Am Dienstagnachmittag war ich beim Kölner Amtsgericht am Reichensperger Platz, um im Rahmen einer Erbschaftsangelegenheit einen DIN A4-Umschlag in einen großen, goldumrahmten, in die massive Mauer des pompösen Gebäudes eingelassenen Briefkasten einzuwerfen, in den vermutlich tausend und mehr solcher Umschläge passen.
Eigentlich hatte ich den Umschlag am Vortag gegen 18h in den gelben Kasten vor der Nippeser Post einwerfen wollen, aber ich kam zu spät. Die letzte Leerung ist seit ein paar Jahren jeden Werktag um 17.30h, was ich immer wieder vergesse. Davor wurden die Kästen um 18h und um 19h geleert. Was für ein Luxus. Vor nicht allzu langer Zeit gab es sogar eine Nachtleerung um 23h. Doch die guten alten Zeiten, als die Studenten* auf den letzten Drücker eine Stunde vor Mitternacht ihre Examensarbeiten in den Briefkasten werfen konnten oder zur Hauptpost bringen, sind vorbei.
(*Ich verkneife mir das neudeutsche Wort “Studierende”, da es so behäbig klingt. Dieses politisch korrekte, wohlmeinende Partizip Präsens macht aus jungen, wissbegierigen Menschen behäbige Couch-, Laptop- bzw. Smartphone-Potatoes, die sich lediglich aufrichten, um an den Rechner oder ins Fitnessstudio zu gehen. Ihr Wissen beziehen sie aus Wissenschaftssendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie Quarks und Leschs Kosmos, wo gründlich aufgeklärt wird und man die Welt von allen in Frage kommenden Fragezeichen restlos befreit.
Natürlich gibt es solche “Studierende”, aber zum Glück nicht nur. Und es gibt auch andere Personen, auf die der Begriff “Studierende” vielleicht noch besser passt. Das sind die, die es immer gab und mit denen ich schon als Studentin (vor vierzig Jahren!) nie was zu tun haben wollte: Karrieristinnen und Karrieristen, die in den Studierendenparlamenten (die tatsächlich so heißen!) bequemer denn je sitzen, um sich dort eine Pole Position zu sichern im Hinblick auf eine Zukunft in den Chefetagen von Wirtschaft und Politik.
Leider vernebelt die bürokratendeutsche Wortneuschöpfung “Studierende” auch den Blick auf die Vergangenheit. Mich erstaunt nicht, dass es mittlerweile sogar Texte gibt, in denen von einer “Studierendenbewegung der 1960er Jahre” die Rede ist. Im Himmel lacht Rudi Dutschke und schüttelt den Kopf. Wir dürfen nicht vergessen: Politische und geistige Impulse sind in aller Regel von Studentinnen und Studenten ausgegangen, auch und gerade von den vielgescholtenen 68ern. Ich wünsche mir eine neue Studentenbewegung!)
Ich gucke ins Internet um rauszukriegen, wo es überhaupt noch Briefkästen gibt. Immerhin nennt onlinestreet.de 17 Briefkästen im Postleitzahlenbereich 50733 (Nippes), die einmal am Tag alle zur selben Uhrzeit (16h) geleert werden. Wie macht die Post das? Wie stellt die Post es an, alle 17 Nippeser Briefkästen gleichzeitig zu leeren? Fahren 17 Elektro-betriebene gelbe Autos pünktlich um 16 Uhr jeden der 17 Briefkästen einzeln an?
Da das Wetter richtig schön war, verband ich den Gang zum Amtsgericht mit einem Hunde-Spaziergang. Auf dem Heimweg gingen Hund Freki und ich quer durchs Agnesviertel und anschließend durch die Grünanlage im Inneren Grüngürtel zwischen Neusser Straße und Niehler. Da das Ordnungsamt hier gerne patrouilliert, hielt ich Freki an der Leine. Und da die Mitarbeitenden des Ordnungsamts derzeit auch gerne Menschen dabei ertappen, dass sie sich nicht fortbewegen, sondern in verdächtigen Gruppen beisammen sitzen, hatten die Leute auch (noch) keine Grills aufgestellt.
Öde war die Stimmung trotzdem nicht, im Gegenteil. Die Menschen bewegten sich, aber nicht, weil sie es mussten, sondern weil sie es wollten. Die an diesem Tag -ob mit oder ohne Maske- mit sichtlich großem Vergnügen Fußball, Basketball oder andere verbotene Spiele spielten, waren mindestens dreihundert vorwiegend junge Personen aus mindestens 200 verschiedenen Haushalten. Es war brechend voll auf den Wiesen, aber auch auf den Wegen, und gar nicht so einfach, sich an den Joggern, Skatern, Fußgängern und Radfahrern vorbei einen Weg zu bahnen. Sollte ich mir jemals das Virus einfangen, dann jetzt und hier: Nichts wie durch.
