Durch die schlecht geputzte, Hundeschnüss-verschmierte Terrassentürscheibe hindurch fotografiert. Ich hatte im trockenen Frühsommer eine Tonschale mit Wasser hingestellt und nicht geahnt, wie “dankbar” Vögel, Mäuse und Insekten das Wasser annehmen würden. Auch im feuchten Winter und an regnerischen Tagen kommen die hiergebliebenen Vögel zum Trinken und Baden. Die Amsel blieb übrigens fast zehn Minuten in der Bütt.
Fernab vom sommerlichen Fortpflanzungs- und Überlebenskampf des Balzens, Eierlegens, Brütens und Hütens führen die Singvögel im Winter ein beschauliches Leben. Auch ihr Gesang klingt anders: Andante. Sie unterhalten sich zwitschernd von Art zu Art und “entdecken die Langsamkeit”.
Darf man den einen Vogel lieber haben als alle anderen? Ich kann nicht anders. Das Rotkehlchen kommt in der Abenddämmerung. Es will frisches Wasser haben, sonst badet es nicht. Wenn ich das Wasser ausgewechselt habe, dauert es meistens nicht lange, bis es kommt, nippt und sich ins Wasser begibt. Mir geht dann das Herz auf.
Bütten-Duett:
Ich bin keine Vogel-Expertin, aber es scheint, als würden Kohlmeise (rechts) und Blaumeise (links, ist es eine?) das gemeinsame Bad sehr erfrischend finden.
Dass es im Jahr 2019 tatsächlich um die Wurst ging, wussten die Radlerinnen und Radler vom Stadtradeln-Team der autofreien Siedlung nicht. Umso größer war die Überraschung für Alf Kroll, der zum dritten Mal hintereinander das Gelbe Trikot der internen Wertung erradeln und eine reihenhausgemachte Leberwurst in Empfang nehmen konnte. Lieber Alf, herzlichen Glückwunsch!
Als Teamkapitänin hatte ich alle Stellwerker Stadtradlerinnen und Stadtradler zur Siegerehrung von Stellwerk 60 – Team SattelFest eingeladen. Für Gebäck und Glühwein musste ich nicht sorgen, denn die Preisübergabe fand am 23.12. im Rahmen bzw. Kerzenlicht des Stellwerker “Lebendigen Adventskalenders” statt, den unser Nachbarschaftsverein Nachbarn60 alljährlich organisiert. Traditionell wird am Tag vor Heiligabend der Siedlungs- Weihnachtsbaum geschmückt. Ideal für die Siegerehrung war der Termin nicht, denn wer denkt zu Weihnachten noch an das sommerliche Radeln? “Stille Nacht, heilige Nacht” erzeugt nun mal eine andere Stimmung als “Ja, wir sind mim Fahrrad da”, aber da ich die Stellwerker Mehlpiepe ausschließlich zu Weihnachten herstelle, war kein anderer Termin möglich.
Weil es draußen zu dunkel war, gingen wir für’s Siegerfoto in die Küche der Mobilitätsstation. Was Alf hier stolz in der Hand hält, ist eine “Stellwerker Mehlpiepe”. Sie ist eine von vier Würsten, die ich kurz vor Weihnachten gekocht habe. Normalerweise esse ich kein Schweinefleisch, aber die Mehlpiepe enthält neben Wasser und Buchweizenmehl nun mal Schweineleber sowie Schweinebraten- und Schweinebauchfleisch. Die Herstellung macht nicht viel Arbeit, braucht aber viel Zeit. Nachdem das Fleisch zwei Stunden lang gekocht wird, wird es kleingeschnitten und mit Leber, Buchweizenmehl und der Brühe vermengt. Die fertige Masse wird in Därme gestopft, und die Würste müssen dann noch einmal anderthalb Stunden gekocht und anschließend kalt abgebraust werden. Für mich wäre ein Weihnachten ohne Mehlpiepe wie für andere ein Weihnachten ohne Christstollen. Unvorstellbar! Ursprünglich stammt die Wurst aus Westfalen. Meine Mutter hat sie gekocht und vor ihr mein Großvater. Josef Verron, ein gebürtiger Dorstener, war Lateinlehrer und hatte daher, wie es hieß, nachmittags genug Zeit, um auf die Kinder aufzupassen und Wurst und andere Leckereien herzustellen, während meine gesellige Großmutter Johanna auf Jück ging. Für mich ist die Mehlpiepe eine Delikatesse, aber eigentlich ist sie eine Notwurst. Sie schmeckt auch dann noch, wenn man das Schweinefleisch stark reduziert. In der Kriegszeit bestand sie irgendwann einmal fast nur noch aus Buchweizenmehl, aber es gab sie.
Fast wäre Alf gar nicht zur Siegerehrung gekommen, denn eigentlich wollte er über Weihnachten nach Texas reisen, wo ihm Schwiegertochter und Sohn vor ein paar Monaten ein zweites Enkelkind beschert haben. Doch hatte der dortige Kinderarzt (vermutlich aus American Angst vor eventuellen Schadensersatzforderungen) angeordnet, dass der frischgebackene Großvater, um das Neugeborene nicht zu gefährden, vor der Einreise gegen Keuchhusten und Grippe geimpft werden müsse. Da jedoch Alf seinen einzigen schweren grippalen Infekt ausgerechnet in dem Jahr hatte, als er sich gegen Grippe impfen ließ, hat er German Gelassenheit bewiesen und trotz Neugier und Großvaterstolz die Reise nach Texas auf das Frühjahr verschoben.
