihn so gut zu, dass die Steine nicht herausfallen konnten.

Doch was nun? Wenn der Wolf auch tot war, so waren seine sterblichen Überreste noch immer im Brunnen, wohin sich das durstige Tier mit letzter Kraft geschleppt hatte. Anders als ihre Kinder, die nur kurz nach dem Unglück wieder übermütig gespielt hatten und jetzt eng aneinander gekuschelt tief schliefen, tat die Geißen-Mutter in der Nacht kein Auge zu. Es war entsetzlich, einen toten Wolf im Brunnen zu wissen. Das Dorf war längst an die Kanalisation angeschlossen, aber der letzte öffentliche Brunnen stand unter Denkmalschutz und wurde so gut gepflegt, dass sein Wasser zwar nicht den Menschen, aber den Tieren bekam. Wie sollte sie jemals wieder an das köstliche Wasser kommen? Und was war mit den alten Dorfbewohnern, die sich an sonnigen Tagen beim Brunnen trafen, bevor sie sich unter der Schatten spendenden alten Linde auf die Bank setzten?

An dieser Stelle schwieg das Märchen. Über den Brunnen mit dem toten Wolf darin war nichts weiter zu erfahren. Die Geiß kam ins Grübeln: Sollten ausgerechnet sie und ihre sieben Kinder diejenigen sein, die viele Jahre später das Märchen weiter erlebten und die Geschichte zu Ende erzählten?

Wie dem auch war: Sie musste die Angelegenheit öffentlich machen, es gab keine andere Wahl. Allerdings würde sie auf diese Weise die Menschen auf sich aufmerksam machen, und vielleicht wäre es dann mit der Waldeinsamkeit für immer vorbei. So bat sie am Morgen die Spatzen, in die nächstgrößere Stadt zu den Menschen zu fliegen und es von den Dächern zu pfeifen.

Da ein Notfall vorlag, stand schon nach wenigen Stunden eine Spezialeinheit des Gesundheits- und des Veterinäramts vor der Tür. Die alte Geiß führte die Personen zum Brunnen. Vermummte Hygienekontrolleure machten sich vor Ort ein Bild und informierten die Feuerwehr, die mit schwerem Gerät anrückte und die sterblichen Überreste des Wolfes aus dem Brunnen hob.

Drei Tage später wurde der Kadaver -nachdem man ihn auf Anzeichen von Tollwut untersucht hatte- der Tierverwertung zugeführt. So konnte sich, wie es hieß, das Biest posthum nützlich machen, auch bannte man auf diese Weise jegliche Verseuchungsgefahr. Der Brunnen wurde von Spezialkräften gründlich desinfiziert und wenige Tage später unter Vorbehalt wieder freigegeben.

Da der Wolf tot war, bräuchten die sieben Geißlein, wie der Leiter der Spezialeinheit ihnen mitteilte, keine Angst mehr vor ihm zu haben. Offenbar handelte es sich um einen alten Rüden, der kein Rudel mehr hatte und deshalb böse geworden war. Um die Gefahr weiterer Wölfe ausschließen zu können und die Sicherheit der Geißlein zu gewährleisten, hatte man den Wald Meter um Meter durchforstet. Bei der Aktion hatte man keinen Wolf, aber einige junge Menschen aufgestöbert, die ausgewandert, aber nicht weit gekommen waren.

Der Wald war frei von Wölfen. Die alte Geißlein spürte ihr liebendes Herz schlagen, aber sie behielt einen klaren Kopf. Sie nahm die Kinder mit in den Wald und zeigte ihnen, wie sie Futter finden konnten. Als die sieben Geißlein für sich selber sorgen konnten, ging sie auf eine kleine Reise. Eines Morgens nahm sie letztes Mal das kleinste Zicklein an ihre Zitzen und verabschiedete sich: “Auf Wiedersehen, meine lieben Sieben. Ich gehe zu den Menschen, aber ich bin bald wieder da. Wenn Menschen kommen, lasst sie ruhig ins Haus. Aber nehmt euch in Acht, wenn sie euch zu etwas einladen oder euch etwas schenken wollen. Wir müssen Zeit gewinnen, deshalb sagt:Wir sagen NEIN. Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

“Sind denn die Menschen nicht lieb?”, fragte das jüngste Geißlein.

“Eigentlich schon”, sagte die alte Geiß und seufzte. “Die Menschen werden nicht böse geboren, aber oft machen sie mit der Zeit so schlechte Erfahrungen, dass sie böse werden.”

“Schlechte Erfahrungen mit Wölfen?”, fragte ein Geißlein. Jetzt schüttelte die Geiß den Kopf und lachte.

“Und woher sollen wir wissen, wer böse ist?”, fragte ein anderes.

“Hört auf die Vögel”, sagte die Geiß. “Seid auf der Hut, wenn die Krähe siebenmal krächzt, doch freut euch, wenn die Amsel singt.”

Die Geiß machte sich auf den Weg. Aber sie setzte sich nicht in Bus oder Bahn, sondern begab sich ins Rathaus. Sie trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein und bekam als erste Ziege überhaupt das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Präsident war nicht persönlich erschienen, wohl aber die Bürgermeisterin.

Ebenfalls mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde der Inhaber eines Geschäfts für Karnevalsbedarf, der dem Wolf den sogenannten “magischen Strumpf” geschenkt hatte. Dieser Strumpf stellte inklusive Kunststoff-Klaue den unteren Teil eines Ziegenbeins dar, ließ sich leicht überstreifen und hatte dem Wolf wie angegossen gepasst. Ohne den genialen Geschäftsmann, so betonte die Bürgermeisterin in ihrer Rede, wäre die Geschichte wohl nicht so glimpflich verlaufen. Hätte der Verkäufer nicht dem Wolf geholfen, sich als Geiß zu verkaufen, hätte sich die Bestie über die Menschen hergemacht.

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Die großen Märchen erzählen nicht nur die eine, sondern viele Geschichten. Die Illustratorin Tatjana Hauptmann versteht es, mit Liebe zum Detail das scheinbar Nebensächliche in den Vordergrund zu holen. Warum warnen Krämer, Müller und Bäcker die Geißlein nicht, wo sie doch wissen, dass der Wolf was im Schilde führt und Geißlein seine Leibspeise sind? “Ja, so sind die Menschen”, heißt es im Märchen. Eine genauere Antwort gibt diese Illustration. Abfotografiert aus: Christian Streich (Hrsg.): “Das große Märchenbuch. Die schönsten Märchen aus ganz Europa”, mit Illustrationen von Tatjana Hauptmann. 

Die Verleihung dauerte bis zum Abend. Beim festlichen vegetarischen Dinner wurden mit Rücksicht auf die Geiß keinerlei tierische Produkte gereicht – inklusive der sonst üblichen Käseplatte mit Crottin de Chavignol, einer berühmten französischen Ziegenkäse-Spezialität mit echtem Ziegenaroma. Die Geiß wurde anschließend in ein Wellness-Hotel gebracht, wo man im zweiten Stock ein Zimmer artgerecht für sie hergerichtet, das Bett beiseite geschafft und die Schlafstelle mit Stroh ausgelegt hatte.

