In einer kleinen Siedlung lebte vor langer Zeit eine Gruppe Menschen. Meistens waren sie unter sich, denn die nächste Siedlung lag einen halben Tagesmarsch weit entfernt. Sie ernährten sich von dem, was sie fanden, von Beeren, Nüssen, Pilzen und den Körnern wilder Getreide. Der nahe Fluss war voller Fische. Das Klima war gemäßigt, die Winter waren mild und die Sommer regenreich, aber auch sonnig.
In den Wäldern gab es so viel Wild, dass die Wölfe keinen Grund hatten, in die Siedlungen der Menschen einzudringen. Die Nattern, die sich über den Boden schlängelten und die Blicke der Menschen in ihren Bann zogen, waren nicht angriffslustig.
Um die Götter nicht zu erzürnen, gingen die Männer nur ab und an auf die Jagd. Die Felle und Häute der erlegten Tiere ließen sich zu Kleidung verarbeiten. Ihr Fleisch wurde über dem Feuer gebraten und aufgeteilt. Die besten Stücke bekamen die jungen, fruchtbaren Frauen. Die Götter wollten es so. Die alten Frauen achteten streng darauf, dass der Wille der Götter respektiert wurde.
Irgendwann jedoch begehrten die Männer auf. “Es ist ungerecht, dass ihr Frauen bevorzugt werdet”, sagte der Anführer der Männer. “Glaubt nur nicht, dass ihr was Besonderes seid, nur weil ihr die Kinder zur Welt bringt. Es mag ja sein, dass ihr diesem Kampf viel Blut verliert, es mag auch sein, dass manchmal eine Frau während der Geburt stirbt, aber ich sage euch, der Kampf gegen die wilden Tiere ist der eigentliche, der noch blutigere Kampf. Der Kampf gegen die Bestie ist ein Kampf auf Leben und Tod.”
Die Frauen konnten den Anführer der Männer nicht ganz ernst nehmen. Eine Geburt war zwar heftig und riskant, aber kein Kampf. Wenn sie in den Wald gingen, um Beeren, Nüsse und Pilze zu sammeln, sahen die Frauen hin und wieder Wölfe, aber noch nie waren sie einer Bestie begegnet. Die Frauen waren gelassen, sie nahmen sich das, was die Natur hergab, sie kannten die Lichtungen, wo die besten Beeren reiften, sie lehrten die Kinder, zwischen unreif und reif, nicht essbar und essbar und zwischen giftig und ungiftig zu unterscheiden. Und irgendwann hatten sie herausgefunden, wie man Beeren und Pilze trocknen und für den langen Winter haltbar machen konnte.
Die Männer jedoch waren unzufrieden. Um Fische zu fangen, musste man schnell sein und mit der Harpune umgehen können, doch die Fische waren so kühl wie das Wasser, in dem sie schwammen, und die Jagd auf sie forderte nicht den ganzen Mann. “Wozu”, fragten sich die Männer, “sollten uns die Götter mit dieser großen Kraft ausgestattet haben, wenn wir nicht auserkoren wären, den Kampf aufzunehmen gegen die wilden, warmblütigen Tiere ?”
Die Männer versammelten sich, um Pläne zu schmieden. “Wir brauchen mehr Hirschfelle”, sagte der Anführer der Männer. “Die Winter werden härter werden.” Die Männer nickten. “Wir müssen Schweine jagen”, sagte ein anderer Mann, “im Wald leben zu viele davon. Das bringt die Wölfe auf die Idee, sich hemmungslos zu vermehren. Und dann haben wir ein Problem.” Ein dritter Mann schaltete sich ein: “Das erste Fleisch werden in Zukunft nicht mehr die Frauen bekommen. Wir müssen sie beschützen, denn das Fleisch könnte vergiftet sein. Aber die Frauen brauchen keine Angst zu haben, denn wir Männer werden das Fleisch vor ihnen probieren. Erst wenn wir Männer die Mutprobe überlebt haben, sind die Frauen dran.” Jetzt jubelten alle.
Von nun an gingen die Männer häufiger jagen. Ihre Jagdlust wurde alleine dadurch gebremst, dass die alten Frauen, die nicht mehr gerne Fleisch aßen und deren Zähne brüchig geworden waren, weiterhin darauf achteten, dass die jungen Frauen die besten Fleischstücke bekamen.
Wenn sie in den Wald gingen, nahmen die Frauen die Kinder mit. Die jüngsten wurden getragen und abgesetzt, die älteren halfen beim Sammeln. Vor allem die süßen Beeren schmeckten den Kindern. So gehörten in jedem Frühjahr die ersten Walderdbeeren ausschließlich ihnen. Alle Kinder, die schon laufen konnten, durften ohne die Erwachsenen in den Wald und Erdbeeren essen, so viele sie wollten. Sie sollten keine Erdbeeren nach Hause mitbringen, aber darauf achten, dass alle Kinder zusammenblieben. Die Erwachsenen vertrauten die kleineren Kinder den älteren an, die schon gut zählen konnten. Es waren 23 Kinder, die an einem milden, sonnigen Tag losgezogen waren, um Erdbeeren zu pflücken. Dass sie am Waldrand die Kinder aus der Nachbarsiedlung getroffen und mit ihnen gespielt und Erdbeeren gegessen hatten, erzählten sie nur den Müttern.
Ein paar Tage später waren die Kinder krank. Als die Menschen sich zur allmorgendlichen Begrüßung trafen, war die Haut der wenigen Kinder, die gekommen waren, voller Pusteln. “Kommt mir nur nicht zu nahe”, schrie ein Mann.
“Das sind die Erdbeeren”, rief ein anderer. “Die Kinder werden nie mehr alleine in den Wald gehen.”
“Ihr Frauen seid schuld, wenn sie sterben”, sagte ein dritter. “Ihr verzärtelt die Kinder und lasst sie viel zu lange eure süße Milch trinken.”
“Beruhigt euch”, sagte die alte Mimi. “Kein Kind wird sterben.”
“Geht, Männer”, rief eine jüngere Frau. “Was versteht ihr Männer schon von den Kindern? Verschwindet!”
“Wir wollten ohnehin gehen”, sagte der Anführer der Männer. “Vor uns liegt ein gefahrvoller Weg. Wir brechen auf, um den Großen Heiler zu finden und ihn um eine Medizin zu bitten, die die Kinder wieder gesund macht, eine Medizin, die ihnen hilft und die das Böse, das von ihnen Besitz ergriffen hat, endgültig besiegt. Wer von euch Männern hat keine Angst, den Gefahren, die auf dem Weg lauern, ins Auge zu sehen, wer ist dabei?!”
Die Männer jubelten, bis auf die alten Männer schlossen sich alle an. Sie bewaffneten sich mit Pfeilen, mit Äxten, mit Schleudern. Der Anführer der Männer kam noch einmal zurück und überreichte Mimi eine Steinschleuder.
“Die könnt ihr wohl nicht mehr tragen”, sagte die alte Mimi und lachte.
Die Alten, die Frauen und die Kinder machten sich eine gute Zeit. Manchmal stieg in der Ferne über dem Wald Rauch auf.
Als die Männer nach ein paar Wochen mit leeren Händen zurückkamen, waren die Felle, die sie trugen, beschädigt. Arme und Beine zerschrammt. Aufgeregt liefen ihnen die Kinder entgegen.
“Die Pusteln sind weg”, sangen die Kinder und tanzten. “Die fiesen, fiesen Pusteln sind weg.”
“Schau mich an”, sagte der Anführer der Männer zu seiner Tochter. “Was haben wir nicht alles auf uns genommen, um den Großen Heiler zu finden und an die Medizin zu kommen.”
“Freust du dich denn nicht?”, fragte das Mädchen leise. “Ich bin gesund und die anderen Kinder auch.”
“Warum hast du nicht auf mich gewartet?”, fragte der Anführer der Männer. “Jetzt bist du nicht mehr meine Tochter.”
Das Mädchen fing an zu weinen. Ihr Vater lächelte und nahm sie in den Arm. “Das war nicht so gemeint,” sagte er. “Aber wir müssen abwarten. Wahrscheinlich kommt die Krankheit zurück. Ihr habt den Großen Heiler erzürnt. Doch wenn wir erst einmal die Medizin haben, wird die Krankheit nicht einmal mehr den Versuch machen, euch anzugreifen.”
Er ging zu den Frauen, die ein bisschen abseits zusammenstanden. “Wie habt ihr das gemacht, habt ihr die Kinder mit einer eurer seltsamen Tinkturen eingerieben? Bildet euch bloß nicht ein, ihr hättet die Kinder geheilt.”
“Wir haben die Kinder nicht geheilt”, sagte die Frau des Anführers der Männer. “Wir haben nur darauf geachtet, dass sie es warm haben und genug trinken. Sie sind aus eigener Kraft gesund geworden. Es war schön, wir Frauen sind gesund geblieben. Vielleicht sind wir gesund geblieben, weil wir die Krankheit schon hatten, damals, als wir Kinder waren. Du übrigens auch.”
“Was unterstellst du mir, ich soll diese scheußlichen Pusteln gehabt haben?!”
“Frag Mimi”, sagte die Frau. “Doch was wir jetzt erlebt haben, war wie ein Wunder. Die Krankheit konnte uns Frauen nichts anhaben. Lach mich bitte nicht aus, aber es war, als könnten wir über das Wasser laufen, ohne unterzugehen.”
“Du redest wirr”, sagte der Anführer der Männer. “Nur der Große Heiler kann über das Wasser laufen, ohne unterzugehen.”
Jetzt musste die Frau des Anführers der Männer lachen, und weil Lachen nun mal ansteckend ist, fielen alle ein, die Frauen, die Kinder, aber auch einzelne Männer.
Das gutgestimmte Windpocken-Kind. Karneval im Jahr 2000. Eine Wieverfastelovend-Feier in der städtischen KiTa Ottostraße in Köln-Neuehrenfeld wird zum “Super-Spreader-Event”. Fast alle Kinder bekommen die Windpocken, später auch die Geschwisterkinder, die noch nicht in die KiTa gehen. Schön sieht die kleine Schwester mit ihren Windpocken nicht aus, aber neun Monate alte Babys gucken zum Glück noch nicht in den Spiegel. Ich weiß, wie unangenehm die Gürtelrose ist, eine Krankheit, die man bekommen kann, wenn man als Kind die Windpocken hatte – Zwei nahe Verwandte waren (fast zu gleichen Zeit, aber räumlich getrennt) daran erkrankt. Und doch bin ich froh, dass meine beiden Töchter neben dem Drei-Tage-Fieber die Windpocken hatten. Die Windpocken sind nach wie vor der beste Schutz gegen die von der STIKO empfohlene Windpockenimpfung.
Am Abend, der ungewöhnlich mild war, wurde in der Siedlung ein Fest gefeiert. Die Kinder waren irgendwann schlafen gegangen, aber die Erwachsenen saßen noch um das Feuer herum. Die Männer jammerten ein bisschen, doch die Frauen waren heiter gestimmt, versorgten die Wunden der Männer und sangen die Lieder, die sie sonst nur den Kindern vorsangen. Hier und da wurden erste zarte Küsse ausgetauscht. Es würde eine lange Nacht werden.
Auch die alten Menschen sollten noch lange wach bleiben “Ich mache mir große Sorgen”, sagte der alte Dado. “Warum lassen sich die Frauen immer wieder von den Männern bezirzen?”
“Ihr Männer seid beschränkt, aber wir lieben euch”, sagte die alte Mimi.
“Irgendwann”, sagte Dado, “werden die Männer eine Steinschleuder bauen, mit der man Steine schleudern kann, die so groß sind wie Berge, so gigantisch, dass sie alle Tiere des Waldes auf einen Schlag töten können.”
“Ach was.” Mimi lachte. “Steine, die so groß sind wie Berge, lassen sich doch gar nicht bewegen. Und wer alle Tiere auf einen Schlag tötet, zerstört alles.”
“Das ist ihnen egal”, antwortete Dado. “Die Männer werden die große Schleuder vielleicht nicht einmal benutzen, aber immer damit drohen, dass sie es tun. Und sie werden die Boote mit Flügeln ausstatten und versuchen, zu den Gestirnen zu fliegen und den Mond vom Himmel zu holen.”
“Ach was”, sagte Mimi und und legte den Arm um Dado. “Die Männer sind wie kleine Jungs. Sie wollen nur spielen.”
“Sie sind aber keine kleinen Jungs”, sagte Dado. “Manchmal sehe ich die Männer in den Kampf gegen die Menschen anderer Siedlungen ziehen. Und irgendwann werden die Frauen Seite an Seite mit ihnen marschieren.”
“Warum sollten die Frauen das tun? Das ist doch gegen unsere Natur.”
In dieser Geschichte erfahren wir, wie Rotkäppchens Großmutter mitten in der “Pandemie” zum Entsetzen ihrer Familie eine Ehe mit dem Wolf eingeht und bei der Gelegenheit fünf Wolfskinder adoptiert. Damals geschah etwas Seltsames: Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Beitrags wurde -während der nächtlichen Corona-Ausgangssperre- in der Nähe der autofreien Siedlung Stellwerk 60 ein Wolf gesichtet.
In der Nacht, nachdem der Blog-Beitrag aufgerufen wurde (Nacht zum 20.7.2023), tauchte in Kleinmachnow bei Berlin ein Tier auf, das man aufgrund eines Passanten-Videos als Löwin identifizierte. Nachdem man die Umgebung in Alarmbereitschaft gesetzt und bis zum Freitagvormittag vergeblich nach dem Tier, das kaum Spuren hinterließ, gesucht hatte, gab es Entwarnung: Bei dem Tier dürfte es sich um ein Wildschwein gehandelt haben.
Das wiederum korrespondiert mit meiner kleinen Geschichte über das Wunder der Immunität. Die Männer der kleinen Siedlung dämonisieren nicht nur die Windpocken. Sie suchen einen Grund, jagen zu gehen, und warnen vor gefährlichen Raubtieren, die noch nie jemand gesehen hat.
Seltsam ist das schon, doch werte ich das Zusammenkommen der Sonderbarkeiten als reinen Zufall.
Szene einer kölschen Ehe: Am Valentinstag (der -nebenbei gesagt- im Jahr 2024 ausgerechnet mit dem Aschermittwoch zusammenfällt) hat SIE mit den roten Rosen, die ER ihr geschenkt hat, eine viel zu schmale Vase bestückt und auf den Boden gestellt. “Die kippt um”, sagt er.
“Tut sie nit”, sagt sie und lächelt. Er: “Liebchen, dat macht misch nervös.” Sie: “Misch nit.”
“Wenn isch dir sach, die kippt, dann kippt die”, sagt er. “Musste nur touchieren.” Er touchiert, nimmt einen Abfallsack, stopft Scherben und Blumen hinein und bringt die Abfälle zum Mülleimer, während sie das Wasser aufwischt.
“Dat ging ävver flott”, sagt sie, als er zurückkommt.
“Et kütt, wie et kütt”, sagt er. “Und wat fott es, es fott.”
Sie nimmt ihn in den Arm: “Wat können die Blömscher doför?”
“Isch mochte die nit”, flüstert er.
“Isch doch auch nit.”
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“Et kütt, wie et kütt” und “Wat fott es, es fott” sind zwei von insgesamt elf mundartlichen rheinischen Redensarten, die der Bonner Kabarettist Konrad Beikircher, ein cleverer Mann und gebürtiger Südtiroler, zusammengestellt und “Rheinisches” bzw. “KölschesGrundgesetz” genannt hat. Das entsprechende Buch (“Et kütt wie et kütt – Das Rheinische Grundgesetz“) wurde im Jahr 2001 im Kölner Verlag Kiepenheuer&Witsch veröffentlicht.
Zum “Kölschen Grundgesetz”, mit dem mittlerweile zahlreiche Merchandise-Artikel bedruckt sind, heißt es locker-flockig auf koeln.de, der digitalen Service und Werbe- “Plattform für Köln im Auftrag der Stadt Köln“:
“Fünfe auch mal gerade sein lassen, leben und leben lassen – und dabei immer dem Motto treu bleiben: Man kennt sich, man hilft sich. In Kölle wird seit der Römerzeit kräftig geklüngelt, getanzt und gebützt. Welche 11 Regeln aber wirklich das Kölsche Grundgesetz ausmachen, zeigt euch unsere Auflistung.” https://www.koeln.de/koeln/das-koelsche-grundgesetz-die-11-regeln-der-domstadt_1121331.html
Zwar bedient das “Kölsche Grundgesetz” Klischees, aber nach 46 Jahren Köln am Stück kann ich bestätigen, dass “der Kölner” wirklich so tickt, dass er die Redewendungen nicht nur ausspricht, sondern dass er sie lebt. Ich sage “der”, denn es ist ein ER. Er ist ein vom Aussterben bedrohter, “schon wat älterer” großer Junge, gesellig, in der Regel immer noch katholisch und Mitglied im Karnevalsverein. Er tanzt, er bützt und klüngelt, er trinkt Kölsch, solange man ihn lässt. Bei sich zu Hause ist er ein kleiner Patriarch bzw. Patri-Arsch, wie er sich selber augenzwinkernd nennt. Im Alltag dienen ihm die “Paragraphen” des “Kölschen Grundgesetzes” dazu, kleine Missetaten zu vertuschen und faule Ausreden zu finden. Und dennoch: Ich kann nicht anders, ich mag den Kölner – solange er mir nicht zu nahe kommt.
“Wat fott es, es fott”… Wie interpretiert die digitale Plattform koeln.de Paragraph 4 des “Kölschen Grundgesetzes”?