Weitere Preise waren ein Bio- Côtes du Rhone mit einem schmucken Bicyclette auf dem Etikett sowie Bambustrinkhalme. Preisträgerin Beate Kleifgen wird die Trinkhalme allerdings nicht zum Schlürfen von Flüssigem verwenden, sondern ein Insektenhotel draus bauen. Nippeser Wildbienen, freut euch des (kommenden) Frühjahrs!
“Tach”, sacht meine Nachbarin, die Frau Keuner. Wir laufen uns auf der Neusser Straße über den Weg. “Halt mal, Lisa, ich muss dir was erzählen.”
“Keine Zeit, ich muss die Bahn kriegen”, sach ich.
“Dann nimmste eben die nächste oder übernächste”, sagt die Frau Keuner. “Geht auch ganz schnell. Ich hatte dir doch von meiner Tante erzählt, von der, die Lungenkrebs hat. Die war so niedergeschlagen, weil ihre Enkelin sich nicht mehr von ihr in den Arm nehmen lässt. Du weißt doch, die Frieda hat diese abscheulichen Aufdrucke auf den Zigarettenschachteln gesehen und ekelt sich jetzt. Es haben doch vor allem alte Menschen Krebs. Was tut die Werbung den alten Menschen an?”
“Frau Keuner, ich…”
“Jetzt unterbrich mich doch nich immer”, sagt die Frau Keuner. “Wo war ich stehen geblieben? Also, ich hab dann meine Tante am zweiten Weihnachtstag besucht, und da hatte die richtig gute Laune. Hömma, die ist gedrückt worden, und wie.” Die Frau Keuner lacht, hustet, aber kriegt sich schnell wieder ein. “Die hatte Besuch von einem anderen Enkelkind, dem Cousin von der Frieda. Der Luca, dat ist ne janz fiese Möpp. Der hat so wie die anderen Enkelkinder immer Geld zugesteckt gekriegt, hat sich aber nie dafür bedankt. Wat soll man sich auch für 50 Euro bedanken. So ist der.” Die Frau Keuner atmet tief und sagt erstmal nichts mehr.
“Und dann?”, hake ich nach. “Meine Bahn ist jetzt eh weg. Wie geht die Geschichte weiter?”
“Also”, redet die Frau Keuner weiter. “Und jetzt kommt der Luca zu meiner Tante nach Hause, denn da ist die zur Zeit, die will nicht mehr ins Krankenhaus zurück, und der Luca bedankt sich und drückt sie, dass es richtig unangenehm ist. Meine Tante hat genau gewusst, was war. ‘Jetzt lass mich mal gefälligst los’, hat sie gesagt. Der Luca hat auf ahnungslos gemacht, aber meine Tante ist hart geblieben. ‘Hab ich mir schon gedacht, dass du vorbeikommst‘, hat sie gesagt, ‘dein bester Freund hat doch geheiratet. Ihr wart beim Junggesellenabschied im PASCHA NIGHTCLUB, und dann seid ihr raus und weiter in Richtung XTRAFIT, und da seid ihr bestimmt an dem widerlichen Plakat vorbeigekommen: GEHT OMAS DRÜCKEN! – DAK-Gesundheit. Ein Leben lang.'”
“Ist aber gut gemeint”, sage ich. “Klingt nicht schlecht.”
“Ja eben”, sagt die Frau Keuner und grinst: “Ja, die Krankenkassen machen auf menschlich, und dat in einem saloppen Ton. Denen liegen Studien vor, dass Berührungen gut tun. Und deshalb heißt die Werbe-Kampagne auch “Für ein gesundes Miteinander”. Hömma, Lisa, dat is Zärtlichkeit auf Kommando Und deshalb machen die Kassen jetzt einen auf “Wir haben uns doch alle lieb”. Aber meine Tante hat Probleme damit, den Luca noch lieb zu haben. Die hat sich den so richtig vorgenommen: ‘Und dich piesackt jetzt dein Gewissen”, hat sie gesagt. “Lieber Luca, fürs nächste Weihnachten gibste mir mal deine Kontonummer. Kauf dir meinetwegen ein paar PASCHA-DOLLARS für den PRIVATE DANCE, aber rück mir nie wieder auffe Pelle. Du kannst irgendwelchen Damen anne Brust packen, aber bitte nich mir.'”
Herbst 2019: “Für ein gesundes Miteinander” – DAK-Werbeplakat an der Inneren Kanalstraße zwischen Hornstraße (PASCHA) und Gleisdreieck (XTRAFIT -Fitnessstudio) In Deutschland gehen jeden Tag etwa eine Million Männer in den Puff. So schön es wäre – wir können die Puffs nicht einfach abschaffen, denn unsere Gesellschaft ist patriarchal degeneriert. Und wohin mit der einen Million? Puffs sind eine Verhöhnung der leiblichen Liebe. Was von der Liebe bleibt, ist kommerziell legitimierte Notdurftverrichtung – im Fall Pascha in Kooperation mit der Stadt Köln. Anfang der 1970er Jahre konnte ein professioneller Betreiber auf städtischem Grund das europaweit erste Puff-Hochhaus bauen, ein sogenanntes “Laufhaus” mit 126 Zimmern auf elf Etagen. So konnte, wie es heißt, die Kölner Prostitution aus der Innenstadt herausgeholt, gebündelt und besser kontrolliert werden. Die Hornstraße gehört zwar offiziell zum schönen, gutbürgerlichen Stadtteil Neu-Ehrenfeld, liegt aber abseits vom beliebten Wohngebiet im Niemandsland zwischen Liebig- und Innerer Kanalstraße. Immerhin stinkt es hier nicht mehr nach Schlachthof-Abfällen wie noch vor zwanzig Jahren. Die Fleischversorgung Köln, unmittelbarer Pascha-Nachbar, hat mittlerweile den Betrieb eingestellt.