Im September ist bekannt geworden, dass der 1991 verstorbene Ruhrbischof Franz Hengsbach in den 1950er und 60er Jahren mehrere junge Frauen sexuell missbraucht haben soll.
Franz Hengsbach, der als “Bischof der Bergleute” einen ausgezeichneten Ruf hatte, war der erste Bischof des 1958 gegründeten Bistums Essen, dem auch “unsere” Bottroper Kirche St. Elisabeth angehörte, wo mein Großvater Josef, ein überzeugter, aber liberaler Katholik, noch im hohen Alter am Gründonnerstag zur Fußwaschung ging.
Doch Hengsbach soll vor allem dann den Menschen zugewandt gewesen sein, wenn die Öffentlichkeit zuschaute, wenn die Presse dabei war. Hengsbach war fotogen. Hinter den Kulissen war er -wie Zeitzeugen erzählen- nicht nur elitär und dünkelhaft, sondern auch autoritär. Beim WDR5 Stadtgespräch zum Thema “Ist die Kirche noch zu retten?”, einer Veranstaltung im Vorfeld der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (25. bis 28.9.2023 in Wiesbaden) kam Klaus Pfeffer zu Wort, Generalvikar im Bistum Essen. “Er hatte eine Macht-Aura, die war enorm”, berichtet Klaus Pfeffer. Er hat Hengsbach während seines Studiums erlebt und hätte sich damals nicht getraut, etwas gegen ihn zu sagen.” https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/wdr5-stadtgespraech-essen-hengsbach-100.html
Ein Lieblingsvetter meiner Mutter, langjähriger ärztlicher Direktor am Essener Elisabeth-Krankenhaus, war eine Zeitlang Hengsbachs Leibarzt. Vor mehr als dreißig Jahren war mein Bruder einmal zufällig vor Ort, als unser Onkel einen Anruf von Hengsbach bekam, seine Stimme leicht verstellte und den Bischof mit “Euer Eminenz” anredete. Über die kleine Szene mussten wir noch Jahre später herzhaft lachen, was wohl auch am Nachahmungstalent meines Bruders lag.
Dass “Euer Eminenz” auch “nur” ein Mann aus Fleisch und Blut war, war uns klar. Zu meiner Verwunderung realisieren das viele Menschen erst jetzt, wo der Missbrauch zu Tage kommt. Tief erschrocken sind die, die Bischof Hengsbach einmal in den Himmel gehoben haben.
Mich entsetzt, dass Hengsbach vermutlich nicht alleine gehandelt hat, sondern gemeinsam (sozusagen in Komplizenschaft) mit seinem jüngeren Bruder. “Im Zuge der jüngsten Nachforschungen sei der Vorwurf noch einmal geprüft und als glaubwürdig bewertet worden, teilte das Erzbistum Paderborn ebenfalls am Dienstag mit. Eine Frau habe angegeben, dass sie 1954 als 16-Jährige von Franz Hengsbach gemeinsam mit dessen Bruder Paul sexuell missbraucht worden sei. Der 2018 verstorbene Bruder, der auch Priester des Erzbistums war, habe die Vorwürfe aber vehement bestritten.” https://www.domradio.de/artikel/verstorbener-kardinal-hengsbach-unter-missbrauchsverdacht
Mit dem 1991 verstorbenen Hengsbach hat zum ersten Mal ein Bischof den sexuellen Missbrauch nicht nur vertuscht, sondern sich selber schuldig gemacht, wenn sich auch die bislang bekannten Übergriffe vor seiner Amtszeit als Bischof zugetragen haben. Doch wie verhält sich ein Amtskollege der Jetztzeit, der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki? Hat Woelki zu Hengsbach Stellung genommen? Auf taz.de finde ich einen Hinweis. Im Eröffnungsgottesdienst zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz fiel, so lese ich, der Name Hengsbach nicht, doch immerhin machte der Limburger Bischof Georg Bätzing in seiner Predigt die Aufarbeitung des Missbrauchs zum Thema. Anders Woelki. “Wenig überraschend blieb das Thema in der Predigt von Kardinal Rainer Maria Woelki gänzlich unerwähnt.” https://taz.de/Vorwuerfe-gegen-Franz-Kardinal-Hengsbach/!5959782/
Es ist aufschlussreich, sich die Predigt, die Woelki auf der Herbst-Vollversammlung hielt, einmal genauer anzusehen. Man kann sich den Vortrag im Internet anschauen oder auch den Text lesen. https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/herbst-vollversammlung-der-deutschen-bischofskonferenz-in-wiesbaden-naurod-predigt-von-kardinal-rainer-maria-woelki-in-der-eucharistiefeier
Woelkis Predigt ist ein Kommentar zu einer kurzen, aber zentralen Passage in Kapitel 8 des Lukas-Evangeliums (Lk8, 19-21). Die Passage erzählt davon, wie Jesus auf seiner Wanderschaft Besuch von seiner Familie bekommt. Doch da Jesus von einer großen Gruppe Menschen umringt wird, gibt es für die Verwandten kein Durchkommen.
