Elfchen im Elften: Der dreibeinige Hund

Am Tag vor Allerheiligen hatte ich eine schöne Begegnung mit einem dreibeinigen Hund: Lebhaft, blond gescheckt, drahthaarig, freundlich und beweglich. Obwohl ihm ein Hinterbein fehlte, hatte der Rüde einen ausgezeichneten Gleichgewichtssinn. Leicht fiel es ihm nicht, die richtige Position zum Pinkeln zu finden. Er hüpfte auf der Stelle, doch irgendwann drückte er sich an eine Hecke und hob das nicht mehr vorhandene rechte Bein.

Seine junge Besitzerin war gut gestimmt. Ich dachte an unseren vor einem Jahr im Alter von knapp 13 Jahren verstorbenen Familienhund Freki, der irgendwann zu schwach war, das Bein zu heben, und sich zum Pinkeln nur noch hinhockte. Ich hatte mit dem dreibeinigen Hund kein Mitleid, denn er litt nicht, sondern freute sich des Hundelebens, was wohl auch an seinem heiteren “Frauchen” lag. Mir kam ein Satz, den ich zu einem traurig wirkenden Menschen nicht gesagt hätte: “Manchmal ist es praktisch, nur noch drei Beine zu haben.” Zu meiner Erleichterung lachte die junge Frau und sagte: “Manchmal macht er sogar Handstand.”

Wir unterhielten uns noch eine Weile. Der Hund war vor zwei Jahren zu seinem “Frauchen” gekommen. Er hatte in Portugal auf der Straße gelebt und war bei einem Autounfall schwer verletzt worden. Ein lieber zehnjähriger Hund, dem es auf der Straße gut gegangen sein muss und der das große Glück hatte, nach dem schrecklichen Unfall tierärztlich versorgt, gesundgepflegt und genau an den Menschen vermittelt zu werden, zu dem er gehörte.

Als wir uns verabschiedeten, sagte die Frau: “Sie dürfen den auch streicheln.” “Gerne”, sagte ich, was nicht ganz stimmte. Ich hatte, obwohl ich dem Hund nur meinen Handrücken zum Beschnüffeln reichte, dem verstorbenen Freki gegenüber ein furchtbar schlechtes Gewissen. Es fühlte (und fühlt!) sich an wie Fremd(Gassi)gehen.

Lieber Freki, ich widme dir mein Elfchen des Monats November. Ich bin einem Hund begegnet, der mich beeindruckt hat, denn er hat nur drei Beine, kann aber immer noch markieren. Wie du hörst, handelt es sich um einen Rüden (pardon!). Und es ist dein ehemaliges Revier, das er markiert. Für mich ist dieser dreibeinige Rüde wie dein Sohn, denn er ist ein echtes Stehaufmännchen bzw. ein Stehaufrüde – wie du.

Hundewunder der unfreiwilligen Dreibeinigkeit:

Dann

und wann

trifft man den

dreibeinigen Rüden im Handstand

an

Zwei Tage später wurde mir von change.org eine Petition zugespielt: Tiermediziner:innen für echten Tierschutz! Schlachthofpraktikum beenden. Vor Jahren hatte es schon einmal eine Petition zu genau dem Thema gegeben, die aber versandet war, weil nur wenige Menschen unterschrieben hatten. Die aktuelle Petition hat mehr Aussicht auf Erfolg, denn sie wurde von einem prominenten Tierarzt gestartet, dem YouTuber und ARD-Tierexperten Karim Montasser (“Die Haustierprofis”) .

Der Hintergrund: Wer Tiermedizin studiert, muss ein dreiwöchiges Praktikum in einem Schlachthof absolvieren. Die Petition fordert aber nicht nur die ersatzlose Streichung des verpflichtenden Schlachthofpraktikums, sondern formuliert Alternativen: “Stattdessen sollte es durch Praktika ersetzt werden, die auf den Schutz und die Pflege von Tieren ausgerichtet sind.”

https://www.change.org/p/beenden-sie-das-verpflichtende-schlachthofpraktikum-im-studium-der-veterin%C3%A4rmedizinstudium?signed=true

Ich habe dann die Petition unterschreiben, einen kleinen Obolus entrichtet und einen Kommentar verfasst: Dieses Praktikum ist ein brutaler Kniefall vor der Massentierhaltung und entwürdigt uns alle: Mensch und Tier. Viel sinnvoller wäre z.B. ein Praktikum auf einer Auffangstation für verletzte Wildtiere.