Das Zimmer war geräumig, was umso erstaunlicher war, da gemäß den EU-Rechtsvorschriften selbst im ökologischen Landbau eine Stallfläche von nur 1,5 Quadratmetern je Ziege das vorgeschriebene Minimum war. Den Wellness-Bereich durfte die Geiß aus Rücksicht auf andere Gäste nicht betreten, aber sie hatte eine große Badewanne für sich alleine. Sie würde sich ein paar Tage ausspannen. Und sie spürte, dass es sehr erholsam sein würde, einmal nicht für die Kinder sorgen zu müssen.

Bevor sie sich schlafen legte, kontrollierte sie noch kurz Tür und Fenster. Die Zimmertür war von außen verriegelt, aber die beiden großen Fenster ließen sich öffnen. Als sie jung war und noch keine Kinder hatte, hatte die Geiß, wenn Vollmond war, eine unendliche Sehnsucht verspürt. In sternklaren Nächten war sie schlafend durchs Haus gelaufen und hatte die Fenster, die so klein waren, dass kein Geißbock hätte hindurchklettern können, so weit aufgerissen, wie es nur möglich war.

Die alte Geiß spürte ihr liebendes Herz schlagen, aber sie behielt einen klaren Kopf. Anders als der Wolf würden die Menschen ihre Gier zügeln können. Sie zogen die Ziegenmilch dem Ziegenfleisch vor und gehorchten nicht nur der schieren Gier, sondern Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen. Die Menschen hatten ihr als erster Ziege überhaupt das Bundesverdienstkreuz verliehen, also würden sie ihr und den sieben Geißlein gegenüber gewisse Spielregeln einhalten müssen.

Am nächsten Morgen, während sie so tief schlief wie schon lange nicht mehr, war im Waldhaus bereits der Bär los bzw. die Ziege. Die sieben Geißlein hatten sich aus Tisch, Stühlen und Kochtöpfen einen Kletterhügel gebaut. “Kinder!”, schrie jemand vor der Tür, “könnt ihr mal leise sein?” Die Geißlein erschraken, und es wurde so still, dass sie durch die geöffneten Fenster hindurch eine Krähe krächzen hörten, die über das Haus hinweg flog. Die Ziegenkinder zählten mit: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben… Jemand klopfte energisch an die Tür. Als das älteste Geißlein aufmachte, traten zwei Menschen-Frauen ein, die eine dunkelhaarig, die andere blond.

“Ihr seht ja gar nicht böse aus”, sagte das jüngste Geißlein.

“Wir sind ja auch lieb”, sagte die eine der Frauen. “Und wir bieten euch unsere Hilfe an.”

“Wir kommen vom Jugendamt”, sagte die andere. “Ihr habt weder Hausnummer noch Klingel noch Strom noch fließend Wasser noch Telefon. Kopf hoch, das kriegen wir schon hin.”

Die Blonde lächelte: “Die Mama muss sich noch eine Weile ausruhen. Sie war ja völlig überfordert. Aber sagt, wer passt auf euch auf, wenn die Mama nicht da ist, wer sagt euch Bescheid, wenn ihr schlafen gehen sollt?”

“Wir sind doch nicht doof.”

Die Blonde lächelte noch breiter: “Ja, aber bis dahin muss jemand das Sorgerecht übernehmen. Aber sagt, wo ist der Papa?”

“Der baut leider immer wieder Bockmist”, sagte das älteste Geißlein.

“Also hat eure Mutter das alleinige Sorgerecht.”

“Sowas hat die Mama nicht.”

“Das werden die Experten klären”, sagte die Blonde und holte ein Blatt Papier aus der Tasche. “Könnt ihr bitte dieses Formular unterschreiben? Hiermit erklärt ihr, dass ihr Hilfe braucht. Klauenabdruck reicht.” Durchs Fenster hindurch hörten die sieben Geißlein das siebenmalige Krächzen der Krähe, die über das Haus hinweg flog.

Sechs Geißlein fingen an zu weinen, nur das älteste nicht. “Das unterschreiben wir nicht”, sagte es.

“Ihr braucht aber dringend professionelle Hilfe”, sagten die beiden Frauen.

“Brauchen wir nicht”, sagte das älteste Geißlein. “So ein Quatsch.”

Die Geißlein hörten auf zu weinen. “So ein Quatsch”, wiederholte das jüngste und lachte.

“So ein Quatsch”, wiederholten die anderen Geißlein.

Wir sagen NEIN”, sagte das älteste Geißlein. Und alle Geißlein fielen ein: “Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

Als die Frauen gegangen waren, waren die Geißlein wie erlöst. Sie riefen: “Die Menschen sind weg! Die Menschen sind weg!” Sie liefen aus dem Haus, rannten auf die Wiese und tanzten vor Freude um den Brunnen herum.

Wenige Tage später hörten die Geißlein, während sie frühstückten und sich dabei mit Brombeeren bewarfen, durch die geöffneten Fenster hindurch wieder die Krähe krächzen, die über das Haus hinweg flog: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben…. Das jüngste Geißlein öffnete die Tür, aber da war niemand.

“Wir sollten jetzt lieber aufräumen”, sagte das älteste Geißlein. Und das taten sie auch.

Als die Krähe eine Stunde später noch einmal siebenmal krächzend über das Haus flog, standen zwei Menschen vor der Tür. Die Geißlein ließen die Menschen ins Haus, einen Mann und eine Frau. Die beiden Menschen waren weiß gekleidet, trugen lange Hosen und geknöpfte Jacken: “Guten Tag, liebe Kinder.”

“Guten Tag auch”, sagten die Geißlein, “aber warum habt ihr weiße Klamotten an?”

“Aus Gründen der Hygiene”, war die Antwort. Die Frau rümpfte schnuppernd die Nase.

“Ich weiß, warum ihr weiße Sachen anhabt”, sagte das jüngste Geißlein und lachte. “Damit man fiese Flecken besser sehen kann.”

“Welche fiesen Flecken?”, fragte die Frau. “Was unterstellst du uns da?”

Jetzt lachten alle sieben: “Aber ihr habt da was.”

“Was?!” schrie der Mann.

“Krähenschiet”, sagte ein Geißlein. “Nehmt das nicht persönlich, ist uns auch schon passiert.”

“Lecker roter Brombeerschiet”, lachte das jüngste Geißlein. “Amsel-Kaka.”

“Iiieh!”, schrie die Frau und suchte sich und den Kollegen nach Flecken ab. “Da ist nichts. Wollt ihr uns an der Nase herumführen?”

Jetzt lachten alle sieben Geißlein und sangen: “Kirschenschiet, Walderdbeerschiet, Brombeerschiet, igittigitt, Amsel-Kaka, Krähenschiet, Vogelschiet, igittigitt, Kirschenschiet, Walderdbeerschiet, Brombeerschiet, igittigitt, Kirschenschiet…”

“Pst”, unterbrach die Frau. “Schafft ihr es, kurz ruhig zu sein? Wir möchten euch etwas mitteilen.”

“Meinetwegen”, sagte das älteste. “Aber mach’s kurz.”

“Liebe Kinder, hört uns zu. Wir brauchen von euch eine Ziegenmuttermilch-Verzichtserklärung. Die Milch eurer großartigen, klugen und couragierten Mutter dürfte eine besondere sein. Wir wollen sie erforschen und entschlüsseln.”

“Mamas Milch gehört mir”, sagte das jüngste Geißlein. “Ihr kriegt keine Verzitzicherung.”