“Wat fott es es fott: Jammere den Dingen nicht nach… Alles hat ein Ende – und die schönsten Dinge meist zu früh. Wir Kölner trösten uns allerdings schnell über Verluste hinweg und sind offen für Neues – denn wir wissen: Wo gestern ein Kultladen wie das Underground in Ehrenfeld dicht machte und verschwand, da gibt es heute schon einen Nachfolger wie das Helios 37.” https://www.koeln.de/koeln/das-koelsche-grundgesetz-die-11-regeln-der-domstadt_paragraph-4_L1121331_1121323.html (Fettung von mir)
Betont lässig redet die Werbe-Plattform, die ja immerhin im Auftrag der Stadt Köln erstellt wird, das “Verschwinden” einer Kölner “Location” schön. Dabei ist das “Verschwinden” des “Underground” kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer fortschreitenden Kommerzialisierung und kommunalen Verödung, die nicht nur Kultläden betrifft, sondern alteingesessene Gaststätten, Reparaturwerkstätten und Geschäfte.
In Nippes machte Ende letzten Jahres der türkische Lebensmittelmarkt “Andaluo Pazari” in der Wilhelmstraße dicht “und verschwand”. Das ist schon deshalb bitter, weil “Andalou Pazari” -wie mir türkische Bekannte einmal erzählten- in den 1960er Jahren einer der ersten türkischen Lebensmittelmärkte in Köln war, wenn nicht der erste überhaupt. Dass das Geschäft schließen musste, hängt vermutlich damit zusammen, dass es in kaum 200 Metern Entfernung seit Anfang des Jahres “schon einen Nachfolger” gab, der größer und moderner ist und mit einer überdimensionierten Fleischtheke protzt, “Karadag”, Filiale einer expandierenden Kölner Supermarktkette.
Hier schreit es nach Abriss und mehrgeschossiger “Lückenbebauung”.
Herbst 2019:
Unten abgebildete Fotos, die den “Flora-Grill” so zeigen, wie er vor der “Pandemie” aussah, habe ich am frühen Morgen des 13.10.2019 aufgenommen. Eigentlich wollte ich damals nur den Deutschland-Dackel fotografieren. Vgl.: https://stellwerk60.com/2019/10/13/das-ist-sooo-deutsch-unser-heimatministerium-veranstaltet-eine-dooofe-teure-imagekampage/ Die Biertische sind übrigens nicht Teil einer Außengastronomie, sondern ein (frühmorgens noch nicht mit Wasser-Bechern bestückter) Erfrischungsstand für die Läufer des Köln-Marathons, der an dem Tag stattfand.
2023:
Unten abgebildete Fotos habe ich im Frühjahr 2023 aufgenommen. In das Ladenlokal im Eckhaus ist, nachdem der Secondhand-Händler “Humana” die Nippeser Filiale aufgegeben hat, der Supermarkt “Karadag” eingezogen. Zum Jahreswechsel 22/23 hat dann “der gute alte Metzgerladen” Stock dichtgemacht, eine alteingesessene Nippeser Metzgerei, die insbesondere nicht mehr ganz zeitgemäße Schweinefleisch-Spezialitäten im Angebot hatte. Metzger Christoph Stock, der mehrmals für seine feine geräucherte Kölner Leberwust ausgezeichnet wurde, war im Karneval 2018 Bauer im Dreigestirn, ein teurer Spaß, aber die Top-Werbung für ein kölnisches Metzger-Geschäft.
Der FLORA GRILL wurde zwischenzeitlich noch renoviert, die Außenfassade modernisiert, aber die Mieten an der Neusser Straße sind so hoch, dass sich kleinere Läden kaum halten können. Dass aber ausgerechnet Lukas Poldoski, mit dem ich sympathisiere, am Nippeser Teilstück der Neusser Straße in nur zweihundert Metern Entfernung zur ersten eine zweite Filiale seiner immer weiter expandierenden, garantiert schweinefleischfreien “Mangal”-Dönerstuben-Kette aufgemacht hat, finde ich ärgerlich.
Junge Menschen heißen diese “Neuerungen” willkommen. Erst kürzlich hörte ich, wie eine junge Frau einer anderen zurief: “Ich geh mir jetzt beim Poldi n Döner holen. Kommste mit?”
Was aber ist mit den älteren und alten Menschen, für die Trennungen und Abschiede schwerer wiegen als für die Jungen und die sich kaum noch über Verluste -und sei es der Verlust der alteingesessenen Metzgerei oder Bäckerei- hinwegtrösten können und wollen?
Auf dem Weg zwischen S-Bahn Nippes und autofreier Siedlung begegne ich einem Fußgänger. Ich habe gerade drei ältere Menschen fotografiert, die mit dem Rücken zur S-Bahn am Picknicktisch sitzen. Sollte das DB-Zuführungsgleis gebaut werden, wird ein Großteil der Grünanlage verschwinden und niemand mehr dort sitzen.
“Kein schöner Platz”, sagt der Mann.
“Je älter ich werde, desto mehr schätze ich Picknicktische”, sage ich.
“Dat olle Ding muss weg”, sagt der Mann, der sich als ne fiese Möpp entpuppt. “Ich bin offen für Neues.”
Er kommt mir nahe und flüstert mir ins Ohr: “Das ist wirklich schade, doch…
Im Sommer 2016 hatte der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki einen bemerkenswerten Auftritt. Nachdem immer mehr Details über Gewalt in den (überwiegend) katholischen Kinderheimen der Nachkriegsjahrzehnte publik geworden waren und der öffentliche Druck immer größer wurde, hatte die Katholische Kirche keine andere Wahl, als öffentlich um Verzeihung zu bitten. Bei der “Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit” sagte Woelki am 23.6.2016 in Berlin: „Als Vorsitzender der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz sage ich ausdrücklich, dass ich die damals in den katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie ausgeübte physische, psychische und sexuelle Gewalt zutiefst bedauere und die Betroffenen dafür um Entschuldigung bitte. Kirchliche Organisationen und Verantwortliche haben in diesen Fällen dem christlichen Auftrag, Menschen mit Behinderung und psychiatrisch Erkrankte in ihrer Entwicklung zu fördern und ihre Würde zu schützen, nicht entsprochen.” https://www.erzbistum-koeln.de/news/Gewaltx_Missbrauch_und_Leid_an_Behinderten_zwischen_1949_und_1975/
Mit seinem Vortrag nahm Woelki Bezug auf eine Studie, die die Katholische Kirche bzw. der Deutsche Caritasverband mit seinem Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) in Auftrag gegeben hatte: „Heimkinderzeit”. In der Studie kommen überlebende Betroffene zu Wort- und erzählen unabhängig voneinander Entsetzliches. Die Studie bringt ans Licht, dass Kinder und Jugendliche (nicht nur) mit Behinderung in der Zeit zwischen 1945 -1975 in den überwiegend katholischen westdeutschen Heimen massiven Gewalterfahrungen ausgesetzt waren und Missbrauch sowie psychisches und physisches Leid erleben mussten. Für Projektleiterin Prof. Dr. Annerose Siebert war der Alltag der Heimkinder “durchzogen von Unterordnung, Isolation und Gewalt” (zitiert nach spiegel.de). Brutalität war nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wenn es in den Einrichtungen auch immer wieder einzelne Erwachsene gab, die die Kinder in Schutz genommen und ihnen geholfen haben.
Nach dem Schuldeingeständnis von Seiten der Katholischen Kirche musste gehandelt werden. Die überlebenden Betroffenen wurden als Gewaltopfer anerkannt und konnten ihre Ansprüche auf eine (beschämend geringe) finanzielle Entschädigung von 9.000€ geltend machen, die von der Stiftung “Anerkennung und Hilfe” (Bund, Länder, Katholische und Evangelische Kirche) getragen wurde. “Heimkinderzeit” war nicht nur eine zentrale und bedeutende Aufklärungsleistung, sondern gab den Anstoß für weitere Studien und Forschungsarbeiten. Und doch erzählt “Heimkinderzeit” nicht die ganze Wahrheit.
Denn an anderer Stelle war längst weiter geforscht worden. Dem Mut, der Klugheit und Beharrlichkeit der Pharmazeutin Sylvia Wagner haben wir es zu verdanken, dass noch eine weitere entsetzliche Variante der Gewalt ans Licht kam: Der körperliche und seelische Missbrauch von Schutzbefohlenen mit den Mitteln der Medizin. Im Rahmen ihrer Dissertation im Jahr 2016 entdeckte Sylvia Wagner zahlreiche Hinweise auf medizinisch-pharmazeutische Experimente an Heimkindern, die unter dem Vorwand, psychisch krank zu sein und behandelt werden zu müssen, in die Psychiatrie kamen. Noch vor Fertigstellung ihrer Doktorarbeit gab Sylvia Wagner Ergebnisse an die Öffentlichkeit weiter, so dass kritische Medien berichten konnten.
Bereits am 2.2.2016, also einige Monate vor der Veranstaltung, auf der Woelki seinen großen Auftritt hatte, veröffentlichte spiegel online einen Artikel, der im besten Sinne aufklärt und sich auf die Forschungsergebnisse von Sylvia Wagner beruft. Den eindeutigen Hinweisen auf den schweren Missbrauch mit den Mitteln der Medizin hätten die entsprechenden kirchlichen und staatlichen Aufklärungs-Gremien im Vorfeld der “Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit” unbedingt und unverzüglich nachgehen müssen, was offenbar nicht geschehen ist.
Daniela Schmidt-Langels, Autorin des Spiegel-Artikels, beschreibt, wie eng und unselig Anstalten und schwer belastete Ärzte mit den Pharmaunternehmen kooperierten: “Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf war bis Anfang der Sechzigerjahre Hans Heinze, ein skrupelloser Arzt mit Nazivergangenheit. Während der NS-Zeit war er Gutachter des Euthanasie-Mordprogramms T4, bezeichnete unzählige Kinder als “lebensunwert” und schickte sie in den Tod. Nach 1945 konnte er seine Karriere in Wunstorf fortsetzen.Unter seiner Leitung mussten Anfang der Sechzigerjahre Heimkinder über längere Zeit die Arznei Encephabol mit dem Wirkstoff Pyritinol schlucken. Der Versuch fand in Kooperation mit der herstellenden Pharmafirma Merck statt. Der Darmstädter Konzern brachte das Medikament 1963 auf den deutschen Markt, es wird heute als Antidemenzmittel verkauft. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte Heinze in einer medizinischen Fachzeitschrift – einer der wenigen bisher bekannten Belege für Medikamententests mit Heimkindern.” https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html
Einen Einblick in die Abgründe gibt ein Interview mit Sylvia Wagner (Interviewerin: Valerie Höhne), das neun Monate später, -am 2.11.2016- auf taz.de erschien. https://taz.de/Pharmazeutin-ueber-Arzneitests-im-Heim/!5350110/ Da Valerie Höhne kluge und genaue Fragen stellt, die von Sylvia Wagner entsprechend präzise und offen beantwortet werden, habe ich mir erlaubt, zentrale Passagen vom Bildschirm abzufotografieren:
Wir müssen davon ausgehen, dass auch Verantwortliche der Kirche diese entsetzlichen Versuche damals “ab-gesegnet” haben.
Daniela Schmidt-Langels ist übrigens auch Autorin eines Films, der vier Jahre nach Erscheinen des Spiegel-Artikels am 3.2.2020 in der ARD erstausgestrahlt wurde: “Versuchskanichen Heimkind”. In diesem Film kommen Betroffene zu Wort, die durch die medizinisch-pharmazeutischen Versuche so tief verletzt wurden, dass ihr weiteres Leben schwer beeinträchtigt bzw. zerstört wurde. https://www.fernsehserien.de/filme/versuchskaninchen-heimkind
Mit düsteren Bildern, untermalt mit unheilvoller Musik, lässt uns der Film die leidvollen Erfahrungen der Kinder nachempfinden. Das erste Bild ist eine Luftaufnahme des alten Backstein-Gebäudes der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf. Von oben nähert sich die Kamera dem Gebäude und bewegt sich auf das alte Portal zu. Während wir dem Eingang näher kommen, wird der rote Backstein grau, verliert der Film die Farbe, wird schwarzweiß. Die Kamera nimmt uns mit in den Innenraum. Alles ist in ein kaltes Blau-Grau getaucht. Wir sehen einen Jungen, der Pillen schluckt. Die Räume sind abgedunkelt, die Flure kalt. Später sehen wir ein Mädchen, das auf einem Tisch sitzt, sie trägt einen weißen Umhang und beugt sich nach vorne, ihr Rücken ist für die Punktion freigemacht, wir sehen einen Mann im weißen Kittel, medizinisches Instrumentarium.
Für Manfred Kappeler, emeritierter Professor für Sozialpädagogik, kommen die neuen Ergebnisse nicht überraschend. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Situation der Heimkinder: “Die Kinder und Jugendlichen in den Heimen, um die sich keiner kümmerte, die waren eine ideale Population, um an ihnen Medikamente ausprobieren zu können. Sie konnten sich nicht wehren, sie waren vollständig ausgeliefert… Und wenn es in einem Heim zu einer Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie kam, dann gab es niemanden, der das von außen hätte kontrollieren können. Also, man war davon überzeugt, an diesen Kindern und Jugendlichen, wie vorher an den KZ-Häftlingen, kann man ausprobieren, was für den medizinischen Fortschritt gut ist.” (Versuchskaninchen Heimkind, min.11.15 bis 11.57)
Der Film porträtiert drei Menschen, die als Kinder bzw. Jugendliche Opfer des medizinischen Missbrauchs wurden. Wolfgang Wagner, geboren 1959, wird als uneheliches Kind seiner Mutter weggenommen und ins Säuglingsheim gesteckt. Als Achtjähriger erhält er die Diagnose “schwachsinnig”. Er wird in die Essener katholische Behinderteneinrichtung Franz-Sales-Haus abgeschoben und mit Neuroleptika ruhig gestellt. Hier erlebt er die brutalen Erziehungsmethoden des ehemaligen Wehrmachts-Arztes Waldemar Strehl (“Kotzspritze”), der noch bis 1969 als leitender Arzt in der Einrichtung tätig war. Strehl war ein Sadist, der die Injektionsspritze anstelle von Rohrstock und Peitsche gezielt einsetzte. Zur Zweckentfremdung medizinischer Instrumente als Hilfsmittel brutal-autoritärer Erziehung vgl.: https://stellwerk60.com/2021/09/17/groko-stoppen-teil-2-der-titel-schuetzt-vor-torheit-nicht-impfarzt-prof-auflauerbach/ Wolfgang Wagner, der nie “schwachsinnig” war, wird insgesamt zwölf Jahre im Franz-Sales-Haus festgehalten, wo man über all die Jahre verschiedene Medikamente in unterschiedlichen Dosierungen an ihm ausprobiert.
Marita Kirchhof, geboren 1953 als uneheliches Kind, wird von ihrer Mutter ins Säuglingsheim abgegeben und wächst im städtischen Kinderheim Hildesheim auf. Hier gilt sie irgendwann als “renitent und abnorm”. Daher bringt man sie zur Begutachtung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf. Hier muss sich die achtjährige Marita einer Rückenmarks-Punktion unterziehen. Dabei wird mit einer Spritze Gehirnflüssigkeit aus dem Wirbelkanal abgesaugt. Eine schmerzhafte und gefährliche Prozedur, nach der Marita tagelang im Bett liegt. Marita sträubt sich gegen den Eingriff, aber die Einwilligung in die Prozedur -so wird ihr erzählt- ist die einzige Chance, nach einem halben Jahr wieder ins Kinderheim zurück zu können.
Doch nicht nur Heimkinder wurden als “psychisch krank” stigmatisiert und in den psychiatrischen Einrichtungen Opfer medizinisch-pharmazeutischer Tests sowie sadistischer Übergriffe. So beschäftigt sich der Film mit dem Fall des heutzutage schwerkranken Jörg Weidauer, der sich als hochintelligentes Kind in der Schule langweilt und “verhaltensauffällig” wird. Der Schulleiter, der den unbequemen Schüler loswerden will, stellt die Mutter vor die Alternative: Förderschule oder Max-Planck-Institut. So kommt Jörg Weidauer im Jahr 1977 als achtjähriger Grundschüler in die damalige Kinder- und Jugendpsychiatrie des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, wo man ihn ein halbes Jahr lang stationär behandelt und zweieinhalb Jahre ambulant.
An Jörg werden verschiedene Neuroleptika getestet. Doch nicht nur das. “Eines Tages wurden wir durch diesen langen Gang geführt. Auf der rechten Seite war eine große Tür, durch die wir gingen, und wir mussten uns dann nacheinander ausziehen und wurden fotografiert… Woran ich mich noch sehr deutlich erinnere: Ich bekam so eine Art EEG-Kappe aufgesetzt. Da wurden auch irgendwelche Spritzen in die Kopfhaut gemacht. Und da bin ich also teilweise nachts geweckt worden. Und dann saß ich vor einem Computer und habe da Reaktionsspiele machen müssen. Das ging dann also wirklich stundenlang, bis ich also wirklich unter Schlafentzug litt. Und unter diesen Symptomen und der Erschöpfung wurden dann diese Tests weitergemacht. Welchen Sinn das gehabt hat – Keine Ahnung.”
Jörg Weidauer hat keinen Anspruch auf ein noch so geringes “Schmerzensgeld”. Von der “Stiftung Anerkennung und Hilfe” werden nur diejenigen “entschädigt”, die bis Ende 1975 Opfer von Gewalt wurden. Dabei belegt seine Geschichte, dass es auch über das Jahr 1975 hinaus Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit den Mitteln der Medizin gegeben hat, und das unter dem Deckmantel der Fürsorge und Hilfeleistung. Was Jörgs Fall zusätzlich bitter macht, ist die Tatsache, dass ausgerechnet seine Mutter (wenn auch wider besseres Wissen) der Einweisung in die Psychiatrie zugestimmt hat. Was sich Jörg Weidauer dennoch erhofft, ist eine Aufklärung über das, was passiert ist, und eine Entschuldigung derjenigen, die ihn physisch und psychisch so schwer verletzt haben.