Auf die Auffangstation für Wildtiere bin ich deshalb gekommen, weil wir vor ein paar Jahren einmal eine positive Erfahrung mit der tierärztlichen Versorgung eines Wildtiers gemacht haben. Meine Tochter hatte zusammen mit einer Freundin am Rand der autofreien Siedlung nahe der S-Bahn einen verletzten Igel gefunden, der am Bauch eine infizierte Fleischwunde hatte. Der Igel war nicht mehr in der Lage, sich einzurollen, aber er trank gierig das Wasser, das die beiden ihm vorsetzten. Nachdem sie sich per Internet kundig gemacht hatten, betteten die Freundinnen ihn in einen mit einer Decke ausgekleideten Karton und brachten ihn zu einer Braunsfelder Tierarztpraxis, in der verletzte Wildtiere versorgt und nach erfolgreicher Behandlung wieder ausgesetzt werden. Die Behandlung ist für die Menschen, die ein verletztes Tier vorbeibringen, kostenlos, aber eine Spende ist herzlich willkommen. https://www.vetzentrum-koeln.de/wildtiere/

Während ich auf dem Sofa sitzend die Petition kommentierte, hörte ich in dem Moment, als ich die Wörter “Auffangstation für verletzte Wildtiere” schrieb, einen dumpfen Knall: Eine Taube war von einer Windbö erfasst und an die Scheibe der Terrassentür geworfen worden. Glücklicherweise blieb das Tier unverletzt, machte nicht einmal eine Verschnaufpause und flog direkt weg. Ein Zufall?

An diesem 2. November war es in Köln stürmisch mit einzelnen Böen bis zu 60 km/h. Ein paar Tage später wollte ich wissen, wie stark es den äußersten Westen der Bretagne getroffen hat, das Département du Finistère, wo ich mit meinen beiden Töchtern im Sommer Urlaub gemacht habe.

Tendenziell schwächte sich der Sturm am 1. und 2. November nach Osten hin ab. Doch selbst in Tregunc, also in einer Entfernung von knapp 80 km zum westlichsten Punkt der Bretagne, der Pointe du Raz, gab es Windböen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 142 km/h.

Die Menschen dürften sich in ihren Häusern verschanzt haben, aber wie ist es den Wildtieren ergangen, denen wir im Sommer begegnet sind? Ich hoffe, dass sie alle einen sicheren Unterschlupf gefunden haben.

Küsten-Weg bei Port Manec’h, Bretagne, Ende August 2023. Meeresstille, ein laues Lüftchen und ein schwebender Spatz.
Spatzen sind nicht zähmbar und gelten daher -wie andere Vögel auch- als “Wildtiere”. Doch die Bezeichnung ist ungenau, denn als Kulturfolger leben sie in einer Art Wahlverwandtschaft mit uns Menschen.
Anders als vielfach angenommen leben Spatzen nicht nur im Moment, sondern auch in evolutions- und schöpfungsgeschichtlicher Vergangenheit und Zukunft. Sie paaren sich nicht nur “just for fun”, sondern um ihre Art zu erhalten. Die Aufforderung “Seiet fruchtbar und mehret euch” würden sie als bevormundend empfinden. Niemand sagt ihnen, dass sie sich fortpflanzen sollen. Sie tun es einfach.
Als wir Anfang September aus der Bretagne zurückkamen, war es in unserem kleinem Garten sehr still. Zwei Wochen lang hatten wir die Vögel nicht füttern können. Es dauerte ein paar Tage, bis die Vögel realisiert hatten, dass die Futterstelle wieder “aktiv” war. Füttern ist nun mal die beste Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Auch Vögel haben einen Magen, und durch den geht bekannterweise die Liebe.
Nur die Rotkehlchen kamen nicht mehr in die Gärten unserer Häuserreihe. Doch irgendwann -es ging schon auf Ende September zu- haben sie inmitten der Stille höchst melodiös noch einmal zu singen begonnen. Weil es rundum still war, war dieser Wechsel-Gesang von Apfelbaum zu Apfelbaum so klar, so schön, so rein und hoffnungsvoll. Man sagt, dass es die Weibchen sind, die im Herbst singen. Erzählt wird auch, dass die Rotkehlchen dort, wo sie im Herbst singen, im Frühjahr wieder brüten werden. Seid willkommen!