“Verzichtserklärung”, sagte die Frau. “Du weißt ja nicht einmal, wovon du redest, mein Kind. Du denkst nur an dich. Dabei müssen wir doch zusammenhalten.” Die Frau schob die Unterlippe vor. “In den Laboren ist schon alles vorbereitet, die Forschungsprojekte sind finanziert. Wir haben namhafte Sponsoren gewinnen können. Jetzt fehlt nur noch…” Sie schaute ihren Kollegen aufmunternd an.

“Die Ziegenmuttermilch-Verzichtserklärung”, ergänzte der Mann. “Seht ihr, was ihr angerichtet habt? Liebe Kinder, wir müssen doch kooperieren. Wir werden jeden Tag bei euch vorbeikommen und eurer Mutter etwas Milch abnehmen. Aber wir fassen eure Mutter nur mit antiseptischen Samthandschuhen an.” Er zwinkerte mit dem Auge. “Aus Kunststoff natürlich. Mit Hilfe der wunderbaren Milch eurer wunderbaren Mutter werden wir die Formel finden und den Welthunger besiegen können. Wollt ihr das nicht?”

Die Geisslein zuckten zusammen. “Ich will zu meiner Mama”, sagte das jüngste.

Jetzt schrie der Mann: “Ihr wollt wohl nicht teilen. Wollt ihr alles für euch behalten, wollt ihr für den Hunger von Millionen Menschen-Kindern verantwortlich sein?”

“Das wollen wir nicht”, sagte das älteste Geißlein. “Aber das sind wir auch nicht. Was Sie sagen, ist leider wissenschaftlich nicht haltbar. Wir sagen NEIN. Wieder fielen alle Geißlein ein: “Das hätten wir gerne amtlich. Schicken Sie uns einen Brief: Zu Klauen sieben Geißlein. Mit Datum, Stempel, Unterschrift. Denn alles muss seine Ordnung haben. Mäh, mäh.”

Als die beiden Menschen gegangen waren, waren die Geißlein wieder wie erlöst. Sie riefen: “Die Menschen sind weg! Die Menschen sind weg!” Sie liefen aus dem Haus, rannten auf die Wiese und tanzten vor Freude um den Brunnen herum.

Am Sonntag war die Luft rein. Die Geißlein hatten lange geschlafen, denn am Wochenende würden die Mitarbeiter der Ämter kaum vorbeikommen. Sie sehnten sich nach ihrer Mutter, die so lustig sein konnte, lecker kochte und jetzt schon eine Woche weg war. Jemand klopfte an die Tür, die nur angelehnt war. Die Amsel mit dem goldenen Schnabel sang der Singvögel Hochzeitslied, so schön. Eine dunkle Pfote wurde sichtbar. “Darf ich reinkommen? Mein Name ist Metis. Ich bin eine Wölfin.”

“Kannst reinkommen”, sagte das jüngste Geißlein und schluckte, denn die Wölfin, die sich ins Haus schleppte, war groß, ihr Fell dunkel.

“Ich habe Durst”, sagte die Wölfin mit heiserer Stimme. “Habt ihr Wasser für mich? Alle Bäche sind ausgetrocknet.”

Die Geißlein füllten einen großen Topf mit Brunnenwasser. Die Menschen tranken Leitungswasser und gossen nur noch ihre Pflanzen damit, aber für Ziegen und Wölfe war das Brunnenwasser durchaus bekömmlich. Die Wölfin trank den Topf leer und sagte höflich: “Danke.”

“Warum hast du so große Zähne?”, fragte ein Geißlein.

“Damit ich besser beißen kann. Kein Bange. Ich habe euch zum Fressen gerne, aber ich fresse euch nicht.” Die Wölfin lächelte und zeigte ihre großen Zähne. “Außerdem bin ich satt. Ich habe vorhin ein verletztes Kaninchen… Tut mir leid.”

“Das muss dir nicht leid tun”, sagte ein Geißlein. “Selbst die Singvögel fressen Tiere. Sie füttern ihre Jungen mit Würmern, weil die Würmer lecker weich sind. Vögel haben leider keine Milch. Außerdem kann ja nicht jedes Tier so vernünftig sein wie wir Ziegen.”

“Der Wolf, der euch verschlungen hat, war kein gewöhnlicher Wolf”, sagte die Wölfin. “So irre ist kein Tier, das man nicht verrückt gemacht hat. Die Menschen müssen ihn zum Selbstmordattentäter abgerichtet haben. Ein gewöhnlicher Wolf würde niemals sieben Geißlein auf einmal verschlingen. Er würde sich… ” Die Wölfin schluckte und sprach leise weiter: “Ein gewöhnlicher Wolf würde sich ein einzelnes Geißlein vornehmen und es zwischen den Zähnen…”

“Bist du wohl ruhig!”, schrieen die Geißlein und hielten sich die Ohren zu.

“Ich wollte euch nicht zu nahe treten”, sagte die Wölfin. “Aber ich glaube, ihr habt einen verdammt guten Schutzengel. Sonst hättet ihr die Gier des Wolfes wohl kaum überlebt.”

“Hä?” Das jüngste Geißlein lachte: “Bei dir piept’s wohl.”

“Ich weiß, dass euch himmlische Energien geholfen haben”, sagte die Wölfin.

Jetzt kugelten sich die Geißlein vor Lachen, sechs von den sieben rannten aus dem Haus und auf die Wiese. Endlich spielen! Das Wetter war schön und diese Wölfin wirklich ein bisschen bescheuert. Aber so waren die Erwachsenen eben.

“Was ist los mit den Menschen?”, fragte das älteste Geißlein, das bei der Wölfin geblieben war.

“Die Menschen-Männer sind nicht satt zu kriegen”, sagte die Wölfin. “Das macht sie gefährlich. Vor lauter Geld sind sie blind für den Reichtum der Welt, und in ihrer Liebe zur Technik nehmen sie die Schönheit der Natur nicht mehr wahr. Doch weil sie ihre Männer trotz alledem lieben, ziehen die Frauen mit in den Krieg gegen die Menschen und die Tiere. Sie vergessen, dass sie Frauen sind. Dabei verraten sie ein Gefühl, das alle Frauen haben, ob sie Mutter sind oder nicht: Die Mutterliebe.”

“Darüber muss ich noch nachdenken”, sagte das Geißlein.

Die Wölfin zeigte lächelnd die Zähne. “Aber jetzt hol deine Geschwister. Wir wollen doch die Mama aus der Geiselhaft befreien.”

Das älteste Geißlein erschrak. “Die Mama ist doch nicht in Geißenhaft”, sagte es.

“Was glaubst du denn, wo sie ist?”, fragte die Wölfin. Das Geißlein lief schnell nach draußen und holte seine Geschwister. Sehr ernst setzten sich die sieben Geißlein zu Metis in den Kreis, hielten sich an den Klauen und schlossen die Augen…



Wenig später war zu lesen, dass die Geiß, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, aus der Wellness-Oase verschwunden sei, spurlos. Die Verantwortlichen machten sich große Sorgen, denn die Fenster waren weit geöffnet gewesen. Vermutlich war die Geiß aus dem Fenster gefallen, woraufhin ein streunender Aasfresser, vermutlich ein Wolf, ihr Fleisch in sein Versteck geschleift hatte.

Verschwörungstheoretikern fiel auf, dass unter dem Fenster keine Spuren zu finden waren. Sie sprachen von einem fliegenden Teppich, auf dem die Geiß geflohen sein könnte. Viele verrückte Ideen wurden geäußert. Und das fliegende Rettungsboot aus lauter Vögeln, aus Krähen, Amseln und Spatzen, aus Lachmöwen und Halsbandsittichen, das ein alter Mann gesehen haben wollte, gab es nur im Märchen.