Anders als Jörg Weidauer konnten diejenigen, die als Opfer anerkannt wurden, immerhin eine Entschuldigung erwarten. “Konnten” schreibe ich deshalb, weil die Frist für den Antrag zum 30.6.2021 abgelaufen ist. Menschen, die sich später gemeldet haben oder jetzt erst melden, haben nicht einmal den Anspruch auf eine Entschuldigung. So werden viele Opfer des medizinisch-pharmazeutischen Missbrauchs darüber hinaus Opfer einer kalt und hyperkorrekt agierenden Bürokratie. Ein Skandal, wie ich finde, auch in Anbetracht des riesigen Geld- und Grundbesitzvermögens der Kirchen.
Doch gab es Entschuldigungen von Seiten des Staates und der Kirche. Es ist großartig, dass Daniela Schmidt-Langels in ihrem Film den bewegenden Moment einer solchen Entschuldigung festgehalten hat. Wir Zuschauerinnen und Zuschauer werden Augenzeugen: Eine Vertreterin der Stiftung “Anerkennung und Hilfe” (links im Bild) entschuldigt sich bei Marita Kirchhof.
(Versuchskaninchen Heimkind, min. 39.40 bis 40.40)
De Film wurde am 3.2.2020 zu einer denkbar ungünstigen Sendezeit erstausgestrahlt, an einem Montag im Nachtprogramm um 23.30 Uhr. Die meisten Menschen dürften zu dieser Zeit schon geschlafen und den Film verpasst haben. Glücklicherweise ist er in der ARD-Mediathek bis Ende 2025 abrufbar und auch auf Youtube verfügbar.
Versuchskaninchen Heimkind ist schockierend gut gelungen, weil er uns nachempfinden lässt, was passiert ist – Und weil seine Bilder uns nicht mehr loslassen. Meiner Meinung nach müsste dieser Film fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts an unseren Schulen sein.
Es ist richtig, dass Schülerinnen und Schüler nach Auschwitz fahren und die KZ-Gedenkstätte besuchen. Das Problem ist nur, dass die Exkursion zu einer Pflichtübung wird, die man abhakt. Die Jugendlichen sind zwar für den Moment betroffen, aber sie stellen keinen Bezug zur Nachkriegszeit bzw. ihrer Gegenwart her.
Der Schulunterricht gibt -gerade was die Aktualität des Nationalsozialismus betrifft- viel zu einfache Antworten. Es ist wichtig, dass die Schüler für rechtsradikale Parteien sensibilisiert werden. Doch reicht es nicht, die Jugendlichen gegen die AFD zu “immunisieren”, was ja in aller Regel gelingt. Zwar ist das Gedankengut der Nationalsozialisten in den rechtspopulistischen Parteien lebendig, aber als “Gedankengut” ist es nur die Spitze des Eisbergs, denn Brutalität, Menschenverachtung und Gleichgültigkeit wirken an anderer Stelle fort. Die von der Euthanasie faszinierten Nazi-Ärzte der Nachkriegszeit waren bestens getarnt, kaum jemand war so dumm, in die NPD einzutreten.
Zurück zu Kardinal Woelki. In seinem Vortrag sind die medizinisch-pharmazeutischen Experimente kein Thema. Auf dieses Weise verharmlost Woelki das tatsächliche Grauen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Rahmen einer Pressemitteilung Kardinal Woelkis Rede vom 23.6.2016 als pdf ins Internet gestellt, so dass man sie genau studieren kann. Dieser Vortrag dient leider der Selbstreinwaschung. https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2016/2016-113a-Vortrag-Kard.Woelki.pdf
In der Anrede erfahren wir, wer bei dem Vortrag zugegen war. Es waren nicht nur Projektleiterin, Kirchenvertreter und Betroffene, sondern auch hochrangige Politikerinnen und Politiker: “Meine sehr verehrten Damen und Herren aus allen Ebenen des Deutschen Caritasverbandes, sehr geehrte Frau Prof. Siebert, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung, der Ministerien und dem Parlament, sehr verehrte, liebe Damen und Herren, um die es heute geht…” (s.o.)
Vertreterinnen und Vertreter der Pharmaindustrie waren offenbar nicht zugegen. Vermutlich waren sie nicht eingeladen worden. Ein Schuldeingeständnis von Vertretern der Pharmaunternehmen hätte den feierlichen Rahmen gesprengt und die tatsächlichen Dimensionen der gegenseitigen Verstrickungen offengelegt. Auf Anfragen reagierten die Pharma-Unternehmen mit selbstgerechter, gewissenloser Gleichgültigkeit. “Die involvierten Konzerne lehnen auf Anfrage jedoch jede Verantwortung für die damaligen Studien ab. Merck etwa verweist auf die damals andere Gesetzeslage zur Dokumentation von Medikamententests: ‘Wir können uns nicht für etwas entschuldigen, was nicht in unserer Verantwortung lag. Sollten sich Dritte nicht entsprechend Gesetzeslage verhalten haben, bedauern wir das selbstverständlich.'” s.o.: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html
Zwar war es bis in die 1970er Jahre rechtens, dass man an Kindern ohne deren Einwilligung bzw. die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter medizinische Tests durchführen konnte, doch diese Untersuchungen waren ein mehrfacher Verstoß gegen das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere gegen Paragraf 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. aber auch gegen Paragraf 2: Niemand darf einen anderen töten oder verletzen.
Und wie ist es um die Gesetzgebung bestellt, wenn sie die schutzbedürftigen Kinder nicht schützt, sondern den medizinischen Übergriffen ausliefert? Spätestens als Contergan 1962 vom Markt genommen wurde, hätte die Politik aufhorchen und das Arzneimittelgesetz ändern müssen.
An einer Aufklärung im Sinne einer umfassenden, schonungslosen Wahrheitsfindung kann die Katholische Kirche nicht interessiert sein, denn die Aufdeckungen rütteln am Firmament der großen Kirchen, die trotz alledem immer noch als moralische Instanz gelten. Einen Bezug zur Gegenwart stellt Woelki ebenfalls nicht her, auch nicht den naheliegenden zum sexuellen Missbrauch (insbesondere) in der Katholischen Kirche.
Vor diesem Hintergrund empfinde ich Woelkis vermeintlich anteilnehmenden Sätze vom 23.6.2016 als heuchlerisch und sentimental: “…Wir haben heute gehört, welches Leid schutzbefohlene junge Menschen in katholischen Einrichtungen (der Behindertenhilfe und Psychiatrie) erfahren haben. Als Bischof schmerzt mich jede einzelne dieser Erzählungen sehr. Und dabei ahne ich all die unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen – gebe Gott, dass diese Erfahrungen nicht dem Vergessen preisgegeben sind...” War Woelki damals wirklich nur umwölkt von “Ahnungen”?
“Behindertenhilfe und Psychiatrie” habe ich bewusst in Klammern gesetzt, denn Misshandlungen von Schutzbefohlenen fanden und finden auch in anderen Räumen der Kirche statt. Und wenn einer mehr als nur eine Ahnung hat von den “unerzählten Erfahrungen, um die nur Opfer und Täter wissen”, dann ist es Erzbischof Kardinal Woelki.
Noch tritt Woelki nicht zurück. Derzeit befindet er sich im Sommerloch, denn hier in NRW haben die Sommerferien begonnen. Doch an der Basis, wo vielerorts gute Arbeit geleistet wird, regt sich Widerstand. Unlängst wurde Woelki, gegen den mittlerweile auch wegen Meineides ermittelt wird, daran gehindert, eine Messe zu halten. In Aachen fand am 18.6.2023 im Rahmen der sogenannten Heiligtumsfahrt eine große Open-Air-Messe statt, die Woelki leiten sollte. Doch im Mädchenchor des Aachener Doms gab es im Vorfeld heftige Diskussionen. Mehr als die Hälfte der 120 Sängerinnen weigerten sich, mit Woelki, der die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Katholischen Kirche weiterhin verschleppt, zusammen auf der Bühne zu stehen. Der Protest führte dazu, dass Woelki der Messe fernblieb – und der Mädchenchor des Aachener Doms geschlossen auftrat.
Ein Video des Aachener Doms. Mit einem Flashmob machten die Sängerinnen des Mädchenchors auf ihr Chorfestival am 24. und 25. September 2022 aufmerksam:
Für uns Menschen sind die weiblichen Rotkehlchen kaum von den männlichen zu unterscheiden. Auch bei Meisen, Spatzen und Elstern sehen sich Weibchen und Männchen sehr ähnlich – um nur einige der Vögel zu nennen, die tagtäglich in unsere Gärten kommen. Die Rotkehlchen selber haben damit kein Problem. Um das Männchen zu erkennen, braucht das Weibchen weder Augen noch Ohren. Und sollte sich einmal ihr gegenüber eine Rotkehlchen-Frau als Männchen ausgeben und so laut singen, wie es sonst nur die männlichen Rotkehlchen tun, sollte also wirklich einmal ein Trans-Kehlchen um ihre Kralle anhalten, ließe sich das Rotkehlchen nichts vormachen: Du bist ein schmucker Mann, doch leider nur zum Schein, gemeinsam können wir nicht Eltern sein.
Das Rotkehlchen wird getrieben von einer unerschöpflichen Lebens-Energie. Würde man die Fortpflanzung als Sinn seines Lebens bezeichnen, hätte es gewiss nichts dagegen. Es selber stellt sich solche Menschen-Fragen nicht, schon aus Zeitmangel. Als Teil der Natur, als instinktiv handelndes Naturwesen hinterfragt es nicht, sondern agiert – und braucht weder Ratschläge noch Richtlinien noch Gebote.
Auch uns Menschen ist die Fortpflanzungsfreude (inklusive Nähren und Versorgen) angeboren, nur müssen wir sie verdrängen und kontrollieren, denn sie erinnert uns daran, dass wir nicht nur Verstandeswesen, sondern Teil der Natur sind. Das hören wir nicht gerne, denn als Naturwesen sind wir sterblich. In einer Welt, in der Gott (bzw. das Göttliche) nur noch als Schatten seiner selbst überlebt, ist der Gedanke an den Tod unerträglich.
Durch die weltweite Veränderung des Klimas sind wir Menschen der Gegenwart jetzt schon schwer traumatisiert. Die Medien füttern unsere Angst, indem sie uns tagtäglich mit Katastrophenbildern konfrontieren, die wir nicht mehr verarbeiten können. Dabei sind es nicht nur “Extremwetter-Ereignisse”, die uns tief verängstigen. Durch Flutkatastrophen zerstörte Orte und Landschaften lassen sich, wenn auch unter erheblichen Verlusten, in der Regel wieder aufbauen.
Anders ist es mit den schleichenden Veränderungen, die die Erderwärmung hervorruft. Wir erleben, dass der Winter ausbleibt, dass sich die Jahreszeiten einander angleichen und die Unterschiede verflachen. Hierauf reagieren wir mit diffuser Angst und einem tiefen “Heimweh nach dem Schnee”, denn altangestammte, elementare Orientierungen gehen verloren. Früheste Kindheitserfahrungen verschwimmen.
So verlieren die Menschen nicht nur den Halt, sondern Intuition und Gespür. Das macht sie anfällig für Heils- und Glücksversprechungen. In der Silicon Society (David Lyon) vertrauen sie nur noch dem Schein. Die Menschen mutieren zu Karikaturen. Was ist männlich, was weiblich?
Es gehört zu den größten Irrtümern und Täuschungsmanövern der modernen Medizin, dass sie uns vormacht, man könne via Chirurgie und Hormontherapie aus einem Mann eine Frau und aus einer Frau einen Mann machen.
Das Rotkehlchen handelt instinktsicher, es macht keinen Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, wohl aber den zwischen Männchen und Weibchen. Rotkehlchen spielen genau die Rolle, die ihr Geschlecht ihnen vorgibt. Würde das Rotkehlchen seine Geschlechter-Rolle hinterfragen, würde es diskutieren, wer wann wo für’s Brüten verantwortlich ist, würde es aussterben.
Es lebe der Unterschied…
Amseln und Halsbandsittiche haben einen ausgeprägten Geschlechterdimorphismus, was meint, dass sich die Geschlechter optisch klar voneinander unterscheiden. So bin selbst ich in der Lage, den Unterschied zu erkennen. Dass ich die Vögel auseinanderhalten kann, macht die Betrachtung spannend, denn als “Männchen” bzw. “Weibchen” werden diese Vögel zu “Personen”, zu eigenständigen Akteurinnen und Akteuren. Sie leben ihr Vogelleben – und führen uns Tag für Tag ein Spiel über das Leben vor.
Ihre Geschichten kommen uns bekannt vor, denn es sind Liebes- und Familiengeschichten. Die Themen der Halsbandsittiche sind unsere Themen: Liebe, Eifersucht und Zärtlichkeit, Essen, Arbeitsteilung, Trinken, Verdauung und Futterneid. Doch genaugenommen sind diese Themen keine Menschen-, sondern Papageienthemen, denn die Papageien existieren schon viel länger als wir. Es ist nicht anzunehmen, dass sie uns Menschen kopieren.
Erwachsene Halsbandsittich-Weibchen haben ein schwach angedeutetes, blassgrünes “Halsband”. Bei den Männchen hingegen ist es stark ausgeprägt. Es beginnt schwarz an der Kehle und umspannt orangerot das Genick. Da der Unterschied eindeutig ist, konnte ich beobachten, dass im Frühjahr ausschließlich Weibchen in unseren Garten kamen, um Erdnüsse zu picken.
Das erstaunte mich nicht. Schließlich entwickeln sich die Eier, entsteht das Leben in IHR, nicht in IHM. Und daher braucht insbesondere das Weibchen gutes, nahrhaftes Futter. Halsbandsittich-Weibchen lachen, wenn hungrige Männchen ihnen was von “Gleichberechtigung” vorkrächzen. Warum sollten Halsbandsittich-Männchen fress-gleichberechtigt sein, wozu?
In aller Regel ist im Tierreich die Partnerwahl Sache des weiblichen Tieres: Female Choice. So auch bei den Halsbandsittichen. Darüber hinaus bestimmt SIE in der Brutperiode, wer welche Nahrung bekommt. Halsbandsittiche leben, wie ich gelesen habe, monogam. Dass die Sittiche ein Paar bilden und sich treu sind, heißt aber noch lange nicht, dass Weibchen und Männchen sich das Essen “gerecht” teilen. Es heißt auch nicht, dass das Weibchen dem Männchen was abgibt. Schon gar nicht heißt es, dass das Weibchen -wie wir Menschen es von den Familien der 1960er Jahre kennen- dem Männchen das Essen (die nahrhafte und leckere Extra-Portion) serviert. Im Gegenteil.
In der unten stehenden kleinen Foto-Geschichte bekommen wir zu sehen, wie sich ein friedlich pickendes Halsbandsittich-Weibchen (zu erkennen am zartgrünen Halsband) erfolgreich gegen ein futterneidisches Männchen (schwarz gefärbte Kehle, rosa Halsband) zur Wehr setzt:
Der Futterspender ist frisch gefüllt mit geschälten, unbehandelten Erdnüssen. Das Weibchen findet heraus, wie es ein Halsbandsittich anstellen muss, trotz relativ kräftigem Schnabel an die Erdnüsse heranzukommen. Das erregt die Neu-Gier eines männlichen Artgenossen. Abserviert…
***
In
kraftzehrenden Zeiten
der Papagei’n-Paarung verteilen
die Papagei’n-Weibchen die Nahrung:
Geschlechtergerecht
***
Hier führen zwei Halsbandsittich-Weibchen vor, wie man die Erdnüsse erfolgreich vor den Männchen verteidigt. Rundum den Futterspender knüpfen sie weibliche Futter-Bande.
Auf Anordnung der britischen Besatzungsbehörde waren im Bottroper Elternhaus meiner Mutter, das später auch mein Elternhaus werden sollte, nach dem Krieg Soldaten einquartiert. Später zog eine dreiköpfige Familie ein, die bei einem Bombenangriff ihre Wohnung verloren hatte. Der Familienvater war ein traumatisierter Augenarzt, der schwer verletzte Soldaten hatte behandeln müssen, darunter viele “Kriegsblinde”.
Meine Mutter, die 1925 geboren wurde, war seelisch verwundet. Ihr einziger Bruder, ein Theaterwissenschaftler, war als Propaganda-Soldat unter nicht geklärten Umständen ums Leben gekommen. Meine Mutter hat den Tod ihres Bruders, der neun Jahre älter war, nie verwunden. Da man seinen Leichnam nicht fand, verlor sie nie die Hoffnung, dass er nach Hause kommen könnte. Aber wer würde ihm mitten in der Nacht die Tür aufmachen?
Meine Mutter konnte ein Leben lang nicht mehr ruhig schlafen und nahm schon in jungen Jahren Schlaftabletten – Ende der 1950er Jahre auch das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan. Beide Schwestern meiner Mutter hatten Pharmazie studiert, beide waren mit Ärzten verheiratet, so dass meine Mutter immer gut informiert war. Elisabeth, die mittlere der Schwestern, hatte als Apothekerin die Familie ernährt, solange ihr Mann, mein späterer Patenonkel, noch in der Ausbildung war. Ich weiß nicht, ob meine Tante, ein sehr gewissenhafter Mensch, meiner Mutter Contergan empfohlen hat, aber ich kann es mir gut vorstellen. Die Apothekerinnen und Apotheker waren ja selber, auch als die verheerenden “Nebenwirkungen” offenkundig wurden, vom Pharma-Unternehmen Grünenthal belogen und wider besseres Wissen zu Mittätern gemacht worden.
