Damit
niemand mit
dir schimpft: DEINE
APOTHEKE IMPFT. Komm nur
herein…

Schaukasten vor der alteingesessenen Adler-Apotheke in Köln-Nippes.
Um mit den Internet-Apotheken konkurrieren zu können, setzen die Apotheken vor Ort zunehmend auf den direkten, persönlichen Kontakt zu den Menschen. Hierbei bekommen sie Rückendeckung von der Bundesregierung. Bereits im Sommer 2019 wurde das “Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken” auf den Weg gebracht. In der Pressemitteilung des BMG wird der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zitiert: „Die Apotheke vor Ort ist für viele Menschen ein Stück Heimat – und eine wichtige Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten. Darum erhalten Apothekerinnen und Apotheker künftig mehr Geld für neue Dienstleistungen. Wir sorgen für einen fairen Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken. Künftig gilt der gleiche Preis für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei der Abgabe an gesetzlich Versicherte. So sichern wir die Arzneimittelversorgung in der Stadt und auf dem Land.“ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2019/3-quartal/staerkung-der-vor-ort-apotheken.html
Um die neuen Privilegien und die guten Beziehungen nicht zu gefährden, haben sich die Apotheken von Beginn an hinter die staatlichen Corona-Maßnahmen gestellt. Im Frühjahr 2020 startete die apothekeneigene Unternehmensgruppe NOVENTI die „Initiative gegen Corona“, die das Ziel verfolgt, “zur Aufklärung der breiten Bevölkerung mit aufmerksamkeitsstarken Motiven beizutragen.” Plakate wurden entworfen und an alle Apotheken verschickt. Eine erste Plakat-Botschaft von NOVENTI und Medienpartner BILD: “Bring Corona nicht zur Oma”. Diese Aufforderung, die mit “Aufklärung” allerdings herzlich wenig zu tun hat, richtete sich an Angehörige, die einen großen Bogen um ältere Familienmitglieder machen sollten.
Mit Corona, so schrieb ich vor zwei Jahren an dieser Stelle, hat die die Gesundheitswerbung, was alte Menschen betrifft, eine vermeintliche Kehrtwende gemacht. “Nachdem in den letzten Jahren wissenschaftliche Studien herausfanden, was der gesunde Menschenverstand ohnehin wusste, dass nämlich Berührungen der Gesundheit zuträglich sind, wurde im Jahr 2019 von der Krankenkasse DAK körperliche Nähe zu alten Menschen propagiert. Im Befehlston hieß es da: „Geht Omas drücken!“ Ab März war (und ist!), gerade was ältere Menschen betrifft, überall Distanz angesagt. Schnoddrig-lässig heißt es unrein gereimt von oben herab: „Bring Corona nicht zur Oma.“… Von älteren oder alten Frauen generell als von „Omas“ zu reden, ist respektlos. Die Anrede „Oma“ diffamiert, wenn es nicht die eigene ist. Wenn wir Skat oder Doppelkopf spielen und so gute Karten bekommen, dass wir gar nicht anders können als zu gewinnen, haben wir ein „Oma-Blatt“ auf der Hand. „Oma“ ist lieb, aber ein bisschen beschränkt, dümmer als „Opa“, falls es den noch gibt.” https://stellwerk60.com/2020/10/19/elfchen-im-zehnten-was-ist-mit-unserer-gesellschaft-geschehen-wenn/
Im Frühjahr 2020 war noch keine Impfung auf dem Markt, auch nicht für die bedrohte Oma, aber es wurde bereits fieberhaft daran gearbeitet. Auch am guten Verhältnis der Apotheke zu Oma, denn Oma ist Stammkundin, misstraut den neuen Medien und würde ihre Rezepte niemals im Internet einreichen.