Die sich hier des Vorfrühlings erfreuten, hatten nicht den Fehler gemacht, die Freude per Facebook publik zu machen, anders als ein paar Wochen zuvor zwei junge Männer in Leeds. Meine jüngere Tochter, die als Erasmus-Studentin in England weilt, erzählte mir am Telefon von einer bemerkenswerten Aktion. In Leeds hatten zwei Studenten über Facebook zu einer Schneeballschlacht eingeladen. Am 14.1.2021 kamen Hunderte junger Menschen zusammen und genossen -ob mit oder ohne Maske- eine ausgelassene, friedliche und freundliche Schneeballschlacht, wobei es vor allem die Schneebälle waren, die den Sicherheits-Abstand nicht einhielten. Meine Tochter, die in Durham (wo die Supermärkte Schlitten verkauften) ebenfalls viel Schnee hatte, schickte mir folgenden Link:
In dem Artikel kommen zwei Studenten zu Wort, die mehr oder weniger zufällig vor Ort waren. Der eine, ein 21jähriger namens Liam Ford, vermutlich ein Studierender, distanziert sich kopfschüttelnd von den jungen Leuten und zeigt sich schockiert. Der 20jährige Student Adam jedoch, der aus gutem Grund seinen Nachnamen nicht nennt, sagt:
“I think a lot of people were just in the park anyway enjoying the snow and joined in… It was a very welcome relief… a welcome laugh that people needed… I know many students who are extremely depressed, and stressed with online exams and have had little support… Mental health is equally as important as physical health… so many young people and students really have nothing to keep them going at this point.”
Weil ich die Sätze so wichtig finde, habe ich sie mit Hilfe der künstlichen, aber gar nicht so dummen Intelligenz von DeepL.com übersetzt und die Übersetzung nur leicht verändern müssen:
“Ich glaube, viele Leute waren sowieso gerade im Park und haben den Schnee genossen und mitgemacht… Es war eine sehr willkommene Abwechslung… genau das Lachen, das die Leute brauchten… Ich kenne viele Studenten, die extrem deprimiert und gestresst sind von den Online-Prüfungen und kaum Unterstützung bekommen haben… Psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit… so viele junge Leute und Studenten haben wirklich nichts, was sie noch stark bleiben lässt.”
Was Adam sagt, berührt mich, denn es zeugt von einem Verantwortungsgefühl, das die politisch Verantwortlichen leider nicht haben. Es scheint weder Johnson noch Merkel bewusst zu sein, dass die rigiden Corona-Maßnahmen katastrophale Folgen für die Psyche der Betroffenen (und wir sind alle Betroffene!) haben. Die Befürworter der sogenannten “Schutzimpfung” sind, so sehe ich es, am Schutz unseres Seelenheils weitgehend desinteressiert.
Dabei sind es neben den Geboten (Lass dich impfen, halte den Abstand ein… ) gerade die Verbote, die unser Wohlbefinden massiv beschneiden. Wir sollen nicht rauchen, denn das Rauchen erhöht das Risiko, an Corona zu erkranken. Wir sollen nicht zu viel essen, denn Übergewicht erhöht das Risiko, an Corona zu erkranken. Und vor allem sollen wir zu den Mitmenschen auf Distanz gehen, keine Feste feiern, Menschen-Ansammlungen meiden, unsere Lust am Miteinander nicht ausleben, denn die Begleiterscheinungen der Zuneigung, insbesondere die Freude daran, andere Menschen (vielleicht auch spontan!) zu umarmen, erhöhen das Risiko, an Corona zu erkranken, massiv.
Aber wir sollen uns impfen lassen, denn insbesondere die neuen mRNA- Impfstoffe sind so raffiniert und ausgeklügelt, dass der Impfling nicht einmal mit dem Virus in Körperkontakt kommt, sondern nur mit dessen genetischen Informationen.
Doch wir Bürgerinnen und Bürger sollen uns nicht nur impfen lassen, sondern kaufen, weil das Kaufen, insbesondere im Internet, keinerlei Infektionsrisiko darstellt. Auch Aktien können wir unbesorgt kaufen, per Internet-Depot jederzeit.
Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, soll angesichts des DAX-Höhenflugs gesagt haben, dass der Kauf der Deutsche Bank– Aktie keinerlei Gesundheits-Risiko darstelle. Außerdem soll er, was ich allerdings nur aus sehr unsicherer Quelle weiß, gesagt haben, dass die 100 Postbank-Filialen im Jahr 2021 auch deshalb geschlossen werden müssten, weil die erforderliche Corona-Stoßlüftung der oft überalterten Räume kaum noch möglich sei und daher der Infektionsschutz der Mitarbeiter*innen sowie der Kund*innen nicht mehr gewährleistet werden könne.