Noch etwas war nicht mehr zu finden: Das Waldhaus. Die Navigationssysteme zeigten Standort und Weg an, aber ein Polizeiwagen war im Morast steckengeblieben, was angesichts der anhaltenden Trockenheit erstaunlich war. Ausgeschickte Drohnen verschwanden spurlos.

Man hatte die Geiß und die sieben Geißlein nie wieder gesehen. In der Nähe des Brunnens jedoch entdeckte man immer wieder frische Ziegenhuf-Spuren.

In dem Moment, als Karl Lauterbach mit dem Aufzug steckenblieb, bekam ich Corona

Angefangen hatte es mit extremer Müdigkeit. Ich verschlief einen ganzen Sommer-Sonntag. Zwei Tage lang konnte ich nur wenig essen, und ich verschmähte mein Leibgetränk Rotwein. Am dritten Tag war zwar der Appetit wieder da, aber der Wein aus dem Languedoc schmeckte nicht mehr leicht herb nach meinen Lieblings- Trauben Syrah und Grenache, sondern seltsamerweise nach Merlot, jener Mainstream- Rebsorte, deren klangvoller Name daher rührt, dass die Amsel (franz. merle) eine Vorliebe für die dünnschaligen Weintrauben hat. Was war los, würde der Wein mir niemals mehr munden – oder hatte ich Corona? Als dann ein leichter Schnupfen hinzukam, schöpfte ich Hoffnung auf Omikron und bin ins Testzentrum gegangen.

Vorher hatte ich mich im Internet über die neuen Quarantäne-Bestimmungen kundig gemacht. Die “Geimpften” und “Geboosterten” haben keine Vorteile mehr gegenüber uns “Ungeimpften”. Für alle positiv Getesteten endet die Quarantäne ohne verpflichtenden Test “automatisch” nach zehn Tagen, aber nach fünf Tagen Isolation kann man sich “freitesten”.

Das Gesundheitsamt sieht mittlerweile von Hausbesuchen ab. “Das haben wir früher gemacht”, sagte die junge Frau, die nach einem positivem Schnelltest bei mir einen Abstrich für den PCR-Test nahm. “Aber das war übertrieben. Wir gehen davon aus, dass Sie sich verantwortlich verhalten.”

Dieser Abstrich für den PCR-Test fühlte sich nicht an wie der, den ich vor einem knappen Jahr als “Kontaktperson” über mich ergehen lassen musste, sondern eher wie der für den “Antigen-Schnelltest.” Die Frau hielt sich via Teststäbchen nur kurz in meiner Mundhöhle auf, um direkt anschließend ins linke Nasenloch zu wechseln. Es war erträglich, sie bohrte nicht tief. Meine Frage, ob sich die Gebrauchsanleitung für den Abstrich innerhalb des letzten Jahres geändert habe, bejahte die Frau: “Die Abstriche wären so nicht nötig gewesen. Damals waren wir nicht zimperlich, da sind wir ja den Leuten ins Gehirn gegangen.”

Was sie sagte, entsprach dem, was meine jüngere Tochter und ich im letzten Jahr als weder infizierte noch infektiöse “Kontaktpersonen” während unserer zweiwöchigen (!) Quarantäne erlebt hatten. Am Morgen nach dem Haus(Türschwellen-)besuch des Gesundheitsamts und dem PCR-Test-Abstrich zwischen Tür und Angel war nicht nur das rechte Auge (Abstrich-Seite) meiner Tochter gerötet, sondern sie verspürte tagelang einen stechenden Schmerz im Hals. Dass Abstriche für PCR-Tests richtig brutal sein können, “musste eine meiner Schwippschwägerinnen erfahren. Bei ihr wurde ein Nerv getroffen. Nachdem sie sich vor ein paar Jahren die Nase gebrochen hat, sieht der Innenraum ihrer Nase anders aus als die Norm-Naseninnenräume auf den Abbildungen in den Fachbüchern. Das medizinische Personal müsste für den Fall, dass man solche Eingriffe überhaupt vornimmt, dringend angehalten werden, nach Vor-Verletzungen zu fragen!” https://stellwerk60.com/2021/08/30/hoemma-lisa-deine-tochter-hat-delta-und-du-laedst-mich-nicht-zur-viren-party-ein-kniesbueggel-eine-begegnung-mit-der-frau-keuner/

Zwei Tage nach meinem Besuch im Testzentrum war der positive Labor-Befund da. Der gelassene Mitarbeiter des Kölner Gesundheitsamts, der mich anrief, bestätigte ebenfalls meine Vermutung, dass es mittlerweile, was den PCR-Test betrifft, neue Vorgaben für eine sanftere Durchführung des Abstrichs gibt. Doch anders als die Frau im Testzentrum wies er alle Verantwortung von sich. Es sagte etwas wie: “Damals war eben alles neu für uns.” Mit anderen Worten: “Wir mussten noch üben.”

Leider konnte man mir nicht sagen, an welcher Virus-Variante bzw. Untervariante ich “litt”, weil man nur noch Stichproben durchführt. Das ist meines Erachtens fahrlässig, denn der Unterschied zwischen Delta und Omikron ist -so ist es zu lesen, zu hören, und so habe ich es selber erlebt- etwa wie der zwischen Grippe und grippalem Infekt. Ich finde, der Mitarbeiter des Gesundheitsamts hätte mich aufklären und beruhigen müssen: “Wenn sie sich gut auf den Beinen halten können und in der Lage waren, froh und munter mit dem Fahrrad zum Testzentrum zu fahren, ohne vom Rad zu fallen, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Höchstwahrscheinlich ist es die harmlose Omikron-Variante, denn glücklicherweise hat Omikron die Delta-Variante fast vollständig verdrängt.”

Vor einem knappen Jahr noch machte man eine regelrechte Aufspür-Jagd auf die Virus-Variante, die man “Delta” nannte und die die Ur-Variante “Alpha” im Sommer 2021 allmählich ablöste. Es hieß, dass man für den Abstrich bis an die hintere Rachenwand und den tiefsten Winkel vordringen müsse, um ein sicheres Test-Ergebnis zu erzielen. Das wäre nicht nötig gewesen, was man schnell hätte herausfinden können, doch im Namen einer vermeintlichen Sicherheit und wissenschaftlichen Genauigkeit agierte man hyperkorrekt.

Die deutsche Gründlichkeit machte nicht einmal vor Kleinkindern halt. Unten stehende Info-Grafik, die demonstriert, wie ein Abstrich für den PCR-Test genommen wird, wurde gleich zweimal -zur Bebilderung zweier verschiedener Artikel- in der “Apotheken-Umschau” veröffentlicht, im November 2020 und im Juni 2021.