In der Nachkriegszeit machte die Pharmaindustrie mit der seelischen Not der Menschen große Geschäfte. Freiverkäufliche Schlaf- und Schmerzmittel fanden einen reißenden Absatz. “Das Schlafmittel Contergan war vom Pharmakonzern Grünenthal als “sicher” auf den Markt gebracht, von den Ärzten als “sicher” empfohlen und von den Apotheken als “sicher” verkauft worden. Unter den schwangeren Frauen, die es nahmen, waren viele, die den Zweiten Weltkrieg mit seinen entsetzlichen Bombennächten als Kinder oder Jugendliche miterlebt hatten und ihr weiteres Leben lang unter massiven Schlafproblemen leiden sollten. Als Contergan 1957 auf den Markt kam, unterschätzte man (und ignorierte man lange) die möglichen “Nebenwirkungen”, so dass Contergan nicht einmal rezeptpflichtig war.” https://stellwerk60.com/2020/06/11/elfchen-im-sechsten-die-apotheke-hilft/
Gerne wird verschwiegen, dass Grünenthal seinen Verkaufsschlager Contergan einem Mann mit Nazi-Vergangenheit zu “verdanken” hatte, dem deutschen Mediziner, Pharmakologen und Chemiker Heinrich Mückter (1914-1987). Mückter, der bei Grünenthal wissenschaftlicher Direktor war, hatte in der NS-Zeit menschenverachtende medizinische Experimente durchgeführt, worüber Grünenthal informiert gewesen sein dürfte, auch darüber, dass Mückter nur durch eine Flucht in die westlichen Besatzungszonen einer Verhaftung hatte entgehen können.
Erfunden wird der Contergan-Wirkstoff Thalidomid “in der Forschungsabteilung der Firma, deren Leiter Heinrich Mückter auch am Gewinn des patentgeschützten Produkts beteiligt ist. Dass ihm die polnische Justiz medizinische Experimente an KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern während der NS-Zeit vorwirft, schadet Mückters Nachkriegskarriere nicht.” https://www1.wdr.de/archiv/contergan/contergan166.html
Vielleicht war es nicht im Interesse der Bundesregierung, später noch einmal genauer nachzuforschen, denn das westliche Nachkriegs-Deutschland verdankte ausgerechnet Mückter den “freien Zugang” zum Penicillin. Ende der 1940er Jahre hatte Grünenthal als erstes deutsches Unternehmen Penicillin-Präparate auf den Markt gebracht, dank Mückter. Woher auch immer er die Penicillin-Stämme hatte, “auf legale Weise hätte er sie nicht erwerben können, denn die westlichen Besatzungsmächte hatten Forschung an und Herstellung von Penicillin durch deutsche Unternehmen strikt verboten. Mückter setzte sich über dieses Verbot hinweg und erschlich sich im Januar 1948 unter falschen Angaben bei der britischen Militärregierung die Erlaubnis, mit Penicillin zu experimentieren…Der Frage, wie Mückter damals in den Besitz von Penicillin-Stämmen gekommen war, verweigert sich die Firma bis heute.” https://www.spiegel.de/geschichte/braune-vorgeschichte-a-948837.html
(Kleiner Einschub: Denkbar ist, dass es einen Ost-West-Deal gegeben hat und die enge Zusammenarbeit zweier zwar “hochkarätiger”, aber schwer belasteter Wissenschaftler. Das ostdeutsche Pendant zu Heinrich Mückter war der fast gleichaltrige Arzt und Mikrobiologe Hans Knöll (1913-1978). Knöll, der als junger Student im Jahr 1932 Mitglied der NSDAP geworden war und der paramilitärischen NSDAP-Kampforganisation SA beitrat, hatte ab 1938 im Jenaer Glaswerk Schott & Gen. ein bakteriologisches Labor aufgebaut. Nachdem ein britisches Forscherteam 1939 den Wirkstoff Penicillin hatte isolieren können, gelang es Knöll im Jahr 1942, aus Penicillin-Stämmen das Antibiotikum zu gewinnen.
Als die Militärverwaltung der SBZ nach dem Krieg die rasche Ausweitung der Produktion befahl, hatte Knöll trotz Nazi-Vergangenheit eine tragende Rolle inne. Unter anderem waren es Knölls umfassende wissenschaftliche Kenntnisse, die der SBZ einen komfortablen Vorsprung gegenüber den westlichen Besatzungszonen sicherten. Ungeachtet seiner NS-Vorgeschichte wurde Knöll im Jahr 1950 erster Direktor des volkseigenen Pharmaunternehmens VEB JENAPHARM. https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kn%C3%B6ll)
Der oben zitierte Spiegel-Artikel von Armin D. Steuer mit dem Titel “Der Contergan-Erfinder” bringt nicht nur wesentliche Details ans Licht, sondern erinnert auch an die zynische, modern anmutende Werbestrategie des Unternehmens Grünenthal, das es wagt, ausgerechnet mit Mozarts “Kleiner Nachtmusik” für das Schlafmittel zu werben und sich damit auch noch einen seriösen, bildungs- und kulturbeflissenen Anstrich zu geben. “In seinen besten Zeiten bescherte Contergan der CG knapp die Hälfte des Umsatzes. In Zeitungen schaltete die Firma Anzeigen mit der Partitur von Mozarts “Kleiner Nachtmusik” – Contergan sei so harmlos wie Zucker.“
“Totalitarismus” bezeichnet nicht nur die totale politische Herrschaft über unsere Köpfe, sondern auch die Okkupation unserer Körper. Im Visier der Nationalsozialisten waren die Familien, insbesondere aber Frauen und Kinder. Daher versuchten die Nazis, Mutterliebe, Schwangerschaft und Geburt unter staatliche Kontrolle zu bringen. Während sie “erbkranken Nachwuchs” zur Vernichtung freigaben, erhoben sie das Kinderkriegen zur soldatischen Pflicht der “arischen” Frau. Je mehr Kinder sie bekam, desto ranghöher war die Frau. Belohnt wurden die Mütter mit dem Mutterkreuz, das an militärische Orden, aber auch an olympische Medaillen erinnerte. Das Kreuz in Bronze gab es bei vier und fünf Kindern, das silberne bei sechs und sieben und das goldene bei mehr als acht Kindern.
Die Mutterkreuze wurden einmal im Jahr verliehen – am Muttertag. Mit der Machtergreifung im Jahr 1933 hatten die Nazis den Muttertag zum gesetzlichen Feiertag erhoben und ins Zentrum ihrer Propaganda gerückt. Meine Mutter liebte Feste, aber sie war außerstande, noch jemals den Muttertag zu feiern. Wenn wir Kinder ihr Geschenke machten, konnte sie sich nicht freuen. In Erinnerung an die Nazi-Zeit empfand meine Mutter den Muttertag, auch wenn sie den Ausdruck nie benutzte, als “Verhöhnung” der Frau. Erst vor wenigen Jahren habe ich realisiert, dass meine Mutter den Muttertag deshalb so vehement ablehnte, weil sie -anders als wir Kinder- über den grausamen Tod der Mutter meines Vaters im Jahr 1933 Bescheid wusste. https://stellwerk60.com/2021/12/13/13-12-2021-digitaler-stolperstein-zur-erinnerung-an-meine-grossmutter-steffi/
(Auch heute noch wird mit dem Muttertag Politik gemacht. Daher möchte ich noch einmal an den ersten Corona-“Lockdown” im Frühjahr 2020 erinnern. Für den autoritären, selbstherrlichen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder war der Muttertag 2020 eine gute Gelegenheit, mit großer Geste Lockerungen zu verkünden und sich als Menschen- und Mütterfreund zu präsentieren: “Einen klaren Fahrplan der Lockerungen gibt es in Deutschland und Bayern allerdings noch nicht – kurzfristige Maßnahmen sind möglich. Und am Beispiel des kommenden Muttertags wohl auch durchaus erwünscht! Besuche sollten möglichst im Freien stattfinden, es müsse eine Maske getragen und Abstand gehalten werden, sagte Ministerpräsident Dr. Markus Söder… Ihm sei es wichtig, so der Ministerpräsident, zum bevorstehenden Muttertag wieder Besuchs-Möglichkeiten für Mütter und Großmütter zu schaffen. Das Menschliche müsse im Vordergrund stehen, und deshalb sei ihm der familiäre Bereich besonders wichtig.”) https://www.meine-anzeigenzeitung.de/lokales/freising/muttertag-2020-13755180.html
Meine Mutter, ein großzügiger, neugieriger Mensch, hatte gerne Menschen um sich. Nach dem entsetzlichen Krieg waren für sie Freundschaft und Verwandtschaft überlebensnotwendig. Sie pflegte althergebrachte Verwandtschaften und stiftete neue, indem sie ihre besten Freundinnen zu Schwestern erklärte. Da aber kein Mensch 13 oder mehr Schwestern haben konnte, nannte meine Mutter ihre Wahl-Schwestern “Kusinen”.
Eine dieser Kusinen, eine Jugend-Freundin meiner Mutter und ihrer Schwestern, hatte es nach Leipzig verschlagen: Mia. Gemeinsam mit ihren Schwestern besuchte meine Mutter sie einmal im Jahr. Ab Ende der 1970er Jahre waren auch meine Zwillingsschwester und ich dabei. Wir waren nach Köln gezogen, studierten Geisteswissenschaften und konnten uns die Zeit selber einteilen.
Für uns junge Menschen waren die Kurz-Reisen exotische Trips in ein anderes Deutschland. Für unsere Mutter und unsere Tanten jedoch waren es keine exotischen Trips, sondern immer auch Reisen in die Vergangenheit. Eine Zitterpartie war jedes Mal das Passieren der Grenze bei Herleshausen. Meine Mutter, die es immer geschafft hat, Menschen durch ein paar muntere Sprüche zum Lachen zu bringen, entlockte den Grenzsoldaten trotz vielfacher Bemühungen nicht einmal ein Lächeln. Vgl.: https://stellwerk60.com/2019/08/11/die-broiler-bruederschaft/
Meine Mutter, die ungern diskutierte, beteiligte sich auch in Leipzig nie an den Gesprächen über Politik, denn sie hatte Angst, abgehört zu werden. Tatsächlich war das Haus verwanzt, was uns Jüngere nicht davon abhalten konnte, relativ offen zu reden. Das war nur deshalb möglich, weil sich die STASI -was unserer Verwandten betraf- ausschließlich für deren Ausreise-Pläne interessierte. Irgendwann lud unser “Vetter” meine Schwester und mich zu einer Stadtrundfahrt ein. Da das Auto abhörsicher war, konnte er uns bei der Gelegenheit in seine Ausreisepläne einweihen.
Unsere jüngeren “Verwandten” waren der DDR gegenüber kritisch, fanden aber die Bundesrepublik großartig. Sie beneideten uns um die “Segnungen des Kapitalismus”, was sie auch offen zugaben. Meine Schwester und ich wussten die Segnungen allerdings kaum zu schätzen und waren “bunte Vögel” für sie. Das Vorurteil bestätigte sich, als wir bei einer Reise Anfang der 1980er Jahre Latzhosen trugen, die Uniform der Alternativbewegten. Es war natürlich bekloppt, dass wir ausgerechnet beim Besuch im Arbeiter- und Bauernstaat Latzhosen anhatten, aber wir waren jung, fühlten uns frei und dachten uns nichts dabei.
Sommer 2022. Elstern-Ästling auf einer Eiche vor der KiTa “Lummerland”, Köln, Lokomotivstraße:
Vögel sind weder fleißig noch faul. Was sie tun, das würden sie nicht “Arbeiten” nennen. Sie leben im Aus-Tausch mit der Natur, sie nehmen sich, was sie vorfinden, Beeren, Körner, Insekten, und geben zurück, was sie hervorbringen: Nachkommen. Sie kommen nicht auf die Idee, die Natur zu verändern, denn sie sind Teil der Natur. Anders als die Menschen würden sie niemals den Ast zerpicken, auf dem sie sitzen.
So wurden meine Schwester und ich nicht ganz ernst genommen, nicht nur wegen der Latzhosen. Unsere jüngeren, gut ausgebildeten “Verwandten” konnten nicht verstehen, dass wir Geisteswissenschaften studierten und nicht einen der Abschlüsse machten, mit denen man im Westen richtig viel Geld verdienen konnte. Vor allem aber hatten sie kein Verständnis dafür, dass meine Schwester und ich die BRD-Politik kritisierten. Schließlich hatten wir alle Freiheiten, vor allem die Eine: Wir konnten jederzeit zurück in den Westen. Wir mussten uns nur ins komfortable West-Auto setzen – und verschwanden hinter dem “antifaschistischen Schutzwall”.
Zurück im Westen, fühlte ich mich nach jeder unserer Reisen wie befreit, ich erfreute mich an den (damals noch) relativ intakten Straßen und gepflegten Häuserfassaden. Ich genoss es, eine Luft zu atmen, die nicht nach Braunkohle und Desinfektionsmitteln roch. Vor allem im Winter war die westliche Welt schön bunt. Ja, ich begann, den Kapitalismus zu lieben. Doch es war nur eine Freude auf den (ersten) Blick, denn bald schon fiel mir auf, dass es die (damals noch) bunten, hochglanzlackierten Autos und die Leuchtreklamen waren, die der westlichen Welt Farbe verliehen. Alles war Tünche und Schöner Schein. Unsere Reise-Erzählungen wollte niemand hören. Die Leute jubelten Wolf Biermann zu, aber kaum jemand interessierte sich für die DDR.
So hielt das Gefühl, auf der richtigen Seite der Mauer zu leben, nie lange an, denn es gab keine richtige Seite. Nach unseren Reisen spürte ich einmal mehr, wie gefährdet unsere Welt und wie fragil unsere Freiheit war. Wir, die wir im Herbst 1981 nach Bonn zur Friedensdemo fuhren, hatten etwas, das den Realpolitikern fehlte: Politische Phantasie. Wir wussten, dass die Motive für die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen weder Friedens- noch Menschenliebe waren. Und wir, die wir Ende Februar 1981 an der verbotenen (und Jahre später “freigesprochenen”) Anti-AKW-Demo in Brokdorf teilnahmen, zweifelten schon Jahre vor der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl an einer “friedlichen Nutzung der Kernenergie”.
Bis vor wenigen Jahren hatte ich nur eine Ahnung davon, wie sich das Leben in der DDR für den einzelnen Menschen angefühlt haben muss. Erst im Zusammenhang mit den autoritären staatlichen Corona-Maßnahmen begriff ich, was es heißt, entmündigt zu werden und ohnmächtig zu sein. Denn während der “Pandemie” erlebten wir Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland am eigenen Leib das respektlose, autoritäre Gebaren einer Obrigkeit, die es sich erlaubt, uns unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes zu bevormunden, sich in unser Leben einzumischen und immer weiter in unsere privaten Räume und in unsere Körper einzudringen.
Endlich hatte ich wieder den Geruch von Desinfektionsmitteln in der Nase:
Anfang März 2021: Ich trage eine Gesichtsmaske und schiebe einen Einkaufswagen vor mir her, dessen Griffe ein Mitarbeiter des Alnatura-Supermarkts desinfiziert hat. Zuvor musste ich mir (viel zu viel!) Desinfektionsmittel in die Hand geben (ach was, schütten!) lassen, sonst wäre ich nicht in den Laden gekommen, biologisch unbedenklich, wie der Mann sagt, zu kaufen bei Alnatura. In der Gemüse-Abteilung angele ich aus einer Kiste einen feuchten, aber knackig wirkenden Salatkopf. Vorher habe ich mehrere Salatköpfe befingert, wobei ich das Desinfektionsmittel losgeworden sein dürfte. Alle machen es so, im Alnatura und anderswo. Zum Obst muss niemand Abstand halten. Da darf angefasst werden, gegrabbelt, gedrückt und an die Nase gehalten bzw. an den staatlich verordneten “Mund-Nasen-Schutz”. Ich hole mir ein kleines Stück überteuerten, aber sehr leckeren Weichkäse. Später lege ich die Einkäufe aufs Kassenband. Die Kundin vor mir hat ihre etwa fünfjährige Tochter in den Einkaufswagen gesetzt. Das Kind muss mit einkaufen gehen, denn aktuell ist die KiTa geschlossen. Das Mädchen darf nicht im Laden herumlaufen, aber immerhin hat man ihr die Hände nicht desinfiziert. Irgendwann stellt sich das Kind aufrecht hin, beugt sich über das Kassenband und zückt grinsend den Zeigefinger. Sie hat ein lecker weiches Teil entdeckt, wie bestellt für’s Fingerchen. Die kleine Einbuchtung auf dem Coeur de Paille (s.o.) rührt daher. Nie hat mir ein Loch im Käse so gut geschmeckt.
Die Parallelen zwischen den Entmündigungen in der DDR und den Entmündigungen im Rahmen der bundesdeutschen Corona-Politik sind offenkundig, was sich während der “Pandemie”kaum jemand getraut hat, offen zu sagen. Die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt gehörte im März 2021 zu den wenigen Prominenten, die es wagten, die staatlichen Corona-Maßnahmen mit den Restriktionen in der DDR zu vergleichen:
„’Weitere Freiheitseinschränkungen, Vorgaben, wer wann, wohin, oder überhaupt reisen darf, die existierende festgeschriebene Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt und die Unmündigkeit des Volkes, wird unter Vorgabe der Rücksichtnahme festgelegt. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, was man im Namen ‘zum Wohle des Volkes’ so kollektiv, früher im Sozialismus und gegenwärtig im Kapitalismus, in so kleinem Kreise einfach durchsetzen kann!’, so Witt. ‘Ich mag es gar nicht aussprechen, aber ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter flüstert mir fast schelmisch ins Ohr – ‚Willkommen zurück in der DDR‘.“ zit. nach: https://www.morgenpost.de/berlin/leute/article231876279/Katarina-Witt-Facebook-Corona-DDR-Reaktionen.html
Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit einem Paartherapeuten namens Eric Hofmann. Darin ging es um einen neuen Promi-Trend, die sogenannte “Sologamie”, die Heirat mit sich selbst. Was wie ein Gag aus einem Woody Allen- Film klingt, wird tatsächlich praktiziert, vor allem von Frauen um die 30. So soll Pop-Star Selena Gomez (30) vor ein paar Monaten Pop-Star Selena Gomez (30) geheiratet haben.