Eine ausgesprochen gute Kundin ist Oma schon deshalb, weil sie in der Regel an verschiedenen chronischen Krankheiten bzw. Beschwerden leidet und die entsprechenden ihr verschriebenen, aber auch frei verkäufliche Medikamente einnimmt. “Bei rund 42 % der über 65-jährigen gesetzlich Versicherten liegt nach dem Versorgungs-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) Polypharmazie (fünf oder mehr Wirkstoffe) vor.” Polypharmazie, d.h. die gleichzeitige und andauernde Einnahme verschiedener Medikamente, verbessert Omas Befinden allerdings nicht unbedingt, im Gegenteil: https://www.aerzteblatt.de/archiv/182151/Polypharmazie-Tendenz-steigend-Folgen-schwer-kalkulierbar
Herbst 2022: Der Schaukasten der Nippeser Adler-Apotheke ist neu bestückt. Die Metallplatte unter dem Kasten ist frisch poliert, das Graffiti entfernt. Man gibt sich seriös, denn “DEINE APOTHEKE IMPFT”. Ein weiteres, transportables Schild im Eingang der Apotheke verrät, dass “wir” nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Grippe impfen. Das ist möglich, weil der deutsche Bundestag im Mai 2022 das Pflegebonusgesetz verabschiedet hat. Im Zusammenhang mit dem Gesetz hat man auch den Weg frei gemacht “für die Grippeimpfung in der Apotheke – sie wird nun Teil der Regelversorgung und damit unabhängig von Modellprojekten bundesweit möglich.” https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/05/19/bundestag-gibt-gruenes-licht-fuer-regelhafte-grippeimpfungen-in-den-apotheken
Oma darf längst wieder auf die Straße gehen, auch in die Apotheke, wo sie ihre Medikamente bekommt. In der Apotheke fragt man Oma nach ihrem Impfstatus. Oma ist es unangenehm, sagen zu müssen, dass sie sich noch nie gegen Grippe hat impfen lassen. Um die Apothekerin für sich einzunehmen, sagt sie: “Bitte nicht schimpfen.” Doch die freundliche Apothekerin schimpft nicht, sondern lächelt. Aber sie macht Oma darauf aufmerksam, dass die Ständige Impfkommission den über 60jährigen beide Impfungen empfiehlt, die gegen Grippe und die gegen Corona. Selbstverständlich seien beide Impfungen auch in der Apotheke kostenlos. Aber Oma solle sich Zeit lassen, es gäbe ja noch Termine im November und im Dezember. Dann will die Apothekerin noch wissen, ob Oma als gesetzlich versicherte Person über 60 Jahre Post vom Gesundheitsminister erhalten habe. Der Brief von Karl Lauterbach enthalte leider einen Fehler, denn es werde nicht erwähnt, dass man sich auch in der Apotheke impfen lassen könne.
“Der Brief enthält nicht nur Fehler, sondern ist ein Fehler”, sagt Oma und lacht. “Diesen Jammerlappen kann ich leider nicht mehr ernst nehmen. Das Schreiben ist eine als persönlicher Brief getarnte Werbepost. Da sind mir die Wurfsendungen von Kaufland oder REWE lieber, da wird der Preis, den ich zahlen muss, offen genannt.”
“Aber die Impfung ist kostenlos.”
“Ja eben,” sagt Oma. “Man muss immer skeptisch sein, wenn ein Geschäftsmann einem was schenkt. Vor allem als alter Mensch.”
“Aber unser Bundesgesundheitsminister ist doch kein Geschäftsmann”, sagt die Apothekerin.
“So wenig, wie Sie eine Geschäftsfrau sind”, entgegnet Oma. “Außerdem enthält der Brief Halb-Wahrheiten. Für den neuen BA.5- Impfstoff gibt keine klinischen Studien, seine Wirkung wurde nur in Tierversuchen belegt, und in Europa ist der Impfstoff nur deshalb zugelassen, weil angeblich immer noch ein Notfall vorliegt. Und dabei liegt der Schutz vor einer Ansteckung vermutlich bei nicht einmal zehn Prozent.”
“Ich würde Ihnen die Impfung übrigens dringend empfehlen”, sagt die Apothekerin. “Dringend.”
“Sie wissen doch, wie viele Medikamente ich einnehme”, sagt Oma. “Da muss ich nicht noch geimpft werden. Ich habe gerade noch einen Artikel über Medikamentenmissbrauch bei alten Menschen gelesen.”
“Sie sind aber eine ganz Schlaue”, piepst die Apothekerin. “Und woher meinen Sie die Informationen über die Impfung zu haben?”
“Aus einem Interview mit Alexander Kekulé”, antwortet Oma. “Auf t-online.de. Ein kluger Mann. Da kommt der Lauterbach nicht mit. Der Lauterbach denkt viel zu gradlinig, um unsere aus den Fugen geratene Welt noch zu begreifen. Und er macht ständig doofe Fehler. Der hat tatsächlich vergessen, den Brief persönlich zu unterschreiben. Dadurch wirkt das Schreiben stocksteif, was im Fall von Lauterbach natürlich auch wieder authentisch ist. Ich meine, eine Kopie der Unterschrift hätte ja auch gereicht. Der einzige Farbtupfer ist der schwarz-rot-gelbe Streifen im Briefkopf. Aber was überhaupt nicht geht, ist, dass das Datum fehlt. Wahrscheinlich will Lauterbach den Brief im nächsten Jahr wiederverwenden. Aber ich muss jetzt.”
“Auf Wiedersehen”, sagt die Apothekerin.
“Auf Wiedersehen”, sagt Oma. “Und Frohes Neues Jahr.” Tänzelnden Schrittes verlässt sie die Apotheke.