Im Anschluss an die Schneeballschlacht hat es übrigens keine Häufung von Infektionen gegeben. Der Nutzen der friedlichen Schneeballschlacht überwog den Schaden (wenn es den überhaupt gab) bei weitem. Dennoch wurden die beiden Studenten zu horrenden Geldstrafen verurteilt. Ich hoffe, dass die beiden das verkraften und finanzielle Unterstützung bekommen. Und ich bin mir sicher: Die jungen Menschen, die dabei waren, werden einmal stolz ihren Enkelkindern erzählen, dass sie den Mut besaßen, lustvoll und friedlich die Corona-Zwangsmaßnahmen in Frage zu stellen und der cold old Corona-Politik den Spiegel vorzuhalten.

Aus einem Hauseingang fische ich ein liegengebliebenes Exemplar vom “Kölner Wochenspiegel”: “Wenn das Eis nicht trägt”. Etwas macht mich stutzig, das Datum: 7. Woche, 19./20. Januar 2021. Erstaunlich: Hat der Januar jetzt mehr als sieben Wochen? Außerdem war das Eis auf dem Aachener Weiher doch erst Mitte Februar so dick, dass uns niemand mehr das Betreten der Eisfläche verbieten konnte… Das korrekte Datum steht auf der zweiten Seite des Blatts: 19./20. Februar 2021… Die Unterzeile des Titel-Fotos lautet: “Seltsames Bild: Während die Berufsfeuerwehr Köln die “Eisrettung” auf dem Aachener Weiher übte, tummelten sich zahlreiche Schlittschuhläufer auf der Eisfläche.” Meines Wissens waren die Eisläufer lange vor der Feuerwehr da. Korrekt müsste die Zeile folgendermaßen lauten: “Nachdem tagelang schon zahlreiche Menschen auf dem Eis waren, ohne dass es nennenswerte Zwischenfälle gab, geschweige denn einen Einbruch ins Eis, rückte die Feuerwehr an, um die Eisrettung zu üben.”
Die drohende Schlagzeile “Wenn das Eis nicht trägt” erinnert mich an eine ebenfalls die Gefahren heraufbeschwörende Schlagzeile aus dem Sommer. Damals titelte der Kölner Stadtanzeiger: “Unterschätzte Gefahr. Das Schwimmen im Rhein ist lebensgefährlich.” Der Artikel war eine Reaktion darauf, dass die Menschen an den Rhein gingen und die Freibäder mieden, wo sie unter totaler Kontrolle waren, wo man sich per Internet anmelden musste, wo Duschen und Umkleidekabinen geschlossen waren, wo man nur in Bahnen nur in die eine Richtung schwimmen durfte, wo die Aufenthaltsdauer beschränkt war, weil alle paar Stunden desinfiziert wurde und und und… Vgl.: https://stellwerk60.com/2020/06/06/eilmeldung-maske-weg-abstand-passe-menschenmassen-am-fuehlinger-see/
Nachtrag 15.3.2021:
Weltweit wird derzeit gegen Studenten, die nicht viel mehr tun als ihre Lebensfreude auszuleben, vorgegangen. https://web.de/magazine/news/coronavirus/unfassbare-szenen-tausende-feiern-spring-break-florida-maske-abstand-35629414 Auch hier, beim Spring Break in Florida, gab es, nachdem man die jungen Menschen zunächst feiern ließ, zahlreiche Festnahmen.
An das Märchen “Der Wolf und die sieben Geisslein” erinnert, was 14 französische Erasmus-Studenten in Thessaloniki erlebten, als eine Polizei-Einheit in eine Wohnung eindrang. Der Böse Wolf gab sich nicht einmal die Mühe, die Pfoten weiß anzumalen: “Die junge Frau, die den Beamten die Tür öffnete, habe versichert, es befänden sich nur drei Personen in der Wohnung. Allerdings hörten die Beamten Geräusche und ließen sich von einem Staatsanwalt einen Durchsuchungsbefehl ausstellen. In der Wohnung fanden sie insgesamt 14 junge Leute vor, von denen die meisten in Schränken und unter Betten den Augen der Polizei entgehen wollten. Einer von ihnen habe versucht, über einen Balkon zu fliehen, sei jedoch aufgehalten worden.” Alptraumhaft!
“Studierende” – das ist wirklich ein ziemlich bräsiges Wort. 🙂
Ich hoffe sehr, die jungen Männer mussten die Strafe nicht alleine bezahlen.
So was regt mich auch auf, wenn Infektionsschutz vorgegeben wird und zur kleinlichen Spaßbremserei wird. Zumal ich neulich erneut gelesen habe, dass Corona ein Indoorproblem ist und man im Freien ausgesprochen lange und ausgesprochen dicht beisammen und in des anderen Atemnebel stehen müsste, um sich anzustecken.
Man kann nicht nur verbieten; man muss auch Wege lassen damit klarzukommen.
Mental health is equally as important as physical health. So isses.