Nun können es die meisten Medien-Promis in (der) Wirklichkeit keinen Moment alleine aushalten. Sie wetteifern um permanente öffentliche Aufmerksamkeit und sind sich selber längst abhanden gekommen. “Sologame” merken nicht, dass die “Sologamie” zwar ein hübsches Gesellschafts- und Medienspiel ist, als “lustige” Selbstzurschaustellung aber ein Schlag in den Nacken derjenigen, die wirklich alleine sind. Ein einsamer Mensch käme wohl kaum auf die Idee, sich selber zu heiraten.
Obwohl die “Sologamie” nicht viel mehr ist als ein Werbegag, nimmt Paartherapeut und Buchautor Eric Hofmann den Trend sehr ernst. Wohl aus beruflichem Interesse, denn wenn der Mensch solo ist, gibt es kein Paar mehr – und dementsprechend keine Paartherapie. Auch der Ehe stellt Hofmann ein eher nüchternes Zeugnis aus, ebenfalls aus beruflichem Interesse, denn Eheleute, die nach vielen Jahren immer noch harmonieren und sich nicht miteinander langweilen, brauchen keine Paartherapie. Hofmann: “Hier muss auch noch einmal deutlich gemacht werden: Die Ehe als romantisches Modell ist eine sehr neue Erfindung. Bis vor wenigen Hundert Jahren wurde nicht aus Liebe geheiratet. Liebe war im Gegenteil als Sicherheitsrisiko für diese vor allem wirtschaftliche und für Frauen existentielle Verbindung verpönt.” https://web.de/magazine/liebe-partnerschaft/paartherapeut-interview-sologamie-37730146
Doch was sagen unsere Singvögel dazu, die gattungsgeschichtlich viel älter sind als wir? Führen Wild-Vögel, die in beeindruckender Zweisamkeit liebevoll ihren Nachwuchs umsorgen, nicht auch eine Art (wilder) Ehe? Wie wir wissen, leben Amseln überwiegend monogam und bleiben in der Regel über mehrere Brutperioden zusammen. Mich haben die Amseln gelehrt, dass die Ehe weder ein “romantisches Modell” ist noch “eine sehr neue Erfindung”, noch, dass Menschen sie kreiert haben.
Wenn der Amsel-Mann im frühen Frühling sein wohlbekanntes Lied anstimmt, tut er es nicht, um die Amsel-Frau für sich zu gewinnen. Das muss er nicht, denn sie hat sich schon vor Jahren für ihn entschieden. Und doch bringt er sich singend in Erinnerung: Weißt du noch?
Manchmal singt der Amsel-Mann, um sich vor Nebenbuhlern zu brüsten, doch eigentlich singt er aus Liebe, nicht nur zur Amsel-Frau. Er singt aus schierer, unbändiger Frühlings-, Fortpflanzungs- und Lebensfreude. Denn nicht nur seine Frau ist ihm treu. Wenn die Welt wieder grün wird, wenn alles blüht, wenn das Gras wieder wächst und die Knospen platzen, dann weiß die Amsel: Auf den Frühling kann ich mich verlassen.
Die unauffällige Amsel-Frau hält sich im Hintergrund, aber sie hat die Fäden in der Hand beziehungsweise im Schnabel…
Schon Mitte März trägt die Amsel-Frau Material zusammen, um, wie es ausschaut, ein Nest zu bauen, zu unserer Freude im immergrünen Efeu, der direkt hinter der noch kahlen Buchenhecke unseren Gartenzaun überwuchert. Nach ein paar Tagen scheint das Nest fertig zu sein, denn die Amsel-Frau verschwindet -ohne was im Schnabel zu haben- immer wieder im dichten Grün. Ob sie Eier legt? Das Nest ist so gut versteckt, dass man es nur erahnen kann. An einem Abend, als beide Eltern-Tiere ausgeflogen sind, stelle ich mich auf einen Hocker, mache den Arm lang, greife vorsichtig dorthin, wo ich das Nest vermute, und ertaste drei eng beieinander liegende Eier.
Das Nest ist winzig, aber ein Junges überlebt.
Die deutsche Sprache hält für Singvogel-Küken zwei schöne Wörter parat. Küken, die noch im Nest hocken, sind “Nestlinge”. Wenn sie das Nest verlassen haben, sich aber noch nicht selbstständig versorgen können, nennt man sie “Ästlinge”.
Dabei hat es zunächst nicht gut ausgesehen. Der Amsel-Vater verletzt sich und steht und hüpft nur noch auf einem Bein. Das Abheben, Fliegen und Landen klappt, aber das Rosinen-Picken ist so anstrengend, dass er sich zwischendurch ausruhen muss. Ohne die Kooperation beider Eltern kann ein Amsel-Küken nicht überleben. Wird der Amsel-Vater rechtzeitig wieder gesund sein?
Eine Woche vor Ostern steht der Amsel-Vater wieder auf beiden Beinen. Abwechselnd mit der Mutter-Amsel fliegt er mit Futter im Schnabel das Nest an. Ein gutes Zeichen: Mindestens ein Junges muss geschlüpft sein.
17.4.2023: Eine Woche nach Ostern fliegen die Amsel-Eltern das Nest nicht mehr an. Das Jungtier hat das Nest verlassen. Noch am selben Tag zeigt es sich uns.
Flüssigkeit ist für das Jungtier überlebensnotwendig. Doch es muss erst lernen, dass es Wasser nicht verschlingen darf, sondern schlucken muss. Daher ist es gut, dass ein Regenwurm, wie ich lese, zu 90% aus Wasser besteht. Dass ausgerechnet der Sänger mit dem goldenen Schnabel mit eben jenem Schnabel die Würmer zerhackt, schmerzt mich. Zum Trost sage ich mir: Die Amsel handelt aus Eltern-Liebe. Und sie wird nur so viele Regenwürmer zerkleinern und verfüttern, wie das Jungtier zum Großwerden braucht.
Wenn ein Fressfeind ihr Junges bedroht, zögern Amsel-Eltern nicht lange. Sie sind so sehr eins mit ihrem Jungtier, dass sie nicht nur ihr Küken, sondern mit dem Küken sich selber verteidigen. Ich beobachte, wie Männchen und Weibchen gemeinsam schreiend und pickend eine Elster vertreiben und ein anderes Mal die dicke Nachbarkatze, eine gute Jägerin, die meiner Nachbarin einmal ein frisch erlegtes Jungkaninchen serviert hat.
Auch wir Menschen kennen das: Elternliebe setzt ungeheuerliche Kräfte frei. Wir sind da besonders menschlich, wo wir den Tieren am ähnlichsten sind.
Ob Mensch oder Amsel: Elternliebe ist schön, aber anstrengend. Die Amsel-Eltern wirken tagelang hektisch und nervös. Während das Mutter-Tier immer noch einen klaren Kopf behält, überreagiert der Amsel-Vater und vertreibt sogar die freundlichen Tauben.
Dann ist mit einemmal alles wie früher. Von einem Tag auf den anderen wirken die Amsel-Eltern entspannt, sie essen die Rosinen selber und haben keine Würmer mehr im Schnabel. Was kann das bedeuten, wo ist “Kleiner Ästling”?
Doch nach drei Tagen…
Noch ist “Kleiner Ästling” nicht in der Lage, die Rosinen aufzupicken. Doch der Amsel-Vater ist geduldig. Sein Junges darf noch einmal (oder zweimal, oder dreimal…) den Schnabel aufreißen.Suchbild mit Jungtier. Wo ist “Kleiner Ästling?”
Offenbar haben die Amseln ein genaues Gespür für den Moment, wo das Jungtier groß genug ist und in der Lage, sich selber mit Futter zu versorgen und sich vor Fressfeinden zu schützen. Sein Instinkt ist dem Jungtier angeboren, aber es muss noch in seine Aufgabe (Leben und Leben geben) hineinwachsen.
Ihr Instinkt verleiht der Amsel Sicherheit. Niemand muss einer Eltern-Amsel sagen, was sie zu tun hat. Sie zwitschert auf Rechte und Pflichten.
Mittlerweile denke ich aber, dass nicht nur die DDR der BRD beigetreten ist, sondern (inoffiziell) auch die BRD der DDR. Das JA zur DDR zeigt sich im selbstgerechten Gebaren der bundesdeutschen Obrigkeit, die sich -insbesondere in Gesundheitsbelangen- zunehmend bevormundend und respektlos verhält und immer weiter in die privaten Räume der Bürgerinnen und Bürger (und in die Bürgerin und den Bürger selber) eindringt. Wir erleben eine bundesdeutsche Gesundheits-Politik, die autoritär agiert und sich die DDR-Gesundheitsfürsorge zum Vorbild nimmt.
Nun war die DDR, auch wenn die Bezeichnung “Deutsche Demokratische Republik” etwas anderes vormacht, kein demokratischer Staat. Es gab keine freien Wahlen, sondern ein Einparteiensystem. Eine knapp 1400 Kilometer lange, streng gesicherte innerdeutsche Grenze, der im Westen so genannte “Todesstreifen,” sorgte dafür, dass die Menschen das Land nicht verließen. Den Menschen, die einen Ausreiseantrag stellten, drohten schwere Sanktionen.
Manipulation und Kontrolle waren politischer Alltag. Dabei okkupierte das DDR-Regime nicht nur die Köpfe, sondern auch die Körper der Menschen. Hauptleidtragende der autoritären staatlichen Volkserziehungs-Maßnahmen und der grenzüberschreitenden Gesundheitsfürsorge waren die Kinder. Schließlich gelingt eine umfassende Leibes-Kontrolle der Menschen am besten dann, wenn sie früh anfängt. Bei Verwandtenbesuchen in Leipzig Anfang der 1980er Jahre bekam ich mit, dass Kinder, die in der Krippe betreut wurden, bereits mit zehn Monaten, kaum konnten sie sitzen, “erfolgreich” aufs Töpfchen “gingen”, was für die Erwachsenen natürlich praktisch war. Solcherart kleine “Wunder” waren in der DDR “Normalität” und Produkt einer autoritären Reinlichkeitserziehung, die wiederum Teil einer allgegenwärtigen Gesundheitsfürsorge war.
Im Deutschland-Archiv der Bundeszentrale für Politische Bildung findet sich ein interessanter Text der Psychiaterin und Psychoanalytikerin Agathe Israel, der ganz alltägliche Situationen der DDR-Kinderbetreuung in ihrer Drastik anschaulich beschreibt. Agathe Israel benennt dabei die dramatischen Folgen einer Erziehung, deren Ziel es war, bereits aus Kleinstkindern sozialistische Persönlichkeiten zu formen: “Es eröffnete sich ein Konflikt, der zwar gefühlt, jedoch kaum gedacht und schon gar nicht öffentlich diskutiert werden konnte: Die autoritär-kontrollierende Strategie, Mündigkeit, Empathie und Verantwortung von früher Kindheit anzuerziehen, behinderte die Entwicklung eben dieser Eigenschaften. Dieses Entwicklungsmilieu im „nazifreien“ Teil Deutschlands erzeugte Autoritätsgebundenheit. Sie ist ein wesentliches Kennzeichen des „totalitären Charaktertyps“.” https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/259587/fruehe-fremdbetreuung-in-der-ddr/
Gleichzeitig enthält der Artikel eine Fülle erhellender Fakten. Ich bekam viele Informationen, die neu für mich waren, etwa die, dass DDR-Gesundheitsbürokratie und Kindertagesstätten eng miteinander verzahnt waren: “Die Kinderkrippen in der DDRunterstanden dem Ministerium für Gesundheit, das über ein hierarchisch gegliedertes System mit Bezirksärzten und deren Fachreferaten die fachliche und politische Aufsicht und Kontrolle ausübte.” (ebd.)
Zwar unterstehen unsere Kitas nicht dem Bundes-Gesundheitsministerium, aber die bundesdeutschen Gesundheitsbehörden haben unter der Kanzlerschaft der Physikerin Dr. Angela Merkel (CDU), geboren in Westdeutschland, aufgewachsen in der DDR, deutlich an Macht und Einfluss gewonnen. Dass die bundesdeutsche Gesundheitsfürsorge so weit in den persönlichen Alltag vordringen darf, verdankt sich vor allem der kontinuierlichen Zusammenarbeit der Kanzlerin mit der sittenstrengen, hochdisziplinierten CDU-Politikerin Dr. med. Ursula von der Leyen.
Die Politikerin und Ärztin, geboren in Ixelles/Elsene (Brüssel), Belgien, Mutter von sieben Kindern und leidenschaftliche Dressurreiterin (Pferde), kann eine glänzende politische Vita und eine lückenlose Laufbahn (insbesondere unter Merkel) vorweisen:Sie war von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Kabinett Merkel I ), von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales (Kabinett Merkel II ) und von 2013 bis 2019 Bundesministerin für Verteidigung (Kabinett Merkel III und IV, bis 17. Juli 2019). Am 16. Juli 2019 wurde von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Dieses auf fünf Jahre befristete Amt hat sie seit Ende 2019 inne.
Frau von der Leyen, attraktiv, zielstrebig und durchsetzungsfähig, ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Verordnungen, die die Entscheidungsfreiheit von Eltern einschränken und den Staat dazu ermächtigen, Kinder und ihre Familien ärztlich zu überwachen, in Deutschland vorangetriebenund durchgesetzt wurden.Von der Leyens besonderes Augenmerk galt dabei den “kostenlos” angebotenen “Kinderfrühuntersuchungen”, die im Jahr 1971 in Westdeutschland eingeführt wurden. Sinn und Zweck dieser “U-Untersuchungen” ist die mit einem peinlichen Unwort tatsächlich so genannte “Kinderfrüherkennung”. https://stellwerk60.com/2021/06/30/elfchen-im-sechsten-kinderfruherkennung/
Unter Familienministerin Ursula von der Leyen wurde die “Kinderfrüherkennung” intensiviert, verschärft und ein verbindliches Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen auf den Weg gebracht. Es ist sozusagen Ursula von der Leyens familienpolitisches Vermächtnis, denn kurze Zeit später sollte sie als Ministerin ins Bundesministerin für Arbeit und Soziales wechseln. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Kernaussage einer Pressemitteilung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (holpriges Kürzel für die Behörde:BMFSFJ) aus dem Jahr 2009 zitieren. Die Pressemitteilung mit dem Titel Ursula von der Leyen: “Wir haben das Niveau des Kinderschutzes in Deutschland spürbar erhöht(.)“ steht nach wie vor auf der offiziellen BMFSFJ– Internet-Seite:
Darf der Staat “zum Wohle des Kindes” in private Wohnungen eindringen, nur weil die Familien nicht zu den “empfohlenen” Untersuchungsterminen (und dadurch auch nicht zu den entsprechenden Impfterminen) erscheinen? Stellt so nicht der Staat die Eltern unter den unzulässigen Generalverdacht, ihre Kinder zu vernachlässigen oder sie zu misshandeln? Warum misstraut die Politik den Bürgerinnen und Bürgern? Meines Erachtens ist der “Hausbesuch” des Jugendamts unter den genannten Umständen ein Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes. Zur Erinnerung: “Die Wohnung ist unverletzlich.” (Artikel 13 GG, Absatz 1)
Würde man Frau Dr. med. Ursula von der Leyen darauf hinweisen, dass das verbindliche Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen möglicherweise gegen Artikel 13des Grundgesetzes verstößt, würde sie (lächelnd) auf den ergänzenden Absatz 7 hinweisen: “Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.” (Fettungen von mir)
Tatsächlich kann Artikel 13 des Grundgesetzes je nach politischem Gutdünken unterschiedlich interpretiert und leider auch missbraucht werden, nicht nurzum Schutze gefährdeter Jugendlicher. Im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen mussten unbescholtene Bürgerinnen und Bürger erleben, dass der private Raum nicht mehr unverletzlich ist – ebenso wenig wie der eigene Körper.
Meine Töchter (damals 25 und 22) und ich (damals knapp 63) mussten, nachdem die ältere im Juli 2021 an der Delta-Variante erkrankt war, nicht nur eine zweiwöchige Quarantäne erdulden, sondern auch den Hausbesuch einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamt zulassen, die zur Bekämpfung von Seuchengefahr nach telefonischer Vorankündigung am 23.7.2021 bei uns vorbeikam. Sie übertrat zwar nicht die Tür-, wohl aber die Körperschwelle, um bei mir und meiner jüngeren Tochter den amtlich angeordneten PCR-Test vorzunehmen. Die Frau tat ihre Pflicht, das heißt, sie drang mit dem Teststab durch unsere Nasen hindurch bis an die jeweilige Rachenhinterwand vor.
“Rachenhinterwand” ist ein Bereich meines Körpers, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn habe, aber ich hatte, sonst hätte ich mich erst recht verdächtig gemacht. Was dann kam, war sehr unangenehm, vor allem für meine Tochter, die eine Schockstarre simulierte und sich nicht bewegte. Ich weiß noch, dass ich während der Prozedur langsam, ganz langsam vor dem Teststab zurückwich, was clever war, denn die Frau traute sich nicht, “die Verfolgung aufzunehmen”, vermutlich aus Angst zu stolpern. Und was dann passiert wäre, will ich mir gar nicht ausmalen.
(Doch nicht nur die deutsche Gesundheitspolitik hat damals überreagiert. Als meine ältere Tochter im Juni 2021ihre Schwester besuchte, die für zwei Erasmus-Semester nach Durham/UK gezogen war, wurde sie -aus Deutschland anreisend- in die Kategorie “Amber”eingestuft. Das bedeutete: Online-Anmeldung, COVID-19-Test vor Einreise, 2 weitere Tests vor/am Tag 2 und am/nach Tag 8 nach Einreise, häusliche Quarantäne von 10 Tagen mit Möglichkeit einer Freitestung (immerhin “nur” per kostenpflichtigem Selbsttest) am Tag 5 nach Einreise. In der Quarantäne erlebte sie, dass ein Mitarbeiter des NHS (National Health Service) völlig überraschend vorbeikam und ihre Anwesenheit kontrollierte.)