Woelki stellt sich in seiner Predigt hinter das Evangelium. Zu Beginn der Predigt sagt er:
“Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir sind heute Morgen Zeugen einer neuen Familiengründung geworden, nämlich die der Familie Jesu.... Als man Jesus über die Anwesenheit seiner Verwandten informiert, antwortet er geradezu schroff ablehnend. Seine Familie, seine eigentliche, seine wahre Familie – so Jesus – bestehe nur aus jenen, die „drinnen“ sind, die ihn umringen und ihm zuhören. Wer „draußen“ bleibe, gehöre nicht zu seiner Familie, selbst wenn er ein leiblicher Verwandter sei…“
Erzbischof Woelki heißt Jesu Verhalten gut. Dabei wird uns hier ein autoritärer, erschreckend liebloser Jesus vorgeführt. Er liebt seine Brüder und sogar seine “leibliche” Mutter nicht ihrer selbst willen, sondern nur unter der Bedingung, dass sie ihm gehorchen. Die Herkunftsfamilie hat sich demnach der neu gestifteten Familie Jesu (der Gemeinschaft der Gläubigen) unterzuordnen. Erwartet wird absoluter Gehorsam.
Woelki hält an diesem überkommenen Bild fest. Hier predigt ein Mann, der aufgrund seines Amtes keine Familie gründen, keine Nachkommen zeugen darf. Aber auch ein Mann, der wider besseres Wissen den Missbrauch im Erzbistum Köln lange verschwiegen und nicht die jungen Schutzbefohlenen, sondern die Täter geschützt hat. Ich empfinde die Predigt nicht nur als Affront gegen die betroffenen Kinder, sondern gegen die Familien, gegen die Eltern, die ihre Kinder den Vertretern der Kirche anvertraut haben, irdischen “Vätern” der “Familie Jesu”. Kardinal Woelki ist einer dieser “Väter”. Irgendwann einmal wird sich der verbitterte Bischof bei allen betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien persönlich entschuldigen müssen.
Wie aber predigt Woelki, der sich scheinbar durch nichts und niemanden berühren lässt, wenn sein Thema die schillerndste, lebendigste Figur der heiligen Dreifaltigkeit ist, der Heilige Geist? Auf domradio.de kann man sich eine Predigt anschauen, die Woelki während des Pontifikalamts im KÖLNER DOM an Pfingsten 2023 gehalten hat.
“LIebe Schwestern, liebe Brüder. Wir feiern Pfingsten, das Fest des heiligen Geistes. Wer ist das eigentlich, der Heilige Geist. Was ist er? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Allein beim Fragen danach haben wir schon Schwierigkeiten. Geist, das ist ja auch der Vater…”
Spätestens an dieser Stelle dürfte ein Großteil des Publikums abgeschaltet haben, auch die Menschen, die vor der Predigt vielleicht noch wach waren. Den Kameraleuten von domradio.de ist das natürlich nicht entgangen. Ihnen haben wir schöne Stimmungsbilder zu verdanken. Unten stehender Screenshot fängt einen Kamera-Schwenk aus Video-Minute 4.58 ein.