Die Vereinnahmung des Geistes durch die monotheistische Kirche – ein Befreiungsversuch

Als mein Großvater im Jahr 1968 starb, wollte meine Großmutter nicht mehr zur Sonntagsmesse gehen. So fuhr sie irgendwann zum Bischöflichen Generalvikariat in Essen, um sich in der zentralen Verwaltung ein amtliches Schreiben zu holen, das sie vom Kirchgang befreite. Als Grund gab meine Großmutter Gebrechlichkeit an, was höchst erstaunlich war, wo doch die Bus-Fahrt von Bottrop nach Essen (plus Fußweg) eine echte Strapaze war.

Es ist angenehm, dass wir heutzutage zuhause bleiben und uns per Internet einzelne Messen und Predigten angucken können. Selbst den Segen “Urbi et Orbi”, den uns der Papst zweimal im Jahr (Ostern und Weihnachten) spendet, können wir nicht nur über das Fernsehen, sondern längst auch digital empfangen.

Noch vor wenigen Jahren fand ich es erbaulich, per Internet dem “Urbi et orbi” zu lauschen. Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit dachte, der Segen sei eine symbolische Geste, eine Grußbotschaft an alle Menschen dieser Erde – über alle Grenzen hinweg. Erst bei genauerem Hinschauen wurde ich eines Besseren belehrt. “Mit dem Segen Urbi et orbi ist nach katholischer Lehre allen, die ihn hören oder sehen und des guten Willens sind, unter den gewöhnlichen Bedingungen ein vollkommener Ablass ihrer Sündenstrafen gewährt. War früher für diesen Empfang die physische Anwesenheit des Empfängers auf dem Platz bzw. in Sichtweite des Spenders notwendig, so kann nach dem auch vorher schon vorhandenen umfassenden Verständnis (orbi) der Segen seit 1967 auch über Radio, seit 1985 über das Fernsehen und seit 1995 auch über das Internet gültig empfangen werden.https://de.wikipedia.org/wiki/Urbi_et_orbi

Doch was ist ein Segen überhaupt? Laut Definition wird uns durch einen Segen göttliche Kraft oder Gnade zuteil. In aller Regel setzt das voraus, dass wir während der Segnung körperlich anwesend sind, dass sich segnende Person und diejenigen, die gesegnet werden, Raum (auch Außenraum) und Atemluft teilen, etwa beim Segen, mit dem ein Priester am Ende eines Gottesdienstes die Gläubigen entlässt.

Doch kann die “Kraftübertragung” digital klappen? So praktisch es auch sein mag, wage ich es doch zu bezweifeln, und ist der Segnende (nach katholischer Vorstellung) auch “Stellvertreter Christi auf Erden”. Durch die weltweite Ausstrahlung per Internet und die Segnung der Massen wird “Urbi et Orbi” meines Erachtens ad absurdum geführt. Der Versuch, die symbolische Geste sakral aufzuplustern, führt zu aberwitzigen Konstruktionen. Zum Beispiel können wir den Segen nur dann empfangen, wenn wir live und nicht zeitversetzt zuschauen.

Man kann “Urbi et orbi” als einen Wegbereiter der “digitalen Kirche” sehen. Während der “Pandemie” hat die Retorten-Kirche noch weiter Auftrieb bekommen, insbesondere durch die Internet-Übertragungen von digitalen Gottesdiensten. https://stellwerk60.com/2020/04/22/gott-to-go-wie-sich-die-amtskirchen-immer-weiter-vor-der-schoepfung-abschotten/ Auch nach der “Pandemie” zeichnet Domradio, der Radio-Sender des Erzbistums Köln (“mit dem guten Draht nach oben“), ausgewählte Gottesdienste auf. Hauptakteur: Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki. Im Kölner Dom hat Woelki Heimvorteil. Nach wie vor scheint es der redegewandte Kardinal zu genießen, gefilmt zu werden. Das ist bemerkenswert, denn Woelki steht im Zusammenhang mit der Vertuschung von sexuellem Missbrauch längst unter Meineids-Verdacht. https://www.sueddeutsche.de/politik/koeln-woelki-1.5853412

Erstaunlich ist, mit welcher Selbstverständlichkeit Kardinal Rainer Maria Woelki in seinen Gottesdiensten das Unschuldslamm mimt. Ich fürchte, dass er sich wirklich unschuldig fühlt, Woelki hat gebeichtet und Aufarbeitung versprochen. Warum sollte er weiter predigen dürfen, wenn er nicht längst von seiner Schuld erlöst wäre? Schließlich steht der Papst hinter ihm und beschützt ihn. Franziskus hat sein Rücktrittsangebot nicht angenommen.