Mithilfe moderner Info-Grafiken werden heutzutage komplexe medizinische Themen bildlich dargestellt, damit sie auch für den Laien verständlich sind, doch viele dieser Bilder sind verstörend und schamverletzend. Sie werfen einen fragwürdigen Blick in Körperinnenräume und manipulieren unsere Wahrnehmung. Hier wird der unangenehme, tief in den Kopf eindringende Abstrich für den PCR-Test banalisiert und der Eingriff zu einer Lappalie heruntergespielt:

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Eine grenzüberschreitende Abbildung eines grenzüberschreitenden Eingriffs. Medizinisch legitimiert dringt “der Arzt” mit dem “Stäbchen” in ein Kind ein…  So tief, bis es nicht mehr weiter geht: Bis zum Anschlag. Auf der Grafik bleibt “der Arzt” unsichtbar, was den Vorgang umso unheimlicher macht. Wir sehen Marie (wie ich sie nenne), ein tapferes, gehorsames, allzeit bereites  PCR-Mädel. Marie, die mich an die  beliebte Mädchenbuch- Figur “Conni” erinnert (“Conni lernt Radfahren”, “Conni macht Mut in Zeiten von Corona”…), gibt es nicht wirklich, denn Marie ist am Computer entworfen.  Zunge, Gaumen und Rachen sind farblich abgestimmt auf Maries rosafarbenes Hemdchen und das hellrote Haarband. Ihr Blick ist nach vorne gerichtet, sie schaut fast versonnen. Ihr zartes Köpfchen ist wie gemacht für den Abstrich.                                                         Ich finde diese Grafik entsetzlich. Für kleine Kinder sind Abstriche für den PCR-Test eigentlich unzumutbar, zumal ihnen Corona kaum etwas anhaben kann. Aber auch durch weniger invasive Abstriche, wie sie routine- und regelmäßig an den Schulen durchgeführt wurden, erleiden Kinder seelische Verletzungen, psychische Mikro-Traumata, die Narben hinterlassen.                                         Diese Info-Grafik ist nicht nur widerlich, sondern untergründig pornografisch – unter dem Deckmantel der Medizin. Ich stelle mir gestörte Männer vor, deren sadistisch-perverse, voyeuristische Gelüste hier Nahrung finden und auf einen Klick immer wieder neu angestachelt werden: Aufgespießt. Auch wenn die Grafik “realistisch” ist,  finde ich, dass sie aus dem Netz genommen werden müsste. Solche Bilder sind gefährlicher als Fake-News.

Die kriegerische Corona-Politik der Bundesregierung, die noch in der harmlosen Omikron-Variante den Feind wittert, korrespondiert mit der aggressiven Kriegspolitik. Ich freue mich über alle Menschen, die sich dieser Kriegspolitik entgegenstellen. Es gibt sie noch.

Mit “Frieden und Gerechtigkeit” ist eine pazifistische Stellungnahme überschrieben, die die Zeitschrift EMMA am 23. Juni dem offenen Brief an Olaf Scholz ergänzend hinzugefügt hat: “Zu einem sofortigen „Verhandlungsfrieden“ statt einem nicht endenden Zermürbungskrieg rät eine Gruppe internationaler katholischer Wissenschaftler, Politiker und Ethiker nach einer zweitägigen Sitzung in Vatikanstadt.” Der ganze Text: https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz/u/30687128

Die Bundesregierung heizt den Krieg nicht nur mit Waffenlieferungen an. “Die Ukraine braucht humanitäre Hilfe genauso dringend wie unsere militärische Unterstützung“, sagte Karl Lauterbach in einer Pressemitteilung. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/bundesgesundheitsminister-lauterbach-in-der-ukraine-das-land-braucht-auch-humanitaere-hilfe.html

Aber was meint der Bundesgesundheitsminister mit “humanitäre Hilfe”? Für Lauterbach ist die “humanitäre Hilfe” insbesondere eine medizinisch-technische. Konkret sieht es so aus, dass in der Ukraine nicht nur deutsche Notfallmediziner zum Einsatz kommen, sondern Container-Werkstätten errichtet werden, wo Prothesen der deutschen Firma Otto Bock hergestellt werden. “Auf Vermittlung des Bundesgesundheitsministeriums bieten sich über die Bundesärztekammer 200 Chirurgen und Notfallmediziner für den Einsatz in der Ukraine an.” (Pressemitteilung, ebd.)

Das Unternehmen Otto Bock “… wurde am 13. Januar 1919[4] als Orthopädische Industrie GmbH von dem Unternehmer Otto Bock in Berlin gegründet, um die vielen Tausend Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs mit Prothesen und orthopädischen Produkten zu versorgen.[5]https://de.wikipedia.org/wiki/Ottobock Der Krieg in der Ukraine wird der orthopädischen Industrie weiter Aufschwung geben. Wie kann man, ohne den Begriff zu relativieren und zu hinterfragen, bei der Versorgung mit Prothesen von “humanitäre(r) Hilfe” reden? Mich entsetzt die Vorstellung, dass schon kleine Kinder zu Kriegsinvaliden werden. Warum tut man nicht alles, um den Krieg zu beenden, zu verhindern, dass Kinder beim Spielen auf Minen treten und Gliedmaßen verlieren. Und warum nimmt man in Kauf, dass die Kinder aus Angst vor Minen auf unabsehbare Zeit gar nicht mehr draußen spielen können?

Dabei ist die Beinprothese Karl Lauterbachs persönlicher Alptraum. Ein traumatisches Kindheitserlebnis, das er in seiner Biografie “Bevor es zu spät ist” beschreibt, hat ihn bewogen, Medizin zu studieren. “Als Lauterbach 13 Jahre alt war, diagnostizierten Ärzte an seinem Knie eine Knochenzyste und warnten, sein Bein müsse eventuell amputiert werden. Zunächst ein großer Schock, doch später stellte sich die Besorgnis als unbegründet heraus. Die Zyste war gutartig.https://www.focus.de/kultur/medien/karl-lauterbach-mit-13-jahren-erhielt-er-eine-krebsdiagnose_id_59138982.html Die völlig unverantwortliche “Diagnose” der Ärzte und die Androhung der Amputation dürften den jugendlichen Karl Lauterbach schwer traumatisiert haben. Hinzu kam eine schlecht ausgeführte Operation, denn “es habe sich ein Hospitalkeim eingenistet. Wochenlang lag er deswegen mit einer offenen Wunde an der Hüfte in der Klinik.” https://www.welt.de/politik/deutschland/article237115415/Karl-Lauterbach-wollte-nach-Krebsdiagnose-Arzt-werden.html

Wir haben einen Bundesgesundheitsminister, der in früher Jugend eine persönliche Katastrophe mit rücksichtslos agierenden Ärzten erlebt hat. Mit Lauterbachs traumatischer Erfahrung ist seine autoritäre, permanent grenzüberschreitende Gesundheitspolitik zwar zu erklären, aber nicht zu billigen. Gerade nach einem solchen Erlebnis wäre eine gewisse Zurückhaltung dringend geboten. Das Gegenteil ist der Fall.

Ich halte den Mann für gefährlich. Lauterbach dürfte dafür gesorgt haben, dass die STIKO am 24.5.2022 eine allgemeine Corona-Impfempfehlung für 5-11jährige herausgegeben hat. Wir erinnern uns: Lediglich mit dem Hinweis darauf, dass eine allgemeine Impfempfehlung zu erwarten sei, hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach Ende 2021 gesunde Kinder dieser Altersstufe medienwirksam geimpft, obwohl es zu dem Zeitpunkt (und noch monatelang!) nur eine eingeschränkte Empfehlung gab. Indem er die Kinder eigenhändig geimpft hat, hat es Lauterbach sozusagen persönlich übernommen, (s)eine allgemeine Impfempfehlung auszusprechen. Handelt es sich hier nicht um Amtsmissbrauch? Karl Lauterbachs eigenmächtige Impf- Werbeaktion wurde jedoch kaum kritisiert und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass in Deutschland viele gesunde Kinder “ohne Indikation” geimpft wurden.