Für Woelki ist dieses Publikum eine Provokation. Als geschulter Prediger spürt und sieht er, dass die Menschen ihm nicht mehr zuhören. Er merkt natürlich, dass die Kinder sich langweilen, dass sie unruhig werden oder einschlafen. Dass Priester, die eine Messe halten, sehr schnell böse werden können, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen, weiß ich aus eigener Erfahrung. “Während einer Schulmesse “empfing” ich selber einmal zusammen mit der Hostie einen priesterlichen Backenstreich, weil ich mit meiner Freundin gequasselt und (leise!) gelacht hatte.” https://stellwerk60.com/2020/04/28/comeback-der-knueppelkuh/
In meiner Kindheit luden die harten Kirchenbänke nicht zum Einschlafen ein. Heute ist das glücklicherweise anders. Die Kinder, die im Jahr 2023 das Pontifikalamt besuchen, haben ihre Eltern dabei, dürfen auf dem warmen Schoß von Mutter, Vater oder eines anderen nahen Menschen einschlafen und können sich sicher sein, dass man ihnen kein Leid zufügt.
In den letzten Jahren hat Woelki schon mehrmals die bittere Erfahrung machen müssen, dass sich gerade junge Menschen mehr und mehr von ihm abwenden. In Aachen sollte der Kardinal eine große Open-Air-Messe leiten, die am 18.6.2023 im Rahmen der sogenannten Heiligtumsfahrt stattfand. “Doch im Mädchenchor des Aachener Doms gab es im Vorfeld heftige Diskussionen. Mehr als die Hälfte der 120 Sängerinnen weigerten sich, mit Woelki, der die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Katholischen Kirche weiterhin verschleppt, zusammen auf der Bühne zu stehen. Der Protest führte dazu, dass Woelki der Messe fernblieb – und der Mädchenchor geschlossen auftrat.” https://stellwerk60.com/2023/06/26/im-namen-der-bundesrepublik-der-evangelischen-kirche-der-katholischen-kirche-ich-bitte-sie-um-vergebung-und-entschuldigung-eine-kleine-sternstunde-im-oeffentlich-rechtlichen-rundfunk/
Aus Protest gegen die Vertuschung des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche sind während einer Messe, die Woelki am 3.10.2022 in Rom hielt, über hundert Ministrantinnen und Ministranten, die im Rahmen einer Wallfahrt vor Ort waren, von ihren Plätzen aufgestanden und haben dem Kardinal den Rücken zugedreht.
Nach der Predigt in Rom hatte Woelki von einigen Anwesenden Applaus bekommen, ‘als er die Predigt mit den Worten beendete, Jesus sei den Leuten immer offen gegenüber getreten und habe “eigentlich nie einem Menschen den Rücken zugedreht‘”. https://www.kirche-und-leben.de/artikel/protestierender-messdiener-kardinal-woelki-dreht-uns-den-ruecken-zu
Diese Rechtfertigung des Kardinals blieb nicht ohne Widerspruch. So sagte der Theologiestudent Yannik Gran, einer der kritischen Messdiener, der “Zeit”-Beilage “Christ & Welt”: “Woelki dreht uns gerade den Rücken zu. Er ist doch der, der sich versteckt. Er ist für uns nicht greifbar und hat unser Vertrauen verloren.”
Dem kann ich nur zustimmen. Hinzu kommt, dass Woelkis Behauptung, Jesus habe nie einem Menschen den Rücken zugedreht, auch laut Bibel nicht der Wahrheit entspricht. Wie wir oben gesehen haben und im Lukas-Evangelium nachlesen können, hat Jesus ausgerechnet dem Menschen (drohend!) den Rücken zugedreht, dem er seine irdische Existenz zu verdanken hat: Der eigenen Mutter.
Man kann übrigens den Heiligen Geist ganz einfach erklären. Ich empfehle, ein kurzes Video auf katholisch.de anzuschauen. Da wird unter der Überschrift “Katholisch für Anfänger” in knapp 2 Minuten der “Heilige Geist” erklärt, und zwar mit einer schönen, leisen Selbstironie, die Woelki fehlt.