Doch je länger er den Bischof mimt, desto mehr verspielt er das Vertrauen der Menschen. Woelki schadet nicht nur sich selber und der Katholischen Kirche, sondern dem Glauben schlechthin. Denn für die meisten Menschen ist die Kirche so etwas wie der letzte Ort Gottes. Viele Menschen empfinden wie ich, als ich vor knapp vierzig Jahren aus der Katholischen Kirche ausgetreten bin. Traurig und enttäuscht verabschiedete ich mich vom Gott meiner Kindheit und bezeichnete mich als “Atheistin”, ohne das jemals zu sein. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass die Kirche mein spirituelles Vermögen blockiert hatte.

Denn die Kirche hat sich den Geist, den Spiritus zu eigen gemacht. Ich komme noch einmal auf die Predigt zurück, die Woelki zu Pfingsten 2023 im Rahmen des Pontifikalamts im Kölner Dom hielt. Domradio hat die “Predigt KARDINAL WOELKI an PFINGSTEN im Kölner Dom” gefilmt und ins Internet gestellt. Vgl.: https://stellwerk60.com/2023/10/22/als-ob-nichts-waere-der-kommentar-der-kinder-zu-woelkis-zeitloser-predigt/

Am Ende seiner Predigt, die den Heiligen Geist zum Thema hat, wird er leidenschaftlich:

Der Heilige Geist ist die Flamme des Göttlichen Lebens, die aus dem Inneren Gottes herausschlägt und uns läutert und durchdringt, uns hineinnimmt in die Einheit mit dem Vater und dem Sohn. wo zu dieser Gemeinschaft mit Gott verholfen wird, wo sie gefunden wird, wo wir sie leben, da beginnt neue Schöpfung, da ist der Schöpfer Geist am Werk. Und wir müssen uns deshalb diesem Geist immer und immer und immer wieder neu öffnen und bitten: Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe, sende aus deinen Geist, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern…” (Video, ab Min. 14.34)

Hat Woelki jemals mit Leib und Seele und aus ganzem Herzen empfunden, was er da sagt? Vor dem Hintergrund des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche wage ich es zu bezweifeln, denn ein Mensch, der das “Feuer” göttlicher Liebe erfahren hat, wäre von der “Liebe zum Leben” erfüllt. Dieser Mensch würde sich nicht der Verantwortung entziehen, sondern mit der Kraft der Liebe mit seinen misshandelten Schutzbefohlenen empfinden, sich für sie einsetzen und sie vor Gewalt schützen.

Früher hätte ich die Formulierung “Flamme des Göttlichen Lebens” lächerlich und pathetisch gefunden. Der Heilige Geist, so dachte ich, ist eine Erfindung. Doch es ist schlimmer, denn der “Heilige Geist” ist keine Erfindung, sondern Ausdruck einer Okkupation. Auch wenn es sich nicht rekonstruieren lässt, glaube ich, dass der Heilige Geist eine Antwort der monotheistischen Kirche auf heidnische Gotteserfahrungen war. Vermutlich haben spirituelle Erfahrungen, die einzelne Menschen gemacht haben, in den polytheistischen Kulten und Riten der Kelten und Germanen eine zentrale Rolle gespielt. Sie waren sinn- und kraftgebend für die Gemeinschaft – und mussten dementsprechend kanalisiert und entkräftet werden.

Das zu schreiben, erlaube ich mir, weil ich vor fast neun Jahren ein “Nahtoderlebnis” hatte, von dem ich an dieser Stelle schon drei Mal berichtet habe. Der Begriff ist unpräzise, aber er hat sich etabliert, weil vor allem Menschen, die wiederbelebt werden oder auf andere Weise dem Tod nahe sind, mystische Erfahrungen machen. Diese Erfahrungen kann man nicht herbeirufen, sie passieren einfach. https://stellwerk60.com/2021/12/24/wir-sagen-euch-an-im-koelner-dom-wird-an-heiligabend-geimpft-wie-mich-eine-persoenliche-gotteserfahrung-nahtod-gegen-die-staatskirche-immunisiert-hat/