Für mich kam die allgemeine Corona-Impfempfehlung für 5-11jährige (eine einzelne Impfung) am 24.5.2022 völlig überraschend, denn im Frühjahr 2022, als klar geworden war, dass die Omikron-Variante für Kinder noch einmal deutlich harmloser ist als DELTA, hatte die abwartende STIKO klar zurückgerudert. “Angesichts der deutlich milderen Verläufe mit der Omikron-Variante will die Ständige Impfkommission (Stiko) eine neue Empfehlung für Kinder und Jugendliche aussprechen. Dies berichtete zunächst das Nachrichtenmagazin „Focus Online“ mit Verweis auf das Robert-Koch-Institut (RKI).” https://www.welt.de/politik/deutschland/article237895813/Coronavirus-Stiko-plant-neue-Impf-Empfehlungen-fuer-Kinder-und-Jugendliche.html

Diese “neue Empfehlung” wäre allerdings keine allgemeine Impfempfehlung gewesen, sondern ihr Gegenteil: “Ob die Stiko die Empfehlungen verändern wird, sei unklar. Nach Informationen von „Focus“ könnte es darauf hinauslaufen, keine „Bedarfsempfehlung“ mehr zu geben. Das würde eine Abkehr von einer allgemeinen Empfehlung hin zu individuellen Faktoren bedeuten.” (welt.de, s.o.)

Völlig überraschend und in keiner Weise mehr nachvollziehbar hat die STIKO ausgerechnet jetzt, wo die Kinder dank Omikron nur noch äußerst leicht an Corona erkranken, eine absolute Kehrtwende gemacht. Ein Skandal, wie ich finde! Und wenn auch, was Kinder betrifft, laut Studien keine gravierenden Impf-Nebenwirkungen zu erwarten sind, wissen wir doch nach wie vor nichts über eventuelle Langzeitschäden. Was hinter den Kulissen passiert ist, kann man sich ausmalen, wird aber geheimgehalten.

Beim heutigen Blick auf die Aktienkurse fällt mir auf, dass der DAX klar geschrumpft, die Biontech-Aktie aber ebenso deutlich gestiegen ist. Ich frage mich, warum, und lese, dass die US-Regierung im großen Stil weiteren Corona-Impfstoff von “Pfizer” und “Biontech” für eine geplante Booster-Kampagne im Herbst bestellt hat. “Konkret gehe es um mindestens 105 Millionen Dosen und ein Vertragsvolumen von über 3,2 Milliarden Dollar (3,1 Mrd Euro), teilten die Unternehmen und die Regierung am Mittwoch mit. Die Lieferungen sollen im Spätsommer beginnen und Impfstoffe sowohl für Erwachsene als auch für Kinder enthalten. Laut Pfizer-Chef Albert Bourla geht es dabei auch um Mittel, die speziell gegen neuartigere Virusvarianten wie Omikron schützen könnten. Der Deal umfasst eine Kaufoption für weitere bis zu 195 Millionen Dosen, wodurch der Gesamtumfang auf 300 Millionen Dosen ansteigen könnte./hbr/DP/stkhttps://www.boerse.de/nachrichten/USA-bestellen-Pfizer-Biontech-Impfstoff-fuer-3-2-Milliarden-Dollar/33920255

Nicht zufällig folgt der Deal auf die neue Empfehlung der US-Gesundheitsbehörde CDC. Die CDC sprach sich am vergangenen Samstag für den Einsatz von Coronavirus-Impfstoffen bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren aus. “US-Präsident Joe Biden nannte die Entscheidung einen “riesigen Schritt nach vorn im Kampf unseres Landes gegen das Virus”. Für die Eltern im Land sei dies ein Tag der Erleichterung. (dpa)” https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/krankheiten-wegen-corona-impfung-us-politiker-zofft-sich-mit-elmo-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220630-99-856472

Der riesige Schritt “nach vorn im Kampf unseres Landes gegen das Virus”. Was der ebenfalls lebensgeschichtlich schwer traumatisierte US-Präsident Joe Biden von sich gibt, der die US-Amerikaner zur Baby-Impfung aufruft, ist schwülstig und irrational. Welche Kämpfe werden da gefochten, hat Joe Biden immer noch nicht begriffen, dass Omikron kein Feind ist, den man bekämpfen muss? Ist der US-Präsident noch bei Sinnen, weiß er, was er da sagt?

Der Milliarden-Deal zwischen Biontech/Pfizer und US-Regierung ist eine Erneuerung der deutsch-amerikanischen Impf-Freundschaft, was Lauterbach ebenso gefreut haben dürfte wie das “Ja” der US-Gesundheitsbehörde zur Corona-Baby-Impfung. Leider hat Lauterbach, der ja sonst permanent twittert, die CDC-Entscheidung -soviel ich weiß- nicht öffentlich kommentiert.

Kurz vor Ende seiner Kriegs-Geschäftsreise in die Ukraine jedoch setzte Lauterbach bei der Besichtigung eines Krankenhauses in Lwiw am 10. Juni noch einen bemerkenswerten Tweet ab: “Die Kliniken waren in einem bescheidenen Zustand. Hier stecke ich mit Gesundheitsminister Victor Lyaschko im Aufzug fest, der ruckartig 1 Meter absackte. Rausklettern wollte zunächst niemand…

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Ebenfalls im Aufzug steckengebliebener, hochgereckter Lauterbach-Daumen. Das komplette Bild in guter Qualität: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1535361746294259720

Nun sind die deutschen Kliniken, wie wir wissen, in einem mehr als bescheidenen Zustand. Der schöne Schein medizinischer Hochtechnologie kann den Pflegenotstand schon lange nicht mehr verdecken. Das kalte, profitorientierte deutsche Gesundheitssystem bräuchte dringend humanitäre Hilfe.

Wie dem auch sei: In dem Moment, als Karl Lauterbach im Aufzug stecken blieb, bekam ich Corona.

V err ÄTERINNENTAG – Ein fieses verdecktes Foul in der ASTRA-Plakat-Werbung

Mit Christi Himmelfahrt verbinde ich: Katholischer Feiertag, schulfrei, Erstkommunion 1967, Familienfeste, gutes Wetter. Später dann: Langes Wochenende, Spargel, ausnahmsweise Weißwein, Kulturelle Landpartie im Wendland. Frühling…

Dass der christliche Feiertag zugleich Vatertag ist, habe ich erst realisiert, als ich erwachsen war. Und ich dachte, er wäre erfunden worden, damit sich die Väter gegenüber den Müttern mit ihrem Muttertag nicht benachteiligt fühlen. Dass der Vatertag bereits im späten 19. Jahrhundert eingeführt wurde -und zwar als PR-Event (!)-, weiß ich nur aus dem Internet.