Vergessen scheint, dass Artikel13 niemals dazu gedacht war, staatliche Übertretungen zu legitimieren. Im Gegenteil: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland war und ist eine Replik auf die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten. “Die Wohnung ist unverletzlich(.)” (Artikel 13) ist eine Antwort auf Totalitarismus und Terror im NS-Deutschland. “Die Wohnung ist unverletzlich(.)” ist ein klarer, ein leiser Satz, aber ein unbedingtes “Nie wieder!“. Artikel 13 erinnert an die totale Überwachung in der NS-Zeit, an die Razzien der GESTAPO, an die systematische Durchforstung und Auslöschung von Privatwohnungen und an die Deportationen. Der Satz kommt so zart daher, dass man ihn ganz leicht ignorieren kann, wegpusten. Er ist so zerbrechlich, wie der Mensch selber zerbrechlich ist.
Ursula von der Leyen war zwar von 2003 bis 2005 niedersächsischeMinisterin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, nie aber Bundesgesundheitsministerin. Doch gerade in ihrer Amtszeit als Bundes-Familienministerin (2005-2009) wurde aus einer ehrgeizigen Frau mit rascher Auffassungsgabe eine knallharte Machtpolitikerin.
Um zu verstehen, warum Frau Dr. von der Leyen als Gesundheitskontrolleurin auftritt und dermaßen unerbittlich agiert, sollte man sich ihren Lebenslauf genauer anschauen. Ursula von der Leyen, Tochter des CDU-Politikers Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachen in den Jahren 1976 bis 1990, ist zusammen mit sechs Geschwistern in protestantisch-großbürgerlichen, fast schon feudal zu nennenden Verhältnissen aufgewachsen.
In einem anschaulich geschriebenen Cicero-Artikel aus dem Jahr 2013 gibt uns Constantin Magnis Einblicke in einen von Standesdünkel und Arroganz geprägten, streng durchgetakteten Familienalltag. Der Artikel bezieht sich auf die Zeit nach 1971, als die Familie nicht mehr in Brüssel lebte, sondern in Burgdorf-Beinhorn nahe Hannover. Der berufliche Wechsel von Familienvater Ernst Albrecht, der von 1970 bis 1990 Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag war und in den Jahren 1971 bis 1976 einer von fünf stellvertretenden Geschäftsführern des Gebäckherstellers Bahlsen, hatte den Umzug notwendig gemacht.
Ursula ist der Liebling des Vaters. “Trotzdem“, so schreibt Magnis, “wird auch sie zu eiserner Disziplin erzogen.In der Schule wird maximaler Fleiß erwartet, ein Studium ist selbstverständlich, die Promotion erwünscht. Heidi Adele Albrecht erzählt der Bild, wie sie ihren Sohn Harald einmal zur Strafe ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken schickt. Fernsehen, berichten Nachbarn, durften die Kinder kaum, Micky Maus lesen auch nicht. Spielkameraden erinnern sich, dass die Albrecht-Buben Kalender hatten, in die sie Termine zum Spielen notierten.… Ungewöhnlich wird bald auch das Leben im Dorf um Tundrinsheide herum. Als Schutz vor der RAF wird in Beinhorn ein eigenes Polizeirevier installiert.Zwölf Beamte und zwei Autos patrouillieren die Straßen, die Kinder werden im Streifenwagen zur Schule gefahren, der Ort wird zur Burg der Albrechts.” https://www.cicero.de/innenpolitik/portraet-von-ursula-von-der-leyen-planet-roeschen/56367 (Fettungen von mir. Ich nehme an, dass das, was Constantin Magnis schreibt, gewissenhaft recherchiert ist und der Wahrheit entspricht. Eigentlich ist das, was ich lese, so un-heimelich, dass ich es kaum glauben kann.)
Ursula Albrecht wächst auf als Kind einer Vorzeige-Familie. Mit ihrem Umzug nach Deutschland werden sie und ihre Geschwister Teil einer medialen Inszenierung. Hauptdarsteller ist der vor der Kamera stets strahlende Ernst Albrecht, der sich gerne als Familien- und später auch als Landesvater inszeniert. Albrecht, ab dem Jahr 1976 Ministerpräsident von Niedersachsen, ist der smarte, sportliche Typ. Einmal posiert er zusammen mit zwei Söhnen für den “Kicker“- im Fußballtrikot. https://www.spiegel.de/politik/ernst-albrecht-a-a114c50b-0002-0001-0000-000014327668 Nach Vorbild prominenter US-amerikanischer Politiker-Clans schmückt sich Albrecht mit der großen Familie, die, siehe wikipedia, schillernde Vorfahren vorweisen kann. Tochter Ursula knüpft später da an, durch die Heirat mit dem Mediziner Heiko von der Leyen im Jahr 1986 beschert sie der Familie den noch fehlenden Adelstitel – und wird als Politikerin noch erfolgreicher als ihr Vater.
Doch ist eine Familie unter diesen Bedingungen noch ein warmer, heimeliger Ort, ein Schutzraum? Robert Habeck, den ich einmal geschätzt habe, sagte im Jahr 2018 in einem Interview mit dem dänischen Magazin GRÆNSEN: “Ich habe mal gelesen: Heimat ist da, wo man doof sein kann. Das klingt komisch, aber ich finde es genau richtig: Mit Menschen zusammen zu sein, wo man nicht erklären muss, wer man ist.“ https://www.nordschleswiger.dk/de/deutschland-suedschleswig/ich-bin-nicht-nur-da-zuhause-wo-meine-muttersprache-gesprochen-wird. Man kann es auch einfacher sagen: Heimat ist da, wo man so doof sein kann, wie man ist.
Die Albrecht-Kinder dürfen nie einfach nur doof sein, sondern müssen fleißig sein, zielstrebig und gehorsam. Schließlich schaut man auf sie. Sie dürfen sich nicht frei bewegen und werden von der Polizei zur Schule kutschiert. Die ersten Male mag das ja noch aufregend sein, aber dann? Wer will mit 15 noch zur Schule gebracht werden? Wie können Eltern bewaffneten Polizisten, die ständig um ihr eigenes Leben fürchten müssen, ihre Kinder anvertrauen? Personenschutz für Kinder, das hätte Ernst Albrecht bewusst sein müssen, erregt erst recht Aufmerksamkeit. Die bewachte Fahrt zur Schule gefährdet nicht nur Mitschülerinnen und Mitschüler, sondern macht die Sicherheitskräfte selber zur Zielscheibe – und das auf Kosten der Allgemeinheit..
Ernst Albrecht muss tatsächlich große Angst vor der RAF gehabt haben. Nicht ohne Grund, denn Albrecht war nicht zimperlich, was die Terrorabwehr betraf. So waren er und die damalige CDU-Landesregierung in einen -wie sich später herausstellen sollte- vom Verfassungsschutz fingierten Anschlag eingeweiht. “Als Celler Loch wurde die Aktion Feuerzauber[1] des niedersächsischen Verfassungsschutzes bekannt, bei der am 25. Juli 1978 ein Loch mit rund 40 Zentimeter Durchmesser in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle gesprengt wurde. Damit wurde ein Anschlag zur Befreiung von Sigurd Debus vorgetäuscht, der als mutmaßlicher Terrorist der Rote Armee Fraktion (RAF) im Celler Hochsicherheitsgefängnis einsaß.”https://de.wikipedia.org/wiki/Celler_Loch
Ernst Albrecht hätte, um seine Kinder tatsächlich zu schützen und ihnen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen, vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten müssen, spätestens im Jahr 1986, als der Journalist Ulrich Neufert die wahren Hintergründe der “Aktion Feuerzauber” aufgedeckt hat.
Doch Albrecht bleibt hart. Würde er seine Mit-Schuld eingestehen, würden auch die eigenen Kinder den Respekt vor ihm verlieren. So aber spielen die Kinder mit. Es ist ihnen nicht zu verdenken, dass sie den Prominenten-Status genießen, denn der ist mit allerlei Annehmlichkeiten verknüpft. Die Albrecht-Kinder beißen in den sauren Apfel und machen sich vor, dass er süß schmeckt.
Fotos der jungen Ursula Albrecht zeigen ein hübsches, selbstbewusstes Mädchen, das es liebt, vor der Kamera zu posieren und gesehen zu werden. Ursula vergöttert den Vater. “‘Röschen’ hockt nachmittags auf der Haustreppe und wartet, bis ihr Vater nach Hause kommt.” Wissend, dass sie (schmunzelnde) Zuschauer hat, interessiert sich Ursula Albrecht für alles, was den Vater interessiert, sogar für Landespolitik. “Während die Brüder bei Besprechungen rausgeschickt werden, erleben Besucher, wie Ursula unterm Schreibtisch ihres Vaters sitzen bleiben darf.” (cicero.de/ s.o.)
In Erziehungsfragen ist Albrechts Ehefrau Heidi Adele seine Verbündete. Vermutlich heißt er es gut, dass sie Sohn Harald ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken lässt. Als sozial engagierte “Landesmutter” hat Heidi Adele Albrecht eine gute Presse. Da wird man schnell leutselig und plappert aus, was man am besten für sich behält. Dass sie ausgerechnet der BILD-Zeitung von ihrer demütigenden Erziehungsmaßnahme erzählt, vermutlich sogar als kleine Anekdote, wundert mich allerdings sehr. Ich gebe “ohne Handschuhe Brennnesseln pflücken Strafe” in die Suchmaschine ein und werde von einem Ergebnis überrascht, das mich nachdenklich stimmt.
Im Rahmen der Online-Ausstellung “Verfolgung von Jugendlichen im Nationalsozialismus”, die die Lebensläufe von Jugendlichen aus ganz Europa aufzeichnet, “die in der Zeit von 1933 bis 1945 von den Nationalsozialisten aus »rassischen«, politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt und teilweise sogar ermordet wurden…”, wird auch die Geschichte der 1925 in Łódź /Polen geborenen Widerstandskämpferin und Auschwitz-Überlebenden Batsheva Dagan erzählt. Die Jüdin Batsheva Dagan wurde im Jahr 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie Zwangsarbeit verrichten musste, unter anderem im “Brennnessel-Kommando”.
“Bei ihrer ersten Arbeit im »Brennnessel-Kommando« musste Batsheva mit bloßen Händen, ohne Handschuhe, Brennnesseln pflücken, aus denen »Kaffee« für die Häftlinge gekocht wurde. Bei dieser schmerzhaften Arbeit wurden die Zwangsarbeiterinnen von einer jungen Aufseherin bewacht: Irma Grese. Diese hatte einen abgerichteten Hund, den sie auf die Häftlinge hetzte, wenn sie ihrer Meinung nach zu langsam arbeiteten. Auch schlug sie die Frauen zur Strafe ins Gesicht.” https://www.verfolgung-von-jugendlichen-im-ns.de/index.php/biographies/batsheva-dagan
Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die promovierte Germanistin Heidi Adele Albrecht gewiss niemals mit den Nazis sympathisiert hat. Die Taten der KZ-Aufseherin Irma Grese lassen sich nur entfernt mit der Erziehungsmaßnahme von Frau Albrecht vergleichen. Während Irma Grese die jungen Zwangsarbeiterinnen systematisch und tagtäglich quälte, war die Bestrafung des Albrecht-Sohns eine Einzelaktion. Dennoch verurteile ich diese Aktion, bei der Sohn Harald nicht nur zu Gehorsam erzogen und bestraft, sondern vermutlich auch abgehärtet werden sollte. In keinem Fall hätte Heidi Adele Albrecht die Erziehungsmaßnahme öffentlich machen dürfen, denn als “Landesmutter” war sie eine einflussreiche Person und für viele Eltern ein Vorbild.
Der autoritäre Umgangston innerhalb der Familie und das permanente Streben nach öffentlicher Anteilnahme und Anerkennung war gewiss auch eine Reaktion auf einen schweren familiären Schicksalsschlag. Nur wenige Jahre zuvor war die heile Welt für eine Weile zusammengebrochen, als Ursula Albrecht im Alter von 13 Jahren ihre jüngere Schwester Benita-Eva verlor. Diese traumatische Erfahrung ist gewiss eine Ursache für die harte Gesundheitspolitik, die Ursula von der Leyen nach Verabschiedung aus der Bundespolitik als Vorsitzende der EU-Kommission weiter vorantreibt.
Moralisch bedenklich ist allerdings, auf welche Weise Ursula von der Leyen ihre persönliche Lebensgeschichte heranzieht, um als Vorsitzende der EU-Kommission dem Krebs in Europa den Kampf anzusagen. “Mit dem Hinweis auf ihre eigene Familiengeschichte hat die neue EU-Kommissionschefin dem Krebs in Europa den Kampf angesagt. ‘Als ich als Mädchen in Brüssel lebte, starb meine kleine Schwester im Alter von elf Jahren an Krebs’ sagte die 61-Jährige. ‘Ich erinnere mich an die enorme Hilflosigkeit meiner Eltern, aber auch der medizinischen Betreuer, die sich so liebevoll um sie kümmerten.‘ ” https://www.aerzteblatt.de/archiv/211174/EU-Kommission-Von-der-Leyen-sagt-Krebs-den-Kampf-an
Es sind rührselige Worte, mit denen sich von der Leyen erinnert: “Als ich als Mädchen in Brüssel lebte.”… Gerade die Älteren von uns denken bei der Formulierung an den Titel des berührenden autobiografischen Kinderbuchs von Erich Kästner, das 1957 veröffentlicht wurde und vermutlich bei den Albrechts im Bücherschrank stand: Als ich ein kleiner Junger war … Als ich ein kleines Mädchen war…
Bereits 15 Jahre zuvor hatte die damalige Bundes-Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) in einer Sendung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks vom Tod der Schwester erzählt, aber nur vor deutschem Publikum, und zwar in der Talkshow „Beckmann“ (4.6.2006, 22.45 Uhr). Auf bz-berlin.de wird am 4.6. für die abendliche Sendung geworben und Ursula von der Leyen zitiert: “Immer noch habe sie das Bild ihrer Schwester im Kopf, wie sie im Bett lag. ‘Sie wurde immer schwächer. Zum Schluß war sie auch gelähmt.’ Dann kam der Tod. ‘Wir waren an ihrem Sterbebett versammelt. Es gab dann auch das alte Ritual der Totenwache.'” https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/ursula-von-der-leyen-so-qualvoll-starb-meine-schwester-an-krebs
Ich persönlich bin der Auffassung, dass Kinder und Jugendliche am Sterbe- oder Totenbett eines Geschwisterkindes “nichts zu suchen” haben. Die Totenwache, die den Beteiligten Tapferkeit und Disziplin abverlangt, macht aus sehr jungen Menschen schlagartig Erwachsene, die sie nicht sind. Meines Erachtens dürften nur die Eltern ihr sterbendes Kind begleiten. Ursula Albrecht war, als ihre Schwester starb, knapp 13 Jahre alt, in einem Alter, in dem Menschen allmählich begreifen, dass sie sterblich sind.
Der wohl größten Trost, den das Leben parat hält, ist die Liebe. Wenn wir verliebt sind, fühlen wir uns unsterblich. Mit knapp 13 sind viele Menschen -wenn auch nur aus der Ferne- zum ersten Mal “unsterblich” verliebt. In diesem Alter eine Schwester zu verlieren, stelle ich mir entsetzlich vor. Man darf von einem jungen Mädchen nicht erwarten, dass es der toten Schwester “einen letzten Dienst” erweist. Die Totenwache dürfte das junge Mädchen nicht getröstet, sondern Todesangst hervorgerufen und/oder verfestigt haben. Die Eltern Albrecht hätten Ursula -so meine persönliche Meinung- vom “Ritual der Totenwache” ausschließen müssen.
Der Tod eines Kindes ist so furchtbar, dass er das Leben der betroffenen Familie(n) vollkommen auf den Kopf stellt. Ich selber habe miterlebt, wie Anfang der 1960er Jahre meine damals zweijährige Großkusine Susanne binnen kürzester Zeit an Leukämie starb, was insbesondere für Susannes Schwester, aber auch für mich und meine Geschwister entsetzlich war. Wir hatten Angst, selber zu erkranken. Gleichzeitig waren wir eifersüchtig auf unsere Kusine, die in der Nachbarstadt lebte, denn unsere Mutter fuhr jeden Tag zu ihr. Für unsere Mutter gab es in diesen traurigen Wochen nur ein Kind: Susanne.
Leukämie war Anfang der 1960er Jahre noch nicht behandelbar. Susannes Vater, selber Arzt, hat damals lebensverlängernde Maßnahmen wie Bluttransfusionen abgelehnt, um seiner Tochter weiteres Leid zu ersparen. Obwohl er der Krankheit gegenüber machtlos war, hat ihn wohl niemand (auch kein Erwachsenener) als “hilflos” empfunden- so wie Ursula Albrecht ihren “Übervater” Ernst Albrecht.
Vermutlich hat Ursula Albrecht ihren Vater bis zum Zeitpunkt des Todes ihrer Schwester für allmächtig gehalten. Jetzt bekommt das Bild einen Kratzer.
Ich halte die Generalmobilmachung gegen Krankheiten, und sei es gegen die von uns allen gefürchtete Krankheit Krebs, für gefährlich. Es führt schnell dazu, dass die Gesundheits-Politik allzu schwere Geschütze auffährt.
Ich bin erleichtert, dass ich wenigstens eines der anvisierten Organe, die Prostata, nicht besitze. Dennoch bin ich alarmiert. Der “Sound” dieser Verlautbarung erinnert mich doch sehr an das “verbindliche Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen“, Ursula von der Leyens familienpolitisches Vermächtnis aus dem Jahr 2009 (s.o.). Gewiss wird das Gesundheitsamt bei mir zuhause “nach dem rechten” schauen, wenn ich nicht zu den Untersuchungsterminen erscheine.