Meiner Erfahrung waren andere Ereignisse vorausgegangen. Ich hatte über Karneval 2015 (“Fünfte Jahreszeit”) eine Reise in die Bretagne gemacht. Eigentlich war es nicht meine Reise, sondern die zweier damaliger Freunde, die mich eingeladen hatten. Ich liebe es, mithilfe von Landkarten nachzuvollziehen, wo ich mich befinde, aber ich hatte die Karte zu Hause gelassen und komplett die Orientierung verloren, was ich genossen habe. Wir haben auf einem Friedhof in einem Ort an der Nordküste des Finistère nach einem Grab gesucht. Dieses Grab haben wir nicht gefunden, obwohl wir -wie sich später herausstellen sollte- mehrmals daran vorbeigelaufen sind. Aber ich habe auf dieser Reise etwas anderes entdeckt…

Wenige Wochen später hatte ich dann -mitten in Köln, in vertrauter Umgebung- meine “Nahtoderfahrung”…. Ich habe damals nicht geahnt, dass ausgerechnet Kardinal Woelki die Begegnung mit dem Heiligen Geist so beschreiben würde, wie ich die Begegnung mit dem Göttlichen erlebt habe. Meine Erfahrung hat eine vergleichbare Dramaturgie: Nachdem ich von einer Kraft überwältigt wurde und in einen Zustand extremer Todesangst geriet, folgte eine Phase der Erlösung: “… die Flamme des Göttlichen Lebens, die aus dem Inneren Gottes herausschlägt und uns läutert und durchdringt…” Allerdings habe ich diese Phase nicht als Erlösung aus irgendeiner Schuld, als Läuterung oder “Reinwaschung” empfunden, sondern “nur” als tiefgreifende Befreiung von der Todes-Angst. Die Kraft, die mich überwältigt hatte, wollte mich nicht bestrafen, sondern mir die Augen öffnen, insbesondere für die in der autoritären Gesellschaft allgegenwärtige Erzeugung von Todesangst. Diese Kraft meinte es gut mit mir.

Weiter heißt es bei Woelki: “Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe… ” Tatsächlich war ich nach der Erlösung aus der Angst von Liebe erfüllt. Und nicht nur das: Der ganze Kosmos war von Liebe erfüllt. Die Liebe (nicht Angst und Hass), so empfand ich deutlich, war und ist die treibende Kraft, die uns leben und lieben und die alles entstehen, wachsen und gedeihen lässt. Ich lief wochenlang beschwingt durch die Gegend und sagte: Der Kosmos ist von Liebe durchdrungen, ist das nicht schön? Meine Umgebung hat mich für verrückt gehalten, zumal ich damals schon 56 Jahre alt war.

Allerdings ist eine solche Erfahrung ambivalent und so wenig sanft wie eine Geburt. Tatsächlich sind Nahtod- Erfahrungen intensive, in einem umfassenden Sinn erotische Erlebnisse. Alles genauere Erzählen würde an dieser Stelle den Rahme sprengen. Später einmal mehr.

Doch wie ist es um den Wahrheitsgehalt einer solchen “Gotteserfahrung” bestellt? Was ich erlebt habe, könnte sich ja in meinen Gehirn abgespielt haben und nicht der realen Welt. Anfangs hatte ich leise Zweifel, aber dann mehrten sich erstaunliche und rätselhafte Synchronizitäts-Erleignisse in der realen Welt.

Nun muss man den Kirchen zugute halten, dass sie -wie auch immer- den Glauben an ein Göttliches, an ein Jenseits und die Unendlichkeit aufrecht erhalten. Was aber die großen christlichen Feste lebendig macht, ist die Verquickung christlicher mit heidnischen Elementen. Ostern feiern wir ja nicht nur die Wiederauferstehung Christi, sondern das Wiedererwachen der Natur, die in ihrer Mannigfaltigkeit kein Gott an wenigen Tagen hätte erschaffen können. Ich glaube an “Gott”, aber nicht an den monotheistischen Vatergott. Diesen begreife ich zwar nicht als „falsch“ oder erfunden, aber als Einengung und Vereinseitigung eines weitaus umfassenderen Göttlichen.

Hier stocke ich, weil das Erlebnis mit der weißen Taube (s.u.) so ungeheuerlich war, dass ich für den Text noch ein bisschen Zeit brauche… Später mehr…