In einem munteren Artikel auf tagesspiegel.de vom 28. Mai 2015 heißt es zur Idee des deutschen Vatertags: “Es ging den Erfindern, wie wir hörten, um die rituelle Einführung der Söhne ins sachgemäße Saufen – das gibt und gab es nur in Deutschland. Und Berlin als Epizentrum dieser Bewegung erklärt sich praktisch von selbst: Die unzähligen Brauer der wachsenden Metropole mussten sich Absatzmärkte schaffen und erfanden dafür offenbar eine Frühform der PR-Kampagne; ähnlich, wie später der Blumenhandel den Valentinstag für seine Zwecke instrumentalisierte.https://www.tagesspiegel.de/berlin/tradition-des-vatertags-als-die-soehne-saufen-lernten/11769828.html

Männerausmärsche an Christi Himmelfahrt gab und gibt es auch unabhängig vom Vatertag. Ich kenne sie aus meiner frühen Kindheit in den 1960er Jahren. Mein Großvater Josef (1883-1968) hat sich jedes Jahr an Christi Himmelfahrt, nachdem er in der Kirche war, mit anderen älteren Herren getroffen, um spazieren zu gehen. Die Herren, darunter einige pensionierte Gymnasial-Lehrer, trugen keine Freizeitkleidung, sondern ihre Sonntagsanzüge. Schließlich war Feiertag. Als Respektspersonen hätten sie niemals in aller Öffentlichkeit Bier aus der Flasche getrunken oder einen Bollerwagen hinter sich her gezogen. Dennoch hat der Alkohol eine Rolle gespielt. Die Herren klapperten die Häuser ihrer Familien ab, wo sie an der Haustür mit “Kurzen” versorgt wurden. Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie sämtliche Pinnchen, die wir haben, auf ein Tablett stellt und mit Korn füllt.

Am deutschen Vatertag hingegen wird vor allem das Nationalgetränk Bier getrunken, so viel, dass die Tage vor dem Vatertag zu den umsatzstärksten im ganzen Jahr zählen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Brauerei ASTRA im Jahr 2019 den Vatertag dafür genutzt hat, auch in Köln-Nippes mithilfe eines einschlägigen Großplakats dem Regionalgetränk Kölsch Konkurrenz zu machen.

Im Mai 2019 bin ich auf meinem Gang zur Sonntags-Bäckerei einige Male auf das Plakat zugelaufen. Es hing rundum Christi Himmelfahrt an der Plakatwand schräg gegenüber vom Hospiz St. Marien am Eckhaus Kempener/Simon-Meister-Straße. Die Fußgängerampel an der Kempener Straße ist so geschaltet, dass man minutenlang warten muss, bis sie auf “grün” springt. So war ich genötigt, beim Überqueren der Straße sehr lange auf das Plakat zu gucken. Überschrieben war es mit einem kalauernden Slogan: “HODENLOSE FRECHHEIT: ASTRA FEIERT VÄTERINNENTAG!”

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Ein Hintern als Eye-Catcher. Das soft-pornografische Plakat wäre jetzt – drei Jahre später- undenkbar, denn die heruntergelassene Hose korrespondiert mit dem berühmten hochgekrempelten Ärmel: Impf mich!

Auf den ersten Blick fand ich das Plakat ganz lustig, denn es erinnerte mich an den “Asi-Tag” im Rahmen der Abitur-Mottowoche. In der Mottowoche, die an vielen deutschen Schulen stattfindet und in der Regel mit der allerletzten regulären Schulwoche zusammenfällt, verkleiden sich die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten an jedem Tag nach einem anderen Motto, etwa als Vampire oder Greise – oder eben als Asis oder Schlampen. Auch meine beiden Töchter hatten Spaß daran, es vor den Abiturprüfungen noch mal krachen zu lassen.

Vermutlich hatten auch die drei Frauen, die wir auf dem ASTRA-Plakat sehen, beim Posieren Spaß. Sie mimen Schlampen, haben knallrot lackierte Fingernägel und sind überzogen und geschmacklos verkleidet, Farben und Muster beißen sich. Die Szenerie wirkt gestellt, was sie auch soll, denn es ist eh nur ein Spiel. Die Frauen machen das, was am Vatertag sonst nur die Männer machen: Sie lassen die Sau raus.

Das Plakat erzählt eine kleine Geschichte: Die Frauen haben Bierkästen auf einen Bollerwagen gepackt und sind losgezogen. Weit sind sie nicht gekommen. In einer schäbigen Grünanlage haben sie eine olle Picknickdecke ausgebreitet und sich auf den Boden geknallt. Eine total-tätowierte Dünne trägt ein ärmelloses Karo-Top, ein knappes Leoparden-Höschen und eine Gitterstrumpfhose. Sie hat den rechten Arm lässig auf den Rand des Bollerwagens gelegt, während sie mit der linken Hand eine Flasche ASTRA-“Urtyp” an den gespitzten Mund setzt: Sie tut nur so, als ob sie trinkt, denn es ist eh nur ein Spiel.

Die Dickere neben ihr trägt Brille, Käppi, Ohrringe, einen leuchtend orangenen Blouson, eine Trainingshose und weiße Sport-Schuhe. Es ist ihr wurst, wie sie aussieht, denn es ist eh nur ein Spiel. Man könnte denken, sie hebe mahnend den Zeigefinger, aber sie hebt nicht nur den einen, sondern gleichzeitig den kleinen. Mit Zeigefinger und kleinem Finger formt sie eine sogenannte “Mano cornuta”. “Die corna (ital. ‚Hörner‘) oder mano cornuta (ital. ‚gehörnte Hand‘) ist eine in Italien übliche vulgäre Geste, aber auch ein Handzeichen mit diversen Bedeutungen, beispielsweise in der Metal– und Rock-Szene.https://de.wikipedia.org/wiki/Mano_cornuta

Eine kräftige dritte Frau (oder ist es die ins Bild montierte zweite?) sehen wir nur von hinten. Sie trägt eine vierfarbige wattierte Jacke, die aussehen soll wie frisch aus dem Altkleidersack, eine kurze schwarze Fußballhose und rot-weiße Stutzen. Sie hat die Hose heruntergezogen und streckt uns den kräftigen, nackten Hintern entgegen, ohne Tattoo, “glatt wie ein Kinderpopo” – außer der zarten Andeutung eines Tanga-Bikinistreifens. Alles soll unecht wirken, denn es ist eh nur ein Spiel.

Anders als Wein löscht Bier den Durst. Biertrinken ist nicht elitär, auch das gefällt mir. Biertrinken gehört zu den billigsten Wegen, besoffen zu werden. Und anders als beim Kauf von Wodka wird man nicht schief angeguckt, wenn man Bierflaschen aufs Kassenband legt. Die ASTRA-Werbeplakate jedoch sind nicht lebensnah, sondern vulgär. Die billige Kopie des Kiezes ist abgeschmackt, auch wenn sie intelligent gemacht ist und ironisch daherkommt. Dass ASTRA Hauptsponsor des Zweitliga-Vereins FC Sankt Pauli ist, hält mich dennoch nicht davon ab, weiterhin mit dem Verein zu sympathisieren.

Mithilfe betont rotziger Werbeplakate (“Astra. Was dagegen?”) konnte ASTRA die Biere verteuern und den Umsatz merklich steigern. Dabei bedient man dümmste Klischees und verarscht im wahrsten Sinne des Wortes das Milieu, bei dem man sich anzubiedern versucht.

Zurück nach Köln-Nippes: Das Plakat zum “Väterinnentag” blieb wochenlang hängen. Ich ärgerte mich über die Stadt Köln, der es offensichtlich vollkommen egal war, dass es schräg gegenüber vom Hospiz hing, und zwar in Blickrichtung. Überhaupt finde ich Plakate an dieser Stelle grundsätzlich unangebracht. Als das 1999 gegründete Hospiz im Jahr 2018 den Neubau an der Simon-Meister-Straße bezog, hätte man meines Erachtens die Hauswand mit dem wilden Wein zuwachsen lassen sollen. Ob es damals schon die Plakatwand gab und den Wein, ist mir nicht bekannt.