Frau Dr. med. Ursula von der Leyen empfehle ich, einmal Tempo und Verve zu drosseln und gründlich zu recherchieren. Denn es hat vor mehr als zwanzig Jahren eine großangelegte Studie gegeben, bei der im Rahmen der Früherkennung des Neuroblastoms nicht nur in Deutschland Millionen Kleinstkinder per Urin-Windeltest untersucht wurden. Die Folgen waren für einige der Kinder katastrophal. Da aber niemand von einer Katastrophe und nicht einmal einem medizinischen Skandal redet, werde ich es demnächst an dieser Stelle nachholen…
Natürlich ist die Krebsfrüherkennung, wenn sie nicht überspannt wird, vernünftig. Auch Impfungen sind sinnvoll, solange maßvoll geimpft wird und man den Menschen, der ja über große Selbstheilungskräfte verfügt bzw. sie als Heranwachsende/r erst noch ausbilden muss, nicht entmündigt. Denn Impfungen sind (auch) eine wirksame Möglichkeit, den Menschen körperlich und seelisch zu manipulieren. In der DDR war die Impfung der Massen (und insbesondere der Heranwachsenden) ein zentrales Mittel der Machtausübung. Unter der Losung “Der Sozialismus ist die beste Prophylaxe” setzte die DDR seit den 1950er Jahren “eine gesetzliche Impfpflicht durch, die immer umfassender wurde: gegen Pocken, Kinderlähmung, Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Tuberkulose und ab den 1970er-Jahren auch gegen die Masern. Empfohlen wurde, wie auch heutzutage, eine Grippe-Impfung. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr bekamen Heranwachsende insgesamt 20 Schutzimpfungen – staatlich verordnet.” https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/gesundheit/impfen-impfpflicht-polio-epidemie-kinderlaehmung-100.html
Seit dem 1. März 2020 gilt in Deutschland das “Masernschutzgesetz”. Wie früher einmal in der DDR, wo die Masern-Impfpflicht Anfang der 1970er Jahre eingeführt wurde, ist sie jetzt in ganz Deutschland Pflicht. Das bedeutet, dass die Eltern aller Kinder, die über ein Jahr alt sind und eine Gemeinschaftseinrichtung wie KiTa, Kinder-Tagesgruppe oder Schule besuchen oder besuchen wollen, nachweisen müssen, dass die Kinder gegen Masern geimpft sind. Indirekt jedoch verpflichtet diese Impfung auch zur Mumps- und Rötelnimpfung, denn der Masern-Impfstoff ist in Deutschland nur in Kombination mit dem gegen Mumps und Röteln erhältlich.
Wie zu befürchten und nicht anders zu erwarten war, wurden alle Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht zurückgewiesen. Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale sind die wesentlichen Inhalte einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. August 2022 gut zusammengefasst:
“Das Bundesverfassungsgericht hat Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht für Kinder zurückgewiesen und sie für verfassungsgemäß erklärt. Demnach stellt die Impfpflicht zwar einen Eingriff in das Elternrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit dar.Diese Grundrechtseingriffe seien aber zumutbar und verhältnismäßig, um besonders gefährdete Menschen vor einer Infektion zu schützen. “Angesichts der sehr hohen Ansteckungsgefahr bei Masern und den … verbundenen Risiken eines schweren Verlaufs besteht eine beträchtliche Gefährdung … Dritter”, heißt es in der Urteilsbegründung.” https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/alles-zur-masernimpfpflicht-das-muessen-sie-jetzt-wissen-76370
Die Masern sind eine nicht zu unterschätzende Kinderkrankheit. Ich habe meine beiden Töchter (Jahrgang 1999 und 1995) auch deshalb gegen Masern impfen lassen, weil ich einen jungen Mann kannte, dessen Hörvermögen nach einer Masern-Erkrankung im frühen Kindesalter eingeschränkt ist. Leider wurden die beiden bei der Gelegenheit -weil es so üblich war- per Mehrfachimpfstoff (MMR) auch gegen Röteln und Mumps geimpft. Ich war vertrauensvoll und naiv. Mehrfachimpfungen sind lukrativ.
Eine allgemeine Impflicht, wie es sie seit 2020 gibt, ist unverhältnismäßig. Selbst das Bundesverfassungsgericht räumt ein, dass die Impfpflicht einen “Eingriff in das Elternrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit” darstellt. Doch ist nicht der Impfakt selber unter Umständen ein Angriff auf die körperliche (und seelische!) Unversehrtheit des Kindes?
Kurz vor der “Pandemie” begegnete ich einem Nippeser Bekannten. Er war in großer Sorge um seine Tochter, die im Sommer 2020 eingeschult werden sollte. Das Mädchen, so erzählte er mir, habe eine so schwere Allergie, dass im Falle einer Masern-Impfung mit einem allergischen Schock zu rechnen sei. Man habe ihm gesagt, dass man das Mädchen dennoch impfen müsse. Aber die Familie könne beruhigt sein. Das Mädchen werde im Krankenhaus geimpft, da stünden im Notfall die Experten bereit. Außerdem könne das Kind im Krankenhaus nach der Impfung weiter beobachtet werden.
Was er mir erzählte, war so entsetzlich, dass ich es kaum glauben mochte. Ein allergischer Schock verletzt den Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Wie kann man unter dem Vorwand, ein Kind schützen zu wollen, in Kauf nehmen, dass es möglicherweise großes Leid erfährt? Unter diesen Umständen wird dem Kind physisch und psychisch Gewalt angetan. Und wenn es schon eine Impfpflicht gibt, wäre dann nicht die Herdenimmunität dazu da, Kindern wie der Tochter meines Bekannten die Impfung zu ersparen und sie vor den unzumutbaren Begleitumständen der “Schutzimpfung” zu schützen?
Später habe ich im Internet einen Text mit den immer noch gültigen Empfehlungen des RKI gefunden, der bestätigt, was mein Bekannte mir erzählt hat. “Ausschließlich Kinder mit klinisch sehr schwerer Hühnereiweißallergie (z.B. anaphylaktischer Schock nach Genuss von geringsten Mengen von Hühnereiweiß) sollten unter besonderen Schutzmaßnahmen und anschließender Beobachtung (ggf. im Krankenhaus) geimpft werden.”https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ10.html
Leben wir noch in einer Demokratie? Die Empfehlungen des RKI sind, wie ich finde, nicht nur undemokratisch, sondern menschenverachtend.
Ich denke, es ist (aus vielerlei Gründen) höchste Zeit für eine Aufhebung der Masern-Impfpflicht. Ein Gerichtsurteil aus dem Sommer 2022, das ermöglicht, dass ein dreijähriges Kind nach Impfung mit einem Einfach-Impfstoff, der in der Schweiz besorgt wurde, in den Kindergarten gehen darf, ist ein Armutszeugnis für die deutsche Gesundheitspolitik, aber dennoch ein kleines Hoffnungszeichen. https://individuelle-impfentscheidung.de/aktuelles/detail/eilantrag-einzelimpfstoff-aus-der-schweiz.html Aber es sollte (und wird hoffentlich) andere Wege geben als den Rechtsweg.
Die autoritäre Kinderbetreuung in den DDR-Kinderkrippen und Kindertagesstätten (inklusive Pflicht-Impfungen und regelmäßiger Gesundheitskontrolle) fand in der Schule ihre Fortsetzung. Wollten die Kinder nicht von den Freizeit- und Gruppenaktivitäten ausgeschlossen werden (und welches Kind will das schon?), mussten sie sich den Jungpionieren anschließen. Die Organisation “Die Jungpioniere”, der fast alle Schülerinnen und Schüler vom 1. bis zum 3. Schuljahr angehörten, war Teil der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“.
Ein sprachliches Zeugnis für die Erziehung zur Unmündigkeit sind Die Gebote der Jungpioniere, die dem Schulkind vorschreiben, wie es zu sein hat: Es soll sich anpassen und funktionieren. Was vom Kind erwartet wird, ist absoluter Gehorsam und eine Einordnung in das sozialistische Kollektiv. Belohnt wird das Kind mit einem Ausweis, einer Uniform, einem Halstuch und dem Gefühl, einer Kindergruppe anzugehören. Die Jungpioniere, das sind WIR.
Ich versuche, mich in eine ehemalige Jungpionierin hineinzuversetzen und aus ihrer Perspektive ein Elfchen zu schreiben. Die Frau ist längst erwachsen, aber im Herzen immer noch Jungpionierin. Wir alle kennen sie. Nach der Wende hat sie im Westen Karriere gemacht. Zugute gekommen sind ihr Intelligenz, Ehrgeiz und ein typisch deutscher, leicht verklemmter Humor. Sie besitzt Eigenschaften, die man auch “deutsche Tugenden” nennt: Fleiß, Ordnungsliebe, Sauberkeit, Disziplin.
Diese Frau erfüllt immer und unter allen Umständen ihre Pflicht. Was die Frau auszeichnet, das ist eine gewisse Bescheidenheit. Bei der Corona-Impfung hat sie nicht Erste sein wollen. Sie hat sich nicht in den Vordergrund gedrängt, sondern in die Reihe gestellt und gewartet, bis sie an der Reihe war.
Ich entnehme den “Gebote(n) der Jungpioniere” die sechs einschlägigen Adjektive und Adverbien und wähle die Ich-Perspektive.
Das kleine Elfchen entsteht ganz von allein…
Ich
war Pionierin,
tüchtig und fleißig!
Ordentlich, sauber, diszipliniert und
gesund!
Ich drucke das Elfchen aus und lese es noch einmal. Es ist stimmig, es passt zu der Frau. Nachts träume ich von ihr, wieder einmal. Vgl.: https://stellwerk60.com/2021/01/27/elfchen-im-ersten-wir-geben-euch-staatssicherheit-ein-gedicht-von-angela-merkel-das-sie-mir-vortrug-wahrend-ich-traumte/ Sie steht freudestrahlend vor mir und liest mir den kleinen Text vor, zweimal, dreimal, sie fühlt sich wahrgenommen, verstanden. Ihre Darbietung ist fehlerlos, der Vortrag wird lediglich von winzigen Glucksern unterbrochen. Diese Frau, die mir jetzt auch noch zuzwinkert, ist in der DDR aufgewachsen und war FDJ-Aktivistin: Angela Merkel!
Als Kind war Angela Merkel Pionierin in der Organisation Ernst Thälmann. Sie wollte immer die Erste sein und war es oft, doch wahrhafte Pionierin war sie erst nach der Wende, sie war vielfache Erste, sie war “als Frau die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie war im Amt des Bundeskanzlers die erste Person aus Ostdeutschland und die erste nach der Gründung der Bundesrepublik geborene Person.”https://de.wikipedia.org/wiki/Angela_Merkel
Offenbar hat Angela Merkel nicht nur den autoritären Jargon der DDR-Obrigkeit verinnerlicht, sondern auch deren Geisteshaltung. Das ist verwunderlich, denn ist Frau Merkel nicht DDR-kritisch, war für Frau Merkel die DDR nicht ein Unrechtsstaat? Ich schaue im Internet nach und finde ein spiegel– Video vom 23.9.2010. Wir sehen Angela Merkel, die anlässlich der Feiern zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit das neue Buch von Lothar de Maizière vorstellt: “Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit.”
De Maizière (CDU) war im Jahr 1990 als erster demokratisch gewählter Ministerpräsident zugleich der letzte Ministerpräsident der DDR. Angela Merkel war zu dieser Zeit (zunächst stellvertretende) DDR-Regierungssprecherin – und Lothar de Maizière ihr Vorgesetzter. Die große CDU-Karriere sollte jedoch nicht Lothar de Maizière machen, sondern Angela Merkel.
Im Zusammenhang mit der Buch-Vorstellung hält Angela Merkel eine Rede und stellt klar, dass “trotz des bescheidenen Glücks, das es vor der Wende gegeben habe” (spiegel), die DDR aus ihrer Sicht ein Unrechtsstaat war: Die DDR “hat einen perfiden Druck auf alle ausgeübt, die in diesem Lande lebten.” (Video, 0.26-0.36) Indem sie die DDR als “Unrechtsstaat” abstempelt, rechtfertigt Angela Merkel die Wiedervereinigung, so wie sie vonstatten ging: nach den Vorgaben des “Rechtsstaats” Bundesrepublik Deutschland.
Angela Merkels Begründung ist meines Erachtens geschichtsverfälschend, denn “einen perfiden Druck” hat das DDR-Regime nicht auf alle, “die in diesem Lande lebten“, gleichermaßen ausgeübt. Die Brutalität der Obrigkeit bekamen vor allem die Menschen zu spüren, die den Mut hatten, Widerstand zu leisten. Diesen Mut hatte Angela Merkel nicht. Wozu auch? Angela Merkel dürfte ihr bescheidenes Glück genossen haben.
Auf diese Weise stilisiert sich Angela Merkel zum Opfer eines autoritären Regimes, das sie so nie war. Dabei hatte sie kein Problem damit, sich anzupassen, denn ganz im Sinne des DDR-Regimes war sie fleißig, tüchtig und arbeitsam. In der Person der Pastorentochter Angela Merkel verquickt sich die sozialistische mit der protestantischen Arbeitsethik. Weil ich beim Lesen laut lachen musste, möchte ich den Wikipedia-Beitrag zu “Arbeitsethik” empfehlen. Zur protestantischen Arbeitsethik heißt es da: “Die protestantische Arbeitsethik ist gekennzeichnet durch die Vorstellung von Arbeit als Pflicht, die man nicht in Frage stellen darf. Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens, um den herum Freizeit gestaltet wird. Diametral zur vorreformatorischen Auffassung erklärte der reformierte GeistlicheJohann Kaspar Lavater im 18. Jahrhundert, „[selbst im Himmel] können wir ohne eine Beschäftigung nicht gesegnet sein“ (Aussichten in die Ewigkeit, 1773).”https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsethik
Kaum etwas konnte die DDR-Obrigkeit so sehr erzürnen wie Menschen, die nicht werktätig waren oder ihre Arbeit nicht in den Dienst des Staates stellten. Als verwerflich galt daher die “Arbeitsscheu”. Auf “Arbeitsverweigerung”, aber auch auf Ausübung der Prostitution reagierte der Staat in Berufung auf § 249 des Strafgesetzbuch(es) der DDR mit äußerster Härte. “Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht […] wird mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.”https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/asozialenparagraph-arbeitslos-opposition-arbeitslager-zwangsadoption-100.html
Bei soviel Angst vor Arbeitsverweigerern wundert es nicht, dass Astrid Lindgrens Kinderbuch “Pippi Langstrumpf” in der DDR zwar gelesen, aber bis 1975 nicht gedruckt werden durfte. Der DDR-Staatsführung galt es als zu anarchistisch. “Als es endlich eine Druckgenehmigung für das Buch gab, kam es nur mit vielen Auslassungen und in geringer Stückzahl auf den Markt.” https://www.deutschlandfunkkultur.de/verbotene-lektuere-100.html Pippi Langstrumpf ist gefährlich, weil sie als Minderjährige alleine lebt, weil sie keine Steuern zahlt und keinen Krankenkassenbeitrag und weil sie sich weigert, zur Schule zu gehen. Pippi -das ahnte die ostdeutsche Obrigkeit- würde niemals einem Verein beitreten, schon gar nicht den Jungpionieren. Doch was Pippi besonders gefährlich macht, ist ihr Selbstbewusstsein. Sie führt Respektspersonen (die freundliche Lehrerin, wohlmeinende Fürsorgerinnen, Polizisten) an der Nase herum – und lacht!
Pippi Langstrumpf ist im besten Sinne anti-autoritär. Die weibliche Gegenfigur zu Pippi ist die real existierende, fleißige und tüchtige Angela Merkel. Frau Merkel fehlt es an politischer Leidenschaft. Daher kann sie sich nicht in Menschen hineinversetzen, die aus tiefer Überzeugung allen Risiken zum Trotz Widerstand leisten (müssen!). In ihrer Rede anlässlich der Feiern zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit (s.o.) verliert sie (anders als an anderer Stelle) kein Wort über den politischen Widerstand in der DDR, über Kriegsdienstverweigerer, über Andersdenkende, kein Wort über die Bürgerrechtsbewegung, die Friedensgebete und die Montagsdemonstrationen.
Aber de Maizière verliert ein paar Worte über Angela Merkel und stellt ihr eine Art Zeugnis aus: “Ich habe Angela Merkel nicht erfunden, sondern sie war da und war in meiner Mannschaft und war eine tüchtige Regierungssprecherin. Und sie ist in allen weiteren Verwendungen ebenfalls tüchtig gewesen.“(Video, 1.42-1.52)
Auch in ihrer Verwendung als Bundeskanzlerin ist Angela Merkel durchaus tüchtig gewesen…
Silvester 2016: Freki am Strand von Bergen aan Zee
Vor etwa drei Jahren hat mich am Eingang der Siedlung einmal ein freundlicher Radfahrer angesprochen. Er stellte sich als Sozialarbeiter der Stadt Köln vor. Seine Aufgabe war es, sich vor Ort ein Bild vom sozialen Klima in der autofreien Siedlung zu machen. Konkret wollte er wissen, ob es abendliche Ruhestörungen gäbe, denn bei der Stadt gingen immer wieder Meldungen ein. Mich sprach er an, weil sich, wie er sagte, niemand so gut in einem Wohnumfeld auskenne wie die Menschen, die mit Hunden zusammenleben. Schließlich müssen Hunde zu verschiedenen Tageszeiten ausgeführt werden, auch am späten Abend.
Allzu viel konnte ich zu den Ruhestörungen nicht sagen. Am späten Abend mache ich einen Bogen um die zwei Tischtennisplatten in der Nähe der KiTa, wo manchmal fiese, angespannte Männer rumhängen, denen nichts Besseres einfällt, als Bierflaschen zu zerdeppern. Schlägereien habe ich aber nie mitgekriegt. Freki war mir da ähnlich, er ist möglichen Beißereien von vornherein aus dem Weg gegangen und wurde nur böse, wenn man ihn bedroht hat. Manchmal hat er schon von weitem Hunde angeknurrt, mit denen “etwas nicht stimmte”. Unser verspielter Hund wurde dann mit einem Mal starr und angespannt. Er hatte -wie viele Hütehunde- ein sicheres Gespür für scharf gemachte, von Menschen abgerichtete Artgenossen. Deren für mich kaum wahrnehmbare latente Beißbereitschaft muss Freki “gerochen” haben. Wenn Gefahr droht, bemerken das die sensiblen Hunde oft eher als wir.
Manchmal konnte ich mich abends kaum noch dazu aufraffen, mit Freki eine Runde zu drehen. Aber wenn ich dann einmal draußen war, war ich oft länger unterwegs, als ich mir vorgenommen hatte. Ohne Freki wüsste ich nicht, dass in der Nähe der Nippeser S-Bahn-Trasse einige Füchse leben, die spätabends auch durch die autofreie Siedlung streifen.
Die vierbeinigen Fressfeinde des Fuchses dürften kaum bis in die Siedlung vordringen, aber was ist mit denen, die fliegen können?
Nur dank Freki habe ich mitbekommen, dass im Sommer 2022 am Rand der autofreien Siedlung ein Uhu gelandet ist. Von dem außergewöhnlichen Besuch erzählte mir eines Abends ein Bekannter aus der Nachbarsiedlung Werkstattstraße, der hier allabendlich seinen Hund ausführt. Er zeigte mir die Stelle, wo er drei Tage zuvor eine “extrem große Eule” gesehen hatte. Sie saß auf einem Pfosten des Zauns hinter der KiTa “Lummerland”. (Interessanterweise waren Freki und ich an genau der Stelle einige Wochen zuvor einem grauen Jungfuchs begegnet.) Als mein Nachbar näher kam, ist der Vogel weggeflogen. Und dieses Abheben war beeindruckend, denn die Spannbreite der Flügel war enorm: “Es waren bestimmt anderthalb Meter”. “Ein Uhu?”, fragte ich. Mein Nachbar zuckte die Achseln. Dass er mitten in Köln-Nippes einem Uhu begegnet sein sollte, konnte er kaum glauben.
Als ich nach Hause kam, stellte ich gleich den Rechner an. Es gibt tatsächlich noch (oder wieder) Uhus im Kölner Raum! Vor ein paar Jahren haben der NABU Stadtverband Köln und die NABU Naturschutzstation Leverkusen Köln ein gemeinsames Projekt gestartet: „Eulen im Kölner Raum.“ Im Rahmen dieses Projekts sind wir Kölnerinnen und Kölner aufgerufen, alle Eulen, die wir bemerken, zu melden. “Wenn Sie nächtliche Rufe vernehmen oder lautlos ein Tier über sich fliegen sehen, schreiben Sie Ort, Datum, Uhrzeit und die Art der Eule bzw. die Beschreibung des Rufes auf und melden es uns …” https://www.nabu-koeln.de/projekte/eulenprojekt/. Der Aufruf war erfolgreich, denn im Jahr 2020 sind neben anderen Eulen drei Uhus und im Jahr 2021 sogar vier Uhus “gesichtet” worden. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit darüber liegen.
Dass ein Uhu am Rand einer dicht gebauten Wohnsiedlung landet und eine ganze Weile auf einem vielleicht zweieinhalb Meter hohen Zaunpfosten hockt, kommt natürlich nur selten vor. Ich sehe den Besuch der großen Eule auch als warnenden Hinweis. Noch hat man die hier wild lebenden oder landenden Tiere nicht restlos vertreiben können. Doch sollte das von der Deutschen Bahn geplante Zuführungsgleis tatsächlich gebaut werden, dürfte es mit überraschenden, wundersamen Begegnungen zwischen Mensch und Tier wohl für immer vorbei sein.
Der Nippeser Uhu hat an dem Abend keinen Laut von sich gegeben, auch nicht den, nach dem er benannt ist. “Ebenso charakteristisch ist sein namensgebender Balzruf: Das dumpfe, bis zu einem Kilometer weit tragende “buhoo” des Männchens und das hellere “uhju” des Weibchens verraten seine Anwesenheit auch, wenn man ihn nicht zu Gesicht bekommt. Die Rufe werden im Acht- bis Zehnsekundentakt aneinandergereiht, dienen der Revierabgrenzung und sind ganzjährig zu vernehmen. In der Herbst- und Frühjahrsbalz hört man sie oft im Wechselgesang, nur selten dagegen während der Brutzeit.” https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/2005-uhu/02779.html.
Tiefe Laute der Liebe können auch Hunde ausstoßen. Einmal ist Freki -wenn auch nur zum Schein- Vater geworden. Soweit ich mich erinnere, war es im Frühsommer 2015. Freki war fünf Jahre alt. Hündin Mona (Name geändert), die damals noch in Stellwerk 60 lebte, war läufig und Freki nicht zu halten. Tagsüber hielt sich seine Sehnsucht in Grenzen, aber am Abend (alle, die jemals Liebeskummer hatten, kennen das) wurde Freki sehr traurig. Er winselte leise und seufzte. Eines Abends stellte sich Freki mitten in den Raum, hob die Schnauze, legte den Kopf in den Nacken und heulte mit tiefer Stimme: “Ohuuu…” Der Kopf kam kurz nach vorne, doch das Spiel begann von neuem: “Ohuuu”.
Ein paar Wochen später erzählte mir Monas Besitzer, dass die Hündin scheinträchtig war. Von wem, das traute ich mich nicht zu sagen. Mona musste Frekis Wolfsgeheul durch die zweifach verglasten Fensterscheiben hindurch gehört haben.
Das ist nicht Mona, sondern die Französin Colette (Name geändert), die im August 2021 in Perros-Guirec/Bretagne Urlaub machte. Freki und ich trafen Colette oberhalb vom Plage de Trestraou. Da Hunde in der Hauptsaison nicht an den Strand dürfen, was nicht unvernünftig ist, gingen Freki und ich -während sich unsere jungen Begleiterinnen am Strand amüsierten- spazieren. Leider konnte ich mich in keines der Cafés setzen, denn dann hätte ich geimpft, genesen oder (frisch) getestet sein müssen, was ich alles nicht war. Freki fand Colette doof und kokett, ich war entzückt. Ihre Besitzerin, die vermutlich permanent Anfragen bekommt, erlaubte mir, die fotogene Hündin zu fotografieren. Voilà!
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Anfang November ist auf unserer Terrasse an einem frühen Vormittag ein Turmfalke gelandet. Meine Tochter und ich bemerkten ihn durch die Fensterscheibe hindurch. Plötzlich schrie meine Tochter: “Der hat ja einen Vogel im Schnabel!” Sie riss die Terrassentür auf, aber der Falke ließ den piependen Vogel nicht los, sondern flog mit ihm davon. In dem Moment wussten wir, dass Freki, der schon sehr krank war, nicht mehr lange leben würde.
Maus im Bauch: Turmfalken-Weibchen Am Alten Stellwerk, Herbst 2019
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Freki musste am 7.11.2022 “eingeschläfert” werden. Dass man in der Tierheilkunde nicht davor zurückschreckt, die Prozedur “Euthanasie” zu nennen, wusste ich bis dahin nicht.
Wäre unser Garten größer, hätten wir die “sterblichen Überreste” dort begraben. So aber war die Einäscherung eine annehmbare Möglichkeit, den Körper vor der Entsorgung in der Tierbeseitigungsanlage zu bewahren. Am vergangenen Freitag wäre Freki 13 Jahre alt geworden. Meine Tochter und ich sind zum Rhein gefahren und haben in der Riehler Rheinaue, die Freki so sehr liebte, in dem Moment, als die Sonne sich kurz zeigte, einen Teil seiner Asche versenkt.
Es gibt ein munteres Kinderlied, das modern klingt, aber schon über hundert Jahre alt ist: “Hörst du die Regenwürmer husten? Ahua, uha. Wie sie durchs dunkle Erdreich zieh’n. Wie sie sich winden und dann verschwinden, auf nimmer nimmer Wiederseh’n. Und wo sie waren, da ist ein Loch, Loch, Loch. Und wenn sie wiederkommen, ist es immer noch, noch, noch...”
Autor des Textes ist der evangelische Pfarrer und Dichter Georg Christian Dieffenbach (1822-1901). In der schmissig-heiteren Vertonung aus dem 20. Jahrhundert – nach der Melodie des Lieds Get Me to the ChurchOn Time aus dem Musical My Fair Lady– wurde (und wird) das Lied nicht nur von Kindergartenkindern gesungen, sondern auch von marschierenden Bundeswehrsoldaten (und mittlerweile leider auch -innen), zu deren Repertoire zahlreiche Volks-, aber auch Kinderlieder gehören. Das Schuhwerk der Marschierenden ist so robust, dass der Regenwurm, dem die Uniformierten bei feuchter Witterung häufig begegnen, ihnen nichts anhaben kann.
Ich muss zugeben, dass mir Regenwürmer nicht ganz geheuer sind. Ich nehme die haarlosen, sich windenden Zwitter-Tierchen nicht gerne in die Hand, was ich aber manchmal tun muss, denn nach einem sommerlichen Regenschauer sind die Wege in der autofreien Siedlung in der Regel mit Regenwürmern übersät, die die Orientierung verloren haben.
Wir Menschen bringen Würmer mit Tod und Verwesung in Verbindung und nicht mit Leben und Blüte. Vor den Maden, den Larven der Fliegen, ekeln wir uns. Maden sind gefräßig. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich bis ins späte 19. Jahrhundert das Vorurteil hielt, dass Regenwürmer Schädlinge sind und Pflanzen anfressen. Die meisten Menschen konnten nicht glauben, dass die Regenwürmer für die Fruchtbarkeit des Ackerbodens unerlässlich sind. Warum war ausgerechnet der schnöde Regenwurm wichtig, und warum sollten ausgerechnet seine Ausscheidungen für das Gedeihen und den Ertrag der Pflanzen von elementarer Bedeutung sein?
Selbst der Gott der Bibel ist nicht vorurteilsfrei. Im Gegenteil: Er redet abschätzig über “alles Gewürm des Erdbodens”. “Füllet die Erde“, sagt er zu Adam und Eva (mit Menschen!), “und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.” (Gen 1,28, Luther-Bibel, https://www.die-bibel.de/bibeltext/1.%20Mose%201,28/)
Gottes Geringschätzung gegenüber den Kriechtieren kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Schlange zum kriechenden Tier degradiert: “14Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. 15Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.” https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/GEN.3/1.-Mose-3
Schlangen bewegen sich lautlos und sind Meisterinnen im Sich-Verbergen. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu stammen. Schlangen nehmen Schallwellen wahr, aber auch feinste Boden-Vibrationen. Dass sie Sinne haben, über die wir Menschen nicht verfügen und für die wir keinen Namen haben, macht sie uns unheimlich. Auch dass Schlangen keine Beine brauchen, um sich am Boden (elegant!) fortzubewegen.
Den Menschen, die lebten, als die Texte der Genesis verfasst wurden, dürfte nicht entgangen sein, dass Schlangen gut klettern können, insbesondere die Äskulapnatter, die sich in der griechischen Mythologie um den Wanderstab des Gottes der Heilkunde windet, Asklepios (Äskulap”). Die Äskulapnatter, heute noch Symboltier für den ärztlichen Beruf, liebt es, sich auf Bäumen zu verbergen. Auch das ist uns Menschen nicht ganz geheuer. So ist es nicht verwunderlich, dass der Gott der Genesis die Schlange vom Baum holt.
In der Paradies-Geschichte ist die Schlange das Böse schlechthin, die Lügnerin, die Verführerin. Doch Gottes Furor richtet sich nicht gegen ein einzelnes Tier, sondern gegen die Unberechenbarkeit der Natur, die sich in der geheimnisvollen, vieldeutigen Schlange manifestiert. “Die Schlange ist ein Ursymbol”, schreibt Ingrid Olbricht (1935-2005), “… in fast allen Kulturen spielt sie in Mythen und im Brauchtum eine große Rolle. So bedeutete die Schlange einerseits Leben, Erneuerung, Verjüngung, Häutung, Auferstehung und andererseits Tod, Gift und Zerstörung. Sie symbolisierte die schöpferische Kraft der Erde. Sie war Begleiterin der Großen Mutter, geheimnisvoll wie sie, rätselhaft, intuitiv, eine unkontrollierbare, undifferenzierte, unerschöpfliche Lebenskraft. Weiterlesen: https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/wp-content/uploads/2015/07/Symbol_der_Schlange.pdf (unbedingte Lese-Empfehlung!)
Abgestreiftes “Natternhemd”: Eine Freundin meiner älteren Tochter lebt in den Tessiner Bergen. Im Frühjahr 2022 hat sie direkt unter ihrem Fenster eine Schlangenhaut gefunden, die vermutlich, wie an der “Kopfbekleidung” zu erkennen ist, von einer Ringelnatter stammt. Bei der Schlange dürfte es sich um ein älteres Weibchen handeln, denn die abgestreifte Haut ist über einen Meter lang. Anders als etwa bei den Äskulapnattern ist bei den Ringelnattern das weibliche das wesentlich größere Tier. Das Bild ist der Ausschnitt eines Fotos, das meine Tochter, die zufällig dort war, mit dem Smartphone gemacht hat.
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Wenn auch zahnlos und weniger vieldeutig, so ist der “Gemeine Regenwurm” ebenfalls ein altes Symboltier: “In den frühen Epochen unserer Geschichte glaubte man, dass der Regenwurm über besondere Heilkräfte verfüge. Im Schamanismus galt er als Krafttier, das für Erneuerung und Heilung stand. Er diente als Orakel und beliebte Zutat für Zaubereien und Rituale. Im alten Ägypten wurde der Regenwurm sogar heiliggesprochen und stand unter dem Schutz von Königin Cleopatra.” http://www.regenwuermer.info/regenwurm/bedeutung-bodenverbesserung.php
Die ersten Hinweise auf den großen praktischen Nutzen der Regenwürmer stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der englische Schriftsteller und Naturforscher Gilbert White (“The Natural History and Antiquities of Selborne, 1789″) stellte dar, auf welche Weise der Regenwurm den Ackerboden lockert und somit die Entwicklung der Pflanzen fördert. Wissenschaftlich untermauert wurde die Bedeutung der Regenwürmer aber erst im 19. Jahrhundert, und zwar insbesondere durch Charles Darwin, der von White beeinflusst und beeindruckt war.
“Der bekannte englische Naturforscher Charles Darwin hielt bereits 1837 vor der Geologischen Gesellschaft von London einen Vortrag über die Bedeutung der Regenwürmer bei der Bodenbildung („On the Formation of Mould“). Aber erst 1881 veröffentlichte er seine langjährigen und umfangreichen Beobachtungen in dem Buch „The Formation of Vegetable Mould through the Action of Worms, with Observations of their Habits“ (deutsch: „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer”), das von Biologen und Bodenkundlern als Grundlagenwerk der Bodenbiologie gewürdigt wird (vgl. GRAFF 1983, S. 30/31).” https://hypersoil.uni-muenster.de/1/02/49.htm
Darwin sollte, nachdem er von seiner mehrjährigen Reise mit der Beagle zurückgekehrt war, England nie mehr verlassen. Doch auch das Leben der hier heimischen Lebewesen ist Teil einer universalen Naturgeschichte. So beobachtete Darwin seine unmittelbare Umgebung und studierte die Evolution sozusagen im eigenen Garten, wobei der englische Regen seinen Studien zugute kam.
***
Wenn der stille, gehörlose, lediglich leise schmatzende Regenwurm (wissenschaftlicher Name: Lumbricus terrestris) auch im Erd-Reich verschwindet, kommt er dennoch immer wieder ans Licht, dann nämlich, wenn es regnet und er in seinen unterirdischen Höhlen und Gängen zu ertrinken droht. Jetzt aber begegnet er einem Tier, das nicht nur Regen mag.
Die Regenwürmer haben einen Fressfeind, den ich zum Lauschen gerne hab. Singvögel, die im Laufe der Evolution komplexe Melodien entwickelt haben, existieren seit 33 Millionen Jahren. Wir Menschen lauschen ihnen nicht nur, sondern ahmen seit jeher ihren Gesang nach. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir unsere Liebeslieder auch den Regenwürmern verdanken.
Amsel
Drossel, Fink
und Star, unsere
Liebeslieder waren vor uns
da
Sommer 2022: Dieses Amselmännchen widersteht dem Impuls, die Rosine direkt zu verzehren. Es wartet so lange, bis das Jungtier auch eine Rosine aufgepickt hat. Dieser “Ästling” wurde schon als “Nestling” mit (ungeschwefelten) Rosinen gefüttert, die wir auf die Terrasse gestreut hatten, deshalb mag er sie sehr. Im letzten Sommer habe ich mehrmals beobachtet, wie das fütternde Amselmännchen zusätzlich zu den Würmern oder Insekten, die es im Schnabel hatte, noch Rosinen aufgepickt hat. Ein Balanceakt!
Dieses Jungtier hat zwar vor etwa zwei Wochen das Nest verlassen, braucht seine Eltern aber immer noch. Doch mittlerweile kriegt es das Futter nicht mehr einfach so in den offenen Schnabel gestopft. Her zeigt ihm sein Vater, wie eine Amsel es macht.
Wenn eine Jung-Amsel eigenständig ist, verlöscht das Interesse der Eltern an ihr. Dennoch werden die Eltern wieder Eltern sein und in Zukunft wieder gemeinsam brüten. Amseln leben überwiegend monogam und bleiben über mehrere Brutperioden zusammen. Die Jung-Amsel ist Vater und Mutter gleichermaßen zugeneigt. Bei uns Menschen ist das anders. Da die Mutter das Kind austrägt, zur Welt bringt und stillt, ist im Idealfall die körperliche Symbiose zwischen Mutter und Kind so tief, wie sie zwischen Vater und Kind nie sein kann – und auch nie sein sollte.