Ich fand das Plakat nur noch widerlich, wollte weggucken und guckte doch jedes Mal, wenn ich vorbeikam, hin. Als man das Plakat nach Christi Himmelfahrt noch nicht ausgetauscht hatte, geschah etwas Seltsames. Mein Blick blieb am Wort “Väterinnentag” hängen. Mit einemmal schob sich das Wort auseinander: Drei Buchstaben setzten sich in den Zwischenraum: ERR. So wurde ein anderes Wort sichtbar, ein Wort hinter dem Wort: VERRÄTERINNENTAG.

Ich befürchte, da hat sich jemand (bzw. ein Team) einen perfiden Spaß erlaubt.

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Vor 57 Jahren habe ich nach der sogenannten “Ganzwortmethode” Lesen gelernt. Wir Kinder entzifferten nicht, sondern prägten uns ganze Wörter ein, die wir dann als Bilder in unseren Köpfen “abspeicherten”. Das Auge spielt bei der Methode eine große Rolle.                                         Seit ich weitsichtig bin, habe ich eine Leseschwäche. Wenn ich beim Einkaufen die Lesebrille nicht dabei habe, muss ich die Zutatenlisten Buchstabe für Buchstabe entziffern, die Haltbarkeitsdaten Zahl für Zahl. Die Bilder werden unscharf, und die Wörter springen nicht mehr direkt ins Auge. Daher gucke ich sehr genau hin. Es klingt paradox, aber die versteckten Buchstaben ERR hätte ich, ohne weitsichtig zu sein, nicht entdeckt. Je unschärfer ich sehe, desto klarer entziffere ich.

Dieses ASTRA-Werbeplakat ist eine Verhöhnung der Frau. Zwischen den Zeilen transportiert es eine schadenfrohe Botschaft: Ihr kopiert die Männer und macht euch lächerlich. Ihr seid verirrt, ihr verratet euer eigenes Geschlecht, aber bemerkt es nicht einmal.

Das englische Verb “to err” heißt zu deutsch “sich irren”, “fehlgehen”, aber auch “sündigen”. Auf dem Computer-Bildschirm wird die Buchstabenfolge “err” eingeblendet (manchmal auch das Comic-Wort “ups”), wenn eine Seite nicht (mehr) aufrufbar ist. Das Internet ist wie ein Irrgarten angelegt. Sind wir im Netz “unterwegs”, geraten wir schnell auf den Holzweg. Die virtuellen Irrwege sind unheimlich: Hier geht es nicht mehr weiter, du hast dich vertippt, du hast dich im Internet verirrt, du hast den Pin verlegt, du hast dich im Netz verfangen, du bist verwirrt.

Aber was bedeutet “Väterinnen”? Der Begriff ist seit seit etwa zehn Jahren im Umlauf. Benutzt wird er für und von Menschen, die Kinder gebären, sich aber “als Mann definieren”. Doch nach wie vor können nur Menschen, die biologisch Frauen sind, Kinder zur Welt bringen.

Denn die Natur setzt klare Grenzen. Ein als Mann geborener Mensch, der sich Silikon-Brüste einpflanzen lässt, wird dennoch kein Kind stillen können. Und ein als Frau geborener Mensch, der sich “als Mann definiert” und juristisch als Mann anerkannt ist, kann kein Kind zeugen. Die Einnahme von männlichen Hormonen lässt Barthaare sprießen, aber keine Hoden wachsen. Gerade angesichts der “Geschlechtsumwandlung” zeigen sich die grotesken Auswüchse sowohl der plastischen Chirurgie als auch der hormonellen Manipulation.

Bis zu einem Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 2011 mussten sich Transmänner sterilisieren lassen, um offiziell als männlich anerkannt werden zu können. Heutzutage kann in Deutschland niemand mehr die Transmänner zu einer inhumanen medizinischen Verstümmelung zwingen. Da ist gut so, aber…

Problematisch ist es, wenn ein Transmann die Hormonbehandlung unterbricht und ein Kind zur Welt bringt, sich aber nicht als “Mutter”, sondern als “Vater” bezeichnet, “Väterin” wird. In dem Moment, wo “er” ein Kind austrägt und gebiert, verkörpert “er” mit Leib und Seele das Geschlecht, von dem er meinte, sich verabschieden zu können. Und gebärend ist “er”, selbst wenn “er” sich die Brüste hat entfernen lassen, so klar wie nie diejenige, die “er” nicht sein wollte und will: Eine Frau.

Zu verantworten hat das “Väterinnen”- Plakat die Hamburger Werbeagentur Philipp & Keuntje (PUK). Hier arbeiten kluge, psychologisch geschulte Spezialkräfte. Auf ausgesprochen intelligente Weise verkauft PUK Menschen für blöd. Noch dazu nach den Spielregeln der Doppelmoral: Wie es PUK gefällt, gibt man sich mal sauber, mal vulgär. So setzt ausgerechnet die Agentur, die uns mit ihren ASTRA-Plakaten penetrant auf die Pelle rückt, an anderer Stelle sittenstreng auf Distanz und Hygiene. PUK hat für die Initiative “Deutschland gegen Corona” Ideen entwickelt und dazu beigetragen, den Menschen die Abstands-Regeln einzubläuen.

Und wie ich soeben realisieren musste, hat die Agentur PUK, zu deren größten Kunden die DAK-Gesundheit gehört, auch das respektlose Plakat “Geht Omas drücken” aus dem Jahr 2019 zu verantworten. Vgl. https://stellwerk60.com/2020/01/07/geht-omas-drucken/.

Abschließend zitiere ich mich selber: “In Deutschland gibt es mittlerweile das Schulfach „Glück“ – auch auf Anregung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Ich finde, es müsste ein anderes Schulfach geben: NEIN. Wie lerne ich, angesichts des Zwangs zu Frohsinn, Gesundheit und Glück nicht immer freundlich zu lächeln, sondern in der Lage zu sein, NEIN zu sagen.” https://stellwerk60.com/2020/05/11/katholisch-oeffentliche-buecherei-on-leine/

Ergänzend möchte ich sagen, dass es neben “Nein” noch ein anderes neues Schulfach geben müsste: “Mündigkeit”: Woran erkenne ich Propaganda und Manipulation – und wie kann ich mich davor schützen?

Menschen verkümmern immer mehr zu Augentieren. Im Straßenverkehr müssen wir auch als Fußgänger permanent die Augen aufhalten. Daher sind wir für die Plakatwerbung am Straßenrand empfänglich, die mit ausgeklügelten, emotional aufgeladenen Bildern um unsere Aufmerksamkeit buhlt.

Ich bin noch einmal zu der Stelle gegangen, wo vor drei Jahren das ASTRA– Werbeplakat hing. Das männliche Model in knallrot, das auf dem aktuellen Plakat (FLYERALARM) posiert, muss bei den Foto-Aufnahmen genau in die Linse geguckt haben. Das hat den simplen optischen Effekt, dass wir uns, egal wo wir stehen, von ihm angeguckt fühlen. In diesem Fall auch aufgespießt, denn der Mann zeigt mit dem Finger auf uns.